OGH 9ObA17/23z

OGH9ObA17/23z23.3.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald Fuchs (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. phil. Dr. iur. Robert Toder (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei * B*, geboren am *, vertreten durch Dr. Gottfried Forsthuber und Mag. Gottfried Forsthuber, Rechtsanwälte in Baden bei Wien, gegen die beklagte Partei *, vertreten durch Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen Kündigungsanfechtung in eventu Feststellung und 4.565,40 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Jänner 2023, GZ 7 Ra 44/22b‑25, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00017.23Z.0323.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin war seit 1. 12. 2019 bei der beklagten Rechtsanwaltskanzlei im Sekretariat beschäftigt.

[2] Am 28. 10. 2021 ordnete die Beklagte aufgrund der im Oktober eskalierenden Covid-19-Infektionszahlen, des neuerlich bevorstehenden Lockdowns, der von der Regierung angekündigten verschärfenden Maßnahmen und unter anderem auch der bereits in den Medien thematisierten und avisierten Impfpflicht ua an, dass ihre Mitarbeiter spätestens bis zum 31. 1. 2022 eine vollständige Immunisierung durch eine Corona-Schutzimpfung nachweisen müssen. Davon ausgenommen seien jene Mitarbeiter, bei denen eine medizinische Kontraindikation vorliege.

[3] Die Beklagte verfolgte damit das Ansinnen, die Schutzmaßnahmen zunächst im Sinne einer 2-G-Regelung mit zeitlicher Einschleifregelung, und bis längstens 31. 1. 2022 (Zweitimpfung) kanzleiintern zum Schutz des Lebens und der Gesundheit aller Mitarbeiter sowie des wirtschaftlichen Aufrechterhaltens des Kanzleibetriebs zu verschärfen. Die 2‑G-Regel (genesen oder geimpft) wurde zwecks Risikominimierung kanzleiintern auch gegenüber externen Besuchern umgesetzt und im Falle des Nichtvorliegens dieser Voraussetzungen zum Beispiel auf Videokonferenzen ausgewichen. Die Beklagte erläuterte ihren Mitarbeitern im Rahmen von Teamgesprächen, dass die Impfungen im Sinne und zum Schutz aller Mitarbeiter mit Rücksicht auf Personen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können, vorgesehen seien.Auch auf betriebswirtschaftliche Gründe, die die Quarantäne-Regelungen mit sich bringen würden und die die Arbeitsintensität für die verbleibenden Mitarbeiter und die Wahrnehmung von zum Beispiel Verhandlungsterminen wurde hingewiesen.

[4] Alle Dienstnehmer der Beklagten, bis auf die Klägerin, die eine Covid-19-Impfung ablehnte, sowie eine weitere Person, bei der eine medizinische Kontraindikation vorlag, standen hinter dieser Dienstanweisung. Die Klägerin wollte sich (jedenfalls mit dem damals zur Verfügung stehenden mRNA-Impfstoff) nicht impfen lassen. Auf die Frage eines Verantwortlichen der Beklagten, wie es weitergehen solle, meinte die Klägerin, „das werden wir schon sehen“. Nach einem weiteren Gespräch mit der Beklagten vermutete die Klägerin, dass sie die Kanzlei verlassen werde müssen. Das kostenlose Angebot der Beklagten, einen ärztlichen Beratungstermin in Anspruch zu nehmen, nahm die Klägerin nicht wahr.

[5] Am 8. 11. 2021 sprach die Beklagte die Kündigung der Klägerin aus, weil sich diese weder impfen ließ noch nachgewiesen habe, dass gegen die Impfung eine medizinische Kontraindikation bestehe.

[6] Mit der am 18. 11. 2021 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin zum einen die Kündigung als rechtsunwirksam aufzuheben, in eventu festzustellen, dass diese rechtsunwirksam gewesen sei, in eventu mit Wirkung zwischen den Streitteilen festzustellen, dass die Beklagte bei Vollzug der behördlichen bzw gesetzlichen Anordnung der 3‑G-Pflicht als Organ iSd § 1 Abs 2 AHG gehandelt habe, jedenfalls aber die Beklagte zur Zahlung von 6.657,87 EUR sA (Gehalt Jänner und aliquot Februar 2022) zu verpflichten und schränkte in der Folge das Klagebegehren auf 4.565,40 EUR brutto sA ein.

[7] Die Kündigung sei sittenwidrig, weil die Beklagte den aufrechten Bestand des Arbeitsvertragsverhältnisses nicht von einer Impfbereitschaft der Klägerin abhängig hätte machen dürfen. Zudem verstoße die Kündigung gegen das Diskriminierungsverbot des § 17 GlBG, weil sie der Weltanschauung anhänge, dass den Corona‑Impfungen kritisch zu begegnen sei. Die Anordnung der Impfpflicht sei auch sachlich nicht begründet, weil die Impfung keinen ausreichenden Schutz gegen Ansteckungen biete und zahlreiche schwere Nebenwirkungen zur Folge haben könne. Auch liege der Kündigung ein verpöntes Motiv iSd § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG zugrunde, weil die Beklagte ihre Grundrechte, auf die sie sich gegenüber der Beklagten berufen habe, in Frage gestellt habe. Das Feststellungsbegehren gründe sich darauf, dass für den Fall, dass sich die Dienstanweisung „Impfung“ (1‑G) als „Aufgabe der behördlich in Anspruch genommenen Person“, also der Beklagten erweise, sich grundsätzlich Amtshaftungsansprüche der Klägerin gegenüber dem Rechtsträger der Beklagten (Republik Österreich, vertreten durch BMSGKP) ergäben. Jedenfalls sei das Leistungsbegehren berechtigt, weil die Klägerin erst seit 21. 2. 2021 eine neue Beschäftigung habe.

[8] Die Beklagte wendete dagegen zusammengefasst ein, dass sie die 2‑G-Regel zum Schutz ihrer Mitarbeiter eingeführt habe. Die Klägerin habe angegeben, dass sie weder an einer Covid-19-Impfung, noch an einem – von ihr kostenlos zur Verfügung gestellten – ärztlichen Beratungstermin interessiert sei, ohne dafür Gründe zu nennen. In den Gesprächen mit den Verantwortlichen der Beklagten habe sie sich auch nie auf ihre Grundrechte berufen. Die Klägerin habe keine Ansprüche geltend gemacht, die von der Beklagten in Frage gestellt worden wären. Das höchstpersönliche Recht eines jeden Mitarbeiters, über die Inanspruchnahme oder Ablehnung einer Covid-19-Impfung selbständig entscheiden zu können, habe sie nie bestritten. Die Anordnung zur Impfung habe sie aus rein sachlichen Gründen zum Schutz ihrer Mitarbeiter und aus betriebswirtschaftlichen Gründen gegeben.

[9] Das Erstgericht erklärte die Kündigung der Klägerin wegen Vorliegens eines verpönten Motivs iSd § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG für rechtsunwirksam und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 4.565,40 EUR sA.

[10] Das Berufungsgericht wies sämtliche Klage- und Eventualbegehren ab:

[11] Die Kündigungsanfechtung wegen eines verpönten Motivs nach § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG sei nicht erfolgreich, weil die Klägerin gegenüber der Beklagten keinen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis geltend gemacht habe, den die Beklagte in Frage gestellt hätte. Zwar gebe es keine arbeitsrechtliche Verpflichtung eines Arbeitnehmers zur Impfung, die die Beklagte im Arbeitsverhältnis anordnen und durchsetzen könnte, allerdings habe die Beklagte mit ihrer aus der Fürsorgepflicht gegenüber ihren Mitarbeitern und Kunden entsprungenen Absicht, sie vor einer Ansteckung durch Covid-19 zu schützen, nicht in die Grundrechte der Klägerin eingreifen wollen. Die Klägerin habe aufgrund ihrer Persönlichkeitsrechte immer die Wahl gehabt, sich impfen oder sich nicht impfen zu lassen. Die von der Klägerin behauptete Diskriminierung nach § 17 GlBG liege ebenfalls nicht vor, weil die Skepsis der Klägerin gegenüber dem im November 2021 zugelassenen Impfstoff gegen das Sars-Cov2-Virus nicht als Weltanschauung anzusehen sei. Die Kündigung der Klägerin sei auch nicht sittenwidrig erfolgt, weil die Beklagte von ihrem grundsätzlich freien Kündigungsrecht nicht aus gänzlich unsachlichen und insbesondere aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes zu missbilligenden Motiven ausgesprochen habe. Die Beklagte durfte zum Zeitpunkt der Kündigung im November 2021 durchaus davon ausgehen, dass das Risiko einer Virusübertragung durch Personen, die vollständig gegen Covid-19 immunisiert seien, in Summe zumindest in erheblichem Maß geringer sei. Da das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien somit am 31. 12. 2021 geendet habe, bestünden die für den Zeitraum danach geltend gemachten Gehaltsansprüche nicht zu Recht. Völlig unschlüssig und daher abzuweisen sei letztlich auch das Feststellungseventualbegehren der Klägerin, dem sie zugrunde gelegt habe, dass die beklagte Arbeitgeberin die Verpflichtung zur Impfung ihrer Arbeitnehmerinnen als Organ der Verwaltung angeordnet habe. Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht nicht zugelassen, weil zu den relevanten Themenbereichen höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Rechtliche Beurteilung

[12] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin. Das Rechtsmittel ist nicht zulässig, weil die Klägerin darin keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1  ZPO aufzeigt.

[13] 1. Gemäß § 509 Abs 1 ZPO entscheidet der Oberste Gerichtshof über die Revision grundsätzlich in nichtöffentlicher Sitzung ohne vorhergehende mündliche Verhandlung. Er kann jedoch nach § 509 Abs 2 ZPO, wenn dies im Einzelfall erforderlich erscheint, eine mündliche Revisionsverhandlung auf Antrag oder von Amts wegen anordnen. Die Anberaumung liegt also im Ermessen des Revisionsgerichts (9 ObA 67/07d [Pkt ad I.]; RS0043679 [T4]). Zur Abklärung der im Rechtsmittelschriftsatz der Klägerin dargelegten Rechtsfragen bedarf es im vorliegenden Fall keiner mündlichen Verhandlung.

[14] 2.1. Nach § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG kann die Kündigung wegen der offenbar nicht unberechtigten Geltendmachung vom Arbeitgeber in Frage gestellter Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis durch den Arbeitnehmer beim Gericht angefochten werden.

[15] 2.2. Bei diesem Kündigungsanfechtungsgrund geht es darum, dass der Arbeitgeber nach Meinung des Arbeitnehmers bestehende Ansprüche nicht erfüllt, dass der Arbeitnehmer diese nicht erfüllten Ansprüche dem Arbeitgeber gegenüber geltend macht und dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer wegen dieser Geltendmachung kündigt. Vom Schutzzweck sind nicht nur schon entstandene Ansprüche, sondern zusätzlich Ansprüche auf Wahrung der Rechtsposition aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis gegen einseitige Eingriffe erfasst (RS0051666). Ziel des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG ist es, dem Arbeitnehmer die Rechtsdurchsetzung im aufrechten Arbeitsverhältnis zu ermöglichen.

[16] 2.3. Von der „Geltendmachung“ eines Anspruchs ist nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dann die Rede, wenn sich der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber im aufrechten Arbeitsverhältnis erkennbar – sei es auch nur konkludent – auf eine Rechtsposition beruft (jüngst 8 ObA 78/22m [Rz 6] und 9 ObA 116/22g [Rz 11 mwN]). Dass dies hier der Fall gewesen wäre, lässt sich dem vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt, an den der Obersten Gerichtshof gebunden ist, aber nicht entnehmen. Soweit die Klägerin ihren Revisionsausführungen zugrunde legt, aus ihrem Vorbringen ergäben sich die erheblichen Zweifel an der Berechtigung der Beklagten, die sie in den Gesprächen mit der Beklagten geäußert habe, ist die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil sie nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgeht (RS0043312 [T14]). Fest steht lediglich, dass die Klägerin auf die Frage eines Verantwortlichen der Beklagten, wie es weitergehen solle, meinte, „das werden wir schon sehen“.

[17] 2.4. Nach übereinstimmender Rechtsprechung der arbeitsgerichtlichen Fachsenate des Obersten Gerichtshofs (8 ObA 78/22m [Rz 7]; 9 ObA 116/22g [Rz 12 ff]) ist § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG selbst unter der Annahme, ein Dienstnehmer habe durch seine Weigerung sich gegen Covid‑19 impfen zu lassen, die Rechtsposition vertreten, zur Impfung nicht verpflichtet zu sein, nicht anwendbar. Diese Bestimmung setzt nämlich unter anderem auch voraus, dass der Arbeitgeber den vom Arbeitnehmer geltend gemachten Anspruch „in Frage gestellt“ hat. Ein Anspruch wird vom Arbeitgeber „in Frage gestellt“, wenn er ihn – was nur bei Leistungsansprüchen möglich ist – nicht erfüllt oder – was bei allen Ansprüchen möglich ist – wenn er seine Berechtigung in Zweifel zieht. Derartiges ist hier nicht ersichtlich.

[18] Richtig ist, dass die Klägerin von der Beklagten vor die Wahl gestellt wurde, sich einer Covid-19-Impfung zu unterziehen, um ihre Tätigkeit weiterhin ausüben zu können, oder die Vornahme dieser Impfung abzulehnen. Damit hat die Beklagte die Haltung der Klägerin, sich nicht impfen zu lassen, aber nicht in Zweifel gezogen. Sie hat vielmehr ihren Standpunkt zu erkennen gegeben, dass die Klägerin ihr gegenüber nicht zur Vornahme einer Impfung verpflichtet sei, sie die Klägerin aber bei endgültiger Ablehnung der Impfung nicht weiterbeschäftigen wolle, um den Schutz ihrer Mitarbeiter und Kunden zu gewährleisten.

[19] Weitere Fragen der Anwendung des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG auf eine Kündigung wegen Verweigerung einer Covid-19-Impfung stellen sich hier nicht.

[20] 3. Die Aufzählung der gesetzlichen Kündigungsgründe wegen eines verpönten Motivs in § 105 Abs 3 Z 1 lit a bis i ArbVG ist, wie sich aus der eindeutigen Formulierung dieser Bestimmung und der dahinter stehenden ratio ergibt, taxativ (Wolliger in ZellKomm³ § 105 ArbVG Rz 78; Gahleitner in Gahleitner/Mosler Arbeitsverfassungsrecht 36 § 105 Rz 68). Auf die kritischen Ausführungen der Klägerin zur Covid-19-Impfung und zur 3. COVID-19-MV ist daher nicht näher einzugehen.

[21] 4. Sittenwidrig ist eine Kündigung nach § 879 ABGB nur dann, wenn der Arbeitgeber von seinem Kündigungsrecht aus gänzlich unsachlichen und insbesondere aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes zu missbilligenden Motiven, Gebrauch gemacht hätte (RS0016680 [T4]). Ob eine Kündigung sittenwidrig ist, kann nur aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (RS0016680 [T7]). Dass das Berufungsgericht bei dieser Entscheidung die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens überschritten hätte (RS0042881 [T8]), zeigt die Klägerin in ihrer außerordentlichen Revision nicht auf. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe zum Zeitpunkt der Kündigung im November 2021 durchaus davon ausgehen dürfen, dass das Risiko einer Virusübertragung durch Personen, die vollständig gegen Covid-19 immunisiert seien, in Summe zumindest in erheblichem Maß geringer sei, als durch nicht geimpfte (immunisierte) Personen, ist nicht zu beanstanden.

[22] Die Kündigung der Beklagten griff auch nicht in die Grundrechte der Klägerin ein. Wie bereits oben erwähnt stand es der Klägerin frei, die Covid-19-Impfung aufgrund ihrer kritischen Haltung dazu abzulehnen. Eine Auseinandersetzung mit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (V 23/2022-25 vom 29. 4. 2022), mit dem es Anträge auf Aufhebung (von Bestimmungen) der 6. COVID-19-SchutzmaßnahmenV ab- und zurückgewiesen hat, und der von der Klägerin in Frage gestellten Eignung und Wirkung der COVID-19-Impfung bedarf es daher nicht.

[23] 5. Auch mit dem Argument, dass die Beklagte mit ihrer Anordnung die Tatsache ignoriert habe, dass es für die Übertragung des Virus SARS-Cov-2 völlig unbedeutend sei, ob jemand geimpft, ungeimpft, genesen oder ungenesen sei, zeigt die außerordentliche Revision der Klägerin keinen Verstoß der Beklagten gegen den Gleichheitssatz (Art 7 B‑VG; Art 2 StGG) auf. Nach den Feststellungen hat die Beklagte ihre Anordnung nicht willkürlich, sondern aus Gründen ihrer Fürsorgepflicht gegenüber ihren anderen Mitarbeitern und ihren Kunden erteilt, die ihr zum damaligen Zeitpunkt gerechtfertigt und notwendig erschien.

[24] 6. Richtig weist die Klägerin darauf hin, dass niemand aufgrund der Weltanschauung im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis unmittelbar oder mittelbar diskriminiert werden darf, insbesondere auch nicht bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (§ 17 Abs 1 Z 7 GlBG). Richtig ist auch, dass eine Kündigung bei Gericht angefochten werden kann, wenn das Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber wegen der Weltanschauung gekündigt worden ist (§ 26 Abs 7 GlBG).

[25] Der Oberste Gerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung (9 ObA 130/21i [Rz 3]; 9 ObA 122/07t; 9 ObA 59/22z [Rz 15]; ua) die Auffassung, dass der Begriff „Weltanschauung“, der eng mit dem Begriff „Religion“ verbunden ist, als Sammelbezeichnung für alle ideologischen, politischen und ähnlichen Leitauffassungen vom Leben und von der Welt als einem Sinnganzen sowie zur Deutung des persönlichen und gemeinschaftlichen Standortes für das individuelle Lebensverständnis dient. Weltanschauungen sind keine wissenschaftlichen Systeme, sondern Deutungsauffassungen in der Form persönlicher Überzeugungen von der Grundstruktur, Modalität und Funktion des Weltganzen. Die bloß kritische Einstellung gegenüber der Covid-19-Impfung (anderes hat die Klägerin dazu im erstinstanzlichen Verfahren nicht vorgebracht) erfüllt diese Voraussetzungen nicht.

[26] Auch eine sonstige unzulässige, gegen Art 14 EMRK verstoßende Benachteiligung der Klägerin ist durch den Kündigungsausspruch der Beklagten nicht zu erkennen. Der von der Klägerin angestellte Vergleich mit anderen Impf‑Entscheidungen des EGMR – wiederum im Zusammenhang mit der kritischen Einstellung der Klägerin zur Covid‑19‑Impfung – ist daher hier nicht weiter vorzunehmen.

[27] Insgesamt gelingt es der Klägerin somit nicht, das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Ihre außerordentliche Revision ist daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

[28] Einer Entscheidung durch einen verstärkten Senat iSd § 8 Abs 1 OGHG bedurfte es mangels Vorliegens der Voraussetzungen der Z 1 und 2 leg cit nicht.

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