OGH 9ObA238/99m

OGH9ObA238/99m15.9.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Heinz Paul und Dr. Jörg Wirrer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Johann S*****, Pensionist, *****, vertreten durch Dr. Heinz Mildner, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Stadtgemeinde Innsbruck, *****, vertreten durch Dr. Hansjörg Schweinester ua, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen S 79.585,73 brutto sA (Revisionsinteresse: klagenden Partei S 68.755,73 brutto; beklagte Partei S 379,87 brutto), über die Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Mai 1999, GZ 13 Ra 59/98v-24, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 11. September 1998, GZ 43 Cga 8/98z-15, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 4.065,04 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 675,84 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 16. 4. 1973 bis zu seiner Pensionierung am 31. 5. 1996 Vertragsbediensteter im Gestellungsbetrieb der Beklagten. Nach dem Dienstvertrag des Klägers haben auf das Dienstverhältnis die Bestimmungen der Vertragsbedienstetenordnung der Stadt Innsbruck (VBO) in der jeweils geltenden Fassung Anwendung zu finden. Danach steht dem Kläger eine Abfertigung in Höhe des 9-fachen Monatsentgeltes zu. Die Beklagte hat dem Kläger eine Abfertigung von S 301.568,16 gezahlt.

Den Begriff des Monatsentgelts regelt die VBO in ihrem § 9. Dieser war - da der Entgeltbegriff der VBO uneinheitlich war und vom Obersten Gerichtshof in den Entscheidungen 9 ObA 119/95 und 9 ObA 2180/96w (= ecolex 1997,280) entgegen dem Standpunkt der Beklagten weit ausgelegt wurde - vom Gemeinderat der Beklagten mit Beschluß vom 29. 3. 1990 mit Zustimmung der Personalvertretung geändert worden und hat seither in seinen Absätzen 1 und 4 folgenden Wortlaut:

"(1) Dem Vertragsbediensteten gebühren das Monatsentgelt und allfällige Zulagen (Dienstzulagen, Dienstalterszulagen, Verwaltungsdienstzulage, Ergänzungszulagen, Haushaltszulage, Teuerungszulage, sonstige Zulagen).

(4) Soweit Ansprüche nach dem Monatsentgelt zu bemessen sind, sind Dienstzulagen, Dienstalterszulagen, die Verwaltungsdienstzulage, Ergänzungszulagen sowie besondere Zulagen dem Monatsentgelt zuzuzählen."

Am 6. 12. 1960 hatte der Gemeinderat der Beklagten die Gewährung eines monatlichen Rentenzuschusses in Höhe eines von der zurückgelegten Dienstzeit abhängigen Prozentsatzes "des im Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem städtischen Dienste gebührenden Monatsentgeltes ohne Familienzulagen" beschlossen, allerdings mit der Beschränkung, daß "die Rente aus der gesetzlichen Sozialversicherung und der Rentenzuschuß ... zusammen 80 % des letzten Monatsentgeltes (ohne Familienzulagen) nicht übersteigen" dürfen. Mit Beschlüssen des Gemeinderates vom 22. 12. 1964 und vom 1. 8. 1974 wurde festgehalten, daß auch die damals neu geschaffene "allgemeine Zulage" und die Verwaltungszulage in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen sind. Seit der Einführung des Rentenzuschusses wird dieser nur auf der Grundlage des Schemabezuges bzw - seit den genannten Gemeinderatsbeschlüssen - auch unter Einbeziehung der allgemeinen Zulage und der Verwaltungszulage berechnet. Diese Berechnung führt dazu, daß der Kläger keinen Anspruch auf Rentenzuschuß hat, weil schon die ASVG-Pension des Klägers (S 20.018,40) 80 % des in diesem Sinn zu verstehenden Monatsentgeltes (S 19.664,80) übersteigt.

Das Berufungsgericht vertrat folgende Rechtsauffassung:

Zur Abfertigung:

Der Kläger müsse aufgrund der in seinem Dienstvertrag enthaltenen dynamischen Verweisung auf die VBO deren Neufassung durch den Gemeinderatsbeschluß vom 10. 11. 1994 gegen sich gelten lassen, zumal eine Gesamtbetrachtung wegen gleichzeitig vorgenommener Verbesserungen der Dienstnehmerrechte (z. B. beim Kündigungsschutz) keine Schlechterstellung der Dienstnehmer bewirkt habe. Auch nach der nunmehrigen Fassung der VBO sei aber die dem Kläger gewährte Leistungszulage bei der Berechnung der Abfertigung zu berücksichtigen. § 9 Abs 4 VBO definiere die in die Bemessungsgrundlage einzubeziehenden "besonderen Zulagen" nicht. § 13 VBO verweise zwar hinsichtlich der Reise- und Übersiedlungsgebühr sowie für andere nicht besonders geregelte Nebengebühren auf die für die Beamten der Landeshauptstadt Innsbruck geltenden Vorschriften. Aber auch aus dem Innsbrucker Gemeindebeamtengesetz sei - ebenso wie aus der Weiterverweisung auf das Landesbeamtengesetz und das Gehaltsgesetz des Bundes - für das Verständnis der VBO nichts zu gewinnen. Zudem übersteige die fortgesetzte Weiterverweisung den Empfängerhorizont eines durchschnittlichen Dienstnehmers. Da sich die Beklagte die Unklarheitenregel des § 915 ABGB entgegenhalten lassen müsse, sei daher die Leistungszulage gemäß § 9 Abs 4 VBO dem Monatsentgelt zuzuzählen und - in der regelmäßig gewährten Höhe ohne krankheitsbedingte Kürzungen - in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen.

Der Einwand, daß andere Zulagen nicht in voller Höhe in die Bemessungsgrundlage aufgenommen worden seien, sei erstmals im Berufungsverfahren erhoben worden und daher wegen des für den qualifiziert vertretenen Kläger bestehenden Neuerungsverbotes nicht zu beachten.

Zum Rentenzuschuß:

Der Anspruch auf einen Rentenzuschuß beruhe auf einer betrieblichen Übung, basierend auf den maßgebenden Gemeinderatsbeschlüssen und der in diesem Sinne erfolgten fortwährenden Gewährung dieser Leistung. Dadurch sei klargestellt, daß bei der Berechnung des Rentenzuschusses nicht von dem der Berechnung der Abfertigung zugrunde gelegten weiten Entgeltbegriff, sondern vom Schemabezug, vermehrt um die in den späteren Gemeinderatsbeschlüssen genannten Zulagen, auszugehen sei. Damit stehe dem Kläger kein Rentenzuschuß zu.

Diese Rechtsauffassung ist zutreffend, sodaß es insoweit ausreicht, auf die Richtigkeit der ausführlichen Begründung der angefochtenen Entscheidung zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Ergänzend ist den Ausführungen beider Revisionswerber entgegenzuhalten:

Rechtliche Beurteilung

Wie die Vorinstanzen richtig erkannt haben, ist die VBO der Beklagten lediglich eine Vertragsschablone, die kraft einzelvertraglicher Vereinbarung Inhalt des jeweiligen Dienstvertrages wird (9 ObA 2180/96w = ecolex 1997, 280; 9 ObA 119/95). Mit der im Dienstvertrag enthaltenen Vereinbarung, daß die VBO in der jeweils gültigen Fassung anzuwenden ist, hat der Kläger dem Dienstgeber ein Gestaltungsrecht eingeräumt. Wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrmals entschieden hat, räumt ein solcher Änderungsvorbehalt (im Zusammenhang mit der Zustimmung der betrieblichen oder der überbetrieblichen Interessenvertretung) dem Arbeitgeber eine nach dem Grundsatz von Treu und Glauben und nach billigem Ermessen auszuübende Regelungsbefugnis ein (eingehend DRdA 1996/13 [Resch]; zuletzt 9 ObA 17/99m). Diese Regelungsbefugnis gibt dem Dienstgeber auch die Möglichkeit, Rechte der Arbeitnehmer - allerdings nur in den eben genannten Grenzen - zu verschlechtern (9 ObA 17/99m). Die hier interessierende Änderung des § 9 der VBO hat - gemessen an den beiden oben zitierten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes, welche die bisherige Auslegung der Bestimmung durch die Beklagte ablehnten - zwar eine Verschlechterung der Stellung der Dienstnehmer mit sich gebracht. Berücksichtigt man aber, daß die bisherige Praxis der Beklagten von einem engen Entgeltbegriff ausging und nur diese Praxis wiederhergestellt werden sollte, daß die Änderung vor dem Hintergrund der notorisch notwendigen Sparmaßnahmen öffentlicher Dienstgeber zu sehen ist und daß ihre finanziellen Auswirkungen den Rahmen der aktuellen Sparmaßnahmen der öffentlichen Hand nicht überschreitet, ist die mit Zustimmung der Personalvertretung vorgenommene Neufassung der VBO nicht als Mißbrauch der dem Dienstgeber im Dienstvertrag eingeräumten Regelungsbefugnis zu werten. Da es somit auf den vom Berufungsgericht vorgenommenen Gesamtvergleich aller damals vorgenommenen Änderungen nicht ankommt, braucht nicht näher geprüft zu werden, ob in diesem Zusammenhang ein derartiger Gesamtvergleich zulässig ist. Da der Kläger im übrigen gar nicht behauptet hat, daß die Änderung nicht gehörig kundgemacht worden bzw. den Dienstnehmern keine Gelegenheit gegeben worden sei, sich darüber Kenntnis zu verschaffen (DRdA 1991, 246; 9 ObA 17/99m), muß er sie gegen sich gelten lassen.

Dessenungeachtet ist - wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat - die dem Kläger gewährte Leistungszulage in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen. § 9 VBO kann für sich allein nach seinem Wortlaut nur dahin verstanden werden, daß regelmäßig gewährte Zulagen für die Berechnung der Abfertigung dem Monatsentgelt zuzuzählen sind. Ihren gegenteiligen Standpunkt begründet die Beklagte in ihrer Revision damit, daß sie - neuerungsweise - behauptet, es handle sich bei der Leistungszulage um eine "schlampig bezeichnete" Mehrleistungsvergütung, die durch § 13 VBO, der auf § 26 des Innsbrucker Gemeindebeamtengesetzes verweise, definiert werde. Abgesehen davon, daß sich die Beklagte in erster und zweiter Instanz nie auf den Charakter der Leistungszulage als Mehrleistungsvergütung berufen hat und daß § 13 VBO überdies weder Mehrleistungsvergütungen noch den § 26 des Innsbrucker Gemeindebeamtengesetzes ausdrücklich erwähnt, übersteigen derart komplizierte Verweisungs- und Argumentationsketten den Empfängerhorizont eines durchschnittlichen Dienstnehmers, der sie nicht nachvollziehen und insbesondere nicht erkennen kann, daß eine ausdrücklich als solche bezeichnete Zulage von der allgemeinen Formulierung des § 9 VBO nicht umfaßt sein soll (so schon 9 ObA 2180/96w = ecolex 1997,280).

Daß regelmäßig gewährte Zulagen ungeachtet vorübergehender krankheitsbedingter Abwesenheiten ungekürzt in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen sind, gesteht die Beklagte in ihrer Revision zu. Ihre Meinung, dies habe für die Leistungszulage nicht zu gelten, begründet sie damit, daß es sich bei dieser Zulage in Wahrheit um eine Mehrleistungsvergütung handle. Darauf ist nicht einzugehen, weil sie derartiges - wie schon oben ausgeführt - in erster und zweiter Instanz nicht behauptet hat.

Dem Einwand der Beklagten, sie habe irrtümlich die Sonderzahlungen in die Bemessungsgrundlage einbezogen, sodaß der Kläger ohnedies zuviel an Abfertigung erhalten habe und daher aus der Berücksichtigung der Leistungszulage nichts fordern könne, ist nicht zu folgen. Ihre Ausführungen, wonach die Abfertigung "ein einziger Zahlungstitel" sei, ändert nichts daran, daß für deren Berechnung eine Mehrzahl von Ansprüchen maßgebend sind, von denen einer - nämlich die Leistungszulage - Gegenstand des Verfahrens war. Der dem Kläger aus diesem Titel erwachsende Anspruch kann nicht mit der Begründung verneint werden, es sei ihm aus einem anderen Titel zu viel an Abfertigung gezahlt worden. Ob der Beklagten insofern ein Rückforderungsanspruch zusteht, mit dem sie gegen den Anspruch des Klägers hätte aufrechnen können, ist nicht zu prüfen, weil sie - wie sie in ihrer Revision selbst zugesteht - keine Aufrechnungserklärung abgegeben hat. Daß auch im Falle des Bestehens eines Rückforderungsanspruchs eine solche Erklärung mangels "zweier einander gegenüber- stehender Forderungen" - die Abfertigung sei ein einziger Zahlungstitel - nicht möglich gewesen wäre, trifft nicht zu, weil unter dieser Voraussetzung dem Anspruch des Klägers auf restliche Abfertigung ein bereicherungsrechtlicher Rückforderungsanspruch der Beklagten gegenüberstehen würde.

Die Prüfung des vom Kläger in seiner Berufung erhobenen Einwandes, auch weitere Zulagen seien nur (krankheitsbedingt) gekürzt in die Bemessungsgrundlage einbezogen worden, hat das Berufungsgericht zu Recht unter Hinweis auf das Neuerungsverbot abgelehnt. Die dagegen in der Revision des Klägers vorgebrachten Einwände überzeugen nicht. Sein in erster Instanz erhobenes, rechnerisch eindeutig nachvollziehbares Begehren (siehe die detaillierte Aufstellung auf S 4 des Ersturteils) deckt das in Rede stehende Berufungsvorbringen nicht. Auf den Umstand, daß der Kläger in seiner Revision aus diesem Titel S 1.603,61 brutto begehrt, obwohl er in seiner Berufung seinen die Abfertigung betreffenden Anspruch auf S 1.443,48 eingeschränkt hat, wovon ihm S 379,87 brutto zugesprochen wurden, braucht daher nicht eingegangen zu werden.

Der Anspruch auf Rentenzuschuß ergibt sich nicht aus der VBO sondern aus den oben genannten Gemeinderatsbeschlüssen. Auf diese wurde aber - im Gegensatz zur VBO - im Dienstvertrag nicht Bezug genommen. Als Anspruchsgrund kommt insofern nur eine betriebliche Übung in Betracht, für deren Umfang entscheidend ist, was der Arbeitnehmer bei sorgfältiger Würdigung dem Erklärungsverhalten des Dienstgebers entnehmen kann (RIS-Justiz RS0014154; zuletzt 9 ObA 102/99m; 9 ObA 290/98g). Dabei ist aber nicht nur auf den - insofern nicht eindeutigen - Wortlaut des im Jahre 1964 gefaßten Gemeinderatsbeschlusses, sondern auch auf die von Anfang an über Jahrzehnte hindurch bis heute unverändert gebliebene Umsetzung dieses Beschlusses abzustellen. Damit erweist sich die Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes auch in diesem Zusammenhang als zutreffend.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Beide Parteien haben Anspruch auf Ersatz der Kosten ihrer jeweiligen Revisionsbeantwortungen. Aufgrund der unterschiedlichen Bemessungsgrundlagen ergibt sich der im Spruch ersichtliche Zuspruch an die Beklagte.

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