OGH 8Ob571/86

OGH8Ob571/8628.8.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Walter P*** OHG, Wien 23., Richard Strauß-Straße 27, vertreten durch Dr. Paul Bachmann, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei D L W Aktiengesellschaft, Bietigheim-Bissingen, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr. Kurt Heller, Dr. Heinz H. Löber, DDr. Georg Bahn, Dr. Werner Huber und Dr. Günther J. Horvath, Rechtsanwälte in wien, wegen S 618.750,- samt Anhang und Feststellung infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 13. Februar 1986, GZ 4 R 270/85-18, womit der Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 22. Oktober 1985, GZ 12 Cg 122/85-9, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit S 16.419,15 bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin die Umsatzsteuer S 1.492,65) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Beklagte hat der Klägerin mit dem "Alleinvertriebsvertrag vom 19. April/7. Mai 1974" den Alleinvertrieb für delifol-Dachbahnen für das Gebiet der Republik Österreich übertragen. § 16 dieses Vertrages lautet unter der Überschrift "Gerichtsstand": "Als Gerichtsstand wird Wien vereinbart".

Gestützt auf diese Zuständigkeitsvereinbarung begehrte die Klägerin von der Beklagten die Bezahlung von 618.750,-- S und beantragte die Feststellung, daß die Beklagte der Klägerin für weitere Nachteile und Schäden hafte, die aus Anlaß der nicht ordnungsgemäßen Lieferung von delifol FG - Bahnen "erwachsen seien und erwachsen würden". Sie habe in der Zeit zwischen Juli 1975 und Oktober 1976 von der Beklagten armierte Dachbahnen gekauft und geliefert erhalten. Diese seien zur Eindeckung des Shopping Centers Süd verlegt worden, hätten aber einen Materialmangel aufgewiesen, der zur Schrumpfung der Dachbahnen führte. Zur vorläufigen Sanierung dieser Mängel sei die unverzügliche Verlegung eines Streifens neuer Dachbahnen im Randbereich des Daches erforderlich. Für die Sanierungskosten in Höhe des Klagebetrages hafte die Beklagte der Klägerin aus dem Titel der Gewährleistung.

Die Beklagte erhob die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit und begründete diese damit, daß sich die Gerichtsstandsvereinbarung lediglich auf Streitigkeiten aus dem Alleinvertriebsvertrag selbst beziehe, nicht aber auf solche aus Einzellieferungen. Die sich aus einzelnen Warenlieferungen ergebenden Rechtsbeziehungen seien vielmehr einer gesonderten Regelung vorbehalten worden. Dies komme im § 8 Abs 1 des Alleinvertriebsvertrages zum Ausdruck, wo die Geltung der Geschäftsbedingungen Nr. 1 der Beklagten für den Geschäftsverkehr zwischen den Streitteilen vereinbart wurde, soweit im Alleinvertriebsvertrag nichts anderes bestimmt werde. Die letztgenannte Wendung beziehe sich jedoch nur auf § 8 Abs 2 des Alleinvertriebsvertrages. Die hier genannten Geschäftsbedingungen Nr. 1 seien zum Zeitpunkt des Abschlusses des Alleinvertriebsvertrages noch nicht fertiggestellt gewesen und auch später zwischen den Parteien nicht verabschiedet worden. Diese seien sich lediglich darüber einig gewesen, daß sämtliche erforderlichen Regelungen für die künftigen Lieferungen über gesonderte Geschäftsbedinungen erfolgen sollten. In Ansehung derer sei aber auch in der Folge keine Einigung erzielt worden.

Das Erstgericht wies nach abgesonderter Verhandlung über die Unzuständigkeitseinrede der Beklagten die Klage zurück. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß eine nach § 6 ABGB vorzunehmende Auslegung der vorliegenden Gerichtsstandsvereinbarung keinen verläßlichen Schluß darauf zulasse, daß sie auch für Streitigkeiten aus den gesondert abzuschließenden Lieferverträgen Geltung haben solle. Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin Folge und änderte den erstgerichtlichen Beschluß dahin ab, daß es die von der Beklagten erhobene Einrede der örtlichen Unzuständigkeit verwarf. Das Erstgericht habe zunächst richtig erkannt, daß eine Zuständigkeitsvereinbarung gemäß § 104 JN eine (vorprozessuale) Prozeßhandlung sei, die bezüglich ihrer Wirksamkeit nach den Regeln des Prozeßrechtes zu beurteilen und danach primär auch auszulegen ist. Es sei daher an Hand der vorliegenden Urkunde in erster Linie der objektive Erklärungswert der Vereinbarung nach den allgemeinen Auslegungsregeln der §§ 6 und 7 ABGB festzustellen und nicht unmittelbar auf die Vorschriften des Privatrechtes über die Auslegung von Verträgen (§§ 914 ff. ABGB) zurückzugreifen. Inbesondere könne nicht durch Beweismittel, die über den Wortlaut der Urkunde hinausgehen, die Absicht der Parteien erforscht werden, etwa durch Zeugen oder andere Urkunden oder Parteienvernehmung. Der von der Klägerin gerügte Verfahrensmangel liege daher nicht vor. Mit Recht wende sich die Klägerin aber gegen die vom Erstgericht vorgenommene Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung im Vertrag, Beilage ./A. Mit diesem Vertrag sei der Klägerin als Vertragshändlerin ("Eigenhändlerin") der Alleinvertrieb der Vertragsware "delifol - Dachbahnen" für das Gebiet der Republik Österreich eingeräumt worden. Als solche hatte sie die Vertragsware im eigenen Namen und auf eigene Rechnung von der Beklagten zu kaufen (§ 2 Abs 2). Der Vertrag regle aber nicht nur die Rechte und Pflichten der Streitteile (§§ 2 bis 12) sowie dessen Dauer und Beendigungsmöglichkeiten (§§ 13, 14) und das anzuwendende Recht (§ 15), sondern enthalte vor der Schlußbestimmung des § 17 im § 16 auch eine ausdrückliche Gerichtsstandsvereinbarung. Diese gelte demnach für sämtliche Streitigkeiten aus dem durch diesen Vertrag geregelten Alleinvertriebsverhältnis. Richtig sei, daß nach § 8 Abs 1 für den Geschäftsverkehr zwischen den Streitteilen, also insbesondere auch für die von der Klägerin bei der Beklagten getätigten Einkäufe von Vertragsware;

"Geschäftsbedingungen .....Nr 1" gelten sollten; dies allerdings nur, "soweit in diesem Vertrag nichts anderes bestimmt ist". Schon die grammatikalische Auslegung dieser Vertragsbestimmung lasse ebenso wie auch deren systematisch-logische Interpretation oder teleologisch-systematsiche Überlegungen unmißverständlich erkennen, daß derartige Geschäftsbedingungen überhaupt nur insoweit Geltung haben sollten, als deren Einzelbestimmungen nicht im Widerspruch zu einer bestimmten Regelung des Alleinvertriebsvertrages ./A stehen. Dies gelte mangels einer entsprechenden Einschränkung auch für die ausdrückliche Zuständigkeitsvereinbarung des § 16. Damit sei aber klargestellt, daß diese Zuständigkeitsvereinbarung auch Streitigkeiten aus Einzellieferungsverträgen umfaßt, da eine allfällige widersprechende Gerichtsstandsvereinbarung in den dem Einzelgeschäft zurundegelegten Geschäftsbedingungen keine Geltung haben könnte. Abgesehen davon, daß weder die Klägerin noch die Beklagte die Behauptung aufgestellt haben, die im § 8 Abs 1 genannten Geschäftsbedingungen Nr. 1 seien dem Alleinvertriebsvertrag ./A überhaupt als Anhang 1 beigegeben gewesen und sie hätten eine abweichende Gerichtsstandsklausel enthalten, sei auch die Auffassung der Beklagten, die Einschränkung des letzten Halbsatzes des § 8 Abs 1 Satz 1 beziehe sich nur auf den nachfolgenden Abs 2 dieser Bestimmung, schlechthin unverständlich. Ein Zusammenhang sei schon deshalb nicht erkennbar, weil es sich hier ersichtlich um eine überflüssige Bestimmung handelt, stehe doch Vertragspartnern jederzeit die einvernehmliche Vertragsänderung zu. Daß aber eine solche in Ansehung der Gerichtsstandsvereinbarung vorgenommen worden wäre, sei von der Beklagten weder behauptet, noch urkundlich nachgewiesen worden.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich der Revisionsrekurs der Beklagten mit dem Antrag, den Beschluß des Rekursgerichtes dahin abzuändern, daß jener des Erstgerichtes wieder hergestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, dem Rechtsmittel der Gegenseite nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Die Beklagte behauptet zunächst Mangelhaftigkeiten des rekursgerichtlichen Verfahrens. Solche liegen jedoch nicht vor, was nicht näher zu begründen ist (§§ 528 a, 510 Abs 3 ZPO). Im übrigen vertritt die Beklagte rechtlich den Standpunkt, daß die Auslegung des Alleinvertriebsvertrages Beilage ./A nur dahin hinauslaufen könne, daß die Gerichtsstandsvereinbarung für den geltend gemachten Anspruch keine Geltung habe. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden:

Wie schon das Rekursgericht ausführte, ist die Zuständigkeitsvereinbarung eine (vorprozessuale) Prozeßhandlung, die bezüglich ihrer Wirksamkeit nach den Regeln des Prozeßrechtes zu beurteilen ist (Fasching, Zivilprozeßrecht, Rdz 196). Der Verfahrensgesetzgeber hat für die Beachtlichkeit einer die gesetzliche Zuständigkeitsordnung abändernden Parteienvereinbarung das Erfordernis des urkundlichen Nachweises aufgestellt, um verfahrensaufwendige Beweisaufnahmen im Zuständigkeitsstreit nach Tunlichkeit auszuschließen. Eine mit den Mitteln der Urkundenauslegung nicht behebbare Unklarheit ginge zu Lasten der Partei, die sich auf die beurkundete Vereinbarung beruft (6 Ob 637/82 ua.). Li`gt aber ein urkundlicher Nachweis einer Gerichtsstandsvereinbarung vor, trifft die die Richtigkeit des Urkundeninhaltes bestreitende Partei die Beweislast, daß die sich aus der Urkunde ergebende Unterwerfung unter die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes tatsächlich nicht erfolgt sei (6 Ob 733/81 ua.).

Beurteilt man den vorliegenden Sachverhalt nach diesen Grundsätzen, ist dem Rekursgericht beizupflichten, daß der Vertrag Beilage ./A eine für Streitigkeiten aus diesem "Alleinvertriebsvertrag" geltende Zuständigkeitsvereinbarung enthält. Im § 1 des Vertrages übernahm die Klägerin die Verpflichtung, die Vertragsware, um die es hier geht, nämlich "delifol-Dachbahnen" zu verlegen und zu verkaufen. Der Klageanspruch wird daraus abgeleitet, daß bei der Verlegung dieser Vertragsware infolge aufgetretener Materialmängel Sanierungskosten erforderlich wurden. Es kann daher keinem Zweifel unterliegen, daß die im § 16 enthaltene Bestimmung "als Gerichtsstand wird Wien vereinbart" auf den geltend gemachten Anspruch anzuwenden ist. Der Versuch der Beklagten, aus § 8 des zitierten Vertrages abzuleiten, daß überhaupt keine oder eine andere Gerichtsstandsvereinbarung getroffen wurde, schlägt fehl: Schon das Rekursgericht verwies darauf, daß anderslautende Geschäftsbedingungen diesbezüglich nicht zum Tragen kommen, weil der Vertragspunkt § 8 Abs 1 ausdrücklich auf die Vorrangigkeit des Alleinvertriebsvertrages und seiner Bestimmung verweist, indem er ausführt, daß solche Geschäftsbedingungen (nur) gelten, "soweit in diesem Vertrag nichts anderes bestimmt ist". Wie oben dargelegt wurde, wäre es bei der urkundlich klar umrissenen Gerichtsstandsvereinbarung an der Beklagten gelegen, nachzuweisen, daß diese auf den bezogenen Fall dennoch nicht anzuwenden sei; mit bloßen allgemein gehaltenen Hinweisen darauf, daß der Vertrag nicht auch "für den Geschäftsverkehr" zwischen den Parteien Geltung haben sollte, kan die Beklagte diesem Erfordernis nicht genügen. Dem Rekurs war somit der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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