European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0090OB00048.22G.0714.000
Spruch:
Die außerordentlichen Revisionen der klagenden Partei und der beklagten Parteiwerden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Der von der Klägerin vom Beklagten, ihrem geschiedenen Ehegatten, begehrte nacheheliche Unterhalt richtet sich nach § 69 Abs 2 EheG iVm § 94 Abs 2 ABGB. Verdienen – wie hier – beide geschiedenen Ehegatten, so stehen dem Ehegatten mit dem wesentlich geringeren Einkommen grundsätzlich 40 % des gemeinsamen Familieneinkommens abzüglich des eigenen Einkommens zu (RS0012492; RS0057433 [T1]). Bei einer konkurrierenden Sorgepflicht für Kinder ist der Prozentsatz grundsätzlich um etwa 4 % pro Kind zu verringern (RS0009547).
[2] 2. Nach ständiger Rechtsprechung zum Kindesunterhalt sollen bei der Bemessung des Unterhaltsanspruchs im Ausland lebender Kinder eines im Inland wohnenden Elternteils die Unterhaltsbeiträge einerseits in einem angemessenen Verhältnis zu den durchschnittlichen Lebensverhältnissen und zur Kaufkraft im Heimatland der Kinder stehen und andererseits die Kinder am Lebensstandard des in Österreich lebenden Unterhaltsverpflichteten teilnehmen lassen (RS0111899 [T1, T7]). In solchen Fällen ist nach der Rechtsprechung ein Mischunterhalt zu bilden, der sich nach den Bedürfnissen der Unterhaltsberechtigten und dem verbesserten Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen richtet. Gleichzeitig muss auch auf den Umstand Rücksicht genommen werden, dass im Aufenthaltsstaat des Unterhaltsberechtigten ein niedrigeres Kaufkraft‑ und Preisniveau besteht (4 Ob 191/20x [Rz 31] = EF‑Z 2021/45 [zust Nademleinsky] = EvBl 2021/46 [zust Deixler‑Hübner]). Nichts anderes kann umgekehrt gelten, wenn die Kinder in Österreich leben und es das Wohnsitzland des Unterhaltspflichtigen ist, in dem ein höheres Einkommens- und Preisniveau herrscht (3 Ob 109/20f [Rz 27 mwN]). Bei der Unterhaltsberechnung nach diesen Grundsätzen handelt es sich um eine Ermessensentscheidung des Gerichts ohne konkretes Berechnungssystem (vgl RS0111899 [T12]; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht9, 148).
[3] 3. Diese zum Kindesunterhalt entwickelte Rechtsprechung zum Mischunterhalt wird auch auf den Ehegattenunterhalt angewandt (vgl 7 Ob 307/97s; EFSlg 148.846; vgl Smutny in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.08 § 94 ABGB Rz 1/1).
[4] 4. Unterhalt ist nicht starr mathematisch zu berechnen, sondern zu bemessen. Letztlich sind daher auch die besonderen Umstände des Einzelfalls für die Beurteilung, ob eine Unterhaltsfestsetzung angemessen ist, von Bedeutung (RS0057284 [T11]; Stabentheiner/Reiter in Rummel/Lukas, ABGB4 § 94 ABGB Rz 15 mwN).
[5] 5. Das Berufungsgericht hielt angesichts des unterschiedlichen Preisniveaus zwischen der Schweiz (Wohnort des Beklagten) und Österreich (Wohnort der Klägerin) einen Abzug in Höhe von 30 % von der Unterhaltsbemessungsgrundlage des Beklagten für angemessen. Damit werde ein angemessener Ausgleich zwischen dem hohen Einkommen des Unterhaltspflichtigen in einem Land mit um 52,9 % höheren Lebenshaltungskostenund den niedrigeren Lebenshaltungskosten der Unterhaltsberechtigten gefunden. Dabei werde auch angemessen berücksichtigt, dass der Kaufkraft-Index, der für 2019 für die Schweiz 110,7 und für Österreich 99,8 betrage, was bedeute, dass sich ein Durchschnittsbürger in der Schweiz angesichts des höheren Bruttonationaleinkommens pro Einwohner trotz der höheren Kosten immer noch um 10,9 % mehr leisten könne als jemand der in Österreich wohne. Von dem sich dann errechnenden Gesamteinkommen der Streitteile stünden der Klägerin 36 %, abzüglich ihres Eigeneinkommens, zu.
[6] 6. Die Begründung der angefochtenen Entscheidung entspricht den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zum Mischunterhalt. Die Bemessung der Höhe des Unterhalts der Klägerin bewegt sich im Rahmen des den Gerichten eingeräumten Beurteilungsspielraums. Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zeigen die Revisionen der Parteien nicht auf.
7. Zur außerordentlichen Revision der Klägerin:
[7] Rechtsprechung zum Mischunterhalt (auch bei Ehegatten) liegt vor. Ein Abweichen von der 40 % Regel erfolgte nicht. Das Berufungsgericht hat lediglich die Unterhaltsbemessungsgrundlage des Beklagten (um 30 %) gemindert, den Unterhalt der Klägerin aber mit 36 % des Gesamteinkommens (der Beklagte ist für ein Kind sorgepflichtig) bemessen.
8. Zur außerordentlichen Revision des Beklagten:
[8] Der vom Berufungsgericht vorgenommene Abzug von 30 % von der Bemessungsgrundlage ist nach der Lage des konkreten Falls vertretbar. Ein Vergleich mit der Höhedes in 8 Ob 30/16v (unter Berücksichtigung einer „Erheblichkeitsschwelle“) vorgenommenen Abzugs ist aufgrund der unterschiedlichen Sachverhalte nicht vorzunehmen. Die in der Revision angesprochenen offenen Fragen im Zusammenhang mit der Bemessung des Mischunterhalts (vgl Hiebl, Mischunterhalt in der jüngeren Rechtsprechung, iFamZ 2018, 68) lassen einen Bezug zum konkreten Fall vermissen. Einer fallbezogenen Rechtsprechung zur Frage, ob bei der hier vorzunehmenden Unterhaltsbemessung auch zu berücksichtigen sei, dass er sein hohes Einkommen als Tierarzt in der Schweiz, das dreimal so hoch sei, wie das eines Tierarztes in Österreich, erst nach seiner Trennung von der Klägerin erzielt habe, bedarf es nicht. Für die Unterhaltsentscheidung nach § 94 ABGB kommt es für die Bemessung des Unterhalts für die Vergangenheit nicht auf die früheren, sondern auf die im jeweiligen Unterhaltszeitraum tatsächlich erzielten Einkünfte des Unterhaltspflichtigen bzw für die Bemessung des laufenden (künftigen) Unterhalts grundsätzlich auf dessen Leistungsfähigkeit im unmittelbar vorangegangenen Zeitraum an (vgl Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht9, 11 mwN).
[9] 9. Mangels Darstellung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO waren die außerordentlichen Revisionen der klagenden Partei und der beklagten Partei zurückzuweisen. Der Oberste Gerichtshof hat sich bei der Prüfung der Frage, ob eine außerordentliche Revision einer weiteren Behandlung unterzogen oder verworfen werden soll, auf jene Gründe zu beschränken, die in der Zulassungsbeschwerde als solche angeführt wurden (RS0107501). Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung daher nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)