European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E124076
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
1. Die Revisionsrekursbeantwortung der einstweiligen Erwachsenenschutzvertreterin wird zurückgewiesen.
2. Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden im Umfang der Bestellung von Mag. N* (nunmehr *) zur einstweiligen Sachwalterin (nunmehr Erwachsenenschutzvertreterin) aufgehoben und dem Erstgericht insoweit die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Im Übrigen wird dem Revisionsrekurs nicht Folge gegeben und die angefochtene Entscheidung bestätigt.
Begründung:
Der Magistrat der * regte – nach Einstellung eines Sachwalterbestellungsverfahrens 2014 – neuerlich die Überprüfung der Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters für die Betroffene an.
Nach Einholung eines Clearingberichts und Durchführung einer Erstanhörung ordnete das Erstgericht mit Beschluss vom 7. 5. 2018 die Fortsetzung des Verfahrens an. Es bestellte Mag. N* (nunmehr *) zur Verfahrenssachwalterin und zur einstweiligen Sachwalterin zur Vertretung der Betroffenen vor Behörden, Gerichten und Sozialversicherungsträgern, insbesondere im Verfahren betreffend die Mindestsicherung und im Verfahren 3 S *, zur Verwaltung von Vermögen, Einkünften und Verbindlichkeiten sowie zu Rechtsgeschäften, die über den ordentlichen Wirtschaftsbetrieb hinausgehen. Weiters wurde eine Sachverständige für Psychiatrie und Neurologie mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt.
In der Begründung führte das Erstgericht aus, das Verfahren sei fortzusetzen, da die Betroffene nach den Ergebnissen der Erstanhörung nicht in der Lage sei, alle ihre Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen. Die Bestellung eines Vertreters für das Verfahren sei vorgeschrieben, wenn die betroffene Person nicht selbst einen Vertreter gewählt habe. Die im Beschluss angeführten Verfahren seien dringend zu besorgen, weshalb zur Wahrung des Wohls der Betroffenen auch ein einstweiliger Sachwalter zu bestellen sei.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Betroffenen gegen diese Entscheidung mit Beschluss vom 8. 8. 2018 nicht Folge. Mit 1. 7. 2018 sei das 2. Erwachsenenschutzgesetz in Kraft getreten. Nach der Übergangsbestimmung des § 207m ABGB sei ein zu diesem Zeitpunkt in höherer Instanz anhängiges Verfahren, wenn noch Entscheidungsgrundlagen fehlen, dem Erstgericht zu überweisen und von diesem so fortzusetzen, als ob die Entscheidung vom Rechtsmittelgericht aufgehoben und das Verfahren an die erste Instanz zurückverwiesen worden sei.
Im vorliegenden Fall habe sich nichts an der Sachlage seit der Entscheidung geändert, daher sei noch die alte Rechtslage anzuwenden. Aufgrund des Verfahrensgangs sei vom Vorliegen einer psychischen Krankheit und dadurch bedingt drohenden Nachteilen für die Betroffene auszugehen. Damit sei das Verfahren aber fortzusetzen. Hinsichtlich des Verfahrensvertreters und des einstweiligen Sachwalters sei nur eine Anpassung der Bezeichnung (Rechtsbeistand im Verfahren und einstweiliger Erwachsenenvertreter) gemäß § 1503 Abs 9 Z 10 ABGB vorzunehmen.
Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zu, da es noch keine Judikatur des Obersten Gerichtshofs zu den Übergangsbestimmungen des 2. Erwachsenenschutzgesetzes gebe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Betroffenen mit einem Aufhebungsantrag, in eventu wird ein Abänderungsantrag gestellt.
Die einstweilige Sachwalterin (nunmehr Erwachsenenschutzvertreterin) erstattete eine Revisionsrekursbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Die Revisionsrekursbeantwortung ist zurückzuweisen. Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch teilweise berechtigt.
1. Die einstweilige Erwachsenenschutzvertreterin, die zugleich zum Rechtsbeistand im Verfahren bestellt wurde, erstattete im eigenen Namen eine Revisionsrekursbeantwortung, in der sie sich den „Ausführungen im Revisionsrekurs anschloss“.
In den Erläuterungen heißt es zu § 119 AußStrG (ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 66): „Der Rechtsbeistand soll – anders als im geltenden Recht – nicht eigens als Adressat von Verfahrensrechten angeführt sein, weil er – wie andere Verfahrensvertreter auch – seine Rechte von den Rechten der betroffenen Partei ableitet. Als Stellvertreter im Verfahren kann er im Namen und im Interesse der Partei und an deren Stelle Verfahrenshandlungen vornehmen. (…) Dem Rechtsbeistand stehen nicht von der betroffenen Person losgelöste Verfahrensrechte zur Durchsetzung eigener Interessen zu.“
Mag. * erstattete ihre Revisionsrekursbeantwortung aber im eigenen Namen und in Beantwortung des Rechtsmittels der Betroffenen. Sie wird damit nicht in Vertretung und im Interesse der Betroffenen tätig. Damit war die Revisionsrekursbeantwortung als unzulässig zurückzuweisen.
2. Auf eine Änderung der Rechtslage hat das Gericht in jeder Lage des Verfahrens Bedacht zu nehmen, sofern die neuen Bestimmungen nach ihrem Inhalt auf das in Streit stehende Rechtsverhältnis anzuwenden sind. Es ist daher grundsätzlich nach den Übergangsbestimmungen zu beurteilen, ob eine Gesetzesänderung für ein laufendes Verfahren zu beachten ist. Die Änderung der Rechtslage ist in jeder Lage des Verfahrens, auch noch in dritter Instanz, zu beachten (RIS‑Justiz RS0031419 [T7]).
Gemäß § 1503 Abs 9 Z 4 ABGB sind die nach Z 1 leg cit mit 1. Juli 2018 in Kraft tretenden Bestimmungen des 2. Erwachsenenschutz‑Gesetzes BGBl I 2017/59 (2. ErwSchG) auf Sachverhalte anzuwenden, die sich nach dem 30. Juni 2018 ereignen oder über diesen Zeitpunkt hinaus andauern. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens bestehende Vertretungsverhältnisse nach der jeweils verbindlichen Rechtslage („sukzessives Anknüpfungselement“) zu beurteilen sind, also bis zum 30. Juni 2018 nach den bisherigen Vorschriften, danach nach den neuen Bestimmungen (7 Ob 179/18a mwN).
3. Nach § 207m Abs 1 AußStrG idF des 2. ErwSchG sind die (neuen) Verfahrensvorschriften auf Verfahren anzuwenden, die nach dem 30. 6. 2018 anhängig werden. Ein im Zeitpunkt des Inkrafttretens des 2. ErwSchG anhängiges Verfahren über die Bestellung eines Sachwalters ist nach den §§ 116a bis 126 AußStrG in der Fassung des 2. ErwSchG in erster Instanz fortzusetzen. Ein in höherer Instanz anhängiges Verfahren ist – wenn noch Entscheidungsgrundlagen fehlen – dem Erstgericht zu überweisen und von diesem so fortzusetzen, als ob das Rechtsmittelgericht die Entscheidung aufgehoben und das Verfahren an die erste Instanz zurückverwiesen hätte. Es liegt im Ermessen des Gerichts, ob es den Erwachsenenschutzverein (§ 1 ErwSchVG) mit einer Abklärung im Sinn des § 117a AußStrG beauftragt. Ist ein einstweiliger Sachwalter bestellt, so ist er gemäß dem letzten Satz des § 207m Abs 3 AußStrG idF BGBl I Nr 59/2017 mit Inkrafttreten des 2. ErwSchG einstweiliger Erwachsenenvertreter.
Die ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 78 führen zu § 207m AußStrG aus, dass „ein zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes bereits anhängiges Verfahren über die Bestellung eines Sachwalters (nach Abs 4 ebenfalls ein bereits anhängiges Verfahrens über die Änderung, Übertragung und Beendigung der Sachwalterschaft) (…) nach den neuen Verfahrensvorschriften (ausgenommen § 127) fortzusetzen“ ist, „weil ab dem Inkrafttreten dieses Gesetzes kein Sachwalter mehr bestellt (bzw dessen Wirkungsbereich verändert oder die Sachwalterschaft übertragen oder beendet) werden kann“.
Die Regelung des § 207m Abs 3 AußStrG entspricht mit Ausnahme der Einschränkung „wenn noch Entscheidungsgrundlagen fehlen“ jener des Sachwaltergesetzes 1983 (ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 78). Die Verpflichtung des Instanzgerichts, das Verfahren an die erste Instanz zu überweisen, gilt daher dann nicht, wenn bereits alle Entscheidungsgrundlagen vorliegen, um auch nach den Bestimmungen des 2. ErwSchG entscheiden zu können (8 Ob 125/18t).
4. Das Rekursgericht ging allerdings davon aus, dass die Rechtslage im hier zu beurteilenden Umfang keine wesentliche Änderung erfahren hat und die Sachverhaltsgrundlage zur Beurteilung ausreicht.
Die Betroffene bestreitet in ihrem Revisionsrekurs das Vorliegen der Voraussetzungen für die Fortsetzung des Verfahrens und die Bestellung eines Verfahrensvertreters (Rechtsbeistands im Verfahren) bzw einstweiligen Sachwalters (einstweiliger Erwachsenenvertreters).
5. Wie schon nach dem bisherigen § 117 Abs 1 aF AußStrG (vgl RIS‑Justiz RS0013479 [T2, T3], RS0008526) müssen umso mehr auch nach neuem Recht, dessen erklärte Absicht es ist, dass auch Personen mit eingeschränkter Entscheidungsfähigkeit möglichst selbständig ihre Angelegenheiten selbst besorgen können (vgl § 239 Abs 1 ABGB idF 2. ErwSchG), schon für die Einleitung des Verfahrens begründete und konkrete Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters zur Wahrung der Belange des Betroffenen vorliegen (vgl ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 65 f). Die Anhaltspunkte müssen konkret und begründet sein und haben sich sowohl auf die psychische Krankheit oder eine vergleichbare Beeinträchtigung als auch auf die Notwendigkeit der Bestellung eines Erwachsenenvertreters zum Schutz der betreffenden Person zu beziehen.
Für die Fortsetzung des Verfahrens genügt schon – insofern ist es durch die Neuregelung zu keiner Änderung gekommen – die bloße Möglichkeit, dass es nach Abschluss des Verfahrens zur Bestellung eines Erwachsenenvertreters kommen kann (vgl RIS‑Justiz RS0008542).
Wenn sich die Betroffene im Revisionsrekurs dagegen wendet, dass solche Anhaltspunkte vorhanden sind, kann ihr nicht gefolgt werden. Zwar ergibt sich aus den vorliegenden Clearingberichten, dass die Betroffene weitestgehend in der Lage ist, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen, doch bestehen zumindest im Zusammenhang mit dem Verfahren zur Erlangung einer Mindestsicherung, dem Bemühen um eine Wohnmöglichkeit und dem Insolvenzverfahren Bedenken, ob die Betroffene ihre Interessen ausreichend selbst wahrnehmen kann, die zumindest eine Überprüfung zum Schutz der Betroffenen erforderlich machen.
6. Sowohl nach alter als auch nach neuer Rechtslage ist vorgesehen, dass, wenn aufgrund der Ergebnisse der Erstanhörung das Verfahren fortzusetzen ist, das Gericht für einen Rechtsbeistand des Betroffenen im Verfahren zu sorgen hat. Dieser Verfahrenssachwalter (nunmehr Rechtsbeistand im Verfahren) ist nur dann zu bestellen, wenn der Betroffene selbst keinen geeigneten Vertreter hat, und ist zu entheben, sobald ein solcher namhaft gemacht ist. Auch der Revisionsrekurs legt letztlich nicht dar, inwiefern die Entscheidung des Gerichts, sieht man die Fortsetzung des Verfahrens wie bereits dargelegt als berechtigt an, nicht der neuen oder alten Rechtslage entspricht.
7. Nach § 120 AußStrG aF ist, wenn es das Wohl der betroffenen Person erfordert, zur Besorgung dringender Angelegenheiten längstens für die Dauer des Verfahrens ein einstweiliger Sachwalter mit sofortiger Wirksamkeit zu bestellen. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen es das Wohl des Betroffenen erfordert, ihm für die Dauer des Verfahrens einen einstweiligen Sachwalter beizugeben, ist zwar im Gesetz nicht näher geregelt. Nach dem Gesetzeswortlaut sind aber ausschließlich die Interessen des Betroffenen zu wahren. Dass die Bestellung eines einstweiligen Sachwalters für das Wohl des Betroffenen etwa dann dringend erforderlich ist, wenn dieser für ihn nachteilige Rechtsgeschäfte abschließen will, liegt auf der Hand (1 Ob 252/97h).
Auch § 120 AußStrG idF 2. ErwSchG sieht die Möglichkeit der Bestellung eines einstweiligen Erwachsenenvertreters vor. Dabei entspricht § 120 Abs 1 AußStrG der bisherigen Rechtslage (ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 66).
Allerdings ist folgendes zu berücksichtigen: Nach § 239 Abs 1 ABGB idF 2. ErwSchG ist im rechtlichen Verkehr dafür Sorge zu tragen, dass volljährige Personen, die aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung in ihrer Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt sind, möglichst selbständig, erforderlichenfalls mit entsprechender Unterstützung, ihre Angelegenheiten selbst besorgen können. Der Betroffenen wurde im Verfahren wiederholt, zuletzt auch im Clearingbericht attestiert, trotz ihrer Beeinträchtigungen in der Lage zu sein, ihre Angelegenheiten weitestgehend selbst besorgen zu können. Bedenken bestanden zuletzt im Wesentlichen nur im Hinblick auf die (offenbar von der Betroffenen selbst beantragte) Mindestsicherung und das Insolvenzverfahren. Aus den Feststellungen des Erstgerichts sowie dem Akteninhalt lässt sich jedoch nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, inwiefern diese Probleme auf die Beeinträchtigungen der Betroffenen zurückzuführen sind und daher die Bestellung eines einstweiligen Erwachsenenvertreters zur Abwendung einer drohenden Gefahr zum Wohl der Betroffenen erforderlich machen. Insbesondere aber ergibt sich aus den Entscheidungen der Vorinstanzen nicht, wieso die Bestellung des Vertreters im konkreten Fall in dem im Beschluss genannten Umfang (allgemein Vertretung vor Ämtern, Behörden und Sozialversicherungsträgern; Vermögensverwaltung; Rechtsgeschäfte, die über den ordentlichen Wirtschaftsbetrieb hinausgehen) erfolgte.
Der Beschluss war daher in diesem Umfang aufzuheben und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Dieses wird im fortgesetzten Verfahren allenfalls nach Abklärung durch den Erwachsenenschutzverein zu prüfen haben, inwiefern die Betroffene konkret einer Unterstützung zur Besorgung ihrer Angelegenheiten bedarf.
Im Übrigen war dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben und es waren die Entscheidungen der Vorinstanzen zu bestätigen.
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