OGH 9Ob101/03y

OGH9Ob101/03y31.3.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Dominik S*****, geboren am 6. April 1993, *****, infolge Revisionsrekurses des Kindes, vertreten durch den Freistaat Bayern, dieser vertreten durch das Land Salzburg, Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung, Jugendwohlfahrt, Karl-Wumb-Straße 17, 5020 Salzburg, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgericht vom 28. Mai 2003, GZ 21 R 185/03g-7, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichtes Oberndorf bei Salzburg vom 15. April 2003, GZ 1 P 121/02m-1, aus Anlass des Rekurses des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichtes Linz, als nichtig aufgehoben und der Antrag des Kindes auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach §§ 3, 4 Z 1 UVG zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Rekursgerichtes wird aufgehoben. Dem Rekursgericht wird die Durchführung des gesetzlichen Verfahrens über den Rekurs unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Text

Begründung

Der mj. Antragsteller ist deutscher Staatsangehöriger und lebt bei seiner Mutter in Deutschland. Der in Österreich in S***** wohnhafte außereheliche österreichische Vater ist auf Grund eines vor dem Amtsgericht L***** abgeschlossenen Vergleiches vom 7. 6. 2000 und des abändernden Beschlusses des Amtsgerichtes L***** vom 4. 7. 2001 zu Unterhaltszahlungen an den Minderjährigen verpflichtet. Mit seinem an das Erstgericht gerichteten Antrag vom 16. 12. 2002 begehrte der Minderjährige unter Berufung auf das Urteil des EuGH vom 5. 2. 2002, C-255/99 (Humer) Unterhaltsvorschüsse nach §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von monatlich EUR 220,37. Die Exekution gegen den Kindesvater auf das Arbeitseinkommen habe, auch unter Anrechnung hereingebrachter Rückstände auf den laufenden Unterhalt, diesen für die letzten sechs Monate vor Antragstellung nicht gedeckt. Die Führung einer (weiteren) Exekution sei aussichtslos. Die vom Freistaat Bayern gewährten Unterhaltsvorschussleistungen seien zum 5. 5. 2001 wegen Ablauf der Höchstzahlungsdauer eingestellt worden. Das Erstgericht bewilligte den Antrag und gewährte monatliche Unterhaltsvorschüsse von EUR 220,37 für die Zeit vom 1. 12. 2002 bis 30. 11. 2005 nach §§ 3, 4 Z 1 UVG.

Das Rekursgericht hob aus Anlass des Rekurses des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichtes Linz, den erstgerichtlichen Beschluss als nichtig auf und wies den Antrag des Kindes auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach §§ 3, 4 Z 1 UVG wegen fehlender inländischer Gerichtsbarkeit zurück. Gemäß § 110 JN sei für die in § 109 JN genannten außerstreitigen Angelegenheiten die inländische Gerichtsbarkeit gegeben, wenn der Minderjährige oder sonstige Pflegebefohlene österreichischer Staatsbürger sei oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder - soweit es um dringende Maßnahmen gehe - zumindest seinen Aufenthalt oder Vermögen im Inland habe, soweit es um dieses Vermögen betreffende Maßnahmen gehe. Keiner dieser Anknüpfungspunkte sei hier gegeben. Auch in bi- und multilateralen Abkommen fänden sich, soweit überblickbar, keine Sondervorschriften, die eine staatsvertragliche Verpflichtung Österreichs zur Ausübung der Gerichtsbarkeit in Unterhaltsvorschusssachen für Minderjährige, die weder österreichische Staatsbürger seien noch einen (gewöhnlichen) Aufenthalt in Österreich haben, statuieren würden. Die Brüssel I-Verordnung regle die inländische Gerichtsbarkeit für das Erkenntnis- und Provisorialverfahren, und zwar zwischen Unterhaltspflichtigen und Unterhaltsberechtigten; dazu könne aber das Unterhaltsvorschussverfahren nicht gezählt werden. Mangels inländischer Gerichtsbarkeit sei nicht zu prüfen, ob die materiellen Voraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen vorliegen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat im Anschluss an die Entscheidungen des EuGH vom 15. 3. 2001, C-85/99 (Offermanns), und 5. 2. 2002, C-255/99 (Humer), wiederholt ausgesprochen, dass die Regelung des § 2 Abs 1 UVG, die den Kreis der vorschussberechtigten Personen bestimmt, im Verhältnis zu den Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 unvollständig ist. Die Art 73 und 74 dieser - auch im innerstaatlichen Rechtsbereich unmittelbar anzuwendenden - Verordnung seien so auszulegen, dass ein minderjähriges Kind, das zusammen mit dem sorgeberechtigten Elternteil in einem anderen als dem die Leistung erbringenden Mitgliedstaat wohnt und dessen anderer, zu Unterhaltszahlungen verpflichteter Elternteil in dem die Leistung erbringenden Mitgliedstaat tätiger oder arbeitsloser Arbeitnehmer ist, Anspruch auf eine Familienleistung wie den Unterhaltsvorschuss nach dem UVG habe (1 Ob 86/01f; 7 Ob 39/02i ua). Ein unterhaltsberechtigter Minderjähriger habe nach diesen Normen des Gemeinschaftsrechts trotz Fehlens eines gewöhnlichen Aufenthalts in Österreich entgegen § 2 Abs 1 UVG Anspruch auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen, sofern sein Vater in Österreich berufstätig oder aber arbeitslos ist und Arbeitslosengeld bezieht. Voraussetzung sei nicht eine berufliche Tätigkeit oder Beschäftigungslosigkeit des in einen Mitgliedstaat der Gemeinschaft verzogenen obsorgeberechtigten Elternteils, vielmehr genüge es, dass der im Inland verbleibende andere Elternteil berufstätig oder beschäftigungslos ist. Ob die Eltern verheiratet oder verheiratet gewesen sind, sei nicht entscheidungswesentlich (1 Ob 289/01h). Zutreffend verweist der Revisionsrekurswerber darauf, dass die Gewährung materieller Ansprüche nach dem UVG auch die inländische Gerichtsbarkeit nach sich ziehen müsse. Auch wenn in Österreich ungeachtet der neueren Judikatur des EuGH zum Kreis der Anspruchsberechtigten weder die Bestimmungen des UVG noch jene der Verfahrensgesetze entsprechend angepasst worden seien, müssten bestehende Gesetzeslücken in der Weise gefüllt werden, dass die Gerichte im Hinblick auf die materiellrechtliche Lage in den fraglichen Fällen die inländische Gerichtsbarkeit als gegeben erachten.

Aus den verfahrensrechtlichen Bestimmungen des UVG ist abzuleiten, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass über Anträge auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach dem österreichischen UVG von österreichischen Gerichten zu erkennen ist (vgl §§ 10, 34 UVG); auch die dem Präsidenten des Oberlandesgerichts eingeräumte verfahrensrechtliche Stellung (vgl §§ 14, 15 Abs 1, 32 UVG) setzt ersichtlich ein Verfahren vor einem österreichischen Gericht voraus, zumal auch die Auszahlung der Vorschüsse durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts zu verfügen ist (§ 13 Abs 1 Z 3, § 17 Abs 1 UVG). Es erschiene daher problematisch, den Antragsteller darauf zu verweisen, Unterhaltsvorschüsse nach den Bestimmungen des österreichischen UVG in einem Verfahren vor dem (ausländischen) Pflegschaftsgericht seines Wohnsitzes zu begehren (1 Ob 199/03a; 2 Ob 199/03h).

Darüber hinaus ist nicht zu übersehen, dass § 110 Abs 1 JN das Vorliegen der österreichischen inländischen Gerichtsbarkeit nicht ausschließlich von der (österreichischen) Staatsbürgerschaft bzw vom Aufenthalt des Pflegebefohlenen im Inland abhängig macht. Nach § 110 Abs 1 Z 3 JN liegt die inländische Gerichtsbarkeit auch dann vor, wenn der Pflegebefohlene Vermögen im Inland hat, soweit es um dieses Vermögen betreffende Maßnahmen geht. Nach den - durch Vorlage entsprechender Urkunden bescheinigten - Behauptungen des Antragstellers besitzt er einen Unterhaltsanspruch in Höhe von monatlich EUR 228 gegen seinen in S***** wohnhaften Vater. Damit ist die Voraussetzung des inländischen Vermögens erfüllt, weil bei Forderungen der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt des Schuldners als der Ort gilt, an dem sich das Vermögen befindet (§ 99 Abs 2 Satz 1 JN). Da § 1 UVG bestimmt, dass der Bund auf den gesetzlichen Unterhalt minderjähriger Kinder Unterhaltsvorschüsse zu gewähren hat, kann - jedenfalls bei auch den europarechtlichen Aspekt einschließender verfassungskonformer Interpretation - durchaus gesagt werden, dass die Geltendmachung von Unterhaltsvorschüssen eine Maßnahme darstellt, die das im Unterhaltsanspruch bestehende Vermögen des Minderjährigen betrifft (1 Ob 199/03a; 2 Ob 199/03h). Da somit die Tatbestandsvoraussetzungen des § 110 Abs 1 Z 3 JN erfüllt sind, ist die inländische Gerichtsbarkeit gegeben.

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