Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat der Beklagten die mit S 3.087,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 514,50 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte ist ein Verein, der die Betreuung und Förderung Behinderter im Land Vorarlberg übernimmt. Sie beschäftigt derzeit ca. 170 Arbeitnehmer. Auch in anderen Bundesländern bestehen gleichartige Vereine, die ebenfalls Arbeitnehmer beschäftigen. 1986 gründeten Betriebsräte mehrerer Lebenshilfevereine eine Arbeitsgemeinschaft, die erst im Anfangsstadium steht und derzeit noch keine eigenen Statuten hat. Diese Arbeitsgemeinschaft (ARGE) hält vierteljährlich während der Arbeitswoche zweitägige Sitzungen in Salzburg ab, zu denen alle Betriebsratsmitglieder der in den Bundesländern tätigen Lebenshilfevereine eingeladen werden. Seit November 1986 fanden fünf derartige Sitzungen statt, an denen zwei bis drei Betriebsratsmitglieder der einzelnen Lebenshilfevereine Österreichs (mit Ausnahme von drei Bundesländern) teilnahmen. Bei diesen Tagungen werden allgemeine Informationen über die einzelnen Lebenshilfevereine in den Bundesländern ausgetauscht und spezifisch arbeitsrechtliche Fragen der eigenen Berufsgruppe (Gehaltsschemata der einzelnen Bundesländer, Nebengebühren, Arbeitskleidung, Arbeitszeitfragen, insbesondere Nachtarbeit, Dienstgeberhaftung, Bildungsfreistellung; siehe Beilagen B bis D) erörtert. Beschlüsse, die konkret und ausschließlich die Beklagte betreffen, werden bei diesen Sitzungen nicht gefaßt. Die einzelnen Bundesländervertreter berichten und erteilen sich gegenseitig Ratschläge. Bisher sind nach solchen Sitzungen weder Anträge an die Arbeitgeber gestellt noch an ihn Anregungen herangetragen worden. Ursprünglich nahmen jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrates der Beklagten an diesen Sitzungen teil und erhielten dafür bezahlte Dienstfreistellung. Der neugewählte Vorsitzende des Betriebsrates der Beklagten, Mag. Rudolf L***, ist nunmehr gemäß § 117 Abs 1 ArbVG von der Arbeitsleistung freigestellt. Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 18. Jänner 1988 dem Mitglied des Betriebsrates, Markus M***, mit, daß in Hinkunft die Freistellung eines weiteren Betriebsratsmitgliedes zum Besuch der Tagungen der ARGE Lebenshilfe Betriebsräte unter Fortzahlung des Entgelts nicht mehr bewilligt werde, da der Besuch einer solchen Veranstaltung durch ein Betriebsratsmitglied ausreiche.
Der klagende Betriebsrat (§ 53 Abs 1 ASGG) beantragt (sinngemäß), festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, neben dem Betriebsratsvorsitzenden noch jeweils ein weiteres Mitglied des Betriebsrates für die Beteiligung an den Sitzungen der ARGE Lebenshilfe gemäß § 116 ArbVG unter Fortzahlung des Entgelts freizustellen. Da bei diesen Treffen nur für den jeweiligen Betrieb spezifische Angelegenheiten beraten würden, sei eine bezahlte Dienstfreistellung zu gewähren.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß die Teilnahme an den Sitzungen der ARGE Lebenshilfe nur einem allgemeinen Gedankenaustausch unter den Betriebsratsmitgliedern diene. Im Sinne des § 39 Abs 3 Satz 1 ArbVG, der anordne, daß die Organe der Arbeitnehmerschaft ihre Tätigkeit tunlichst ohne Störung des Betriebes zu vollziehen haben, genüge daher die Teilnahme eines Betriebsratsmitgliedes an den Treffen der ARGE Lebenshilfe.
Das Erstgericht traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und wies das Klagebegehren ab. Gemäß § 116 ArbVG sie den Mitgliedern des Betriebsrates, unbeschadet einer Bildungsfreistellung nach § 118 ArbVG, die zur Erfüllung ihrer Obliegenheiten erforderliche Freizeit unter Fortzahlung des Entgelts zu gewähren. Die Teilnahme an einer Sitzung der Arbeitsgemeinschaft der Betriebsräte der Lebenshilfevereine Österreichs gehöre jedoch nicht zu den vom Betriebsrat gemäß § 116 ArbVG zu erfüllenden Obliegenheiten. Nach den §§ 38, 39 ArbVG habe der Betriebsrat (nur) die wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Interessen der Arbeitnehmer im Betrieb wahrzunehmen und zu fördern. Es gehöre aber nicht zu seinen Aufgaben, sich mit Betriebsräten anderer Unternehmen zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammenzuschließen, um allgemeine Informationen auszutauschen und über Schwierigkeiten in den einzelnen Unternehmen zu berichten. Die Teilnahme an diesen Sitzungen diene nicht unmittelbar der Erörterung betriebsbezogener Angelegenheiten, da jeweils überbetriebliche Probleme zur Sprache gekommen seien. Der Sinn des § 116 ArbVG liege darin, daß das Entgelt der Betriebsratsmitglieder für die Zeit der Verrichtung beispielsweise dringender Interventionen zur Beseitigung von Mängeln, der Entgegennahme dringender Beschwerden der Arbeitnehmer und deren Weitergabe an den Betriebsratsobmann nicht geschmälert werden dürfe. Auf Veranstaltungen der genannten Arbeitsgemeinschaft, die der Erörterung allgemeiner, alle Betriebe betreffender sozialpolitischer Ziele dienten, sei der Entgeltfortzahlungsanspruch nicht auszudehnen. Der Besuch dieser Veranstaltung lasse sich den im ArbVG genannten Aufgaben des Betriebsrates nicht zuordnen. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge, bestätigte das Ersturteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, S 30.000,-- übersteige. Es billigte die Ansicht des Erstgerichtes, daß der Betriebsrat gemäß den §§ 38, 39 ArbVG (nur) die wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Interessen der Arbeitnehmer im Betrieb wahrzunehmen habe, daß es aber nicht zu seinem Aufgabenbereich gehöre, an der überbetrieblichen Interessenvertretung mitzuwirken. Aus § 39 Abs 2 und 4 ArbVG ergebe sich zwar, daß sich der Betriebsrat von den überbetrieblichen Arbeitnehmerverbänden beraten lassen solle. Ein Freistellungsanspruch gemäß § 116 ArbVG bestehe für die Teilnahme an einer Gewerkschaftsveranstaltung aber nur dann, wenn Gegenstand der Erörterung speziell den einzelnen Betrieb betreffende Maßnahmen, insbesondere der Abschluß eines Firmenkollektivvertrages sei. Veranstaltungen, die der Erörterung von alle Betriebe betreffenden sozialpolitischen Fragen, aber auch der gegenseitigen Aussprache und Beratung zwischen den Betriebsräten verschiedener Betriebe dienten, gehörten nicht zu den Obliegenheiten des Betriebsrates und führten daher zu keiner Freizeitgewährung. Die Verweigerung der Freizeitgewährung greife auch nicht in das Recht der Mitglieder des Betriebsrats ein, ihr Mandat gemäß § 115 Abs 2 ArbVG weisungsfrei auszuüben.
Der Kläger erhebt gegen das Urteil des Berufungsgerichtes Revision wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Ein von der zweiten Instanz als nicht gegeben erkannter Mangel des Verfahrens erster Instanz kann im Revisionsverfahren nicht neuerlich geltend gemacht werden. Der Ansicht des Revisionswerbers, daß die Teilnahme an den Tagungen der ARGE Lebenshilfe der Erörterung betriebsspezifischer Probleme diene und die in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 30. September 1987, 9 Ob A 73/87 (DRdA 1988, 258 = RdW 1988, 98) ausgesprochenen Grundsätze auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden dürften, weil es sich hier nicht um die Teilnahme an einer überbetrieblichen Gewerkschaftsveranstaltung handle, ist nicht zu folgen.
Wie die Vorinstanzen zutreffend erkannten, hat der Betriebsrat gemäß § 38 ArbVG (nur) die wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Interessen der Arbeitnehmer im Betrieb wahrzunehmen und zu fördern. An überbetrieblichen Einrichtungen, deren sozialpolitische Zielsetzung auf höherer Ebene liegt, hat der Betriebsrat im Rahmen seines durch die §§ 89 ff ArbVG näher umschriebenen gesetzlichen Aufgabenbereiches in aller Regel nicht mitzuwirken. Die Tagungen der Arbeitsgemeinschaft Betriebsräte Lebenshilfe dienen der gegenseitigen Information und dem gegenseitigen Gedankenaustausch der Betriebsratsmitglieder der betroffenen Unternehmen und der Erörterung spezifisch arbeitsrechtlicher Fragen aller in den Lebenshilfevereinen Tätigen, also von Fragen, die nicht nur die Belegschaft eines Betriebes, sondern einen ganzen besonderen Berufsstand betreffen. Beschlüsse, die konkret das Unternehmen der Beklagten betrafen, wurden dort nie gefaßt. Die Teilnahme an den Sitzungen hat auch nie dazu geführt, daß an die Beklagte Anträge gestellt oder Anregungen herangetragen wurden. Daher dienten aber diese Tagungen im Gegensatz zur Ansicht des Revisionswerbers nicht oder wenigstens nicht unmittelbar der Erörterung (oder Vorbereitung) betriebsbezogener Angelegenheiten der Beklagten. Ist aber ein Freistellungsanspruch gemäß § 116 ArbVG selbst für die Teilnahme an einer Gewerkschaftsveranstaltung über Kollektivvertragsfragen nur dann zuzubilligen, wenn die Erörterung von im Kollektivvertrag zu verankernden, den Betrieb (speziell) betreffenden Maßnahmen (wie insbesondere der Abschluß eines sogenannten Firmenkollektivvertrages) Gegenstand der Veranstaltung ist (Floretta in Floretta-Strasser, Komm z ArbVG 784; Arb. 9.535 = SZ 49/122; DRdA 1988, 258 = RdW 1988, 88), so kann die Teilnahme an einer bloß dem Gedankenaustausch und der Erörterung allgemeiner sozialpolitischer Anliegen einer Berufsgruppe dienenden Tagung umsoweniger als Wahrnehmung der Interessen der Belegschaft im Betrieb iS des § 116 ArbVG angesehen werden, selbst wenn die Ergebnisse einer solchen Tagung letztlich mittelbar doch Auswirkungen auch auf die Belegschaftsmitglieder haben können. Das Klagebegehren wurde ausdrücklich auf § 116 ArbVG gestützt. Bildungsfreistellung nach § 118 ArbVG wurde nicht geltend gemacht. Auch ein Anspruch aus (langjähriger) Betriebsübung wurde mit der Behauptung allein, bisher sei es üblich gewesen, daß aus Vorarlberg stets zwei Betriebsratsmitglieder an den Sitzungen beteiligt waren, nicht erhoben.
Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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