OGH 8Ob645/93

OGH8Ob645/9324.5.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag, Dr.Langer, Dr.Rohrer und Dr.Adamovic als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien Johann und Rosa Z*****, beide vertreten durch Dr.Walter Müller, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Gemeinde W*****, vertreten durch den Bürgermeister *****, dieser vertreten durch Dr.Zamponi-Weixelbaum & Partner, Rechtsanwälte OEG, in Linz, wegen Feststellung und Zustimmung zur Einverleibung eines Eigentumsrechtes (Gesamtstreitwert 60.000 S) , infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 17.September 1993, GZ 20 R 102/93-12, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Urfahr-Umgebung vom 30.März 1993, GZ 1 C 503/92-7, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision der klagenden Parteien wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben; die Rechtssache wird an das Berufungsgericht zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Kosten des Rechtsmittelverfahrens.

Text

Begründung

Die Kläger begehren die Feststellung ihres Eigentums an den Grundstücken 898 und 899 der KG Walding und die Verurteilung der beklagten Gemeinde, der Abschreibung dieser Grundstücke von der in ihrem Eigentum als öffentliches Gut stehenden EZ 911 und der Zuschreibung zur Liegenschaft EZ 107 (im jeweiligen Hälfteeigentum der beiden Kläger) zuzustimmen.

Sie stützen ihren Klagsanspruch darauf, daß sie und ihre Rechtsvorgänger diese Grundstücke seit mehr als 40 Jahren benützten und bewirtschafteten, weshalb sie das Eigentumsrecht daran ersessen hätten.

Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren und brachte vor, eine Ersitzung sei ausgeschlossen, weil es den klagenden Parteien an der Redlichkeit fehle und auch eine Verjährung gegenüber der beklagten Partei niemals eingetreten sei, zumal diese Grundstücke innerhalb der letzten 40 Jahre wiederholt als öffentlicher Weg (Wanderweg) benützt worden seien.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte unter anderem fest, der Erstkläger habe bei der Übernahme der Liegenschaft von seinen Eltern im Jahre 1965 gewußt, daß die beiden Weggrundstücke nicht in seinem Eigentum stünden, ebendies gelte auch für die Zweitklägerin, die im Jahr 1965 eingeheiratet und gemeinsam mit dem Erstkläger die Liegenschaft übernommen habe (erstgerichtlichen Urteil ON 7, AS 41).

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, die Kläger seien zufolge ihrer Kenntnis von der Sachlage nicht redlich gewesen, sie hätten außerdem aus schuldbarer Nachlässigkeit die ihnen zumutbare Einsicht in das Grundbuch unterlassen, wodurch der gute Glaube ebenfalls ausgeschlossen erscheine.

Gegen das erstgerichtliche Urteil erhoben die Kläger erfolglos Berufung. Das Berufungsgericht bewertete den Streitgegenstand mit über 50.000 S und erklärte die ordentliche Revision für zulässig, zumal der Oberste Gerichtshof zur Frage, "ob der Ersitzungswerber dazu verpflichtet sei, seine Eigentumsverhältnisse durch Einblick in das Grundbuch zu überprüfen, so lange er nicht vom grundbücherlichen Eigentümer in seiner Meinung, selbst Eigentümer der Liegenschaft zu sein, bestärkt werde," noch nicht Stellung genommen habe.

Rechtlich führte das Berufungsgericht aus, das Unterlassen der Einsichtnahme in das Grundbuch seitens der Kläger und ihrer Rechtsvorgänger begründe hier leichte Fahrlässigkeit, sodaß bereits aus diesem Grund mangels Redlichkeit der Kläger eine Ersitzung dieser Grundstücke ausgeschlossen sei.

Gegen das berufungsgerichtliche Urteil richtet sich die Revision der klagenden Parteien aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es abzuändern und dem Klagebegehren stattzugeben; hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag.

Hiezu führen sie aus, eine Pflicht zur Einsichtnahme in das Grundbuch sei aus § 326 ABGB nicht ableitbar und stützen sich weiters auf die vom Obersten Gerichtshof übernommene Ansicht Wegans (ÖJZ 1953, 36), ein Grunderwerb erfolge nicht nach der Mappe, sondern nach den tatsächlich vorhandenen natürlichen Grenzen, so wie der Rechtsvorgänger besessen habe.

Die beklagte Partei beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben. Sie verweist ua auf die erstgerichtliche Feststellung, die Kläger hätten anläßlich der Übernahme der Landwirtschaft im Jahre 1965 gewußt, daß die streitgegenständlichen Wegstücke nicht in ihrem Eigentum stünden, weshalb ihnen Gutgläubigkeit fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinne des gestellten Aufhebungsantrages gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht ist auf die Tatsachenrüge der klagenden Parteien, sie hätten von ihrem mangelnden Eigentum an diesen Grundstücken gewußt, nicht eingegangen, sondern hat das erstgerichtliche Urteil aus rechtlichen Gründen bestätigt. Dem berufungsgerichtlichen Urteil liegt die Rechtsansicht zugrunde, einen Grundstückwerber treffe grundsätzlich die Pflicht, in das Grundbuch Einsicht zu nehmen, um seine Eigentumsverhältnisse festzustellen, außer er werde vom Eigentümer darin bestärkt, selbst Eigentümer zu sein. Unterlasse er diese Einsichtnahme, so sei ihm zumindest leichte Fahrlässigkeit zum Vorwurf zu machen und die Ersitzung eines Grundstückes, das nach dem Buchstand im Eigentum eines anderen stehe, sei mangels Redlichkeit ausgeschlossen.

Gestützt auf diese Rechtsansicht unterließ das Berufungsgericht ebenso wie das Erstgericht die Überprüfung der Ersitzungszeit der Kläger und ihrer Rechtsvorgänger.

Gemäß §§ 1468, 1472 ABGB erfordert die Ersitzung unbeweglicher Sachen gegenüber juristischen Personen einen Zeitablauf von 40 Jahren. Es handelt sich hierbei um die sogenannte uneigentliche lange Ersitzung, die nicht nur mangelndes Eigentum des Vormannes ersetzt, sondern auch einen vorweg ungültigen Titel "heilt" (§ 1477 ABGB).

Die Frist von 40 Jahren gilt auch für den Fall contra tabulas, also gegen den eingetragenen Eigentümer und diese uneigentliche Ersitzung wird durch einen abweichenden Grundbuchsstand nicht gehindert (Schwimann, Praxiskommentar V, Rz 3 zu § 1468 ABGB; Koziol-Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts9 II, 86).

Schon hieraus ergibt sich die Unvereinbarkeit mit der berufungsgerichtlichen Annahme einer Pflicht des Liegenschaftserwerbers, sich vom tatsächlichen Grundbuchsstand Kenntnis zu verschaffen. Eine derartige Erkundigungspflicht hätte zur Folge, daß jeder Erwerber sich zunächst vergewissern müßte, welche Grundstücke dem Buchstand gemäß in seinem Eigentum stünden, sich dadurch aber positive Kenntnis über seine Eigentumsverhältnisse verschafft hätte und sodann eine Ersitzung mangels Redlichkeit in jedem Fall ausgeschlossen wäre. Eine Pflicht, sich über den tatsächlichen Grundbuchsstand in Kenntnis zu setzen, würde das Rechtsinstitut der Ersitzung weitgehend einschränken.

Zu dem selben Ergebnis gelangt man, folgt man der in ständiger Rechtsprechung vom Obersten Gerichtshof übernommenen Ansicht Wegans, wonach ein Grunderwerber ein Grundstück nicht nach der Mappe, sonder nach den tatsächlich vorhandenen natürlichen Grenzen, so wie es der Rechtsvorgänger besessen hat, erwirbt (Wegan, ÖJZ 1953, 36 mvN; SZ 38/32; EvBl 1967/101, 104 uva).

Somit ist ein Erwerber nicht verpflichtet, sich vom wahren Liegenschaftsumfang, der sich aus der Grundbuchsmappe ergibt, Kenntnis zu verschaffen.

Dem gemäß bedarf es aber hier im Sinne der erhobenen Beweisrüge einer berufungsgerichtlichen Überprüfung dahin, ob die Kläger, wie dies das Erstgericht feststellte, nicht bereits bei der Liegenschaftsübernahme im Jahre 1965 von ihrem mangelnden Eigentum wußten und allenfalls auch einer Prüfung des Umstandes, ob nicht eine Ersitzung bereits durch die Rechtsvorgänger der klagenden Parteien erfolgte.

Der für die Ersitzung erforderliche gute Glaube fällt weg, wenn der Besitzer Umstände erfährt, die zu Zweifeln an der Rechtsmäßigkeit seines Besitzes Anlaß geben (SZ 50/91; SZ 50/53). Wer eine Sache von einem "rechtlichen" Besitzer übernimmt, ist als Nachfolger berechtigt, die Ersitzungszeit seines Vorgängers mit einzurechnen (Schubert in Rummel ABGB2, Rz 2 zu § 1493 ABGB). Bei der uneigentlichen langen Ersitzungszeit ist der Nachweis des rechtmäßigen Besitzes der Vorgänger ebensowenig wie ihrer jeweiligen Besitzdauer erforderlich (Klang-Klang VI2, 641).

Den Klägern obliegt der Beweis über Art und Umfang der Besitzausübung und der Besitzdauer insgesamt (40 Jahre), der Beweis der Unredlichkeit obliegt der beklagten Gemeinde (§ 328 zweiter Satz ABGB), weil im Zweifel die Redlichkeit des Besitzes vermutet wird.

Nicht übersehen werden darf, daß der Ersitzung eine entsprechende Verjährung des Rechtes seitens des bisherigen Berechtigten entsprechen muß, die nur dann eintritt, wenn dieser von seinem Recht während der Verjährungszeit keinen Gebrauch gemacht hat (JBl 1960, 607).

Die beklagte Partei wendete gegen das Klagebegehren ein, daß die Grundstücke innerhalb der letzten 40 Jahre unbehindert als öffentlicher Weg bzw Wanderweg benutzt wurden. Auch dieses Vorbringen der beklagten Gemeinde wird daher im weiteren Verfahren gegebenenfalls zu prüfen sein.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 2 ZPO.

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