European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0080OB00055.18Y.0529.000
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die ***** Gebietskrankenkasse hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.
Begründung:
Mit Beschluss vom 12. 10. 2017 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet. In der Prüfungstagsatzung am 11. 12. 2017 verfügte das Erstgericht die Unternehmensschließung gemäß § 115 Abs 1 IO.
Am 6. 12. 2017 beantragte die Insolvenzverwalterin anlässlich ihres zweiten Berichts die Erlassung einer Anordnung nach § 78 IO mit dem Inhalt, der ***** Gebietskrankenkasse (*****GKK) aufzutragen,
A) der Insolvenzverwalterin sowohl seit Insolvenzeröffnung, dem 12. 10. 2017, als auch ab sofort laufend, wöchentlich
1) eine Aufstellung sämtlicher bei ihr eingelangten AGH-Zahlungen in Form einer nachvollziehbaren Aufstellung, aus der der Einzahler, das Einzahlungsdatum und der Einzahlungsbetrag ersichtlich sind, sowie
2) eine Gegenüberstellung sämtlicher am Beitragskonto eingelangten Zahlungen zu allen geforderten (verbuchten) Sozialversicherungsbeiträgen (Beitragskonto mit Ein- und Ausgängen bzw mit sämtlichen Buchungen) zur Verfügung zu stellen und/oder
B) der Insolvenzverwalterin Zugang zum WEBEKU für die Schuldnerin zu gewähren.
Obgleich laufend Zahlungen aus Auftraggeberhaftung (AGH-Zahlungen) beim Dienstleistungszentrum der *****GKK eingingen und am Beitragskonto der Schuldnerin ein Guthaben von zumindest 7.000 EUR bestehen solle, habe die *****GKK auf die Anfrage und Aufforderung der Insolvenzverwalterin, ihr eine Aufstellung der Eingänge zukommen zu lassen, bislang nicht reagiert. Bekanntermaßen weigere sich die *****GKK kategorisch, Insolvenzverwaltern entsprechende Auskünfte zu erteilen, und stelle Aufstellungen über eingegangene AGH‑Zahlungen nur nach mehrmaliger Klagsandrohung zur Verfügung. Unter diesen Voraussetzungen sei ein ordentlicher Fortbetrieb kaum möglich. Auch Verspätungen von Kundenzahlungen ließen sich mangels Auskunft nicht prüfen. Im Zuge der Berichterstellung habe die *****GKK der Insolvenzverwalterin zwar aufgrund einer neuerlichen Anfrage das tagesaktuelle Guthaben mit 4.549,07 EUR mitgeteilt, ein Kontoauszug sei ihr aber wiederum nicht zur Verfügung gestellt worden, da dies nur durch die Beitragsabteilung möglich sei. Der Online-Zugang über das WEB-BE-Kunden-Portal („WEBEKU“) würde Insolvenzverwaltern und sonstigen Berechtigten, insbesondere Steuerberatern insolventer Unternehmen, grundlos verweigert.
Mit Beschluss vom 7. 12. 2017 erließ das Erstgericht die beantragte Anordnung nach § 78 IO. Die Schuldnerin erbringe laufend Leistungen im Baunebengewerbe und scheine nicht auf der HFU-Liste auf, sodass die Auftraggeber verpflichtet seien, 25 % der zu bezahlenden Rechnungsbeträge an das Dienstleistungszentrum
der *****GKK zu überweisen. Ein Unternehmensfortbetrieb sei ohne die Einsichtnahme in das WEBEKU faktisch nicht möglich.
Dem gegen diesen Beschluss erhobenen Rekurs der *****GKK gab das Rekursgericht Folge und änderte ihn im Sinne einer Antragsabweisung ab. § 78 IO (vormals inhaltsgleich § 78 KO) regle die Maßnahmen zur Sicherung der Masse und zur Fortführung des Unternehmens nach Insolvenzeröffnung. Der Sicherung der Masse diene jede Maßnahme, die einen Zugriff Dritter oder des Schuldners zu verhindern geeignet sei. Das Insolvenzgericht könne dazu auch Gebote und Verbote an individuell bezeichnete Dritte erlassen. Wenn der in § 78 IO genannte Sicherungszweck die entsprechende gerichtliche Verfügung erfordere, sei sie zulässig, wobei das Insolvenzgericht ihre Notwendigkeit vor Erlassung von Geboten und Verboten an Dritte mit besonderer Sorgfalt zu prüfen habe. Im vorliegenden Fall gehe das begehrte Gebot an die *****GKK allerdings weit über eine bloße Sicherungsmaßnahme zur Abwehr von Gefährdungs-handlungen hinaus. Durch die Anordnung würde vielmehr– unter Vorwegnahme einer meritorischen Entscheidung über den Anspruch – die *****GKK zu einer Handlung verpflichtet, die im Hinblick auf die implizierte Aufbereitung der Daten für sie mit einem nicht unerheblichen Aufwand verbunden wäre, die aber nicht der Abwehr einer Gefährdung, sondern lediglich einer Erleichterung der Tätigkeit der Masseverwalterin diene. Auf § 78 Abs 1 IO könne sich die Masseverwalterin daher nicht mit Erfolg berufen. Als alternative Anspruchsgrundlage käme § 97 Abs 3 IO in Betracht. Dessen (analoge) Anwendbarkeit sei aber letztlich ebenfalls zu verneinen, weil die Zahlung des Auftraggebers an das Dienstleistungszentrum nicht im Rahmen einer Zession erfolge und diese – schuldbefreiende – Zahlung der Anfechtung entzogen sei. Eine Rechtsschutzlücke liege auch nicht vor, weil dem Schuldner und von diesem abgeleitet auch dem Masseverwalter mit § 67a Abs 7 ASVG ein geeignetes Instrumentarium zur Verfügung stehe.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR übersteigt und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil – soweit überblickbar – keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Durchsetzung eines Auskunftsanspruchs gegen einen Sozialversicherungsträger gemäß § 78 Abs 1 IO oder § 97 Abs 3 IO vorliege.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs der Insolvenzverwalterin, der auf die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses abzielt.
In ihrer Revisionsrekursbeantwortung beantragt die *****GKK, den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihm keine Folge zu geben.
Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts ist der Revisionsrekurs mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO (iVm § 252 IO) nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
1.1 Das Insolvenzgericht hat nach § 78 Abs 1 IO zugleich mit der Insolvenzeröffnung jene Maßnahmen zu treffen, die zur Sicherung der Masse und zur Fortführung eines Unternehmens dienlich sind. Ob bzw welche Sicherungsmaßnahmen zu verfügen sind, bleibt dem pflichtgemäßen Ermessen des Insolvenzgerichts überlassen. Notwendige Verfügungen sind von Amts wegen zu treffen. Der Insolvenzverwalter kann die Erlassung aus seiner Sicht zweckmäßiger Sicherungsmaßnahmen auch beantragen (Katzmayr in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 78 IO Rz 5). Zutreffend hat das Rekursgericht ausgeführt, dass die Sicherungsmaßnahmen effektiven Schutz vor schädigenden Verfügungen des Schuldners und vor faktischen Zugriffen auf das Massevermögen durch den Schuldner oder durch Dritte bieten sollen. Dieser Sicherungszweck findet seine Grenze dort, wo die durch das Insolvenzgericht verfügten Gebote und Verbote nicht mehr dem Schutz der Insolvenzmasse vor solchen Zugriffen dienen. Dabei ist anerkannt, dass das Insolvenzgericht Gebote und Verbote auch gegenüber individuell bezeichneten Dritten erlassen kann. In einem solchen Fall hat das Insolvenzgericht die Notwendigkeit der Sicherungsmaßnahmen mit besonderer Sorgfalt zu prüfen (zuletzt etwa 8 Ob 85/16g; vgl dazu auch Katzmayr in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 78 IO Rz 21 bis 25).
Die den einstweiligen Verfügungen der EO nahestehenden Sicherungsmaßnahmen nach § 78 IO schaffen weder neue materiell-rechtliche Ansprüche der Masse gegenüber Dritten noch dürfen sie in die Rechtsposition Dritter eingreifen (Katzmayr in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 78 IO Rz 32 und 34; Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger, Insolvenzrecht4 § 78 KO Rz 77 f). Grundsätzlich geht es um vorübergehende Beschränkungen der Rechtsausübung durch den Dritten (Schumacher aaO § 78 KO Rz 79).
1.2 Im Unterschied dazu normiert § 97 Abs 3 IO eine spezifische Auskunftspflicht des Zessionars, die mit Anordnungen des Insolvenzgerichts nach § 97 Abs 4 IO durchgesetzt wird (Hierzenberger/Riel in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 97 KO Rz 6). Eine – auf § 97 Abs 3 IO gestützte – Anordnung nach § 97 Abs 4 IO hat die Insolvenzverwalterin hier nicht beantragt. Auch im Revisionsrekurs beruft sich die Insolvenzverwalterin zur Begründung ihres Begehrens ausschließlich auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 78 Abs 1 IO.
1.3 Die angestrebte Auskunft steht aber weder mit dem vorläufigen Charakter einer Sicherungsmaßnahme in Einklang, noch zeigt die Insolvenzverwalterin einen materiell-rechtlichen Auskunftsanspruch der Schuldnerin gegen die *****GKK auf, der Grundlage hierfür sein könnte.
2.1 Nach § 67a Abs 6 ASVG sind Guthaben auf einem Beitragskonto des beauftragten Unternehmens, die sich aufgrund der Überweisung von Haftungsbeträgen nach § 67a Abs 3 Z 2 ASVG ergeben, auf schriftlichen Antrag durch den jeweils zuständigen Krankenversicherungsträger auszuzahlen. Zum Zweck der Antragstellung nach dieser Bestimmung haben die DienstgeberInnen gemäß § 67a Abs 7 ASVG das Recht, auf elektronischem Weg uneingeschränkt und kostenlos Einsicht in ihr Beitragskonto zu nehmen („WEBEKU“; vgl Bartos, Praxisleitfaden Auftraggeberhaftung², 66 f).
Der Oberste Gerichtshof hat bereits klargestellt, dass für Streitigkeiten über die Frage, ob ein Guthaben nach § 67a Abs 6 ASVG auszuzahlen oder gemäß den Anordnungen in § 67a ASVG mit den Beitragsschulden des Auftragnehmers zu verrechnen ist, der Rechtsweg nicht zulässig ist. § 352 ASVG weist die Durchführung der und damit aller Bestimmungen des ASVG den Verwaltungssachen zu, soweit nicht eine der dortigen Ausnahmen eingreift. Während § 67a Abs 13 ASVG anordnet, dass Ansprüche aus der Haftung der auftraggebenden Unternehmen im Zivilrechtsweg vor den zur Ausübung der Gerichtsbarkeit in Handelssachen berufenen Gerichten geltend zu machen sind, fehlt eine entsprechende Anordnung im Verhältnis Auftragnehmer-Sozialversicherung (3 Ob 101/16y; Rebhahn/Meißnitzer in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV‑Komm § 67a ASVG Rz 77).
Dieselben Erwägungen gelten für den (ausdrücklich der Antragstellung nach § 67a Abs 6 ASVG dienenden) Anspruch auf elektronische Kontoeinsicht, der– wie das Rekursgericht richtig erkannt hat – im Verwaltungsweg durchzusetzen ist (§ 410 Abs 1 Z 7 ASVG, vgl im Übrigen aber zur Haftung wegen Verzögerungen etwa RIS‑Justiz RS0121622, RS0033632, RS0049704 uva).
Diese Bestimmung vermag damit die von der Insolvenzverwalterin begehrte Sicherungsmaßnahme nicht zu tragen.
2.2 Art 94 B‑VG schließt zwar nicht aus, dass aus ein und demselben Sachverhalt privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Ansprüche abgeleitet werden, über die einerseits die Gerichte, andererseits die Verwaltungsbehörden zu entscheiden haben (RIS‑Justiz RS0045497; s auch RS0106852).
Einen außerhalb des ASVG wurzelnden bürgerlich-rechtlichen Auskunftsanspruch behauptet die Insolvenzverwalterin aber nicht. Damit scheidet die gegenüber der *****GKK beantragte Sicherungsmaßnahme nach § 78 Abs 1 IO schon mangels Darstellung eines korrelierenden Anspruchs im Sinne des § 1 JN (iVm § 252 IO) aus.
3. Mit der vom Rekursgericht verneinten Anwendbarkeit der Bestimmung des § 97 Abs 3 IO setzt sich die Insolvenzverwalterin in ihrem Revisionsrekurs gar nicht auseinander, sodass insoweit keine Überprüfung der in der angefochtenen Entscheidung vertretenen Rechtsansicht stattfinden kann (RIS‑Justiz RS0043654).
4. Insgesamt gelingt es der Rechtsmittelwerberin daher nicht, mit ihren Ausführungen eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Der Revisionsrekurs war daher ungeachtet des Zulässigkeitsausspruchs des Rekursgerichts zurückzuweisen.
5. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 254 Abs 1 Z 1 IO.
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