OGH 9Ob34/16i

OGH9Ob34/16i26.1.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat Dr. Hargassner und die Hofrätinnen Mag. Korn und Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers J* G*, vertreten durch Sattlegger, Dorninger, Steiner & Partner, Rechtsanwälte in Wien, gegen die Antragsgegnerin P* G*, geb* 1989, *, vertreten durch Mag. Manfred Aron, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 26. Jänner 2016, GZ 43 R 559/15x‑70, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 28. September 2015, GZ 6 Fam 3/14v‑63, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:E117229

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen, die hinsichtlich der Abweisung des Antrags auf Aufhebung der Unterhaltsverpflichtung für den Zeitraum 1. 10. 2013 bis 30. 11. 2013 unbekämpft in Rechtskraft erwachsen sind, werden im Übrigen dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:

Der Antragsteller wird beginnend mit 1. 12. 2013 von seiner Unterhaltspflicht für die Antragsgegnerin enthoben.

Die Antragsgegnerin ist schuldig, dem Antragsteller die mit 3.124,29 EUR (darin enthalten 519,25 EUR USt und 8,80 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten erster Instanz, sowie die mit 492,22 EUR (darin enthalten 77,70 EUR USt und 26 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Antragsgegnerin ist schuldig, dem Antragsteller die mit 665,16 EUR (darin 104,36 EUR USt und 39 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Der Antragsteller ist der Vater der Antragsgegnerin. Aufgrund eines Beschlusses des Bezirksgerichts Hietzing vom 19. 3. 2008 ist er zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 600 EUR verpflichtet.

Die Antragsgegnerin studierte zunächst im Wintersemester 2007/2008 und im Sommersemester 2008 Theaterwissenschaften. Im Wintersemester 2008/2009 begann sie dann das Studium der Architektur an der TU Wien. Für das Bachelorstudium beträgt die Regelstudiendauer 6 Semester als Vollzeitstudium. Der Arbeitsaufwand sind 180 ECTS‑Anrechnungspunkte. Die durchschnittliche Studiendauer beträgt 8,8 Semester. Für das Masterstudium beträgt die Regelstudiendauer 4 Semester. Der Arbeitsaufwand sind 120 ECTS‑Anrechnungspunkte, die durchschnittliche Studiendauer beträgt 5,4 Semester. Es besteht die Möglichkeit, schon während des Bachelorstudiums Prüfungen für das Masterstudium zu machen, weshalb für das Bachelorstudium sogar eine kürzere Studienzeit und für das Masterstudium eine längere Studienzeit angesetzt werden kann. Am 28. 11. 2014, sohin erst im 13. Semester schloss die Antragstellerin das Bachelorstudium erfolgreich ab und begann anschließend mit einem Masterstudium Architektur.

Der Antragsteller begehrte zunächst eine rückwirkende Unterhaltsbefreiung mit 1. 1. 2013 mangels zeitgerechten Studienerfolgs seiner Tochter. Dieses Begehren wurde in der Folge mehrfach modifiziert, zuletzt brachte der Antragsteller vor, dass die Unterhaltspflicht jedenfalls mit 28. 2. 2013 geendet habe. Die durchschnittliche Studiendauer sei überschritten. In den Semestern 3, 9 und 10 sei der Studienerfolg inakzeptabel bescheiden gewesen. Der Studienabschluss erst im 13. Semester sei daher weitaus verspätet. Daher bestehe auch keine Verpflichtung, während des Masterstudiums Unterhalt zu zahlen.

Die Antragsgegnerin sprach sich gegen eine Unterhaltsenthebung aus. 2013 habe sie entsprechende Prüfungen abgelegt, 2014 das Bachelorstudium Architektur abgeschlossen. Im Jahr 2009 habe sie eine Prüfung nicht bestanden, die Voraussetzung für die Ablegung weiterer Prüfungen gewesen sei. Zu dieser Prüfung habe sie erst ein Jahr später wieder antreten können, was eine Verzögerung des Studiums bewirkt habe. Nach dem Bachelorstudium habe sie mit dem Masterstudium begonnen. Der Studienerfolg ab Wintersemester 2013/2014 werde vom Antragsteller nicht bemängelt. Auch in der Folge habe sie zielstrebig studiert. Eine Unterhaltsverpflichtung könne wieder aufleben, wenn das zielstrebige Studieren nachgewiesen werde.

Das Erstgericht wies den Antrag des Antragstellers, ihn ab „1. 10. 2013“ von seiner Unterhaltsverpflichtung zu entheben, ab. Es sei von der Gesamtstudiendauer von 14,2 Semestern auszugehen, da bereits während des Bachelorstudiums Prüfungen für das Masterstudium abgelegt werden könnten. Der Antragsgegnerin könne zugemutet werden, das Studium bis Ende des Sommersemesters 2016 abzuschließen, womit ihr ein Toleranzjahr zugestanden werde, in dem sie die Zeit, die sie im Jahr 2012/2013 bzw durch das Nichtbestehen einer wichtigen Prüfung im Jahre 2009 verloren habe, aufholen könne.

Dem Rekurs des Antragstellers, mit dem er eine Unterhaltsbefreiung nur mehr ab 1. 12. 2013 begehrte, wurde vom Rekursgericht nicht Folge gegeben. Es teilte die Ansicht des Erstgerichts, dass von der Gesamtstudiendauer auszugehen sei. Bezogen auf den maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt habe die Antragsgegnerin ihr Studium mit ausreichender Intensität betrieben. Ausgehend von einer „intakten Familie“ würde sich die Entscheidung, ob ein Masterstudium an ein Bachelorstudium angeschlossen werde, an der Verbesserung der beruflichen Möglichkeiten des Kindes orientieren, wovon hier auszugehen sei.

Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht über Antrag des Antragsgegners nachträglich zu, da keine gesicherte Rechtsprechung zu einer „Vermischung“ von Bachelor‑ und Masterstudien bestehe.

Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Antragstellers mit dem Begehren, seinem Antrag auf Unterhaltsbefreiung ab 1. 12. 2013 Folge zu geben.

Die Antragsgegnerin beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist hier zur Klarstellung zulässig und auch berechtigt.

1. Der Unterhaltspflichtige hat zu einer höherwertigen weiteren Berufsausbildung seines Kindes beizutragen, wenn dieses die zum Studium erforderlichen Fähigkeiten besitzt, es ernsthaft und zielstrebig betreibt und dem Unterhaltspflichtigen nach seinen Einkommens‑ und Vermögensverhältnissen eine solche Beteiligung an den Kosten des Studiums möglich und zumutbar ist (RIS‑Justiz RS0047580). Ein den Lebensverhältnissen der Eltern und den Anlagen und Fähigkeiten des Kindes entsprechendes Studium schiebt somit den Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit hinaus (Gitschthaler, Unterhaltsrecht [2015] Rz 825 Pkt 2, 3).

Maßgeblich für die Beurteilung der Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit ist die durchschnittliche Dauer des Studiums, nicht die kürzestmögliche Studiendauer (vgl RIS‑Justiz RS0083694; RS0110596; 6 Ob 118/14t ua). Der Anspruch auf Unterhalt erlischt dabei auch dann nicht, wenn die durchschnittliche Studiendauer erreicht wird, jedoch besondere Gründe vorliegen, die ein längeres Studium gerechtfertigt erscheinen lassen (RIS‑Justiz RS0047687; 3 Ob 116/02h mwN).

2. Von der Rechtsprechung wurde teilweise zwischen Studien, die in Studienabschnitte gegliedert sind und solchen, bei denen das nicht der Fall ist, differenziert. Für Studien mit einzelnen Studienabschnitten wird teilweise die Auffassung vertreten, dass der Unterhaltspflichtige nicht schon deshalb von seiner Unterhaltspflicht zur Gänze befreit ist, weil das Kind in einzelnen Abschnitten der als angemessen zu betrachtenden Studiendauer das Studium nicht ernsthaft und zielstrebig betrieben hat. Er sei auch dann bis zum Ende der durchschnittlichen Studiendauer zu Unterhaltszahlungen verpflichtet, wenn wahrscheinlich sei, dass das Kind das Studium nicht innerhalb dieses Zeitraums beenden werde, weil nicht einzusehen ist, warum der Unterhaltspflichtige schon deshalb in seiner Unterhaltspflicht zur Gänze befreit werden müsste, weil das Kind in einzelnen Abschnitten der als angemessen zu betrachtenden Studiendauer das Studium nicht ernsthaft und zielstrebig betrieben habe, zumal er für diesen Abschnitt dann ohnehin keinen Unterhalt zu leisten habe (3 Ob 116/02h mwN). Damit wird eine grundsätzliche Unterhaltspflicht jedenfalls für die durchschnittliche Studiendauer angenommen, wobei eine Befreiung für jene Perioden zusteht, in denen das Kind nach einer ex post‑Betrachtung nicht ernsthaft und zielstrebig studierte (vgl auch RIS‑Justiz RS0110600).

Fehlt eine Gliederung in Studienabschnitte, so muss die erforderliche Kontrolle des periodischen Studienfortgangs jedenfalls durch eigenständige Beurteilung der vom Unterhaltswerber erbrachten Leistungen erfolgen (RIS‑Justiz RS0120928).

Aber auch bei den in Studienabschnitten gegliederten Studien wurde vertreten, dass eine laufende Überprüfung der Zielstrebigkeit der Betreibung des Studiums keineswegs ausgeschlossen sei. Die Gegenauffassung würde dazu führen, dass man dem Unterhaltsberechtigten zu Lasten des Unterhaltspflichtigen für die teilweise erhebliche Dauer eines Studienabschnitts einen völligen Freibrief ausstellen würde (6 Ob 118/14t).

3. Im konkreten Fall kommt es aber auf den Studienerfolg in „einzelnen Abschnitten“ deshalb nicht an, weil entgegen der Auffassung der Vorinstanzen die Studiendauer für das Bachelorstudium und das Masterstudium getrennt zu beurteilen sind.

Aus § 51 Abs 2 Z 4 und 5 des Universitätsgesetzes 2002 BGBl I 2002/120 ergibt sich, dass Bachelor‑ und Masterstudium jeweils ordentliche Studien sind, wobei Bachelorstudien als ordentliche Studien definiert werden, die der wissenschaftlichen und künstlerischen Berufsvorbildung und der Qualifizierung für berufliche Tätigkeiten dienen, welche die Anwendung wissenschaftlicher und künstlerischer Erkenntnisse und Methoden erfordern. Diese Studien erfüllen die Anforderungen des Art 11 lit d der Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen, 2005/36/EG . Das Bachelorstudium ist daher als selbständiges ordentliches Studium zu betrachten, weshalb bei der Beurteilung, ab wann der Antragsteller von seiner Unterhaltspflicht enthoben ist, auf die durchschnittliche Studiendauer des Bachelorstudiums abzustellen ist (vgl 3 Ob 69/14i).

Der von den Vorinstanzen zur Begründung der Zusammenrechnung herausgestrichenen Möglichkeit, Prüfungen für das Masterstudium schon während des Bachelorstudiums ablegen zu können, kommt im vorliegenden Fall keine Bedeutung zu. Zwar ist nicht grundsätzlich auszuschließen, dass bei einem derart „vorweggenommenen“ Masterstudium eine Verlängerung der Dauer des Bachelorstudiums als berechtigt angesehen werden kann, die Antragsgegnerin hat jedoch nach ihrem eigenen Vorbringen (vgl ON 7) von dieser Möglichkeit gar keinen Gebrauch gemacht, wie sich auch aus den erreichten ECTS‑Punkten ergibt. Zu einer Überschneidung von Bachelor‑ und Masterstudium kam es erstmals im Wintersemester 2014/2015. Die Dauer des Bachelorstudiums steht daher in keinem Zusammenhang mit Bemühungen im Rahmen des Masterstudiums.

Es ist daher auch hier von der durchschnittlichen Studiendauer von 8,8 Semestern auszugehen. Der Enthebungsanspruch des Antragstellers bezieht sich zur Gänze auf danach liegende Zeiträume.

Das Verfahren hat entgegen der Ansicht der Vorinstanzen auch keine Umstände ergeben, die eine Überschreitung der durchschnittlichen Studiendauer rechtfertigen könnten. Das Nichtbestehen einer Prüfung stellt keinen solchen Grund dar, richtet sich doch der Unterhaltsanspruch nicht nach der Regelstudiendauer, sondern der durchschnittlichen Studiendauer. Die Antragsgegnerin selbst verweist darauf, dass eine Vielzahl ihrer Kommilitonen diese Prüfung ebenfalls nicht bestanden hat, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass solche Negativergebnisse ohnehin Einfluss auf die Durchschnittsstudiendauer haben. Darüber hinaus ergibt sich aus den Feststellungen, dass trotz der mit einem solchen negativen Prüfungserfolg verbundenen Verzögerung des Studiums das Ablegen von Prüfungen in Wahlfächern und Softskills ungehindert möglich ist.

Auch die von der Antragsgegnerin angesprochene psychische Beeinträchtigung durch das belastete Verhältnis zum Vater wird erst mit dem Versuch der Kontaktaufnahme und anschließender Antragstellung im Jahr 2014 begründet. Die Einhaltung der durchschnittlichen Studiendauer hätte jedoch eine Beendigung des Studiums bereits im Wintersemester 2012/2013 bedeutet.

Da aber im Regelfall der Anspruch auf Unterhalt erlischt, wenn die durchschnittliche Studiendauer erreicht wird und nicht besondere Gründe vorliegen, die ein längeres Studium gerechtfertigt erscheinen lassen (RIS‑Justiz RS0047687 [T1]), derartige Gründe wie ausgeführt im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden konnten, ist daher davon auszugehen, dass jedenfalls ab Dezember 2013, also dem vom Revisionsrekurs umfassten Zeitraum, kein Unterhaltsanspruch mehr bestand.

4. Es entspricht nun zwar der Rechtsprechung, dass auch das Masterstudium noch unmittelbar der Berufsvorbildung dient, weshalb die entwickelten Anforderungen für das Doktoratsstudium nicht in voller Strenge darauf übertragen werden können. Entscheidend ist vielmehr, dass auch das Masterstudium noch unmittelbar der Berufsvorbildung dient (RIS‑Justiz RS0101996; 6 Ob 92/08k). Im Fall der Antragsgegnerin, die bereits beim Bachelorstudium die durchschnittliche Studiendauer nicht unbeträchtlich überschritten hat, stellt sich aber unter Berücksichtigung der bei Beurteilung der Unterhaltspflicht zur Orientierung heranzuziehenden Verhältnisse einer „intakten Familie“ (vgl RIS‑Justiz RS0107722 [T4]) die Frage der Zumutbarkeit einer Finanzierung des Masterstudiums nicht (vgl 3 Ob 69/14i). Die Antragsgegnerin hat erst 15 Semester nach dem Schulabschluss (2 Semester Theaterwissenschaften und 13 Semester Architektur) ein (Bachelor‑)Studium erfolgreich absolviert. Nach ihren eigenen Angaben plant sie ihr Masterstudium erst im Sommer 2017 abzuschließen, geht also auch dabei schon in der Vorausschau als Minimum von der Durchschnittsstudiendauer aus, weshalb insgesamt nicht von der im Hinblick auf die bisherige Ausbildungsdauer zu fordernden besonderen Zielstrebigkeit im weiteren Studienverlauf ausgegangen werden kann.

5. Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher dahin abzuändern, dass dem Antrag des Vaters auf Unterhaltsenthebung ab Dezember 2013 stattzugeben war. Auf die übrigen im Revisionsrekurs angesprochenen Rechtsfragen kommt es daher nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 78 AußStrG.

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