European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBA00094.20M.1023.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
1. Die Klägerin räumt ein, dass die Bestimmung des § 13 Abs 4 der Statuten des beklagten Vereins den Obmann dazu berechtigt, bei Gefahr in Verzug auch in Angelegenheiten, die in den Wirkungsbereich der Generalversammlung oder des Vorstands fallen, unter eigener Verantwortung selbständig Anordnungen zu treffen, und zwar ohne an die Formvorschrift des § 13 Abs 3 der Statuten gebunden zu sein. Das Berufungsgericht hat – ausgehend von der Feststellung des Erstgerichts, dass der Obmann „absolute Gefahr in Verzug“ sah, wäre die Klägerin für die Dauer der Kündigungsfrist weiterbeschäftigt worden – den Ausspruch der Entlassung der Klägerin per 22. 10. 2019 (auch) unter diesen Kompetenztatbestand subsumiert. Gegen diese – einzelfallbezogene – Beurteilung wendet die Klägerin nur ein, es sei keine reelle Gefahr eines Schadenseintritts mit der Weiterbeschäftigung der Klägerin im Betrieb verbunden gewesen. Damit vermag sie aber angesichts der zur Entlassung führenden Vorfälle keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht aufzuzeigen. Auf die weiteren Ausführungen der Klägerin, dass eine nach außen hin rechtswirksame Entlassungserklärung gemäß § 13 Abs 3 der Satzung der Unterschrift eines weiteren Vorstandsmitglieds bedurft hätte und die anderslautende Ansicht des Berufungsgerichts unrichtig sei, muss daher nicht eingegangen werden.
Rechtliche Beurteilung
2.1 Ob der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit im Sinn des § 27 Z 1 letzter Fall AngG vorliegt, kann nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalls beurteilt werden. Die Frage begründet daher – von Fällen einer auffallenden Fehlbeurteilung abgesehen – keine Rechtsfrage von der Bedeutung des § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0103201; RS0106298 [T9]).
2.2 Die Vorinstanzen haben der Klägerin übereinstimmend angelastet, dass sie nach den Feststellungen bei einem Ausflug mit 15 bis 20 der ihr anvertrauten Kindergartenkinder zu einer Märchengrottenbahn am 15. 10. 2019 zwar zwei Kinder wahrnahm, die neben den Gleisen stehen geblieben waren, um den Zug zu betrachten, aber, ohne darauf zu reagieren, mit der Gruppe weiterging, obwohl sie sich als Betreuerin am Ende der Gruppe befand. Zudem bemerkte die Klägerin am 18. 10. 2019 schon beim Mittagessen um 12:15 Uhr einen Fäkalgeruch bei einem Kind, ohne sich bis ca 14:00 Uhr der Sache anzunehmen. Nachdem sie das Kind dann doch kontrolliert und festgestellt hatte, dass es sich tatsächlich intensiv eingestuhlt hatte, unternahm die Klägerin nichts weiter, sondern wandte sich mit einer Feuchttuchpackung an eine andere Kinderbetreuerin, die gerade mit einer Mutter sprach, und sagte: „Mach du das.“
2.3.1 Die Beurteilung, dass dieses Verhalten der Klägerin nach den gewöhnlichen Anschauungen der beteiligten Kreise als so schwerwiegend angesehen werden muss, dass das Vertrauen des beklagten Arbeitgebers derart heftig zerrüttet wird, dass ihm eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann (RS0029323), zumal sich der Betreiber eines Kindergartens bei der Dienstverrichtung seiner Angestellten uneingeschränkt darauf verlassen können muss, dass die Betreuung und Fürsorge der bei ihm untergebrachten Kinder mit allen sich daraus ergebenden Verpflichtungen gewährleistet ist, bewegt sich im Rahmen des den Vorinstanzen zukommenden Ermessensspielraums. Dabei schlägt zum Nachteil der Klägerin aus (vgl RS0029833 [T26]), dass sie schon vor den beiden Vorfällen ihre Aufgaben unzulänglich erfüllte, weil sie es – wie festgestellt – mehrfach unterließ, sich um weinende Kinder zu kümmern und sie zu trösten, oder die Kinder persönlich zu beaufsichtigen.
2.3.2 Die Klägerin führt dagegen ins Treffen, dass beim ersten Vorfall zu keinem Zeitpunkt eine ernsthafte Gefahrenlage bestanden habe, verkennt dabei allerdings, dass die von ihr verletzte Aufsichtspflicht als Letzte in der Gruppe gerade darauf abzielt, dem Eintritt einer Gefahr im Zusammenhang mit hinter der Gruppe zurückbleibenden Kindern vorzubeugen. Daran ändert auch nichts, dass zwei weitere Begleitpersonen am Anfang und in der Mitte der Ausflugsgruppe zugegen waren, die in der Situation hätten eingreifen können und konkret auch eingreifen mussten, um die Kinder wieder zur Gruppe zu holen, weil die Klägerin ihren Pflichten nicht nachkam.
2.3.3 Zum zweiten Vorfall vertritt die Klägerin die Meinung, sie habe davon ausgehen können, dass Kinder ab dem vollendeten dritten Lebensjahr bereits sauber seien, dass das betroffene sechsjährige Kind wohl in der Lage gewesen sei, selbständig die Sanitäranlagen aufzusuchen, und im Fall der Fälle die Reinigung eines Kindes überdies Aufgabe des Hilfspersonals sei.
Die Klägerin übersieht die Feststellungen, dass laut Punkt 4. ihres Dienstvertrags dem Arbeitgeber die vorübergehende oder dauernde Heranziehung zu auch geringwertigen Aufgaben ausdrücklich vorbehalten blieb, sie bereits anlässlich des Einstellungsgesprächs darauf hingewiesen wurde, dass sie bei Bedarf ein Kind zu reinigen habe, und anlässlich einer Teamsitzung Anfang Oktober 2019 in ihrer Anwesenheit auch noch einmal besprochen wurde, dass „jeder für alles zuständig“ sei. Warum von ihr vor diesem Hintergrund die Reinigung des eingestuhlten Kindes nicht hätte erwartet werden dürfen, ist nicht nachvollziehbar. Im Übrigen ist ihr vom Berufungsgericht in erster Linie nicht ihre Weigerung vorgeworfen worden, das Kind zu säubern, sondern dass sie trotz der durch den Geruch stark indiziert misslichen Lage des Kindes nahezu zwei Stunden untätig blieb und das Kind weiter das Mittagessen einnehmen und es auch noch die Mittagsrast antreten ließ.
3. Eine Entlassung aus dem Grund der Vertrauensunwürdigkeit ist – wie bereits das Berufungsgericht ausgeführt hat – nicht von ihrer vorherigen Androhung abhängig (8 ObA 36/14y). Die von der Klägerin in ihrer Revision zum Entlassungstatbestand der beharrlichen Pflichtverletzung zitierte Rechtsprechung (9 ObA 103/00p ua) ist nicht einschlägig.
4. Ob eine Entlassung rechtzeitig oder verspätet vorgenommen wurde, lässt sich ebenfalls nur nach den Umständen des einzelnen Falls richtig beurteilen (RS0031571). Auch in diesem Zusammenhang zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf:
Hier hat das Berufungsgericht berücksichtigt, dass der Obmann an einem Freitag von dem Vorfall mit dem angestuhlten Kind und am darauffolgenden Samstag von dem Vorfall in der Märchengrottenbahn erfuhr und der Klägerin den Entlassungsentschluss mit Dienstag schriftlich mitteilen ließ, nachdem sie sich am Montag krank gemeldet hatte und er am Montagabend noch eine Rechtsberatung eingeholt hatte. Aus den schon vorab per WhatsApp und E-Mail an die Klägerin übermittelten Erklärungen des Obmanns, das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung „innerhalb der Probezeit“ per 22. 10. 2019 aufzulösen, will die Klägerin nichts anderes als einen Verzicht des Arbeitgebers auf das Entlassungsrecht ableiten. Einen solchen legt eine fristlose Auflösungserklärung aber nun gerade nicht nahe (vgl RS0029249).
5. Die außerordentliche Revision der Klägerin war daher zurückzuweisen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)