European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:008OBA00016.17M.0328.000
Spruch:
Das Verfahren zu AZ 8 ObA 16/17m wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Obersten Gerichtshof am 19. Dezember 2016 zu AZ 9 ObA 141/15y gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.
Nach Einlangen der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.
Begründung
Der am 17. 3. 1973 geborene Kläger steht als Vertragsbediensteter in einem Dienstverhältnis zur Beklagten; er ist in einer Kaserne im Bundesland Salzburg tätig. Das Dienstverhältnis wurde am 29. 5. 1996 begründet. Der Vorrückungsstichtag wurde mit 12. 12. 1992 festgesetzt. Seine Entlohnung erfolgt nach dem Entlohnungsschema V in der Entlohnungsgruppe 4; mit Wirksamkeit vom 1. 1. 1996 gebührte ihm das Gehalt der Gehaltsstufe 2.
Am 5. 2. 2015 stellte der Kläger einen Antrag auf Anrechnung folgender Vordienstzeiten (Lehrzeiten) vor seinem 18. Lebensjahr: Vom 1. 9. 1988 bis 30. 6. 1989 bei den AUV‑Werken Ranshofen; vom 1. 8. 1989 bis 17. 3. 1991 bei der Bäckerei Schmitzberger. Unter Berücksichtigung dieser Vordienstzeiten (nach Maßgabe des VBG idF BGBl I 2010/82) ergäbe sich der Vorrückungsstichtag mit 21. 12. 1989.
Der Kläger begehrte den Zuspruch von 1.265,60 EUR brutto sA. Unter Berücksichtigung seiner Lehrzeiten vor dem 18. Lebensjahr hätte sich auf Basis der gesetzlichen Vorschriften zum Antragszeitpunkt (also vor der Bundesbesoldungsreform 2015) ein früherer Vorrückungsstichtag ergeben. Die erwähnte Reform sei auf seinen Antrag noch nicht anzuwenden gewesen. Davon abgesehen habe der Gesetzgeber auch mit der Besoldungsreform 2015 die unionsrechtlichen Vorgaben für die Anrechnung von Vordienstzeiten vor dem 18. Lebensjahr nur unzureichend umgesetzt. In Wirklichkeit sei die unzulässige Altersdiskriminierung perpetuiert worden, zumal die Überleitung der Bestandsbediensteten in das neue System auf der Grundlage des Monatsgehalts für Februar 2015 erfolgt sei. Solange kein System zur Beseitigung der Diskriminierung wegen des Alters hergestellt sei, müssten die unionsrechtswidrigen Vorschriften unangewendet bleiben.
Die Beklagte entgegnete, dass mit der Bundesbesoldungsreform 2015 der Vorrückungsstichtag durch das Besoldungsdienstalter ersetzt worden sei. Dabei handle es sich um ein neues Besoldungssystem. Die am Stichtag 11. 2. 2015 (Kundmachung der Reform) im Dienststand befindlichen Bediensteten seien in dieses neue System übergeleitet worden. Gemäß § 94a Abs 1 VBG gelange § 169c GehG auch auf Vertragsbedienstete zur Anwendung. In der zuletzt genannten Bestimmung seien die Überleitung sowie eine Besitzstandswahrung normiert. Die Überleitung auf der Grundlage des Monatsgehalts für Februar 2015 sei deshalb erfolgt, um die Neufestsetzung der besoldungsrechtlichen Stellung aller Bediensteten zu vermeiden. Gemäß § 100 Abs 70 VBG idF BGBl I 2015/32 seien die Bestimmungen über den Vorrückungsstichtag in laufenden und künftigen Verfahren nicht mehr anzuwenden. Dabei handle es sich um eine echte Rückwirkung. Das neue Besoldungssystem stehe mit dem Unionsrecht im Einklang.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs müssten Beschäftigungszeiten auch vor dem 18. Lebensjahr angerechnet werden. Dies habe der Gesetzgeber mit der VBG‑Novelle BGBl I 2010/82 vorgesehen. Allerdings sei der erste Vorrückungszeitraum von zwei Jahren auf fünf Jahre verlängert worden. In der Folge habe der Europäische Gerichtshof ausgesprochen, dass eine Verlängerung des Vorrückungszeitraums die Altersdiskriminierung nicht beseitige. Aus diesem Grund sei mit der Bundesbesoldungsreform 2015, BGBl I 2015/32, der Vorrückungsstichtag durch das Besoldungsdienstalter ersetzt worden. Die Überleitung erfolge allerdings auf Basis des Überleitungsbetrags für Februar 2015. Dadurch werde die Altersdiskriminierung nicht beseitigt. Ein EU-konformes System sei nach wie vor nicht gegeben. Gemäß § 100 Abs 70 Z 3 VBG sei das alte System des Vorrückungsstichtags in laufenden und künftigen Verfahren nicht mehr anzuwenden. Diese Bestimmung habe zur Konsequenz, dass eine Beseitigung der Altersdiskriminierung nicht mehr durchführbar wäre, also nicht mehr geltend gemacht werden könnte. Dies widerspreche der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C‑530/13, Schmitzer. § 100 Abs 70 Z 2 und 3 VBG sowie § 169c Abs 6a GehG (iVm § 94a VBG) seien daher richtlinienkonform dahin zu reduzieren, dass ihnen keine Anwendbarkeit für in der Vergangenheit liegende Sachverhalte zukomme. Diese Bestimmungen würden sich daher nur auf nach dem Inkrafttreten der Besoldungsreform 2015 (am 12. 2. 2015) entstandene Ansprüche beziehen.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und billigte die Begründung des Erstgerichts gemäß § 500a ZPO. Der Kläger habe daher Anspruch auf Nachzahlung der geltend gemachten Entgeltdifferenz. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage der richtlinienkonformen „Auslegung“ des § 100 Abs 70 Z 3 VBG eine Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof geboten erscheine.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten, die auf eine Abweisung des Klagebegehrens abzielt. Gleichzeitig regt sie die Unterbrechung des Verfahrens bis zur Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache zu AZ 9 ObA 141/15y an.
Mit seiner Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, die Revision zurückzuweisen, in eventu, dieser den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
1. Die Revision ist zulässig, weil die unionsrechtlichen Vorgaben zur Beseitigung der Altersdiskriminierung im Zusammenhang mit der Anrechnung von Vordienstzeiten (Schulzeiten und Beschäftigungszeiten) vor dem 18. Lebensjahr in der Rechtsprechung nach wie vor nicht vollständig geklärt sind. Dazu ist beim Europäischen Gerichtshof zu AZ 9 ObA 141/15y ein Vorabentscheidungs-verfahren anhängig. Über die Berechtigung der Revision wird erst nach dem Einlangen der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu entscheiden sein.
2.1 Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist auf eine Änderung der Rechtslage dann, und zwar in jeder Lage des Verfahrens, Bedacht zu nehmen, wenn die neuen Bestimmungen nach ihrem Inhalt auf das zu beurteilende Rechtsverhältnis anzuwenden sind. Demnach ist primär nach den Übergangsbestimmungen zu beurteilen, ob eine Gesetzesänderung für ein laufendes Verfahren zu beachten ist (RIS‑Justiz RS0031419; 8 ObA 70/15z; 8 ObA 72/15v).
Gemäß § 100 Abs 70 Z 3 VBG idF BGBl I 2015/32 (Bundesbesoldungsreform 2015) treten die damit novellierten Bestimmungen der §§ 19 und 26 VBG, mit denen der Vorrückungsstichtag durch das Besoldungsdienstalter ersetzt wurde, mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft; die Kundmachung erfolgte am 11. 2. 2015. Gleichzeitig wird in dieser Bestimmung angeordnet, dass die genannten Bestimmungen in allen früheren Fassungen in laufenden und künftigen Verfahren nicht mehr anzuwenden sind. Mit der Novelle BGBl I 2015/164 (zu § 169c GehG iVm § 94a VBG) wurde angeordnet, dass das neue Besoldungsdienstalter auch der Bemessung der Bezüge für Zeiten vor dem 1. März 2015 zugrunde zu legen ist. Bereits durch diese Bestimmungen sah der Gesetzgeber eine Rückwirkung der Bundesbesoldungsreform 2015 vor.
Mit der Novelle BGBl I 2016/104 (Besoldungsrechtsanpassungs-Gesetz 2016; kundgemacht am 6. 12. 2016) erfolgte in dieser Hinsicht eine Klarstellung. Nach § 100 Abs 70 Z 3 VBG idF BGBl I 2016/104 treten die §§ 19 und 26 samt Überschrift mit dem 1. Juli 1948 in Kraft; diese Bestimmungen sind in allen vor 11. Februar 2015 kundgemachten Fassungen in laufenden und künftigen Verfahren nicht mehr anzuwenden.
2.2 Aus diesen Darstellungen folgt, dass auch im Anlassfall das Besoldungssystem (Besoldungsdienstalter) nach der Bundesbesoldungsreform 2015 (derzeit) in der Fassung BGBl I 2016/104 zur Anwendung gelangt. Dazu stellen sich die Fragen, ob das neue Besoldungssystem mit dem Unionsrecht, konkret mit der Richtlinie 2000/78/EG in Verbindung mit Art 21 der Grundrechtecharta, im Einklang steht, insbesondere ob die Perpetuierung der Altersdiskriminierung durch die Überleitung der Bestandsbediensteten in das neue System nach Maßgabe des Überleitungsbetrags (tatsächlich ausbezahlter Gehalt) für Februar 2015 gerechtfertigt werden kann, weiters ob – selbst für den Fall eines diskriminierungsfreien Besoldungs-systems – für einen bestimmten Übergangszeitraum Entschädigungszahlungen zum Ausgleich der Diskriminierung geleistet werden müssen, sowie ob die (gerichtliche) Kontrolle der Beseitigung der Diskriminierung ohne Verletzung des Art 47 der Grundrechtecharta gesetzlich ausgeschlossen werden kann.
3. Zu diesen Fragen hat der Oberste Gerichtshof zu AZ 9 ObA 141/15y bereits ein Vorabentscheidungs-verfahren beim Europäischen Gerichtshof eingeleitet. Die in diesem Vorabentscheidungsersuchen gestellten Rechtsfragen sind auch für das hier vorliegende Verfahren präjudiziell.
Das vorliegende Verfahren war daher aus prozessökonomischen Gründen zu unterbrechen (RIS‑Justiz RS0110583; vgl auch 8 ObA 22/16t).
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