European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:008OBS00009.16F.1125.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird mit der Maßgabe bestätigt, dass der Spruchpunkt 2. der erstinstanzlichen Entscheidung zu lauten hat:
„ 2. Der geltend gemachte Anspruch der Klägerin auf Insolvenz-Entgelt für Beiträge gemäß § 6 BMSVG aus dem vom 1. Mai 2004 bis 11. Oktober 2013 bestandenen Dienstverhältnis zur A***** GmbH bzw T***** GmbH besteht für die Zeit vom 4. 7. 2011 bis 31. 12. 2011 nach Maßgabe der §§ 13d iVm 13a IESG zu Recht. “
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war ab 1. 5. 2004 als kaufmännische Angestellte bei der späteren Schuldnerin beschäftigt. Ihr Dienstverhältnis endete durch berechtigten vorzeitigen Austritt am 11. 10. 2013, nachdem am 4. 7. 2013 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Dienstgeberin eröffnet worden war.
Die Klägerin begehrte zunächst die mit Bescheid der Beklagten abgelehnte Zahlung von Insolvenz-Entgelt für Beiträge zur Mitarbeitervorsorgekasse vom 1. 6. 2004 bis 31. 12. 2011, zuzüglich Zinsen, (zuletzt) 6.167,55 EUR. Sie mache einen Schadenersatzanspruch iSd § 1 Abs 2 IESG geltend, weil die Dienstgeberin bis 31.12.2011 gesetzwidrig keine Beiträge zu einer Mitarbeitervorsorgekasse für sie bezahlt habe.
In der mündlichen Streitverhandlung dehnte sie ihr Begehren um die Eventualfeststellung aus, dass ihr Anspruch auf Insolvenz-Entgelt für Beiträge zur Mitarbeitervorsorgekasse vom 1. 6. 2004 bis 31. 12. 2011 in Höhe von 4.718,83 EUR nach Maßgabe der § 13d iVm § 13a IESG zu Recht bestehe.
Die Beklagte stellte die Nichtzahlung der Beiträge durch die Dienstgeberin einschließlich der Höhe des im Eventualbegehren genannten Betrags außer Streit. Der Klägerin stehe jedoch kein Anspruch auf Auszahlung von Beiträgen zur Mitarbeitervorsorgekasse zu. Für das Eventualbegehren sei mangels sukzessiver Kompetenz des Arbeits- und Sozialgerichts der Rechtsweg unzulässig. Ein Schaden sei der Klägerin nicht entstanden.
Das Erstgericht wies das Zahlungsbegehren ab und gab dem Eventualbegehren der Klägerin statt. Ein Auszahlungsanspruch der Klägerin bestehe nicht, die Beklagte sei aber verpflichtet, das Insolvenz-Entgelt für die nicht entrichteten Beiträge im Verwaltungsweg an den zuständigen Sozialversicherungsträger weiterzuleiten. Dem Feststellungsbegehren stünden die Regeln über die sukzessive Kompetenz nicht entgegen.
Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Beklagten keine Folge und bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung mit der Maßgabe, dass es dem Spruch eine durch Weglassen des Betrags und Beitragszeitraums verdeutlichte Fassung gab. Der Oberste Gerichtshof habe in seiner Entscheidung 8 ObS 5/09g die Rechtswegzulässigkeit für ein Feststellungsbegehren des Arbeitnehmers in einem vergleichbaren Sachverhalt bejaht. Die ordentliche Revision sei aber zulässig, weil Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen den im gerichtlichen Verfahren und den im vom Sozialversicherungsträger bzw zwischen diesem und dem Insolvenz-Entgeltfonds abzuführenden Verfahren zu behandelnden Themen fehle.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie die Abweisung auch des Eventualbegehrens anstrebt. Die Klägerin hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil zu den darin angesprochenen Rechtsfragen noch keine gefestigte höchstgerichtliche Rechtsprechung besteht, sie ist aber nicht berechtigt.
1. Beide Vorinstanzen haben in ihren Entscheidungen die Zulässigkeit des Rechtswegs für das Eventualbegehren im Sinne der sukzessiven Kompetenz bejaht. Dem Obersten Gerichtshof ist deshalb eine neuerliche Behandlung dieser Frage im Anlassfall verwehrt (RIS‑Justiz RS0042925 [T10]; RS0043405), selbst wenn die vorgebrachten Argumente Anlass für eine eingehendere inhaltliche Auseinandersetzung geboten hätten.
2. Die Revision vertritt weiterhin den Standpunkt, der Klägerin fehle ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung, weil ohnehin unstrittig sei, dass die Beklagte nach Maßgabe der §§ 13a und 13d IESG für den Zeitraum von zwei Jahren vor der Insolvenzeröffnung Beiträge an den zuständigen Sozialversicherungsträger abzuführen haben werde. Dieser Einwand ist nicht berechtigt.
Das rechtliche Interesse an einer begehrten Feststellung muss aus Sicht der klagenden Partei geprüft werden; ob ein hinreichendes rechtliches Interesse zu bejahen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0039177 [T1]).
Gemäß § 13a Abs 1 IESG umfasst der „Anspruch des Anspruchsberechtigten“ auch die auf den Dienstnehmer entfallenden Beitragsanteile zur gesetzlichen Sozialversicherung. Nach § 13d Abs 1 IESG gilt § 13a leg cit für die vom Arbeitgeber zu leistenden Beiträge gemäß § 6 BMSVG oder nach gleichartigen österreichischen Rechtsvorschriften mit der Maßgabe, dass an die Stelle der Dienstnehmerbeitragsanteile zur gesetzlichen Sozialversicherung die BV‑Kassenbeiträge treten.
Die §§ 3 Abs 1, 13a, 13d Abs 1 IESG räumen dem Arbeitnehmer in einem bestimmten Bereich einen Anspruch auf Insolvenz-Entgelt ein, aber weder einen (direkten) Zahlungsanspruch (vgl 8 ObS 5/09g), noch eine Parteistellung im Verwaltungsverfahren zwischen den Versicherungsträgern. Das rechtliche Interesse der Klägerin ergibt sich aus dem Umstand, dass im vorliegenden Verfahren zwar nicht dem Grunde nach eine Leistungspflicht der Beklagten strittig war, wohl aber der konkrete Leistungszeitraum; diese Frage kann zwischen den Streitteilen nur durch eine Feststellung geklärt werden. Die getroffene Feststellung beschränkt sich auch nicht auf eine bloße Wiedergabe der Rechtslage, sondern bezieht sich auf einen individuell-konkreten Anspruch.
3. Den Revisionsausführungen ist darin beizupflichten, dass ein Rechtsverhältnis oder Recht, das durch eine gerichtliche Entscheidung festgestellt werden soll, in einem Rechtsbereich seinen Ursprung haben muss, der dem Privatrecht im weitesten Sinne zugeordnet ist. Dies trifft auf die Beiträge nach dem BMSVG nach § 13d iVm § 13a IESG aber zu, weil es sich nach der genannten gesetzlichen Definition um einen eigenen Anspruch des „Anspruchsberechtigten“ iSd § 1 Abs 1 IESG handelt und Streitigkeiten über Ansprüche auf Insolvenz-Entgelt nach § 10 IESG ausdrücklich den Arbeits‑ und Sozialgerichten zugewiesen sind. Aus dieser Gesetzesstelle ergibt sich auch die von der Revision bezweifelte Passivlegitimation der beklagten Partei.
4. Zu Recht weist die Revision aber auf die Notwendigkeit einer Verdeutlichung der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellung bezüglich des Leistungszeitraums hin.
Die nach § 13a Abs 2 IESG gesicherten Beitragsanteile umfassen zwar nicht nur offene Rückstände, sondern auch laufende Beitragsanteile, die auf die gesicherten (sonstigen) Ansprüche nach § 1 Abs 2 IESG entfallen. Die Klägerin hat ihr Feststellungsbegehren allerdings auf den Zeitraum bis zum 31. 12. 2011 beschränkt, sodass einer darüber hinaus reichenden Feststellung die Bestimmung des § 405 ZPO entgegensteht. Der im vorliegenden Verfahren festzustellende Anspruchszeitraum beginnt unter Berücksichtigung des Datums der Insolvenzeröffnung nach §§ 13a Abs 2 IESG am 4. 7. 2011 und endet mit 31. 12. 2011. Dementsprechend war zur Klarstellung der Rechtslage der Spruch des Berufungsgerichts neu zu fassen.
Eine Kostenentscheidung entfällt, da sich die Klägerin am Revisionsverfahren nicht beteiligt hat (§ 77 Abs 1 ASGG).
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