European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0090OB00048.13V.1126.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden insoweit aufgehoben, als sie eine monatliche Unterhaltsverpflichtung der Mutter gegenüber dem Minderjährigen in einem 405 EUR (hinsichtlich des Zeitraums 1. Februar 2011 bis 30. November 2011), 445 EUR (1. 12. 2011 bis 31. 12. 2011), 290 EUR (1. 1. 2012 bis 31. 12. 2012) und 350 EUR (ab 1. Jänner 2013) übersteigenden Betrag festsetzen. Insoweit wird dem Erstgericht eine neuerliche, nach Verfahrensergänzung zu fällende Entscheidung aufgetragen.
Begründung
J***** K***** und S***** K***** sind die Eltern des minderjährigen S***** K*****. Sie sind je zur Hälfte Eigentümer einer Liegenschaft, auf dem sich ein Wohnhaus befindet, in dem nach dem Auszug der Mutter aus der Ehewohnung im Februar 2011 der Vater und der von ihm betreute Minderjährige leben.
Über Antrag des Minderjährigen verpflichtete das Erstgericht die Mutter zu einer monatlichen Unterhaltszahlung an den Minderjährigen für den Zeitraum 1. 2. 2011 bis 30. 11. 2011 von 605 EUR, für 1. 12. 2011 bis 31. 12. 2011 von 665 EUR, für 1. 1. 2012 bis 31. 12. 2012 von 410 EUR und ab 1. 1. 2013 von 500 EUR. Bereits geleistete Unterhaltszahlungen im Zeitraum vom 1. 2. 2011 bis 31. 3. 2012 in Höhe von 197 EUR (aufgrund der vom Rekursgericht im ersten Rechtsgang getroffenen Entscheidung) seien zu berücksichtigen. Das darüber hinausgehende Mehrbegehren des Minderjährigen auf Unterhaltsfestsetzung ab 1. 2. 2011 auf 800 EUR wurde abgewiesen. In seiner rechtlichen Beurteilung gründete das Erstgericht die Unterhaltsfestsetzung der Höhe nach auf die für die Jahre 2011 bis 2013 festgestellten ‑ und im Revisionsrekursverfahren nicht mehr strittigen -Unterhaltsbemessungsgrundlagen und die jeweils in Betracht kommenden Regelbedarfssätze. Teilweise anzurechnen sei die vom Vater für den Minderjährigen bezogene Familienbeihilfe. Die von der Mutter nicht ausreichend nachgewiesenen Naturalunterhaltsleistungen könnten nicht unterhaltsmindernd berücksichtigt werden.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter, gerichtet auf eine Abänderung der erstgerichtlichen Unterhaltsfestsetzung dahin, dass die von ihr zu leistenden monatlichen Unterhaltsbeträge mit lediglich 405 EUR für den Zeitraum 1. 2. 2011 bis 30. 11. 2011, mit 445 EUR für 1. 12. 2011 bis 31. 12. 2011, mit 290 EUR für 1. 1. 2012 bis 31. 12. 2012, und ab 1. 1. 2013 mit 350 EUR festgesetzt werden, nicht Folge. Der fiktive Mietwert ‑ in der Regel unter den die Wohnung nutzenden Personen nach Köpfen aufgeteilt ‑ einer dem Unterhaltsberechtigten überlassenen Wohnung sei wegen der damit verbundenen Verminderung des Unterhaltsbedarfs dann ganz oder teilweise als Naturalunterhalt angemessen anzurechnen, wenn die Wohnversorgung des Unterhaltsberechtigten dem Unterhaltspflichtigen zuzurechnen sei. Davon sei hier aber nicht auszugehen, weil der Vater sämtliche Zahlungen für diese Liegenschaft, insbesondere die Rückzahlungen der für die Liegenschaft aufgenommenen Kredite, bestreite.
Dagegen richtet sich der ‑ über Zulassungsvorstellung der Mutter (§ 63 AußStrG) vom Rekursgericht nachträglich zugelassene ‑ ordentliche Revisionsrekurs mit dem Abänderungsantrag, „dem Rekurs (gegen die erstinstanzliche Entscheidung) Folge zu geben“; in eventu wird ein Aufhebungs‑ und Rückverweisungsantrag gestellt.
Der Minderjährige beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Mutter ist zulässig und im Sinne des in eventu gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
1. Hat der Unterhaltsberechtigte nicht für die Kosten der Wohnversorgung aufzukommen, so bedarf er regelmäßig nicht mehr des gesamten festgesetzten Geldunterhalts, um seinen vollständigen Unterhalt zu decken (RIS‑Justiz RS0047254). Nach der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist daher der fiktive Mietwert einer dem Unterhaltsberechtigten vom Unterhaltspflichtigen überlassenen Wohnung wegen der damit verbundenen Verminderung des Unterhaltsbedarfs ganz oder teilweise als Naturalunterhalt anzurechnen (4 Ob 41/05s; 6 Ob 5/08s; 4 Ob 42/10w mwN; 6 Ob 90/11w; 6 Ob 43/12k; 1 Ob 143/12d; 6 Ob 61/13h). Es ist nicht maßgeblich, ob das Kind in einer Mietwohnung, in einer ausbezahlten Eigentumswohnung oder in einer Wohnung lebt, für die noch Kreditrückzahlungen zu leisten sind. Eine unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Varianten der Wohnversorgung des Kindes ist nicht gerechtfertigt. Vielmehr sind im Kindesunterhaltsrecht zur Vermeidung einer Doppelalimentierung tatsächlich „alle Wohnungskosten“ zu berücksichtigen. Auch in einem Fall, in dem der geldunterhaltspflichtige Elternteil die Kreditrückzahlungsraten für die von den Kindern bewohnte Wohnung trägt, ist als Grundlage für die Anrechnung der fiktive Mietwert dieser Wohnung heranzuziehen (RIS‑Justiz RS0123485).
Der Grund für die Anrechnung der Wohnversorgung als Naturalunterhalt liegt im Wesentlichen in der teilweise beim Unterhaltsberechtigten eintretenden Bedarfsdeckung ( Neumayr , iFamZ 2009/226). Auch wenn der unterhaltspflichtige Elternteil lediglich sein bloßes Eigentum dem Unterhaltspflichtigen zur Wohnversorgung zur Verfügung stellt, „leistet“ er aus eigenem Vermögen, indem er auf sonst erwirtschaftbare Mieterträgnisse verzichtet ( Gitschthaler , EF‑Z 2009/141, 220 [222 f]).
Von diesen Grundsätzen geht auch das Rekursgericht zunächst zutreffend aus. Soweit es jedoch unter Bezugnahme auf Schwimann/Kolmasch , Unterhaltsrecht 6 , 157 zum Ergebnis kommt, dass hier die Wohnversorgung des Kindes durch die Eltern nicht auch als Naturalunterhalt auf den von der Unterhaltspflichtigen zu leistenden Geldunterhalt anzurechnen ist, missversteht es offenbar die Auffassung dieser Autoren. Diese stützen sich zum einen auf Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs (2 Ob 39/08m und 2 Ob 169/05z), die mittlerweile ‑ nach Kritik von Neumayr (iFamZ 2009/226), Gitschthaler (EF‑Z 2009/141) und Kolmasch (Zak 2009/594) ‑ teilweise überholt sind (2 Ob 246/09d = EF‑Z 2011/42 [ Gitschthaler ]), zum anderen denken die Autoren offenbar an den Ausnahmefall, in dem der Unterhaltspflichtige bloßer Miteigentümer der vom unterhaltsberechtigten Kind benützten Wohnung ist, aber überhaupt keine Leistungen oder Aufwendungen für die Wohnung zu tragen hat, sodass ausnahmsweise davon auszugehen ist, dass die Bedarfsdeckung wirtschaftlich zur Gänze dem betreuenden Elternteil zuzurechnen sei. Dieser Ausnahmefall muss hier nicht näher erörtert werden, weil der betreuende Vater bis zuletzt darauf pocht, dass auch die unterhaltspflichtige Mutter als Hälfteeigentümerin verpflichtet ist, die mit der Liegenschaft in Verbindung stehenden Kosten zu tragen. Insoweit wurde in einer anderen Entscheidung erkannt, dass die Mutter doppelt belastet wäre, wenn die Anrechnung als Naturalunterhalt nur deshalb unterbliebe, weil sie keine Aufwendungen für die Liegenschaft trägt, sie aber zum anteiligen Rückersatz der vom betreuenden Vater als Hälfteeigentümer allein getragenen Kosten der gemeinsamen Liegenschaft verpflichtet wäre (vgl 4 Ob 142/06w).
2. Die ‑ vom Erstgericht im vorliegenden Fall noch zu ermittelnden ‑ fiktiven Mietkosten sind in der Regel nach Köpfen auf alle die Wohnung nutzenden Personen aufzuteilen (RIS‑Justiz RS0123487; insbesondere auch 4 Ob 203/10x mwN).
3. Schließlich ist es auch herrschende Rechtsprechung, dass dieser Naturalunterhalt grundsätzlich nur im angemessenen Umfang anzurechnen ist. Dem Unterhaltsberechtigten hat stets ein in Geld zu leistender Unterhalt zuzukommen, weil er von der Wohnung allein nicht leben kann (4 Ob 42/10w; 6 Ob 90/11w ua). Wo diese Angemessenheitsgrenze liegt, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (6 Ob 5/08s; 6 Ob 90/11w ua).
Da die Vorinstanzen ‑ ausgehend von ihrer vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht -entscheidungswesentliche Feststellungen zur Beurteilung des anrechenbaren Naturalunterhalts noch nicht getroffen haben, waren die Beschlüsse der Vorinstanzen ‑ soweit sie noch nicht in Rechtskraft erwachsen sind ‑ aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.
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