OGH 9Ob77/07z

OGH9Ob77/07z10.4.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Dr. Kuras als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Janine A*****, geboren am ***** 1994, wohnhaft bei der Mutter Daniela A*****, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Amstetten, Jugendwohlfahrt, Preinsbacher Straße 11, 3300 Amstetten, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 5. September 2007, GZ 23 R 281/07g-U17, womit infolge Rekurses der Minderjährigen der Beschluss des Bezirksgerichts Haag vom 23. Mai 2007, GZ 1 P 1755/95z-U13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Sowohl die Eltern als auch die Minderjährige sind österreichische Staatsbürger. Die Mutter und die Minderjährige haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich. Der Vater befindet sich laut Mitteilung der Österreichischen Botschaft in Prag vom 13. 3. 2007 seit dem 8. 12. 2006 in der Justizanstalt Litomerice, Tschechische Republik, in Haft. Er werde dort nicht zu Arbeitsdiensten herangezogen und sei lediglich krankenversichert. Eine Auslieferung an die österreichischen Justizbehörden sei derzeit nicht in Sicht. (Wie das Erstgericht im Nachhang zum vorgelegten Revisionsrekurs mit Note vom 12. 2. 2008 mitteilte, wurde der Vater zwischenzeitig aus der Haft entlassen und es wurden der Minderjährigen über deren Antrag Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG gewährt.)

Die Minderjährige beantragte am 10. 5. 2007 die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß § 4 Abs 3 UVG (gemeint: § 4 Z 3 UVG), weil sich ihr Vater und Unterhaltsschuldner seit dem 8. 12. 2006 für voraussichtlich ein Jahr in der Tschechischen Republik in Haft befinde. Ihr Vater sei krankenversichert und erfülle somit die Grundvoraussetzung der Wanderarbeitnehmerverordnung 1408/71/EWG. § 4 Z 3 UVG normiere zwar, dass dem Betroffenen die Freiheit im Inland entzogen werden müsse. Aufgrund der EU-Zugehörigkeit und der Entscheidungen des EuGH zur Kategorisierung des Unterhaltsvorschusses als Familienleistung und der damit verbundenen Anwendung der VO 1408/71 /EWG sei § 4 Z 3 UVG so zu verstehen, dass der Begriff „Inland" die gesamte Europäische Union umfasse.

Das Erstgericht erhöhte mit Beschluss vom 23. 5. 2007 den der Minderjährigen mit erstgerichtlichem Beschluss vom 3. 10. 2006 (gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG) für die Zeit vom 1. 10. 2006 bis 30. 9. 2009 gewährten monatlichen Unterhaltsvorschuss in der Höhe von 170 EUR ab 1. 10. 2006 auf 185 EUR monatlich und stellte diesen aber mit Ablauf Dezember 2006 ein (Punkt 1.), trug dem Unterhaltsschuldner auf, die näher bezeichnete Pauschalgebühr zu zahlen (Punkt 2.), verfügte bezüglich der zu Unrecht ausbezahlten Vorschüsse den Einbehalt eines Teilbetrags von 45 EUR von der zustehenden Nachzahlung und sprach aus, dass ein Anspruch des Bundes auf Ersatz der restlichen zu Unrecht ausbezahlten Vorschüsse im Betrag von 295 EUR nicht bestehe (Punkt 3.), und wies schließlich den Antrag der Minderjährigen auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß § 4 Z 3 UVG ab (Punkt 4.). Dabei ging das Erstgericht hinsichtlich des im Rekurs- und Revisionsrekursverfahren ausschließlich relevanten Punktes 4. seines Beschlusses von der rechtlichen Beurteilung aus, dass eine Haft des Unterhaltsschuldners im Ausland den Tatbestand des § 4 Z 3 UVG nicht erfülle. Der Oberste Gerichtshof habe auch nach der Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH seine bisherige Rechtsprechung, wonach Vorschüsse nach § 4 Z 3 UVG nur bei einem Freiheitsentzug im Inland gewährt werden, aufrechterhalten.

Das Rekursgericht gab dem von der Minderjährigen nur gegen den Punkt 4. des erstgerichtlichen Beschlusses erhobenen Rekurs nicht Folge, ließ aber den ordentlichen Revisionsrekurs zu. Das Rekursgericht äußerte zunächst Zweifel, dass der Vater als österreichischer Staatsbürger in der Tschechischen Republik eine in Österreich verhängte Strafhaft verbüße; sofern es sich bei der derzeitigen Anhaltung nicht um eine Untersuchungshaft handle, dürfte es wohl eher um eine Strafhaft aufgrund der Anordnung eines tschechischen Strafgerichts gehen. Davon abgesehen, habe der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 4 Z 3 UVG für den Fall der Verbüßung einer in Österreich verhängten Haftstrafe im (von Österreich verschiedenen) Heimatstaat des Unterhaltspflichtigen verneint. Das Rekursgericht sehe keine Veranlassung von dieser Rechtsprechung abzugehen. Die Gewährung von Unterhaltsansprüchen gemäß § 4 Z 3 UVG knüpfe nicht an die Verurteilung in Österreich, sondern an die Erfüllung der Arbeitspflicht in einer österreichischen Strafanstalt an, der als „Gegenleistung" des Staats die Verpflichtung zur Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gegenüberstehe. Diese Voraussetzung sei hier nicht gegeben, weil der Vater seiner Arbeitspflicht nicht in einem österreichischen Gefangenenhaus nachkomme. Ob aufgrund der Verbüßung einer Haftstrafe des Unterhaltsschuldners in der Tschechischen Republik allenfalls vergleichbare Ansprüche der Minderjährigen in der Tschechischen Republik bestehen, sei hier nicht zu prüfen. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zuzulassen, weil der vorliegenden Konstellation über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.

Gegen die Rekursentscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen wegen Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne des Zuspruchs der Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG abzuändern.

Der Präsident des Oberlandesgerichts Wien beantragt, den Revisionsrekurs der Minderjährigen zurückweisen oder diesem nicht Folge zu geben. Der Vater als Unterhaltsschuldner und die Mutter als Zahlungsempfängerin haben keine Revisionsrekursbeantwortungen erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.

Vorweg ist festzuhalten, dass hier entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Auffassung keine Aktenwidrigkeit vorliegt. Diese Beurteilung bedarf keiner besonderen Begründung (§ 71 Abs 3 Satz 3 AußStrG).

Im vorliegenden Revisionsrekursverfahren geht es ausschließlich um die Frage, ob die Minderjährige einen Anspruch auf die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 4 Z 3 UVG hat. Nach dieser Bestimmung (idF UVG-Novelle 1980, BGBl 1980/278) sind Unterhaltsvorschüsse zu gewähren, wenn dem Unterhaltsschuldner aufgrund einer Anordnung in einem strafgerichtlichen Verfahren länger als einen Monat im Inland die Freiheit entzogen wird und er deshalb seine Unterhaltspflicht nicht erfüllen kann. Dem liegt laut den Gesetzesmaterialien die Überlegung zugrunde, dass den Staat schon nach dem Gesichtspunkt der ihm obliegenden Pflicht zur Unterhaltssicherung auch die Pflicht treffe, entweder für eine entsprechende Entlohnung der im Strafvollzug arbeitenden Strafgefangenen oder dafür zu sorgen, dass sie auf andere Weise ihrer Unterhaltspflicht genügen können. Diese Überlegung mache es aber notwendig, die Regelung auf die Kinder solcher Strafgefangener zu beschränken, die sich in einer Einrichtung des Strafvollzugs im Inland befinden (RV 276 BlgNR 15. GP 9 f). Ausgesprochener Wille des Gesetzgebers war es somit, Unterhaltsvorschüsse nach § 4 Z 3 UVG nur bei Freiheitsentzug im Inland zu gewähren. Die Bestimmung stellt nicht auf die Anordnung der freiheitsentziehenden Maßnahme an sich, sondern auf den tatsächlichen Entzug der Freiheit ab (Neumayr in Schwimann, ABGB³ § 4 UVG Rz 66, 70 mwN ua).

Die Vorinstanzen wiesen bereits zutreffend darauf hin, dass der Oberste Gerichtshof auch nach dem Einlangen der Vorabentscheidung des EuGH vom 20. 1. 2005, Rs C-302/02 , Effing, an seiner bisherigen Rechtsprechung festhielt, wonach „Haft"vorschüsse nach § 4 Z 3 UVG nur bei Freiheitsentzug im Inland gewährt werden (Neumayr in Schwimann, ABGB³ § 4 UVG Rz 69 mwN; 6 Ob 45/05v; RIS-Justiz RS0119865 ua). Der EuGH hat in seiner Vorabentscheidung klargelegt, dass weder die Bestimmungen der VO 1408/71 /EWG, insbesondere deren Art 3, noch Art 12 EG den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die die Gewährung von Familienleistungen der im UVG vorgesehenen Art an die Familienangehörigen eines Gemeinschaftsbürgers davon abhängig machen, dass er im Gebiet dieses Mitgliedstaats in Haft bleibe.

Der vorliegende Fall unterscheidet sich nun von den Fällen 6 Ob 45/05v, 8 Ob 23/05y und 3 Ob 105/05w, in denen die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 4 Z 3 UVG bei Strafvollzügen im Ausland verneint wurde, dadurch, dass dort die Unterhaltsschuldner, die die Strafhaft jeweils in Deutschland verbüßten, die deutsche Staatsbürgerschaft aufgewiesen haben. Im vorliegenden Fall ist der Vater, wie bereits erwähnt, österreichischer Staatsbürger. Weshalb bei dieser Konstellation der Anspruch auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß § 4 Z 3 UVG anders beurteilt werden sollte, vermag die Revisionsrekurswerberin nicht aufzuzeigen. Richtig ist, dass ein im Inland inhaftierter Arbeitnehmer iSd Art 1 lit a der VO 1408/71 /EWG seinen Kindern als seinen Familienangehörigen gemäß Art 3 der VO 1408/71 /EWG einen Unterhaltsvorschussanspruch nach § 4 Z 3 UVG vermittelt (RIS-Justiz RS0121168 ua). Ein Problem des „Exports" von Unterhaltsvorschüssen stellt sich hier jedoch nicht. Für den Standpunkt der Minderjährigen ist aus Verweisen auf hier nicht gegenständliche Unterhaltsvorschuss-Tatbestände (insbesondere §§ 3, 4 Z 1 UVG) nichts zu gewinnen. Die Minderjährige stützte ihren Anspruch ausdrücklich auf den Tatbestand nach § 4 Z 3 UVG; der erstgerichtliche Beschluss wurde auch nur in diesem Punkt bekämpft. Es sind hier nur die begehrten „Haft"vorschüsse zu beurteilen. Die in § 4 Z 3 UVG normierte Voraussetzung, dass „dem Unterhaltsschuldner ... im Inland die Freiheit entzogen wird", liegt nicht vor. Für eine andere, vom Freiheitsentzug im Inland absehende Auslegung dieser Bestimmung bleibt entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Auffassung nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut kein Raum (vgl RIS-Justiz RS0076288 ua).

Dem unbegründeten Revisionsrekurs muss daher ein Erfolg versagt bleiben.

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