OGH 8Ob57/16i

OGH8Ob57/16i28.6.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, den Hofrat Dr. Brenn sowie die Hofrätinnen Mag. Korn und Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Insolvenzeröffnungssache der Antragsteller 1. G***** GmbH, *****, 2. KR Ing. J***** H*****, beide vertreten durch Graf & Pitkowitz Rechtsanwälte GmbH in Graz, Antragsgegnerin Dr. D***** Z*****, vertreten durch Mag. Christian Fauland, Rechtsanwalt in Graz, über den außerordentlichen Revisionsrekurs beider Antragsteller gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 19. Mai 2016, GZ 3 R 56/16d‑17, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0080OB00057.16I.0628.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO iVm § 252 IO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Antragsteller begehrten die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Antragsgegnerin, die (unter anderem) eine fachärztliche Praxis und einen land‑ und forstwirtschaftlichen Betrieb mit Pferdehaltung betreibt. Die Antragsgegnerin schulde ihnen rückständigen und fortlaufenden Bestandzins bzw Leasingentgelt, wobei über einen Betrag von mehr als 341.761 EUR zuzüglich Zinsen und Kosten bereits ein erstinstanzliches Urteil vorliege, außerdem schulde sie beiden Antragstellern rechtskräftig zuerkannte Kosten aus einem weiteren Verfahren; eine weitere Gläubigerin habe eine titulierte Forderung von 232 EUR. Die Antragsgegnerin sei zahlungsunfähig.

Grundlage der geltend gemachten Insolvenzforderungen ist ein im Jahre 2007 zwischen Erstantragstellerin und Antragsgegnerin geschlossener Leasingvertrag mit Kaufoption über einen Liegenschaftskomplex mit Schlossgebäude. Die Verwirklichung des von der Antragsgegnerin auf der geleasten Liegenschaft geplanten Betriebs stieß auf Hindernisse. Sie forderte eine Anpassung des Leasingentgelts und bezahlte in der Folge anstelle der vereinbarten 12.713,08 EUR monatlich nur 1.366,60 EUR an die Erstantragstellerin.

Diese brachte schließlich im November 2011 eine Mietzins‑ und Räumungsklage ein, der 2015 – im zweiten Rechtsgang – stattgegeben wurde. Die Antragsgegnerin wurde als Beklagte zur Zahlung von 341.761 EUR an rückständigen Leasingraten zuzüglich Zinsen und Kosten an die Erstantragstellerin verpflichtet. Die Antragsgegnerin kündigte eine Berufung an, das Verfahren ist derzeit gemäß § 7 IO unterbrochen.

Im September 2014 verkaufte die Erstantragstellerin die verleaste Liegenschaft an den Zweitantragsteller. Die Antragsgegnerin sah sich in ihrem vertraglichen Vorkaufsrecht verletzt und brachte Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des Kaufvertrags gegen die Antragsteller ein. Dieses Verfahren endete durch rechtskräftige Klagsabweisung (Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz vom 7. 7. 2015, AZ 39 Cg 30/15h).

Im Dezember 2014 kündigte der Zweitantragsteller als Erwerber den Leasingvertrag vorsorglich gemäß § 1120 ABGB, hilfsweise auch wegen qualifizierten Zinsrückstands, gerichtlich auf. Dieses Verfahren (Bezirksgericht Graz‑Ost, AZ 213 C 774/14t) ist nicht abgeschlossen; im zweiten Rechtsgang wird nach dem Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts insbesondere zu klären sein, ob das Bestandverhältnis dem Anwendungsbereich des MRG unterliegt.

Die Antragsgegnerin bezahlte dem Zweitantragsteller überhaupt kein Leasing‑ oder Benützungsentgelt. Statt dessen erklärte sie, ab Jänner 2015 monatlich 3.600 EUR als „angemessenen Bestandzins“ auf ein Treuhandkonto ihres Rechtsvertreters einzuzahlen.

Das Erstgericht eröffnete mit Beschluss vom 1. 4. 2016 antragsgemäß das Konkursverfahren und bestellte einen Insolvenzverwalter. In seiner Begründung führte es aus, die Forderung der Erstantragstellerin sei durch das erstinstanzliche Urteil ausreichend bescheinigt. Selbst wenn die Einwände der Antragsgegnerin teilweise berechtigt wären, wäre den Antragstellern zumindest ein angemessener Bestandzins zu entrichten gewesen und die zuletzt gänzliche Verweigerung einer Zahlung nicht gerechtfertigt. Die geltend gemachten Verfahrenskosten seien zwar im Zuge des Eröffnungsverfahrens bezahlt worden, allerdings bestehe immer noch die Forderung der dritten Gläubigerin in Höhe von 232 EUR.

Das Jahreseinkommen der Antragsgegnerin habe zuletzt 36.802,73 EUR betragen und reiche weder zur Deckung des bescheinigten Rückstands, noch zur Zahlung des laufenden Benützungsentgelts aus, sodass auch die Zahlungsunfähigkeit bescheinigt sei.

Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel der Antragsgegnerin Folge, wies den Eröffnungsantrag ab und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig.

An die Bescheinigung nicht titulierter Gläubigerforderungen seien nach ständiger Rechtsprechung strenge Anforderungen zu stellen. Ein erstinstanzliches Urteil könne grundsätzlich als Bescheinigungsmittel dienen, es reiche aber dann nicht aus, wenn es dem Antragsgegner gelinge, gewichtige Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zu erwecken, deren Prüfung die Lösung komplexer Rechtsfragen im Zivilverfahren erfordern würde. Das Insolvenzverfahren sei zur Klärung solcher Fragen weder vorgesehen noch geeignet. In diesem Sinn könne derzeit nicht von einer hinreichenden Bescheinigung der Forderungen der Antragsteller ausgegangen werden. Die offene Forderung von 232 EUR reiche nicht aus, um eine Zahlungsunfähigkeit der Antragsgegnerin zu indizieren.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsteller, der keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO aufzeigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Gemäß § 70 Abs 1 IO ist das Insolvenzverfahren auf Antrag eines Gläubigers unverzüglich zu eröffnen, wenn er glaubhaft macht, dass er eine – wenngleich nicht fällige – Insolvenzforderung hat und dass der Schuldner zahlungsunfähig ist.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass für die Beurteilung, ob der Antragsteller eine Insolvenzforderung glaubhaft gemacht hat, im Rechtsmittelverfahren die Sachlage im Zeitpunkt der Beschlussfassung in erster Instanz und die Bescheinigungslage im Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel maßgebend ist. Im Rekursverfahren können daher neu hervorgekommene Beweismittel, aber keine erst nach Beschlussfassung erster Instanz entstandenen Tatsachen, berücksichtigt werden (5 Ob 321/85; RIS‑Justiz RS0065013 [T1, T2]). Eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse kann jederzeit in einem neuen Insolvenzantrag geltend gemacht werden, dem der Einwand der entschiedenen Sache nicht entgegensteht.

2. Das Insolvenzeröffnungsverfahren ist summarisch und besonders rasch durchzuführen (§§ 69 Abs 1 und Abs 4, 70 Abs 1 IO; 8 Ob 118/15h). Es ist bei der Prüfung der Voraussetzungen keine abschließende Entscheidung über Bestand und Fälligkeit behaupteter Insolvenzforderungen zu treffen, sondern nur zu beurteilen, ob es überwiegend wahrscheinlich ist, dass sie zu Recht bestehen und vom Schuldner bei Fälligkeit nicht bezahlt werden können.

3. An die Bescheinigung nicht titulierter Forderungen bzw Verbindlichkeiten, wie sie im vorliegenden Verfahren in erster Linie behauptet werden, ist ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Es muss sichergestellt sein, dass der Schuldner nicht nur aufgrund von Behauptungen oder Handlungen, mit denen in Wahrheit sachfremde Anliegen verfolgt werden, in den Konkurs getrieben wird (vgl 8 Ob 282/01f; 8 Ob 118/15h; Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger , Insolvenzrecht 4 § 70 KO Rz 27).

Gelingt es dem Antragsgegner im Laufe des Eröffnungsverfahrens, durch seine Bestreitung und durch die Vorlage von Gegenbescheinigungen solche Zweifel am Bestand der Forderungen zu wecken, dass eine Klärung umfangreiche Beweisaufnahmen und die Entscheidung von schwierigen Rechtsfragen erfordert, ist die Anspruchsbescheinigung misslungen.

Diesen Grundsätzen folgend ist das Rekursgericht jedenfalls nicht unvertretbar zu dem Ergebnis gelangt, dass die Forderung der Erstantragstellerin angesichts einer komplexen Sach‑ und Rechtslage mit einem erstinstanzlichen, nicht rechtskräftigen Urteil noch nicht ausreichend bescheinigt werden konnte.

4. Etwas anders stellt sich die Lage hinsichtlich der Forderung des Zweitantragstellers dar. Die Antragsgegnerin hat seit dem Eigentümerwechsel im September 2014 an den Zweitantragsteller nämlich überhaupt nichts bezahlt, obwohl sie das Bestandobjekt fortlaufend benützt und dafür 3.600 EUR monatlich selbst als angemessen zugestanden hat. Unabhängig vom Ausgang des anhängigen Kündigungsverfahrens ist daher von einem Anspruch des Zweitantragstellers auf Bestandzins bzw Benützungsentgelt dem Grunde nach auszugehen.

5. Am Ergebnis der Entscheidung des Rekursgerichts ändert dies nichts, weil es die kumulative Insolvenzvoraussetzung der Zahlungsunfähigkeit nicht als bescheinigt angenommen hat.

Auch wenn diesbezüglich kein allzu strenger Maßstab anzulegen ist (RIS‑Justiz RS0064986 [T3] = 8 Ob 291/01d), reicht das Bestehen mehrerer Forderungen in der Regel noch nicht aus, um Zahlungsunfähigkeit anzunehmen. Gewichtige Indizien dafür, dass der Schuldner in absehbarer Zeit nicht in der Lage ist, seine fälligen Verbindlichkeiten zu regeln, sodass nicht nur eine vorübergehende Zahlungsstockung vorliegt, sind zB erhebliche, über mehrere Monate rückständige Sozialversicherungsbeiträge und Steuern oder wiederholte Exekutionsvollzüge, die am Fehlen pfändbarer Vermögensobjekte gescheitert sind ( Übertsroider in Konecny , Insolvenzgesetze § 70 IO Rz 53 ff). Ob die Bescheinigung der Zahlungsunfähigkeit gelungen ist, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab und wirft in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO auf.

Auch unter Berücksichtigung der erweiterten Bescheinigungslage im Zeitpunkt seiner Entscheidung ist das Rekursgericht von dieser Rechtsprechung nicht in korrekturbedürftiger Weise abgewichen.

Nach den im erstinstanzlichen Verfahren eingetroffenen Forderungsanmeldungen hat die Antragsgegnerin hohe Verbindlichkeiten, allerdings ist daraus nicht ersichtlich, dass sie vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, auch mit der festgestellten zeitweiligen Unterstützung durch Dritte, nicht in der Lage gewesen wäre, ihren laufenden Zahlungspflichten nachzukommen.

Die Masse weist nach dem letzten Bericht des Insolvenzverwalters ein Guthaben von rund 51.000 EUR auf. Ob der laufende Betrieb ihrer Unternehmungen insgesamt als defizitär anzusehen ist, hängt demnach davon ab, in welcher Höhe sich die strittigen Forderungen der Antragsteller als berechtigt erweisen. Das Insolvenzeröffnungsverfahren ist nicht dazu geeignet, hier den Entscheidungen der Zivilgerichte vorzugreifen.

Insgesamt wird damit von den Antragstellern keine die Zulässigkeit des Revisionsrekurses begründende korrekturbedürftige (grobe) Fehlbeurteilung im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO iVm § 252 IO aufgezeigt.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte