OGH 8ObA14/12k

OGH8ObA14/12k24.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Josef Schleinzer und AR Angelika Neuhauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A***** F*****, vertreten durch Kosch & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung und Rechnungslegung (Streitwert 7.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Dezember 2011, GZ 10 Ra 81/11x-21, mit dem das Teilurteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 17. Dezember 2010, GZ 5 Cga 69/10t-17, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die im Umfang der Abweisung des Begehrens auf Ausfolgung eines Dienstautos als unangefochten unberührt bleiben, werden im Übrigen aufgehoben. Die Arbeitsrechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin ist seit 25. 9. 2006 bei der Beklagten als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Sie hatte sich aufgrund eines Inserats auf die Stelle beworben, in dem die Beklagte eine Verkaufsberaterin mit Berufserfahrung für ihr Tochterunternehmen, das Särge und Bestattungszubehör herstellt, suchte. Ab Beginn des Dienstverhältnisses wurde die Klägerin auf unbestimmte Zeit an diese Tochtergesellschaft entsandt und war dort als Verkaufsberaterin im Außendienst mit österreichweitem Einsatzgebiet tätig.

Der schriftliche Dienstvertrag enthält unter anderem folgende Vereinbarung: „Der Aufgabenbereich der Arbeitnehmerin umfasst insbesondere die Tätigkeit einer kaufmännischen Angestellten der (...) GmbH. Die Arbeitnehmerin nimmt zur Kenntnis, dass ihre Dienstverwendung geändert werden kann. (...).

In der Zusatzvereinbarung über die Entsendung der Klägerin an die Tochtergesellschaft ist festgehalten: „(...) Die Arbeitnehmerin ist damit einverstanden, dass sie ab 25. September 2006 an die (...) GmbH (...) auf unbestimmte Zeit entsandt wird. Die Entsendung kann vom Arbeitgeber jederzeit widerrufen werden.

Der Klägerin wurde ein Dienstauto als Sachbezug zur Verfügung gestellt, weiters erhielt sie zu dem im Dienstvertrag vereinbarten Grundgehalt eine umsatzabhängige monatliche Provision in Höhe von 0,45 % der „Verkaufsbüroanalyse“.

Ab dem Jahr 2008 kamen der Geschäftsleitung wiederholt Kundenbeschwerden über die Arbeitsleistung der Klägerin zu Ohren, außerdem wies sie eine ungewöhnlich hohe Zahl von Krankenstandstagen auf. Nachdem einige Mitarbeitergespräche mit der Klägerin keine Änderung bewirkt hatten, entschied sich die Beklagte im Dezember 2009 aufgrund der an sie herangetragenen Beschwerden dafür, die Entsendung der Klägerin zu widerrufen und sie bei gleichbleibendem Grundgehalt in die Funktion einer Zeremonienleiterin zu versetzen. Zeremonienleiter sind auf Friedhöfen bei Trauerfeierlichkeiten Ansprechpartner der Kunden vor Ort und haben für den reibungslosen Ablauf zu sorgen. Es handelt sich um eine Stelle mit 30 Wochenstunden, jedoch ohne Anspruch auf Provisionen und Dienstfahrzeug.

Der Betriebsrat des Beschäftigerunternehmens sowie der bei der Beklagten eingerichtete Zentralbetriebsrat stimmten der geplanten Versetzung zu. Die Klägerin selbst wurde am 20. Jänner 2010 davon verständigt, reagierte bestürzt und verweigerte ihre Zustimmung. Ab dem 1. Februar 2010 war sie im Krankenstand, weshalb die Versetzung bisher (Schluss der Verhandlung erster Instanz) nicht vollzogen werden konnte. Mit Ende Jänner 2010 wurde die Zahlung der Provision an die Klägerin eingestellt.

Die Klägerin ist begünstigte Behinderte. Ein Kündigungsverfahren nach § 8 Abs 2 BEinstG ist anhängig.

Die Klägerin brachte vor, die von der Beklagten vorgenommene Versetzung sei verschlechternd und unzulässig. Aus gesundheitlichen Gründen könne sie die vorwiegend stehende Tätigkeit einer Zeremonienleiterin nicht ausüben. Sie begehrt die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihr für die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses eine monatliche Provision in Höhe von 0,45 % der Verkaufsbüroanalyse weiter zu zahlen, darüber hinaus für den Zeitraum Jänner 2010 bis laufend Rechnung über die Provision zu legen und den sich daraus ergebenden Anspruch zu bezahlen.

Die Beklagte brachte vor, auf das Dienstverhältnis seien die Bestimmungen des Kollektivvertrags der Angestellten der Wiener Stadtwerke anzuwenden. Sie wandte ein, die Versetzung der Klägerin finde in deren Arbeitsvertrag Deckung und sei daher wirksam. Bei der strittigen Provision handle es sich um eine funktionsbezogene Zulage, die mit der Beendigung der Verkaufstätigkeit wegfalle.

Das Erstgericht gab der Klage (unter Abweisung eines im Rechtsmittelverfahren nicht mehr relevierten Mehrbegehrens) mit Teilurteil statt. Die strittige Versetzung der Klägerin sei jedenfalls wegen des Wegfalls der Provisionen als verschlechternd zu beurteilen. Zwar enthalte der Dienstvertrag der Klägerin einen uneingeschränkten Vorbehalt der Änderung der Dienstverwendung, der anzuwendende Kollektivvertrag normiere jedoch in seinem § 12 Abs 5 darüber hinaus, dass eine Versetzung aus dienstlichen Gründen nur „soweit zumutbar“ vorgenommen werden dürfe. Da die Versetzung der Klägerin zwar mit kürzerer Arbeitszeit, dafür aber mit einer gravierenden Änderung des Tätigkeitsbereichs, Wegfall des Dienstautos und finanzieller Verschlechterung verbunden wäre, sei sie ihr nicht zumutbar. Wegen des besonderen Kündigungsschutzes der Klägerin sei bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Versetzung darüber hinaus eine Interessenabwägung vorzunehmen, die aber zu Gunsten der Klägerin ausschlage, weil im Verfahren kein ausreichend wichtiger Grund für die Versetzung hervorgekommen sei. Weder seien der Klägerin in den Mitarbeitergesprächen konkret Konsequenzen angedroht worden, noch habe festgestellt werden können, dass die Fehler der Klägerin Umsatzrückgänge oder den Verlust von Kunden nach sich gezogen haben.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Beklagten Folge und änderte die Entscheidung im zur Gänze klagsabweisenden Sinn ab. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass die Versetzung der Klägerin auf die Stelle einer Zeremonienleiterin insgesamt verschlechternd wirkte, die Änderung sei aber von der sehr weit gefassten Formulierung des Arbeitsvertrags gedeckt. Auf den anzuwendenden Kollektivvertrag habe sich nur die Beklagte, aber nicht die Klägerin berufen, weshalb dessen Bestimmungen nicht heranzuziehen seien. Die Klägerin habe auch keine Gründe für eine Unzumutbarkeit der Versetzung vorgebracht. Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht mangels zu lösender erheblicher Rechtsfragen für nicht zulässig.

Die nach Freistellung gemäß § 508 Abs 5 ZPO von der Beklagten beantwortete Revision der Klägerin ist zulässig, weil die Rechtsausführungen des Berufungsgerichts einer Korrektur bedürfen. Die Revision ist im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 43 Abs 3 ASGG ist der Inhalt kollektivrechtlicher Normen von Amts wegen zu ermitteln, wenn sich eine Partei auf sie beruft; dies gilt auch für das Rechtsmittelverfahren. Macht keine der Parteien die Anwendung eines Kollektivvertrags geltend, ist daher von Amts wegen nicht danach zu forschen. Auf anspruchsbegründende oder anspruchsvernichtende Kollektivvertragsbestimmungen muss sich eine Partei bereits in erster Instanz berufen (9 ObA 45/87 [13. und 14. Monatsgehalt]; RIS-Justiz RS0085629; Neumayr in ZellKomm² § 43 ASGG Rz 2). Die Bezugnahme auf eine Kollektivvertragsbestimmung ersetzt auch nicht die zur Konkretisierung der behaupteten Rechtsfolge erforderlichen Tatsachenbehauptungen (OGH 9 ObA 314/88, ZAS 1989/23, 177 [Fink]; RIS-Justiz RS0085644).

Diese Grundsätze können aber entgegen der Meinung des Berufungsgerichts nicht dahin ausgelegt werden, dass ein nach entsprechendem Vorbringen einer Partei gemäß § 43 Abs 3 ASGG von Amts wegen zu beachtender Kollektivvertrag im Verfahren immer nur zu Gunsten des Rechtsstandpunkts derjenigen Partei anzuwenden wäre, die sich ausdrücklich auf ihn berufen hat. Sobald kollektivrechtliche Normen einmal Verfahrensgegenstand geworden sind, kommt bei der rechtlichen Beurteilung nur eine Anwendung ihres gesamten Inhalts auf den gesamten Prozessstoff in Frage.

Nach § 3 Abs 1 ArbVG können die Bestimmungen in Kollektivverträgen, soweit sie die Rechtsverhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern regeln, durch Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag weder aufgehoben noch beschränkt werden. Sondervereinbarungen sind nur gültig, wenn sie der Kollektivvertrag nicht ausschließt und sie für den Arbeitnehmer günstiger sind, oder wenn sie Angelegenheiten betreffen, die im Kollektivvertrag nicht geregelt sind.

Die Zulässigkeit einer Änderung der Dienstverwendung ist nach dem auf das Vertragsverhältnis der Streitteile anzuwendenden Kollektivvertrag daran gebunden, dass die neue Verwendung dem Dienstnehmer zumutbar sein muss. Demgegenüber ist eine Generalklausel im Dienstvertrag, die keinerlei Einschränkung der Versetzungsmöglichkeiten enthält, für den Dienstnehmer offenkundig ungünstiger und insoweit nach § 3 Abs 1 ArbVG unwirksam.

Die Frage, welche Änderungen des Arbeitsplatzes noch im Arbeitsvertrag Deckung finden, hängt untrennbar mit der Frage zusammen, zu welchen Diensten sich der Angestellte überhaupt verpflichtet hat (vgl RIS-Justiz RS0018182; Schrammel in Marhold/Burgstaller/Preyer AngG § 6 Rz 87). Der schriftliche Dienstvertrag der Klägerin enthält nur eine rechtliche Qualifikation („kaufmännische Angestellte“), aber keine Beschreibung der beabsichtigten Verwendung, sodass die in Punkt 2. normierte Klausel „Die Arbeitnehmerin nimmt zur Kenntnis, dass ihre Dienstverwendung geändert werden kann“ substanzlos bleibt. Es kann daraus nicht umgekehrt geschlossen werden, dass sich die Klägerin zu überhaupt jeder denkbaren Art von Angestelltentätigkeit verpflichtet und jede Änderung vorweg akzeptiert hat. Bei der Ermittlung eines undeutlichen Vertragsinhalts ist vielmehr auf die allgemeinen Auslegungsregeln der §§ 914 f ABGB zurückzugreifen. Aufgrund seiner Ansicht, die Versetzung der Klägerin sei ohne Rücksicht auf Zumutbarkeitserwägungen von der Versetzungsermächtigung gedeckt, hat sich das Berufungsgericht mit Inhalt und Grenzen der vereinbarten Dienstleistung nicht auseinandergesetzt.

Unstrittig ist, dass die Klägerin als Bewerberin auf die Stelle einer Verkaufsangestellten im Außendienst eingestellt wurde und bei Begründung des Dienstvertrags keine andere Tätigkeit Thema war. Eine nicht allein am Wortlaut des Dienstvertrags, sondern auch an dem aus den Begleitumständen zutage getretenen Parteiwillen orientierte Auslegung führt daher zu dem Ergebnis, dass sich die Klägerin nicht zu völlig beliebigen Angestelltentätigkeiten, sondern in erster Linie zum Verkauf, im Fall einer Versetzung zu inhaltlich wenigstens ähnlichen Dienstleistungen verpflichtet hat.

Zutreffend haben die Vorinstanzen aber auch berücksichtigt, dass nach ständiger Rechtsprechung bei unkündbaren Arbeitsverhältnissen die Grenzen für eine mögliche Versetzung in Abwägung der wechselseitigen Interessen weiter gesteckt werden müssen, weil dem Arbeitgeber dort nicht die Alternative einer (Änderungs-)Kündigung offensteht, andererseits der Dienstnehmer nicht darauf vertrauen darf, bei Änderung der Umstände und dadurch bedingter Veränderung seines Arbeitsplatzes ein arbeitsloses Einkommen beziehen zu können (Schrammel aaO § 6 AngG Rz 89; RIS-Justiz RS0081767; RS0108258; 9 ObA 21/08s).

Unter dieser gebotenen Interessenabwägung bei besonderem Kündigungsschutz kann die festgestellte Versetzung der Klägerin auf die Position einer Zeremonienleiterin weder als Überschreitung des vom Arbeitsvertrag gedeckten Rahmens noch als objektiv unzumutbar betrachtet werden. Zentrales Element der früheren wie auch der geänderten Tätigkeit ist die persönliche Kundenbetreuung im Außendienst, auch wenn sich das räumliche Einsatzgebiet verkleinert und der Tätigkeitsschwerpunkt vom Verkauf auf Organisation und Dienstleistung verlagert hat. Der Verlust des Firmenwagens und der Provisionen bedingen eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, betreffen aber nicht den Kernbereich der vereinbarten Tätigkeit. Der Verschlechterung auf Seiten der Klägerin steht das legitime Interesse der Beklagten gegenüber, im Verkaufsbereich keine Mitarbeiter einsetzen zu müssen, die fortgesetzt zu Kundenbeschwerden Anlass geben. Schon die damit realistisch untermauerte Befürchtung und nicht erst der tatsächliche Eintritt von Umsatzeinbußen und Kundenverlusten begründet unternehmerischen Handlungsbedarf.

Davon ausgehend kommt allerdings dem weiteren Klagsvorbringen, die Klägerin könne die geänderte Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht ausüben, entscheidende Bedeutung zu. Mit diesem Einwand der subjektiven Unzumutbarkeit haben sich die Vorinstanzen aufgrund ihrer vom erkennenden Senat nicht geteilten Rechtsansicht nicht beschäftigt. Zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung wird die Frage, in welchem zeitlichen Ausmaß die Tätigkeit einer Zeremonienleiterin im Stehen ausgeübt werden muss, auf welche relevante gesundheitliche Beeinträchtigung sich die Klägerin bezieht und inwiefern dieses Leiden mit den konkreten Erfordernissen der geänderten Tätigkeit unvereinbar wäre, mit den Parteien zu erörtern sowie aufgrund entsprechender ergänzender Feststellungen die Zumutbarkeit der Versetzung abschließend zu beurteilen sein.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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