European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1997:008OBA02046.96G.0130.000
Spruch:
Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen, die hinsichtlich der Feststellung der Ansprüche der klagenden Partei auf Entgeltfortzahlung für Zeiten des Krankenstandes, des Urlaubes, der Pflegefreistellung und der Dienstfreistellung aus dem Rechtsgrund von erbrachten Mehr‑ oder Überstunden mangels Anfechtung unberührt bleiben (P 2 des erstgerichtlichen Urteils) werden im übrigen dahingehend abgeändert, daß P 1 der Entscheidung als Zwischenurteil lautet:
"Es wird festgestellt, daß die Ansprüche der klagenden Partei auf Entgeltfortzahlung für Zeiten des Krankenstandes, des Urlaubes, der Pflegefreistellung und der Dienstfreistellung aus dem Rechtsgrund von Provisionen dem Grunde nach zu Recht bestehen."
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war vom 15.11.1992 bis 30.4.1994 bei der beklagten Partei als Verkäuferin beschäftigt. Sie wurde für eine Tätigkeit in einer Filiale der beklagten Partei im 10. Bezirk aufgenommen. Mit dem Filialleiter vereinbarte sie eine Arbeitszeit von 20 Stunden pro Woche sowie die Wochentage, an denen sie ihre Arbeit verrichten sollte. Darüberhinaus wurden Gehalt und Einstufung sowie ihr Tätigkeitsbereich in der Lagereinteilung festgelegt. Schließlich wurde mündlich auch eine Provisionsbeteiligung vereinbart, für deren Berechnung einerseits der Umsatz der Filiale, andererseits die Differenz zwischen dem Umsatz und den Gesamtgehältern der Mitarbeiterinnen herangezogen werden sollte. Die verkauften Artikel sollten je nach ihrer Art (zB Schuhe, Taschen, Pflegemittel) mit einem anderen Prozentsatz verprovisioniert werden. Die sich für die Filiale ergebende Provisionssumme sollte durch die jeweiligen Anwesenheitsstunden der einzelnen Mitarbeiterinnen dividiert werden, somit sollte sich die Provision nach der Anwesenheit berechnen.
Die Klägerin erhielt in der Folge zusätzlich zu ihrem Gehalt eine nach den vorstehenden Berechnungskritierien errechnete Verkäuferprovision in jeweils wechselnder Höhe. Sie befand sich vom 12.1. bis 21.2.1993 im Krankenstand, verbrachte in der Zeit vom 3.5. bis 8.5., 7.6. bis 12.6. und 12.7. bis 31.7.1993 ihren Urlaub und war in der Zeit vom 19.1. bis zum 22.1.1994 wegen der Pflege ihrer Tochter freigestellt; vom 17.3. bis 30.4.1994 war sie dienstfrei gestellt. Für diese Zeiten wurden der Klägerin keine Verkäuferprovisionen berechnet oder ausbezahlt.
Die Klägerin begehrt nunmehr S 9.555,74 brutto sA mit der Begründung, sie sei bei der beklagten Partei als Verkäuferin mit einem Bruttomonatsgehalt von S 8.640 bei 20 Wochenstunden und Provision beschäftigt gewesen. Diese Provision sei sonst zwar regelmäßig, nicht aber für Zeiten des Urlaubes, des Krankenstandes und der Dienstfreistellung bezahlt worden. Gerechnet vom jeweiligen Dreimonatsdurchschnitt vor den Zeiten, für die keine Provision gezahlt worden sei, ergebe sich noch eine offene Forderung in Höhe des Klagebetrages. In der Folge stützte die Klägerin ihr Klagebegehren hilfsweise auch darauf, daß sie Mehrstundenleistungen erbracht habe, wobei für die Berechnung der Entgeltfortzahlung während der genannten Zeiten allerdings nicht der Durchschnitt der letzten drei, sondern der Durchschnitt der letzten 12 Monaten heranzuziehen sei.
Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren und brachte vor, daß die Klägerin nicht regelmäßig Provisionen bezogen hätte. Es sei vielmehr mit ihr vereinbart worden, daß sie über das kollektivvertragliche Entgelt als Fixum entlohnt werde. Eine Provision sei vereinbarungsgemäß nur für Zeiten ihrer Anwesenheit am Dienstort zu bezahlen gewesen. Zeiten der Abwesenheit, sei es aus Gründen des Urlaubes, der Krankheit oder der Dienstfreistellung, seien daher von den Provisionszahlungen ausgeschlossen.
Das Erstgericht stellte mit Zwischenurteil 1. fest, daß die Ansprüche der Klägerin auf Entgeltfortzahlung für Zeiten des Krankenstandes, des Urlaubes, der Pflegefreistellung und der Dienstfreistellung aus dem Rechtsgrund von Provisionen dem Grunde nach nicht zu Recht bestünden, und stellte 2. unbekämpft fest, daß aber die Ansprüche der Klägerin auf Entgeltfortzahlung für die genannten Zeiten aus dem Rechtsgrund von verbrachten Mehr‑ oder Überstunden dem Grunde nach zu Recht bestünden. (Hiezu ist zu bemerken, daß abgesehen von der nicht mehr relevanten Frage, ob eine Teilung des Urteils nach Rechtsgründen zulässig ist, P 1 des Urteilsspruchs, der allein noch vom Revisionsverfahren betroffen ist, jedenfalls verfehlt ist, weil unter Zugrundelegung der Rechtsansicht der Vorinstanzen dieser Teil des Klagebegehrens mit Endurteil abzuweisen gewesen wäre.)
Gegen den klagsabweisenden Teil des Ersturteils richtete sich die Berufung der Klägerin, der nicht Folge gegeben und die ordentliche Revision nicht zugelassen wurde. Das Berufungsgericht meinte in rechtlicher Hinsicht, die Bestimmung des § 8 AngG regle den Anspruch des Angestellten bei Dienstverhinderung, § 6 UrlG das Urlaubsentgelt und § 16 UrlG die Pflegefreistellung des Arbeitnehmers. Daraus sei ersichtlich, daß der Arbeitnehmer bei Dienstverhinderung, Urlaub und Pflegeurlaub Anspruch auf Entgelt habe. Die Vorschriften des AngG, die die Provisionen regelten, seien mit Ausnahme des § 10 Abs 5 und § 12 AngG nicht zwingend, könnten daher vertraglich abgeändert werden. Da die Klägerin für Zeiten der Nichtanwesenheit am Arbeitsplatz auf Provisionszahlungen ausdrücklich verzichtet habe, was nicht sittenwidrig und daher zulässig und rechtswirksam sei, stünden der Klägerin Ansprüche auf Entgeltfortzahlung aus dem Rechtsgrund der Provisionen für Zeiten des Krankenstandes, des Urlaubes sowie der Pflegefreistellung nicht zu.
Gegen die Bestätigung dieses "dem Grunde nach" abgewiesenen Teils des Klagebegehrens durch das Berufungsgericht richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Klagsstattgebung. Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil nicht eindeutig durch oberstgerichtliche Rechtsprechung klargestellt ist, ob eine von der Anwesenheit am Arbeitsplatz abhängige Umsatzprovision für Zeiten des Unterbleibens der Dienstverrichtung infolge Erkrankung, Urlaubes, Pflege‑ oder Dienstfreistellung ausgeschlossen werden könne; sie ist aber auch berechtigt, weil die Entscheidung der Vorinstanzen den vom Obersten Gerichtshof entwickelten und von der Lehre geteilten Grundsätzen der Entgeltfortzahlungspflicht in den genannten Fällen widerspricht.
Die Klägerin bringt vor, daß zwar richtig sei, daß die provisionsbezogenen Vorschriften des AngG (außer § 10 Abs 5 und § 12 AngG) dispositiv seien und der Privatautonomie unterlägen. Das Berufungsgericht habe jedoch übersehen, daß die hier relevante Unabdingbarkeit nicht die dispositiven Regelungen der §§ 10 bis 13 AngG betreffe, sondern die Ansprüche aufgrund der Bestimmungen des § 8 AngG sowie der §§ 6 und 16 UrlG; diese Entgeltfortzahlungsbestimmungen seien gemäß § 40 AngG sowie §§ 12 und 17 UrlG unabdingbar. Zur Prüfung, ob die Entgeltfortzahlungsregelungen - in bezug auf Provisionen - dispositiv oder zwingend seien, sei sohin nicht auf die Regelungen über die Provision (§§ 10 bis 13 AngG) abzustellen, sondern auf die Regelungen über die Entgeltfortzahlung. Die hier vereinbarte Provision sei in den weiten Entgeltbegriff, der auch erfolgsorientierte Entgeltarten umfasse, einzubeziehen und somit in den genannten Fällen unabdingbar; nicht die vertragliche Anknüpfung der Provisionen an die Arbeitszeit sei sittenwidrig, sondern vielmehr der Ausschluß der Entgeltfortzahlung für den Provisionsanteil bei Dienstverhinderung, Urlaub und Pflegefreistellung.
Diese Rechtsansicht ist zutreffend.
Mit der Klägerin wurde eine sogenannte Umsatzprovision vereinbart; sie steht zwischen Provision und Gewinnbeteiligung. Die Provision ist eine meist in Prozenten ausgedrückte Beteiligung am Wert solcher (einzelner) Geschäfte des Arbeitgebers, die durch die Tätigkeit (Vermittlung oder Abschluß) des Angestellten zustande gekommen sind; sie richtet nach dem Ergebnis der Arbeit, ist also Leistungsentgelt, das vorwiegend vom persönlichen Geschick und der Ausdauer des Angestellten, aber auch von den Marktgegebenheiten abhängt. Bei einer Gewinnbeteiligung ist hingegen bedungen, daß das Entgelt ganz oder zum Teil in einem Anteil am Gewinn aus allen oder aus bestimmten Geschäften (zB einer Filiale oder einer einzelnen Abteilung) besteht, oder daß der Gewinn in anderer Art für die Höhe des Entgelts maßgebend sein soll. Als Entlohnungssystem kommt allerdings nicht nur eine Provisionsgewährung aus einzelnen Geschäften oder eine Gewinnbeteiligung in Betracht. Es könne auch Beteiligungen, die sich am Umsatz oder sonst an einer Kennzahl des wirtschaftlichen Unternehmenserfolgs orientieren, vereinbart werden. Hierher gehört auch die sogenannte Umsatzprovision; sie ist eine Beteiligung am Wert sämtlicher Geschäfte des Unternehmens oder einer Abteilung, deren Höhe daher nicht nur von der Leistung des Provisionsberechtigten, sondern auch von deren übrigen Mitarbeitern abhängt (SZ 65/57; Arb 10.613 ua; Floretta/Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht3 I 176 ff).
Zwar sind die provisionsbezogenen Vorschriften des AngG (mit Ausnahme des § 10 Abs 5 und § 12 AngG) dispositiver Natur; dh es steht den Vertragsparteien frei, Provisionen zu vereinbaren oder auch nicht, es liegt aber auch im Rahmen ihrer Privatautonomie, Gewinnbeteiligungen oder Zwischenstufen, wie die hier vorliegende Umsatzprovision, zu vereinbaren. Daraus folgt, daß Vereinbarungen zulässig (und auch sachgerecht) sind, bei denen die Höhe solcher Umsatzprovisionen von der vereinbarten Arbeitszeit abhängt. Eine Vereinbarung, wonach ein Halbtagsbeschäftigter die Hälfte der Umsatzprovision bekommt, die ein Ganztagsbeschäftigter erhält, ist daher völlig unbedenklich. Das bedeutet aber noch nicht, daß auch wirksam vereinbart werden könnte, daß der Angestellte an der Umsatzprovision stets nur nach Maßgabe seiner tatsächlichen Anwesenheit zu beteiligen ist.
Das Gesetz nennt mehrere Fälle, in denen eine Schmälerung des Entgelts wegen Abwesenheit unzulässig ist und eine solche Vereinbarung nicht wirksam getroffen werden kann, weil sie zwingendem Recht widerspricht. Solche Vorschriften enthalten § 8 iVm § 40 AngG hinsichtlich des Entgeltsanspruches des Angestellten im Krankheitsfall, § 2 iVm § 6 EFZG für sonstige kranke Arbeitnehmer, § 6 iVm § 12 UrlG im Falle des Urlaubes und § 16 iVm § 17 UrlG im Falle einer Pflegefreistellung. Diese Bestimmungen gehen vom sogenannten Ausfallsprinzip aus. Demnach hat der Arbeitnehmer während seines Urlaubes oder eines Krankenstandes grundsätzlich jenes Entgelt zu erhalten, das er verdient hätte, wenn er in dieser Zeit gearbeitet hätte. Es ist zu prüfen, welcher Entgeltanspruch entstanden wäre, wenn die Arbeitsleistung im zu erwartenden Ausmaß erbracht worden wäre (ausführlich ZAS 1989/22 mit zust Anm v Andexlinger; RdW 1990, 87 ua; zu der möglichen Bemessungsgrundlage [Bezugs‑, Durchschnitts- oder Ausfallsprinzip] Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht5, 427).
Im Falle der (grundlosen) Dienstfreistellung durch den Arbeitgeber verbleibt dem Arbeitnehmer der volle Entgeltanspruch; der Dienstgeber kann sich nicht auf die Anrechnungsbestimmung des § 1155 Abs 1 ABGB berufen, weil dies einen Rechtsmißbrauch darstellen würde (Schwarz/Löschnigg aaO 422); aus diesem Grund kann auch der Arbeitnehmer - jedenfalls im vorhinein - auf diese Ansprüche nicht wirksam verzichten.
Ob eine Schmälerung der Umsatzprovision im Krankheits‑, Urlaubs‑, Pflege‑ oder Dienstfreistellungsfall unzulässig und eine derartige Vereinbarung unwirksam ist, hängt daher jedenfalls davon ab, ob eine solche Umsatzprovision unter den Entgeltbegriff fällt oder nicht; ist dies der Fall, ist eine Schmälerung nicht zulässig.
Das Arbeitsrecht kennt keine Legaldefinition des Entgelts. Lehre und Rechtsprechung umschreiben das Entgelt sehr allgemein. Jede Art von Leistung wird darunter verstanden, die dem Arbeitnehmer für die Zurverfügungsstellung seiner Arbeitskraft gewährt wird. Das Entgelt umfaßt neben dem laufenden Lohn oder Gehalt auch die übrigen regelmäßigen oder sonstigen ordentlichen und außerordentlichen Leistungen, selbst wenn wenn diese auf die tatsächliche Mehrleistung des Arbeitnehmers abgestellt und daher wie im Falle des Akkords oder der Provision variabel sind. Dieser weite Entgeltbegriff ist ist die logische Konsequenz der modernen Auffassung, den Arbeitsvertrag nicht als bloßen Tausch von Arbeit und Lohn zu sehen. Die schuldrechtliche Verknüpfung dieser Komponenten ist kein Produkt rein ökonomischer Interdepenz, sondern normativer Zuordnung, die im erheblichen Maße eine Entgeltleistung auch dann vorsieht, wenn keine Arbeitsleistung erfolgen kann (Schwarz/Löschnigg aaO 291 f; Arb 9430; 9573; 9781; 10609 ua). Ob eine bestimmte Leistung des Arbeitsgebers unter den Begriff des Entgelts fällt, bestimmt sich nicht nach der für sie gewählten Bezeichnung, sondern allein danach, ob und inwieweit sie (auch) eine Gegenleistung für die Bereitstellung der Arbeitskraft und nicht nur eine Abdeckung des finanziellen Aufwandes des Arbeitnehmers ist (Arb 10.355). Zulagen aller Art, sofern sie nicht die Funktion einer Aufwandsentschädigung haben und auch erfolgsorientierte Entgeltarten sind Entgelt (DRdA 1994, 505).
Demnach kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die hier vereinbarte Umsatzprovision unter den Entgeltbegriff fällt. Eine Schmälerung der Umsatzprovision ist daher in den oben genannten Fällen der Krankheit, des Urlaubes, der Pflege‑ und der Dienstfreistellung unzulässig und eine derartige Vereinbarung unwirksam. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in Arb 7170 ausgesprochen, daß eine Vereinbarung, nach welcher im Falle der Erkrankung eine Verkaufsprämie nur noch einem Monat hindurch gewährt wird, gegen § 8 AngG verstößt: Diese Bestimmung sorgt dafür, daß dem erkrankten Angestellten das bisher bezogene Entgelt durch eine bestimmte Zeit weitergewährt wird. Eine Vereinbarung, durch die dieses Entgelt im Krankheitsfall geschmälert werden soll, ist unwirksam, weil sie zur Umgehung eines unabdingbaren Anspruches führen würde. (Die auf den ersten Blick abweichend erscheinenden E Arb 9940 und DRdA 1995, 148 betreffen einen nicht vergleichbaren Sachverhalt: dort wurden bei einer vereinbarten Provisionsstaffel Provisionen für außerhalb des Urlaubes liegende Zeiten begehrt.)
Die vorliegende Vereinbarung ist daher insofern unwirksam, als die Umsatzprovision allgemein nur aufgrund der jeweiligen tatsächlichen Anwesenheitsstunden berechnet werden sollte und Abwesenheitszeiten infolge Krankheit, Urlaub, Pflege‑ und Dienstfreistellung bei der Berechnung nicht berücksichtigt werden sollte. Der Anspruch auf Umsatzprovision der Klägerin besteht daher in diesen Fällen dem Grunde nach zu Recht, sodaß das Urteil in diesem Sinne abzuändern war; da zur Höhe des Anspruches noch sämtliche Feststellungen fehlen, war mit Zwischenurteil vorzugehen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 393 Abs 4 ZPO.
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