Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidung des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes mit der Maßgabe wiederhergestellt wird, daß es zu lauten hat:
"Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der klagenden Partei mit der beklagten Partei über den 30.9.1997 hinaus aufrecht fortbesteht.
Die beklagte Partei ist schuldig, dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft der Privatangestellten, den pauschalierten Aufwandersatz von S 3.800,-- binnen 14 Tagen zu ersetzen."
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 13.725,-- (darin S 2.287,50 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war ab 15.7.1969 als kaufmännische Angestellte bei der Q***** AG bzw ab 1.2.1995 bei der Beklagten als deren Rechtsnachfolgerin im Kaufhaus Graz beschäftigt. Das 14 x jährlich zahlbare Gehalt der Klägerin betrug S 10.650,92 brutto. Mit Schreiben vom 29.4.1997 wurde das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 30.9.1997 gekündigt.
Mit der am 30.5.1997 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin, die Kündigung vom 29.4.1997 für unwirksam zu erklären, sodaß das Arbeitsverhältnis über den 30.9.1997 aufrecht fortbestehe. Die Beklagte habe am 21.4.1997 mittels Anzeige gemäß § 45a Abs 1 AMFG angekündigt, daß das Kaufhaus zum 30.6.1997 geschlossen werde und alle Arbeitnehmer gekündigt werden. Die Kündigung der Klägerin sei zusammen mit der Kündigung von drei weiteren Mitarbeiterinnen innerhalb der 30 Tage-Sperrfrist nach § 45a AMFG erfolgt.
Die Beklagte bestritt das Klagebegehren, beantragte seine Abweisung und wendete ein, daß im maßgeblichen Zeitraum nur 4 Arbeitsverhältnisse aufgelöst worden seien. Die zwar gemeldete, jedoch nicht meldepflichtige Kündigung der Klägerin falle daher nicht unter die Bestimmung des § 45a AMFG.
Das Erstgericht erklärte die Kündigung der Klägerin vom 29.4.1997 für rechtsunwirksam und stellte fest, daß das Arbeitsverhältnis über den 30.9.1997 aufrecht fortbestehe. Dabei ging es im wesentlichen von folgenden Feststellungen und Außerstreitstellungen aus:
Am 21.4.1997 erstattete die Beklagte beim zuständigen Arbeitsmarktservice Steiermark in Graz eine Anzeige nach § 45a AMFG, worin die beabsichtigte Kündigung sämtlicher (37) Mitarbeiter des Kaufhauses Graz angezeigt wurde. Am 22.4.1997 stellte die Beklagte beim Arbeitsmarktservice den Antrag auf Verkürzung der 30-tägigen Sperrfrist. Mit Bescheid vom 30.5.1997 wurde der Antrag abgelehnt.
Mit Schreiben vom 29.4.1997 wurden die Klägerin und drei weitere Arbeitnehmer zum 30.9.1997 gekündigt. Am 30.5.1997 wurde ein Arbeitnehmer und in der Zeit vom 2. bis 6. Juni 1997 wurden 22 weitere Arbeitnehmer gekündigt. Darüber hinaus stimmten 10 Arbeitnehmer vom 2. bis 10. Juni 1997 einer einvernehmlichen Lösung des Arbeitsverhältnisses zu (Beil./B = ./1). Das Kaufhaus Graz wurde zum 30.6.1997 geschlossen.
Das Erstgericht vertrat die Rechtsansicht, daß die Beklagte aufgrund ihrer Anzeige vom 21.4.1997 beabsichtigt habe, innerhalb eines Zeitraumes von 30 Tagen mehr als 5 Arbeitsverhältnisse aufzulösen. Die Kündigung der Klägerin vom 29.4.1997 falle sohin in die 30-tägige Frist nach § 45a AMFG und sei daher gemäß Abs 8 leg cit rechtsunwirksam. Eine Umgehung dieser Frist mit der Argumentation, eine Kündigung, die bereits gemäß § 45a AMFG angezeigt worden sei, sei gar nicht anzeigepflichtig, sei nicht zulässig.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte das Ersturteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens ab. Die Pflicht zur Verständigung des Arbeitsmarktservice greife bereits ab der Absicht des Arbeitgebers, mindestens 5 Arbeitsverhältnisse aufzulösen; die Sanktion der Unwirksamkeit solcher Kündigungen greife hingegen erst dann, wenn diese Absicht innerhalb der Verbotsfrist von 30 Tagen verwirklicht werde (§ 45 a Abs 5 Z 2 AMFG). Dies sei hier nicht der Fall. Neben der Klägerin seien nämlich innerhalb von 30 Tagen nur drei weitere Arbeitnehmer gekündigt worden.
Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Ersturteil wieder herzustellen.
Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Die Revision ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die Arbeitgeber haben die nach dem Standort des Betriebes zuständige regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice durch schriftliche Anzeige zu verständigen, wenn sie beabsichtigen, Arbeitsverhältnisse - soweit hier relevant - von mindestens 5 Arbeitnehmern in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 100 Beschäftigten innerhalb eines Zeitraumes von 30 Tagen aufzulösen (§ 45a Abs 1 Z 1 AMFG). Kündigungen, die eine Auflösung von Arbeitsverhältnissen im Sinne des Abs 1 bezwecken, sind rechtsunwirksam, wenn sie nach Einlangen der Anzeige bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vor Ablauf der 30-tägigen Wartefrist ohne vorherige Zustimmung der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice ausgesprochen werden (§ 45a Abs 5 Z 2 AMFG; Steinbach/Danimann/Potmesil, AMFG, Nachtrag 1993, 26; Andexlinger in ecolex 1994, 116; Schrank, Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht26 478/I).
Die Bestimmung des § 45a AMFG wurde (in einer zwischenzeitig geänderten Fassung) durch die 4. Novelle zum AMFG, BGBl 1976/388, in das Gesetz eingefügt. Die Regierungsvorlage (149 BlgNR 14. GP, 10 f) führt dazu aus, daß im Hinblick auf die Lage auf dem Arbeitsmarkt deutlich gemacht werde, daß eine bessere Abstimmung der personalpolitischen Maßnahmen der Betriebe auf die arbeitsmarktpolitischen Möglichkeiten nötig sei. Zielsetzung der unter der Rubrik "Mitwirkung der Dienstgeber" zusammengefaßten neuen Bestimmungen sei es, vor allem durch die Erfüllung der in den §§ 45a bis 45c auferlegten Verpflichtungen die Voraussetzungen für einen optimalen Einsatz des Instrumentariums nach dem AMFG zu schaffen. Im Bericht des Ausschusses für soziale Verwaltung (274 BlgNR 14. GP, 2) wird darauf hingewiesen, daß die Mitwirkungspflichten der Dienstgeber den Zweck hätten, den Dienststellen der Arbeitsmarktverwaltung die zur Erfüllung des Auftrages nach § 1 AMFG notwendigen Informationen zu sichern. Auftrag der Dienststellen der Arbeitsmarktverwaltung war es gemäß dem (zwischenzeitig aufgehobenen - BGBl 1994/314) § 1 AMFG durch die dort näher bezeichneten Maßnahmen im Sinne einer aktiven Arbeitsmarktpolitik zur Erreichung und Aufrechterhaltung der Vollbeschäftigung sowie zur Verhütung von Arbeitslosigkeit beizutragen. Im weiteren führt der Ausschußbericht aus, eine solche Meldepflicht sei jedoch nur hinsichtlich arbeitsmarktpolitisch relevanter Auflösungen beabsichtigt; erfolge die Kündigung eines Dienstnehmers zB lediglich wegen Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für die Alterspension, so werde einer solchen Auflösung im Rahmen der zu erlassenden Verordnung keine Bedeutung beizumessen sein und sie auch bei der Feststellung der Grenzwerte außer Betracht zu bleiben haben. Unberücksichtigt hätten in diesem Zusammenhang auch Kündigungen seitens der Dienstnehmer zu bleiben, da die Verordnungsermächtigung nur auf den Fall der Verringerung des Beschäftigungsstandes durch den Dienstgeber abstelle (EvBl 1997/98 = ecolex 1997, 448 = ARD 4824/29/97). Zu berücksichtigen sind hingegen vom Arbeitgeber veranlaßte einvernehmliche Auflösungen von Arbeitsverhältnissen (ecolex 1995, 827).
Strittig ist nun, ob die Kündigung auch bloß eines von vier Arbeitnehmern gemäß § 45a AMFG unwirksam ist, die der Arbeitgeber aussprach, ohne die 30-tägige Wartefrist abzuwarten, nachdem er der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice eine Auflösung von mindestens 5 Arbeitsverhältnissen angezeigt hatte. Dies wurde vom Erstgericht nach dem Wortlaut des § 45 a AMFG, aber auch nach der bereits dargestellten Zielsetzung dieser Bestimmung zu Recht bejaht. Entscheidend ist zunächst, daß im vorliegenden Fall der Tatbestand nach Abs 1 leg cit verwirklicht wurde, weil die Beklagte dem Arbeitsmarktservice die Absicht anzeigte, innerhalb eines Zeitraumes von 30 Tagen 37 Arbeitnehmer zu kündigen. Bei Verwirklichung des Tatbestandes nach Abs 1 kann es keine AMFG-freie Kündigung mehr geben, sondern es greift - wie bereits dargestellt - Abs 5 Z 2 leg cit, wonach Kündigungen, die eine Auflösung von Arbeitsverhältnisses im Sinne von Abs 1 bezwecken, rechtsunwirksam sind, wenn sie nach Einlangen der Anzeige beim Arbeitsmarktservice innerhalb der 30-tägigen Wartefrist ohne vorherige Zustimmung des Arbeitsmarktservice erfolgen.
Nach den Feststellungen über die zeitliche Abfolge der Kündigungen und einvernehmlichen Auflösungen der Arbeitsverhältnisse kann hier keine Rede davon sein, daß die Beklagte ihre ursprünglich dem Arbeitsmarktservice bekanntgegebene Absicht, die gesamte Belegschaft zu kündigen, wieder aufgegeben hätte. Die Beklagte verlegte lediglich vier Kündigungen in die Sperrfrist vor, bevor sie auch die Arbeitsverhältnisse mit den anderen Arbeitnehmern - wie angekündigt - beendete. Wie der Oberste Gerichtshof bereits zu 8 ObA 258/95 (= ecolex 1995, 827) ausgesprochen hat, gilt die Zielsetzung dieses temporären gesetzlichen Kündigungsverbotes (Arb 10.148) auch für einzelne Kündigungen, selbst wenn die für die Anzeige in § 45 a Abs 1 AMFG genannten Zahlen später unterschritten werden sollten. Die Ansicht Schranks (Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht26, 478/I f) zum "stetig wandernden" 30 Tage-Zeitraum, innerhalb dessen der Arbeitgeber mit der Anzahl der Kündigungen unter dem Schwellwert bleiben müsse, steht diesem Ergebnis nicht entgegen, da in diesen Fällen keine Anzeige gemäß § 45a Abs 1 AMFG erfolgt.
Zusammenfassend kann ein Arbeitgeber, der alle Arbeitsverhältnisse beenden will nach erfolgter Anzeige beim Arbeitsmarktservice nicht innerhalb der temporären Sperrfrist vorweg zunächst 4 Arbeitnehmer kündigen und dann nach 30 Tagen die übrigen Arbeitnehmer. Nach erfolgter Bekanntgabe der Absicht nach § 45a Abs 1 AMFG ist der Kündigungsvorgang (einschließlich der einvernehmlich aufgelösten Arbeitsverhältnisse) im Hinblick auf die in Abs 5 leg cit normierte Folge der Unwirksamkeit als Einheit anzusehen.
Der Revision der Klägerin war daher Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen. Dabei war zu berücksichtigen, daß zufolge Rechtsunwirksamkeit der Kündigung das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht beendet wurde (Arb 10.148; RdW 1986, 83). Der auf dem Rechtsgestaltung und Feststellung vermengenden Klagebegehren beruhende Spruch des Ersturteils war daher im Sinne einer Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses der Klägerin zu berichtigen. Einem Rechtsgestaltungsausspruch fehlt jegliche Grundlage.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.
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