European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:009OBA00033.16T.0525.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 939,24 EUR (darin 156,54 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war bei der Beklagten von Jänner 2000 bis 30. Juni 2012 als Pilot (zuletzt als Erster Offizier) beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis waren der „Kollektivvertrag für das Bordpersonal der A***** und L*****“ (OS KV-Bord) und der sogenannte Zusatzkollektivvertrag II (OS-KV Bord alt) anzuwenden. Zusätzlich bestand der mit 31. März 2015 befristete Zusatzkollektivvertrag „Einsparungspaket“ für das Bordpersonal, nach dessen Punkt 7.2 die Dienstnehmer einen monatlichen solidarischen „Krisenbeitrag“ in einem prozentmäßigen Ausmaß vom jeweiligen Bruttogehalt zu leisten hatten.
Punkt 4. dritter Absatz dieses Zusatzkollektivvertrags „Einsparungspaket“ (Zusatz‑KV EP) lautet: „ Abfertigungszahlungen aufgrund objektiv betriebsbedingter Dienstgeberkündigungen sowie Zahlungen aus Dienstjubiläen erfolgen von jener Bemessungsgrundlage, die gegolten hätte, wenn kein Einsparungspaket vereinbart worden wäre. “
Mit Wirksamkeit vom 1. Juli 2012 ging der Flugbetrieb der Beklagten auf die T***** GmbH über und die Beklagte informierte ihre Mitarbeiter (im Mai 2012) darüber, dass der geplante Betriebsübergang mit einer wesentlichen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen verbunden sein werde. Der Kläger machte (mit Schreiben vom 25. Mai 2012) von der Möglichkeit der privilegierten Dienstnehmerkündigung gemäß § 3 Abs 5 AVRAG Gebrauch. Die Beklagte bezahlte dem Kläger die um den Krisenbeitrag gekürzte Abfertigung.
Der Kläger begehrte die – der Höhe nach unstrittige – Differenz zu jenem Abfertigungsbetrag, der sich ohne Berücksichtigung der kollektivvertraglichen Entgeltreduktion ergeben würde. Aufgrund seiner Kündigung gemäß § 3 Abs 5 AVRAG habe er alle Beendigungsansprüche wie bei einer (objektiv betriebsbedingten) Arbeitgeberkündigung zu erhalten; die Beklagte habe jedoch ohne Rechtsgrundlage vom Bruttogehalt einen Krisenbeitrag abgezogen. Der Zusatz-KV EP sei mit 31. März 2011 außer Kraft getreten. Außerdem habe die Arbeitgeberseite mit Schreiben vom 15. Februar 2012 alle Kollektivverträge gekündigt. Unabhängig davon stelle eine Selbstkündigung gemäß § 3 Abs 5 AVRAG eine objektiv betriebsbedingte Kündigung im Sinn des Punktes 4 des Zusatz-KV EP dar.
Die Beklagte wendete ein, sie sei an einer Auflösung des Dienstverhältnisses nicht interessiert gewesen; der Kläger habe selbst entschieden, sein Dienstverhältnis zu kündigen, und daher liege eine objektiv betriebsbedingte Kündigung nicht vor. Der Zusatz-KV EP sei im Übrigen nicht (wirksam) beendet worden.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren (mit Ausnahme eines unbekämpft abgewiesenen Zinsenmehrbegehrens) statt. Es kam zu dem Ergebnis, dass auch die privilegierte Dienstnehmerkündigung nach § 3 Abs 5 ArbVG, die der Kläger hier erklärt habe, eine „objektiv betriebsbedingte Kündigung“ im Sinn des Punktes 4. des Zusatz-KV EP sei. Die Beklagte habe zwar mit dem Abschluss des Zusatz‑KV EP eine Kostenreduktion angestrebt; der Kläger habe aber eine privilegierte Kündigung in Anspruch genommen, die auch im Rahmen der Kosteneinsparungen der Beklagten eingeplant gewesen sei. Der Kläger habe daher einen Anspruch auf Abfertigung ohne Abzug des Krisenbeitrags.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten keine Folge. Die privilegierte Dienstnehmerkündigung nach § 3 Abs 5 AVRAG sei ihrem Zweck nach dem Arbeitgeber zuzurechnen. Dass die Initiative zur Lösung des Dienstverhältnisses in solchen Fällen vom Dienstnehmer ausgehe, sei eine zwangsläufige Folge, rechtfertige es jedoch nicht, einer solchen Kündigung einen subjektiv betriebsbedingten oder personenbezogenen Kündigungsgrund zu unterstellen, weil sonst die Bestimmung letztlich unterlaufen werde. Der Wortlaut des Punktes 4 des Zusatz-KV EP sei nicht auf einen vom Unternehmen ausgelösten Personalabbau beschränkt.
Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil zur Auslegung des Punktes 4 des Zusatz‑KV EP noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.
Die Beklagte beantragt in ihrer Revision die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im klagsabweisenden Sinn, hilfsweise wird deren Aufhebung begehrt.
Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Der Zusatz-KV EP ist zwar nicht mehr in Kraft; abgesehen vom Verfahren zu 8 ObA 77/15d sowie vom Anlassfall sind aber erkennbar noch Ansprüche anderer ehemaliger Dienstnehmer der Beklagten strittig, für deren Beurteilung seine Auslegung von Bedeutung ist.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.
1. Die vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen über die von der Beklagten geplanten Kostensenkungsmaßnahmen einschließlich Personalreduktion können als Schlussfolgerungen der Tatsacheninstanzen keine Aktenwidrigkeit begründen (RIS‑Justiz RS0043421; RS0043256; RS0043277). Davon abgesehen, sind die hier von der Beklagten beanstandeten Feststellungen für das Ergebnis der Entscheidung nicht ausschlaggebend.
2. Der Abschluss des am 1. April 2010 in Kraft getretenen, mit 31. März 2015 befristeten Zusatz‑KV EP verfolgte zwei deklarierte Ziele der Kollektivvertragsparteien, und zwar auf Dienstgeberseite die schon in der Überschrift und der Präambel genannten Kosteneinsparungen zur Bewältigung einer wirtschaftlichen Krise, sowie auf Arbeitnehmerseite die mittelfristige Beschäftigungssicherung (vgl auch Punkt 3 und 8 des Zusatz‑KV EP). Diese Interessen stehen in einem wechselseitigen Austauschverhältnis. Für die Auswirkungen eines möglichen Betriebsübergangs, wie er schließlich rund zwei Jahre später erfolgte, haben die Parteien keine entsprechenden Regelungen vorgesehen.
In Punkt 4 des Zusatz-KV EP („ Leistungspension, Abfertigungen und Dienstjubiläumszahlungen “) haben die Parteien bestimmte Fälle aus den Wirkungen des Einsparungspakets ausgenommen und vorgesehen, dass für diese als Bemessungsgrundlage jene heranzuziehen sein soll, die ohne das vereinbarte Einsparungspaket (ohne Abzug des „Krisenbeitrags“) gegolten hätte. Ein Anwendungsfall davon sind „ Abfertigungzahlungen aufgrund objektiv betriebsbedingter Dienstgeberkündigungen “.
Der (einschränkende) Begriff „objektiv betriebsbedingt“ steht erkennbar im Zusammenhang mit der Bestimmung des § 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG. Nach dieser Regelung kann der Betriebsinhaber den Nachweis dafür erbringen, dass eine Kündigung, die wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt, durch betriebliche Erfordernisse bedingt ist, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegen stehen. Die „ objektiv betriebsbedingte“ Kündigung (§ 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG) beruht im Unterschied zur „ subjektiv betriebsbedingten Kündigung“ (§ 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG) auf rein betriebsbezogenen Umständen und damit auf Vorgängen, die mit der Person des Gekündigten nichts zu tun haben ( Wolligger in Neumayr / Reissner , ZellKomm 2 § 105 ArbVG Rz 213 mwN).
Da den Kollektivvertragsparteien zu unterstellen ist, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten, ist bei mehreren an sich in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten, wenn alle anderen Auslegungsgrundsätze versagen, jener der Vorzug zu geben, die diesen Anforderungen am meisten entspricht (RIS‑Justiz RS0008828).
Hier haben die Parteien sich zwar auf Einsparungsmaßnahmen geeinigt, sie haben aber die Abfertigungszahlungen aufgrund objektiv bedingter Dienstgeberkündigungen ausdrücklich davon ausgenommen. Mit der Bezugnahme auf die objektive Betriebsbedingtheit sollte erkennbar klargestellt werden, dass die Ausnahme vom Einsparungspaket nur für die Auswirkungen solcher Kündigungen gelten sollte, die ihre Ursache allein in betriebsbedingten Umständen, also in wirtschaftlichen, organisatorischen oder strukturellen Gründen haben, die in der unternehmerischen Entscheidungskompetenz des Dienstgebers liegen.
Die hier vom Kläger gemäß § 3 Abs 5 AVRAG erklärte Kündigung hat zur Folge, dass ihm „ die zum Zeitpunkt einer solchen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gebührenden Ansprüche wie bei einer Arbeitgeberkündigung “ zustehen. Grundlegende Voraussetzung für das Recht des Arbeitnehmers, das Arbeitsverhältnis gemäß § 3 Abs 5 AVRAG zu kündigen, ist eine wesentliche Verschlechterung seiner Arbeitsbedingungen durch den nach Betriebsübergang anzuwendenden Kollektivvertrag oder die nach Betriebsübergang anzuwendenden Betriebsvereinbarungen. Damit wird deutlich, dass auch in einem solchen Fall der Anlass und die Ausgangssituation, die das Recht zur privilegierten Kündigung gemäß § 3 Abs 5 AVRAG nach sich ziehen, ihre Ursache letztlich in strukturellen, organisatorischen oder wirtschaftlichen Umständen haben, die auf Seiten des Arbeitgebers und in dessen unternehmerischem Entscheidungsbereich liegen.
Die Beklagte steht auf dem Standpunkt, mit der Bezeichnung der „ objektiv betriebsbedingten “ Kündigungen in Punkt 4 des Zusatz‑KV EP seien allein solche Kündigungen gemeint, die von ihr wegen eines beabsichtigten Stellenabbaus ausgesprochen würden (oder worden seien); an der vom Kläger hier selbst ausgelösten Beendigung des Dienstverhältnisses habe sie kein Interesse gehabt.
Damit übersieht sie jedoch, dass sich aus dem Wortlaut der Formulierung in Punkt 4 des Zusatz‑KV EP für eine solche einschränkende Interpretation auf Kündigungen (nur) zum Zweck des Personalabbaus kein Argument gewinnen lässt. Dafür, dass der Kläger das Dienstverhältnis aus anderen Gründen als wegen des Betriebsübergangs und der damit verbundenen nachteiligen Auswirkungen aufgelöst hätte, gibt es hier keinen Anhaltspunkt.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen, nach denen die Abfertigung des Klägers aufgrund der Regelung in Punkt 4 des Zusatz-KV EP ohne Abzug des Krisenbeitrags zu berechnen war, sind daher zutreffend. Die Revision der Beklagten ist nicht berechtigt.
3. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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