European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131465
Spruch:
Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Klägerin stand vom 1. 5. 2019 bis 30. 4. 2020 in einem befristeten Dienstverhältnis zum Beklagten. Am 4. 12. 2019 wurde sie für die restliche Dienstzeit dienstfrei gestellt. Die vom Beklagten angebotene Vereinbarung über den Verbrauch des Resturlaubs wurde von ihr abgelehnt.
[2] Die Vorinstanzen gaben dem Begehren der Klägerin auf Zahlung von Urlaubsersatzleistung für 14 Tage statt. In seiner dagegen gerichteten außerordentlichen Revision zeigt der Beklagte keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf:
Rechtliche Beurteilung
[3] 1. Nach Aufhebung des § 9 UrlG aF durch das ARÄG 2000 besteht grundsätzlich keine Obliegenheit des Arbeitnehmers mehr, den Urlaub in einer längeren Kündigungsfrist zu verbrauchen (RS0120368). Der Nichtabschluss der Urlaubsvereinbarung durch den Arbeitnehmer steht im Allgemeinen nur mehr unter der „Sanktion“ der Verjährung des Urlaubsanspruchs nach § 4 Abs 5 UrlG. Eine Obliegenheit des Arbeitnehmers, seinen Urlaub im Fall einer Dienstfreistellung innerhalb einer längeren Kündigungsfrist zu verbrauchen, besteht nur im Fall einer Verletzung der Treuepflicht oder eines Rechtsmissbrauchs (RS0120368 [T2; s auch T3]).
[4] Der Beklagte wirft in seiner Zulassungsbeschwerde die Frage auf, ob die gleichen Erwägungen im Fall der Beendigung des Dienstverhältnisses durch Fristablauf und vorangegangener Dienstfreistellung anzustellen sind, nennt allerdings keinen Grund, warum eine solche Differenzierung vorgenommen werden sollte. Sie widerspräche auch § 10 UrlG, der für den Anspruch auf Urlaubsersatzleistung nicht zwischen befristeten und unbefristeten Dienstverhältnissen differenziert, und verkennt, dass der Entfall der Urlaubsersatzleistung infolge Rechtsmissbrauchs bereits Gegenstand der ebenso ein befristetes Dienstverhältnis betreffenden Entscheidung 8 ObA 81/08g war.
[5] 2. Nach Ansicht des Beklagten sei auch ungeklärt, unter welchen Umständen die Schädigungsabsicht den einzigen oder überwiegenden Grund der Rechtsausübung darstelle.
[6] Schikane liegt nach der Rechtsprechung nicht nur dann vor, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen Grund der Rechtsausübung bildet, sondern auch dann, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein ganz krasses Missverhältnis besteht (RS0026265). Nur dann, wenn sich unter Berücksichtigung der gesetzlichen Wertungen ein völlig eindeutiges, krasses Überwiegen der benachteiligten Interessen des Arbeitgebers in einer vom Gesetz wegen der Besonderheiten des Falls nicht geregelten Konstellation ergibt, kann ein Rechtsmissbrauch des Arbeitnehmers in seiner mangelnden Bereitschaft, Urlaub zu verbrauchen, erblickt werden (RS0120368 [T4]). Ob Rechtsmissbrauch vorliegt, ist eine nach den Umständen des Einzelfalls zu klärende Rechtsfrage (RS0110900). Wie schon zu 9 ObA 144/05z ausgeführt, erfordert diese Beurteilung eine Gesamtschau unter Einbeziehung insbesondere von Dauer der Kündigungsfrist, Anzahl der Urlaubstage, Verhalten des Arbeitnehmers in der Kündigungsfrist sowie Erholungsmöglichkeit des Arbeitnehmers und Erfordernisse des Betriebs. Auch das Urlaubsverhalten in der Vergangenheit ist zu berücksichtigen. Allein, dass der Urlaubsverbrauch unter Berücksichtigung der Jahreszeit, in der die Kündigungsfrist liegt, zumutbar wäre, reicht noch nicht aus, um bereits einen Missbrauchsfall als gegeben anzunehmen (dort: iE kein Rechtsmissbrauch bei zweijähriger Dienstfreistellung).
[7] Wenn das Berufungsgericht im vorliegenden Fall kein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Klägerin erkennen konnte, ist dies bei einer knapp fünfmonatigen Dienstfreistellung, (letztlich verbliebenen) 14 Tagen Resturlaub, einem schulpflichtigen, während der Dienstfreistellung von der Klägerin betreuten Kind und dem in der Zeit der Dienstfreistellung eingesetzten ersten „Lockdown“, der bekanntermaßen eine jegliche Urlaubsgestaltung massiv einschränkte, nicht korrekturbedürftig.
[8] 3. Für die vom Beklagten in der Zulassungsbeschwerde aufgeworfene Frage, ob einen Dienstnehmer eine Darlegungslast im Hinblick auf die Erholungsmöglichkeit trifft, ist zwischen den Erfordernissen des Abschlusses einer Urlaubsvereinbarung und der Beurteilung von Rechtsmissbrauch zu unterscheiden:
[9] Beim Abschluss einer Urlaubsvereinbarung ist gemäß § 4 Abs 1 UrlG auf die Erfordernisse des Betriebs einerseits und auf die Erholungsmöglichkeiten des Arbeitnehmers andererseits abzustellen. Die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen von Betriebserfordernissen trifft den Arbeitgeber, jene über die Erholungsmöglichkeiten den Arbeitnehmer (9 ObA 79/14d). Die Beurteilung des Rechtsmissbrauchs erfordert bei der genannten Gesamtschau zwar auch die Einbeziehung der Erholungsmöglichkeit des Arbeitnehmers, doch trifft die Beweislast dafür denjenigen, der sich auf Rechtsmissbrauch beruft (RS0026205 [T4]). Für die Behauptung des Beklagten eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens der Klägerin traf sie hier daher keine Darlegungs- und Beweislast.
[10] 4. Auch der geltend gemachte Verfahrensmangel (vermeintliche „Scheinbegründung“) liegt nicht vor, weil die Ausführung des Berufungsgerichts zur Weigerung der Klägerin auf Abschluss der Urlaubsvereinbarung aus den voranstehenden Ausführungen zu den Grenzen einer Fremdinteressenwahrungspflicht ableitbar ist.
[11] 5. Die außerordentliche Revision des Beklagten ist daher zurückzuweisen.
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