OGH 8ObA53/11v

OGH8ObA53/11v30.8.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter MR Dr. Richard Warnung und Dr. Gerda Höhrhan-Weiguni als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A***** S*****, vertreten durch Freimüller Obereder Pilz & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei W***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Anfechtung einer Kündigung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Juni 2011, GZ 10 Ra 30/11x-37, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1.1 Die Vorinstanzen haben die Grundsätze für das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes im Fall einer wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigenden Kündigung durch personenbezogene Gründe iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG zutreffend dargelegt.

Demnach können nach ständiger Rechtsprechung als personenbezogene Kündigungsrechtfertigungsgründe auch Krankenstände herangezogen werden (RIS-Justiz RS0051801). In der Entscheidung 8 ObA 25/02p wurde dazu darauf hingewiesen, dass ein ununterbrochener Krankenstand von 8 Monaten nach einem Arbeitsunfall üblicherweise auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr in Kauf genommen werde. Nach der Entscheidung 9 ObA 120/91 gilt dies ebenso für laufende Krankenstände im Ausmaß von rund 27 % der möglichen Arbeitszeit und nach der Entscheidung 9 ObA 31/94 für Krankenstände im Ausmaß von 126 Krankentagen, wenn auch in Zukunft mit derartigen wiederholten Krankenständen zu rechnen ist.

Die Rechtsprechung zur Dienstunfähigkeit kann für die Beurteilung überhöhter Krankenstände als personenbezogener Rechtfertigungsgrund für eine wesentliche Interessen beeinträchtigende Kündigung durchaus als Richtschnur herangezogen werden. Dies ergibt sich daraus, dass auch im Zusammenhang mit dem allgemeinen Kündigungsschutz die Rechtfertigung der Kündigung wegen längerer Krankenstände darin gesehen wird, dass wegen des vertretungsweise nicht mehr bewältigbaren Leistungsausfalls und der mangelnden Einsetzbarkeit der Arbeitskraft der Betrieb beeinträchtigt wird (vgl 8 ObA 178/00k). Aus diesem Grund rechtfertigen grundsätzlich auch mehrmalige Krankenstände in der Dauer von 7 Wochen pro Jahr eine wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigende Kündigung (RIS-Justiz RS0113471; 8 ObA 9/08v).

1.2 Kommen überhöhte Krankenstände als Kündigungsrechtfertigungsgrund in Betracht, so muss der Arbeitgeber eine Zukunftsprognose über die weitere Arbeitsfähigkeit des betroffenen Arbeitnehmers anstellen, die im zeitlichen Zusammenhang mit dem Kündigungszeitpunkt zu erstellen ist (vgl RIS-Justiz RS0051772; 8 ObA 48/08d). Entscheidend ist, dass ein verständiger und sorgfältiger Arbeitgeber bei objektiver Betrachtung (vgl Burgstaller, Krankheit und Kündigung, ZAS 2003/29, 163 [169]) berechtigt davon ausgehen kann, dass Krankenstände in erhöhtem Ausmaß mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft zu erwarten sind. Eine ungünstige Prognose kann etwa aus der anhaltend steigenden Zahl der Krankheitstage bei regelmäßigen Krankenständen oder aus einer objektivierten Verschlechterung des Grundleidens abgeleitet werden (vgl RIS-Justiz RS0081880).

Bei der Beurteilung ist zu berücksichtigen, dass in der Vergangenheit aufgetretene Krankenstände, die für die künftige Einsatzfähigkeit des Arbeitnehmers nicht unbedingt aussagekräftig sind, weil die zugrunde liegende Krankheit überwunden wurde, nicht als persönlicher Kündigungsrechtfertigungsgrund herangezogen werden können (vgl Gahleitner in Cerny/Gahleitner/Preiss/Schneller, Arbeitsverfassungsrecht III4 § 105 Erl 44). Die Zukunftsprognose hängt damit außer von Häufigkeit und Dauer der bisherigen Krankenstände auch wesentlich von der Art der Erkrankung samt deren Ursache und der zumutbaren Krankenbehandlung ab (vgl Burgstaller aaO 169; vgl auch RIS-Justiz RS0113471). Setzt sich der in Ansehung des Rechtfertigungsgrundes beweispflichtige Arbeitgeber (RIS-Justiz RS0110154) mit diesen Fragen - wie hier (die Beklagte stellte keine Nachforschungen an) - gar nicht auseinander, so trägt er das Risiko, dass sich seine Prognose bei Anlegung eines objektiven Maßstabs als unrichtig erweist.

2.1 Eine starre Grenze für überhöhte Krankenstände in Bezug auf deren Häufigkeit und Dauer besteht nicht (8 ObA 103/06i; vgl auch 8 ObA 7/08z). Vielmehr ist das Vorliegen auch des in Rede stehenden Rechtfertigungsgrundes nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (8 ObA 48/08d). Dabei sind an den Rechtfertigungsgrund strenge Anforderungen zu stellen (Burgstaller aaO 169; Wolligger in Neumayr/Reissner, ZellKomm § 105 ArbVG Rz 196).

Richtig ist, dass die Krankenstände des Klägers durchwegs ein überdurchschnittliches Ausmaß erreichten und keine eindeutig sinkende Tendenz zeigten. Ebenso trifft zu, dass der letzte und lange Krankenstand im Zeitpunkt der Kündigung noch andauerte. Mit Rücksicht auf die unterschiedlichen Verletzungen und Erkrankungen, die zu den Krankenständen führten und mit denen sich die Beklagte gar nicht beschäftigte, erweist sich die Beurteilung des Berufungsgerichts aber durchaus als vertretbar, dass allein die Dauer und die Häufigkeit der in der Vergangenheit aufgetretenen Krankenstände eine ungünstige Prognose nicht zuließen und auch aus den festgestellten Ursachen der Krankenstände eine ungünstige Zukunftsprognose nicht abgeleitet werden könne, sodass weder subjektiv noch objektiv ausreichende Gründe die Annahme rechtfertigten, dass der Zustand des Klägers auch in Zukunft überhöhte Krankenstände bewirken werde.

2.2 Aufgrund der vertretbaren Verneinung einer ungünstigen Prognose durch das Berufungsgericht kann ein relevanter Leistungsausfall des Klägers durch zu erwartende Krankenstände (noch) nicht unterstellt werden. Mangels Vorliegens des von der Beklagten ins Treffen geführten Rechtfertigungsgrundes ist eine Interessenabwägung (vgl dazu RIS-Justiz RS0051719; RS0051818; 8 ObA 48/08d) entbehrlich. Dazu ist darauf hinzuweisen, dass auch die Interessenabwägung nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls erfolgen kann und daher regelmäßig ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage zu begründen vermag (9 ObA 26/04w; 8 ObA 141/04z).

Mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

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