European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00135.17V.1218.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Der Auslegung einer Satzungserklärung kommt dann keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zu, wenn die Auslegung klar und eindeutig ist (9 ObA 35/15k; vgl RIS‑Justiz RS0109942 [T1, T6]). Dies ist hier bezüglich der strittigen Frage der Fall.
Der Kollektivvertrag für Angestellte in privaten Sozial- und Gesundheitsorganisationen Vorarlbergs (Sozialkollektivvertrag für Vorarlberg; Blg ./3) (kurz: KollV) wurde mit Verordnung des Bundeseinigungsamtes beim Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vom 13. 4. 2016, BGBl II 2016/82, zur Satzung erklärt. Der fachliche Geltungsbereich dieser Satzung wird in § 1 Z 1 der Satzungserklärung wie folgt geregelt:
„ Fachlich: für Anbieter sozialer oder gesundheitlicher Dienste präventiver, betreuender oder rehabilitativer Art für Personen, die entsprechender Hilfe oder Betreuung bedürfen, mit folgenden Ausnahmen:
a) öffentlich-rechtliche Einrichtungen
b) Heilbade-, Kur- und Krankenanstalten
c) Rettungs- und Sanitätsdienste
d) Private Kindergärten, private Kinderbetreuung, private Spielgruppen
e) Einrichtungen der Kinderbetreuung durch Tagesmütter (‑väter). “
Die Beklagte ist freiberuflich tätige Physiotherapeutin und führt eine Praxis mit insgesamt fünf Mitarbeitern. Mangels Mitgliedschaft der Beklagten beim Arbeitgeberverein für Sozial- und Gesundheitsorganisationen in Vorarlberg unterliegt die Beklagte nicht dem KollV. Nach den übereinstimmenden Auffassungen der Vorinstanzen unterliege das Arbeitsverhältnis der bei der Beklagten als Physiotherapeutin beschäftigten Klägerin auch nicht der Satzung des KollV, weil diese auf Betriebe sozialer Dienste zugeschnitten sei. Dies habe der Oberste Gerichtshof schon zu dem im Wesentlichen gleich lautenden fachlichen Geltungsbereich des Mindestlohntarifs für ArbeitnehmerInnen in Betrieben sozialer Dienste ausgesprochen (9 ObA 92/08g). Die Bezeichnung der Berufsgruppen in den Gehaltsgruppen des § 13 Abs 1 KollV umfasse acht verschiedene Gehaltsgruppen, in denen ebenfalls keine „klassischen“ Gesundheitsdienstleistungen erfasst seien und in denen auch die Tätigkeit eines Physiotherapeuten nicht enthalten sei. Beim Physiotherapeuten handle es sich um einen besonderen Fachberuf im Gesundheitswesen, dessen Aufgabenbereich grundsätzlich nicht auf soziale Dienste konzentriert sei. Diese Beurteilung stehe auch im Einklang mit der im Verfahren eingeholten – nicht rechtsverbindlichen – Stellungnahme des Bundeseinigungsamtes vom 28. 12. 2016 (ON 15). Danach seien die von selbstständigen Physiotherapeuten angebotenen Dienstleistungen – wie hier von der Beklagten – als Gesundheitsdienstleistungen zu verstehen, denen für sich allein betrachtet der „maßgebliche soziale Aspekt“ fehle.
Diese Auslegung der Verordnung durch die Vorinstanzen ist zutreffend. Die Auslegung von Verordnungen hat nach §§ 6, 7 ABGB zunächst mit der Wortinterpretation zu beginnen (RIS‑Justiz RS0008896), darf dabei aber nicht stehen bleiben (RIS‑Justiz RS0008788). Bleibt nach Wortinterpretation und logischer Auslegung die Ausdrucksweise des Gesetzes dennoch zweifelhaft, dann ist die Absicht des Gesetzgebers zu erforschen (RIS‑Justiz RS0008836) und der Sinn einer Bestimmung unter Bedachtnahme auf den Zweck der Regelung zu erfassen (objektiv-teleologische Interpretation; 9 ObA 21/17d).
Der gesatzte KollV wurde auf Arbeitgeberseite vom Arbeitgeberverein für Sozial- und Gesundheitsorganisationen in Vorarlberg abgeschlossen. Nach den ihrem Inhalt nach unstrittigen Statuten (Blg ./4) bezweckt dieser gemeinnützige Verein eine Mehrung des Ansehens von sozialen Berufen (§ 2 Abs 3 lit b der Statuten). Es ist daher nur konsequent, dass Physiotherapeuten und sonstige Anbieter rein gesundheitlicher Dienste nicht Mitglieder dieses Vereins sind. Der KollV will das Arbeitsverhältnis von Angestellten in sozialen und gesundheitlichen Diensten (§ 1 Z 2 KollV) regeln. Diese Absicht der Kollektivvertragsparteien findet auch in dem ab 1. 2. 2017 in Geltung stehenden und gegenüber dem KollV (aF) teilweise neu formulierten Text des Kollektivvertrags des Vorarlberger Sozial- und Gesundheitswesens (gesatzt mit BGBl II 2017/85) seine Fortsetzung. Dessen fachlicher Geltungsbereich wurde offenbar zur Klarstellung der engen Verknüpfung zwischen dem Sozialwesen und dem Gesundheitswesen anstelle „… Anbieter sozialer und gesundheitlicher Dienste ...“ mit „… Anbieter sozialer gesundheitlicher Dienste ...“ weiter verdeutlicht.
Anhaltspunkte dafür, dass der Verordnungsgeber des gesatzten KollV den fachlichen Bereich des KollV auch auf Anbieter rein gesundheitlicher Dienste ausdehnen wollte, liegen nicht vor. Dass nicht sämtliche in 9 ObA 92/08g für die dortige Anwendbarkeit des – nicht völlig wortgleich mit dem KollV formulierten – Mindestlohntarifs für Arbeitnehmer/innen in Betrieben sozialer Dienste gesprochenen Argumente ohne weiteres auf den gegenständlichen Fall übertragbar sind – so die Revisionswerberin –, ist richtig, stützt aber keine gegenteilige Beurteilung. Auch aus den vorgenannten, in § 1 Z 1 lit a) bis e) des KollV genannten Ausnahmen vom fachlichen Geltungsbereich (zB Rettungs‑ und Sanitätsdienste) ergibt sich keine abweichende Beurteilung. Diese Ausnahmen dienen nur zusätzlicher Klarstellung (vgl schon 9 ObA 92/08g). Das auf eine kritische Anmerkung zur Entscheidung 9 ObA 92/08g ( Slezak , Rechtsfragen von Mindestlohntarif und Satzung sowie deren Anwendbarkeit im Sozial‑ und Gesundheitssektor, JBl 2010, 627) fußende Argument der Revisionswerberin, die Vorinstanzen hätten ohne Vorhandensein einer Lücke eine teleologische Reduktion der Satzungserklärung vorgenommen, trifft nicht zu. Die übereinstimmende, dem Bundeseinigungsamt folgende Beurteilung der Vorinstanzen gründet auf einer überzeugenden objektiv‑teleologischen Interpretation der Satzungserklärung.
Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Klägerin zurückzuweisen.
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