European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2011:0090OB00053.10Z.0228.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen ‑ einschließlich der Kostenentscheidung des Rekursgerichts ‑ werden im Umfang der Entscheidung über das Mehrbegehren auf Sonderunterhalt für den Laptop und den Drucker in Höhe von 419,65 EUR sA aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung
Die Antragstellerin ist Studentin und die volljährige Tochter des Antragsgegners. Mit gerichtlichem Vergleich vom 29. Oktober 2009 verpflichtete sich der Antragsgegner zur Zahlung eines einvernehmlich festgesetzten Unterhaltsrückstands, und zwar „Differenzunterhalt“ für die Zeit vom 1. August 2009 bis 31. Oktober 2009, in Gesamthöhe von 411 EUR und ab 1. November 2009 bis auf weiteres, längstens jedoch bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit der Antragstellerin, zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags von 400 EUR.
Die Antragstellerin stellte am 10. Mai 2010 den Antrag, ihren Vater zur Zahlung eines Sonderbedarfs für den Zeitraum 1. September 2007 bis 31. März 2010 von 1.660,73 EUR sA zu verpflichten. Sie studiere Umweltsystemwissenschaften in Graz und betreibe ihr Studium zielstrebig, mit zumindest durchschnittlichem Erfolg. Sie begehre als Sonderbedarf die Hälfte diverser, im genannten Zeitraum angelaufener Kosten (Studiengebühren, Studienkarten/Fahrschein, Laptop, Bücher, Schreibmaterial, Skripten, ÖH‑Beiträge, Taschenrechner, Drucker, USB-Stick). Diese Aufwendungen seien für ihr Studium unerlässlich gewesen und könnten aus dem laufenden Unterhalt nicht bestritten werden. Es handle sich durchwegs um einen erhöhten, außergewöhnlichen Lehrmittelaufwand (Laptop, Drucker etc).
Der Antragsgegner sprach sich gegen den Antrag aus. Aufgrund des gerichtlichen Vergleichs seien sämtliche Unterhaltsansprüche der Parteien für die Zeit „von September 2007 bis März 2010“ vollständig geregelt. Ein Vorbehalt der nachträglichen Geltendmachung von Sonderbedarf sei im Vergleich nicht enthalten, sodass die Antragstellerin wegen des verglichenen Unterhalts nicht zusätzlich einen Sonderbedarf für die antragsgegenständliche Zeit geltend machen könne. Zudem seien alle mit dem Studium verbundenen Auslagen bereits im „Normalunterhalt“ inbegriffen und stellten keinen Sonderbedarf dar.
Das Erstgericht wies den Antrag ‑ ohne weitere Beweisaufnahmen ‑ für den Zeitraum September 2007 bis einschließlich Oktober 2009 zurück und für den Zeitraum von November 2009 bis einschließlich März 2010 ab. Mit gerichtlichem Vergleich vom 29. Oktober 2009 seien die Unterhaltsansprüche der Antragstellerin bis einschließlich Oktober 2009 geregelt worden. Da eine „Umstandsänderung“ für die Zeit vor Vergleichsabschluss von der Antragstellerin nicht behauptet worden sei, sei das diesbezügliche Begehren nicht „nachvollziehbar“ und zurückzuweisen. Die ab November 2009 geltend gemachten Ausgaben beträfen keinen Sonderbedarf, sondern gehörten zum Allgemeinbedarf.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss mit der Maßgabe, dass es das Begehren der Antragstellerin auf Zuerkennung von Sonderbedarf insgesamt abwies. Die Frage, ob der gerichtliche Vergleich über rückständigen Unterhalt auch in der Vergangenheit angefallenen Sonderbedarf der Antragstellerin umfassen sollte, könne dahingestellt bleiben, weil keiner der begehrten Einzelposten als Sonderbedarf zu qualifizieren sei. Das für Sonderbedarf erforderliche Kriterium der Individualität und Außergewöhnlichkeit sei nicht erfüllt, wenn Umstände auf die Mehrzahl der österreichischen unterhaltsberechtigten Studenten zuträfen. Ein das übliche Ausmaß nicht übersteigender Aufwand für Bücher, Studienkarten/Fahrscheine, Skripten, ÖH‑Beiträge, Taschenrechner, USB‑Stick und Schreibmaterial treffe typischerweise alle Studierenden und scheide als Sonderbedarf aus (zum üblichen Schulbedarf: 6 Ob 643/95; LGZ Wien EFSlg 107.485). Studiengebühren stellten ebenfalls keinen Sonderbedarf dar.
Dies gelte auch für die Anschaffung eines Laptops und Druckers, weil unter den gegenwärtigen Studienbedingungen die Inskription nur über das Internet möglich sei und „Wissensgrundlagen“ für das Studium nur auf diesem Weg abrufbar seien. Das Erlernen des Stoffs sei ohne Ausdruck der wesentlichen Materialien nicht praktikabel. Da die Benützung der universitätseigenen Computer im Vergleich zu einem eigenen Gerät ein wesentliches Erschwernis sei, entspreche es „heutzutage erfahrungsgemäß“ der gewöhnlichen Ausstattung eines Studenten, mit eigenem Laptop und Drucker zu arbeiten. Damit fehle solchen Anschaffungen das Merkmal der Individualität als Voraussetzung für zuzuerkennenden Sonderbedarf.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil der letztgenannten Beurteilung die gegenteilige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs entgegenstehe.
Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Antragstellerin mit dem Antrag, ihrem Begehren auf Festsetzung von Sonderbedarf Folge zu geben; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Antragsgegner beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, andernfalls ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig und hinsichtlich der Abweisung des Sonderunterhaltsbegehrens für die Anschaffung eines Laptops samt Drucker im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsbegehrens auch berechtigt.
1. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners ist der Revisionsrekurs nicht deshalb unzulässig, weil „der Streitwert unter 3.000 EUR liegt“. Der Entscheidungsgegenstand übersteigt nicht 30.000 EUR. Der Revisionsrekurs ist in einem solchen Fall nur zulässig, wenn er vom Rekursgericht entweder schon in der Rekursentscheidung oder aufgrund einer Zulassungsvorstellung zugelassen wird (§ 62 Abs 3 und § 63 Abs 3 AußStrG). Ersteres ist hier der Fall.
2. Die Beurteilung, ob Sonderbedarf vorliegt, ist jedenfalls eine solche des Einzelfalls und bildet für sich genommen keine erhebliche Rechtsfrage (vgl RIS‑Justiz RS0007204 [T5]). Die Revisionsrekurswerberin wendet sich mit Ausnahme der Anschaffungskosten für den Laptop und den Drucker inhaltlich nicht gegen die Abweisung der weiteren als Sonderbedarf begehrten Ausgaben. Soweit im Revisionsrekurs auf die Ausführungen im Rekurs verwiesen wird, ist dies unzulässig und unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0007029 [T7]; RS0043579 [T19]; RS0043616 [T12]; 4 Ob 120/09i).
Ob der Unterhaltspflichtige zur Deckung der Studiengebühren eine Mehrleistung zu erbringen hat oder der Unterhaltsberechtigten die Tragung dieser Kosten aus den bisherigen Unterhaltsleistungen zugemutet werden kann, ist eine Frage der Entscheidung im Einzelfall (3 Ob 135/03d). Aufwendungen für den allgemeinen Schulbedarf eines Schülers (zB Schreibmaterial etc) sind kein Sonderbedarf (6 Ob 643/95). Nichts anderes kann für den allgemeinen Studienbedarf einer Studentin gelten (zB Skripten, ÖH‑Beiträge, Taschenrechner, USB-Stick etc). Auch die Ausgaben für die Studienkarten und einen Fahrschein sind als Fahrtkosten aus dem laufenden Unterhalt zu decken und kein deckungspflichtiger Sonderbedarf (vgl Neuhauser in Schwimann , ABGB‑TaKomm, § 140 Rz 39 S 81; Neuhauser in Schwimann , ABGB³ I, § 140 Rz 39; Schwimann/Kolmasch , Unterhaltsrecht 5 105). Die Entscheidung des Rekursgerichts folgt diesbezüglich den dargelegten Grundsätzen.
3. Soweit sich die Antragstellerin gegen die Abweisung ihres Begehrens auf Sonderbedarf für den Laptop samt Drucker wendet (Hälftekosten von 377,40 EUR und 42,25 EUR), ist der Revisionsrekurs im Ergebnis berechtigt.
In der Judikatur des Obersten Gerichtshofs wurde bereits wiederholt ausgesprochen, dass auch die Kosten für die (notwendige) Anschaffung eines Computers als Sonderbedarf anzuerkennen sind, wenn dadurch die schulische Ausbildung des Unterhaltsberechtigten gefördert wird (1 Ob 415/97d; 6 Ob 24/02a; 10 Ob 61/05a; 1 Ob 124/07b). Darunter fällt auch ein Drucker, stellt dieser doch einen notwendigen Teil der Computerausstattung dar. Dies wird auch in der Lehre vertreten ( vgl Neuhauser in Schwimann , ABGB‑TaKomm, § 140 Rz 39 S 81; Neuhauser in Schwimman , ABGB³ I, § 140 Rz 38; Schwimann/Kolmasch aaO 104; Gitschthaler , Unterhaltsrecht² Rz 282; Barth/Neumayr in Fenyves/Kerschner/Vonkilch , Klang³ § 140 Rz 84; Schwarzinger , Kindesunterhalt im Zivilverfahren, 28 f, 31 f; Fischer‑Czermak/Böhsner in Kletecka/Schauer , ABGB‑ON 1.00 § 140 Rz 8).
Unter Sonderbedarf versteht man jenen ‑ den Regelbedarf übersteigenden ‑ Bedarf, der dem Unterhaltsberechtigten infolge Berücksichtigung der bei der Ermittlung des Regelbedarfs bewusst außer Acht gelassenen Umstände erwächst (RIS‑Justiz RS0047564; ähnlich RIS‑Justiz RS0117791). Dagegen ist Regelbedarf jener Bedarf, den jedes Kind einer bestimmten Altersstufe in Österreich ohne Rücksicht auf die konkreten Lebensverhältnisse seiner Eltern an Nahrung, Kleidung, Wohnung und zur Bestreitung der weiteren Bedürfnisse, wie etwa kultureller und sportlicher Betätigung, sonstiger Freizeitgestaltung und Urlaub, hat (RIS‑Justiz RS0047531). Der Sonderbedarf betrifft inhaltlich hauptsächlich die Erhaltung der (gefährdeten) Gesundheit, die Heilung einer Krankheit und die Persönlichkeitsentwicklung (insbesondere Ausbildung, Talentförderung und Erziehung) des Kindes; eine generelle Aufzählung all dessen, was als Sonderbedarf anzuerkennen ist, ist kaum möglich (RIS‑Justiz RS0107180). Er ist durch die Momente der Außergewöhnlichkeit, Dringlichkeit und Individualität gekennzeichnet und fällt bei der Mehrzahl der unterhaltsberechtigten Kinder regelmäßig nicht an (RIS‑Justiz RS0107180 [T3]; 3 Ob 144/10p). Es handelt sich um den Mehrbedarf, der über den allgemeinen Durchschnittsbedarf eines gleichaltrigen Kindes in Österreich ohne Rücksicht auf die konkreten Lebensverhältnisse seiner Eltern hinausgeht (7 Ob 97/08b). Die gesonderte Abgeltung von Sonderbedarf hat Ausnahmecharakter, sodass der Unterhaltsberechtigte für die den Sonderbedarf begründenden Umstände behauptungs‑ und beweispflichtig ist (8 Ob 53/09s mwN).
Die Revisionsrekurswerberin hat dazu im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht, dass die Anschaffung des Laptops sowie des Druckers für ihr Studium der Umweltsystemwissenschaften unerlässlich gewesen sei, sie diese Kosten nicht aus dem laufenden Unterhalt bestreiten habe können und es sich dabei um einen außergewöhnlichen Lehrmittelaufwand handle. Das Rekursgericht verneinte bei diesen Anschaffungen das Merkmal der Individualität als Voraussetzung für den zuzuerkennenden Sonderbedarf, weil es „heutzutage erfahrungsgemäß“ der gewöhnlichen Ausstattung eines Studenten entspreche, mit eigenem Laptop und Drucker zu arbeiten. Entgegen der Rechtsansicht des Rekursgerichts kommt es in diesem Zusammenhang nicht auf die „gewöhnliche Ausstattung eines Studenten“ an, sondern immer darauf, ob im konkreten Einzelfall ein Bedarf besteht (Individualbedarf), der nach den dargelegten Grundsätzen über den allgemeinen Bedarf hinaus gerechtfertigt erscheint. Mögen auch einige Studenten über einen eigenen Computer samt Drucker verfügen, trifft dies noch nicht mit weitgehender Regelmäßigkeit für die Mehrzahl der unterhaltsberechtigten Studierenden zu. Das Rekursgericht verweist selbst auf die Nutzung der universitätseigenen Computer. Zudem hat in Familien mit mehreren studierenden „Kindern“ keineswegs jeder Student eine eigene Computerausstattung. Der Moment der Individualität kann daher nicht von vornherein ausgeschlossen werden.
Das Verfahren ist daher im Umfang der begehrten halben Kosten für den Laptop sowie den Drucker noch nicht spruchreif. Im Hinblick auf den entsprechenden Einwand des Antragsgegners fehlen Feststellungen zur Beurteilung, ob die ‑ nach dem Vorbringen ‑ im September 2007 und September 2009 angefallenen Aufwendungen für den Computer und den Drucker allenfalls vom gerichtlichen Vergleich vom 29. Oktober 2009 über den rückständigen Unterhalt umfasst sein sollten (siehe in diesem Zusammenhang 9 Ob 40/02a; 6 Ob 46/03t; 6 Ob 126/07h; 2 Ob 90/09p; 6 Ob 243/09t). Sollte die Antragstellerin darauf nicht verzichtet haben, wären Feststellungen zur Notwendigkeit und Erforderlichkeit der Computerausstattung für das Universitätsstudium der Antragstellerin, zu einem sogenannten „Deckungsmangel“ sowie zur Leistungsfähigkeit des Antragsgegners zu treffen.
Demnach ist es erforderlich, die Entscheidung der Vorinstanzen im Umfang von 419,65 EUR sA einschließlich der zweitinstanzlichen Kostenentscheidung aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.
Die Entscheidung über den Vorbehalt der Kosten des Verfahrens beruht auf § 78 AußStrG.
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