OGH 8Ob543/89

OGH8Ob543/8916.3.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Maier, Dr. Schwarz und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Erna Anna K***, geboren am 12. Jänner 1934 in Falkenberg (Polen), Hausfrau, 6830 Rankweil, Karmelweg 5, vertreten durch Dr. Gerold Hirn und Dr. Burkhard Hirn, Rechtsanwälte in Feldkirch, wider die beklagte Partei Roman K***, geboren am 11. Mai 1933 in Zwischenwasser-Muntlix, Krankenpfleger, 6830 Rankweil, Karmelweg 5, vertreten durch Dr. Rolf Philipp, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen Ehescheidung, infolge Revisionen der klagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgerichtes vom 18.Oktober 1988, GZ 1 a R 421/88-27, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 3.Juni 1988, GZ 1 C 1042/87-22, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Keiner der Revisionen wird Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrte die Scheidung ihrer mit dem Beklagten am 12. Mai 1956 geschlossenen Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten mit der Begründung, dieser unterhalte seit mehreren Jahren ehebrecherische Beziehungen zu einer anderen Frau und sei nicht bereit, dieses Verhältnis zu beenden, sodaß die Ehe unheilbar zerrüttet erscheine. Allfällige Verfehlungen der Klägerin seien ausschließlich auf das grob ehewidrige Verhalten des Beklagten zurückzuführen.

Der Beklagte wendete das überwiegende Verschulden der Klägerin an der unheilbaren Zerrüttung der Ehe der Streitteile ein und brachte hiezu vor, die Klägerin sei seit etwa zehn Jahren Alkoholikerin und trotz zahlreicher Entwöhnungskuren immer wieder rückfällig geworden. Sie habe auch ehewidrigen und ehebrecherischen Umgang mit anderen Männern unterhalten und sei des öfteren tagelang von der Ehewohnung fortgeblieben. Die vom Beklagten zu einer anderen Frau unterhaltenen Beziehungen fielen nicht ins Gewicht, weil sie erst nach Eintreten der unheilbaren Zerrüttung der Ehe aufgenommen worden seien.

Diesem Vorbringen erwiderte die Klägerin, ihre erst seit kürzerer Zeit bestehende Trunksucht sei auf das ehewidrige Verhalten des Beklagten zurückzuführen, der sie auch mehrfach tätlich angegriffen und beschimpft habe und ihr seit vier Jahren trotz Vorliegens einer einstweiligen Verfügung keinen Unterhalt zahle. Das Erstgericht schied die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden der Klägerin. Es traf folgende Feststellungen:

Die Klägerin spricht seit vielen Jahren übermäßig dem Alkohol zu, war deswegen wiederholt auf Entwöhnungskuren und befand sich insgesamt elf- oder zwölfmal in stationärer Behandlung des Landesnervenkrankenhauses Valduna. Sie hat schon zu einer Zeit übermäßig getrunken, als der Beklagte noch nicht Beziehungen zu einer anderen Frau hatte. Oft war sie zwei bis drei Wochen lang fast jeden Tag hintereinander betrunken und es ist auch vorgekommen, daß sie betrunken auf der Straße oder vor der Haustüre aufgelesen werden mußte. In den Zeiten des übermäßigen Alkoholkonsums hat die Klägerin auch zugegebenermaßen den Haushalt vernachlässigt und wurde in betrunkenem Zustand gegen den Beklagten aggressiv und auch tätlich. In der letzten Zeit hat sie für den Beklagten auch nicht mehr gekocht und gewaschen. Sie gab selbst zu, in der zweiten Jahreshälfte 1987 anläßlich eines Betriebsausfluges der Firma C***, bei welcher sie als Aufräumerin beschäftigt war, mit einem anderen Mann geschlechtlich verkehrt zu haben.

Der Beklagte nahm im Sommer 1985 zu Theresia E*** zumindest ehewidrige Beziehungen auf, ist etwa ein- bis zweimal pro Woche mit dieser ausgegangen und hat sie auch am Abend besucht, obwohl er wußte, daß die Klägerin dies nicht haben wollte. Diese Beziehung begann allerdings erst zu einer Zeit, als die Klägerin schon Jahre hindurch übermäßig getrunken hatte. Ein Ehebruch des Beklagten ist nicht mit Sicherheit erweislich. Der Beklagte hat die Klägerin mehrmals geschlagen und zwar auch in Gegenwart der Kinder und es ist auch zu gegenseitigen Beschimpfungen gekommen. Wenn sie betrunken war, hat er sie auch geohrfeigt. Seit mehreren Jahren gab er ihr kein Haushaltsgeld mehr und kam nur mehr für die Betriebskosten der Wohnung usw. auf. Er gab selbst zu, die in der einstweiligen Verfügung festgesetzten monatlichen Unterhaltsbeträge nicht bezahlt zu haben.

In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, das Verhalten des Beklagten könne insgesamt betrachtet nicht mehr als entschuldbare und in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Alkoholmißbrauch der Klägerin stehende Reaktion betrachtet werden, sodaß ein Mitverschulden seinerseits anzunehmen sei. Das überwiegende Verschulden treffe aber die Klägerin, denn sie habe durch ihren jahrelangen krassen Alkoholmißbrauch die Ehe zerrüttet. Dieser habe schon Jahre vor Aufnahme ehewidriger Beziehungen des Beklagten zu einer anderen Frau bestanden und sei daher keinesfalls durch diese Beziehung provoziert worden. Eine Verzeihung von Verfehlungen der Klägerin durch den Beklagten sei nicht erfolgt. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge und sprach aus, daß die Ehe aus dem Verschulden des Beklagten geschieden werde und daß die Klägerin an dieser Scheidung mitschuldig sei. Das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, es erscheine rechtlich unerheblich, ob der Alkoholabusus der Klägerin, wie in ihrer Berufung behauptet, allenfalls "Lücken" aufgewiesen habe, denn die Feststellung, daß "ihr Trinkverhalten" die Zerrüttung der Ehe wesentlich verursacht habe, sei unbekämpft geblieben. Im übrigen übernahm das Berufungsgericht die erstgerichtlichen Feststellungen und hielt die von der Klägerin begehrten weiteren Feststellungen für entbehrlich, da hiedurch der Entscheidungsstoff keine wesentliche Änderung erfahre. Zur Rechtsrüge führte es unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung aus, daß bei der Verschuldensabwägung nach § 60 Abs. 2 und 3 EheG das Gesamtverhalten beider Ehegatten maßgebend erscheine; zu berücksichtigen sei vor allem, wer mit der schuldhaften Zerstörung der Ehe begonnen und wer einen entscheidenden Beitrag zur unheilbaren Zerrüttung der Ehe geleistet habe. Wesentlich sei also, wessen Verfehlungen die erste Ursache für die weiteren gewesen seien, wie weit sie einander bedingten und schließlich zum Scheitern der Ehe geführt hätten. Nach unheilbarer Ehezerrüttung begangene Eheverfehlungen spielten bei der Verschuldensabwägung keine entscheidende Rolle. Überwiegendes Verschulden dürfe nur dann angenommen werden, wenn die Schuld des einen Gatten erheblich schwerer sei und das Verschulden des anderen fast völlig in den Hintergrund trete; dieser Unterschied müsse offenkundig hervortreten; subtile Abwägungen über das Verschuldensausmaß der Partner seien dabei nicht anzustellen. Ausgehend von diesen Grundsätzen könne das Berufungsgericht vorliegendenfalls aber ein offenkundiges Hervortreten des Verschuldens der Klägerin nicht erkennen. Bei Würdigung des Gesamtverhaltens der Streitteile übersehe das Erstgericht, daß die Klägerin zahlreiche ernste Versuche unternommen habe, vom Alkoholmißbrauch wegzukommen. Wenn sie immer wieder rückfällig geworden sei, könne ihr dies nicht als entscheidender Beitrag zur schuldhaft gesetzten unheilbaren Zerrüttung der Ehe angelastet werden. Der Alkoholmißbrauch der Klägerin sei für sie zweifellos auch ein psychisches Problem gewesen. Gerade in einer solchen Situation sei sie auf die Beistandspflicht ihres Ehegatten angewiesen gewesen und habe diese offensichtlich vermißt. Von einer unheilbaren Zerrüttung der Ehe der Streitteile könne bis zur Aufnahme der ehewidrigen Beziehungen des Beklagten zu Theresia E*** nicht gesprochen werden. Es sei augenscheinlich, daß diese jahrelange ehewidrige Beziehung des Beklagten für die Klägerin besonders kränkend gewesen sei. Nach Ansicht des Berufungsgerichtes käme dem Alkoholmißbrauch der Klägerin und der jahrelang andauernden ehewidrigen Beziehung des Beklagten zu einer anderen Frau gleiches Gewicht zu. Auch die weiteren, den Parteien anzulastenden Eheverfehlungen ließen kein überwiegendes Verschulden des einen oder anderen Teiles erkennen. Die Haushaltsvernachlässigung der Klägerin sei in Verbindung mit der Unterhaltsvernachlässigung des Beklagten zu sehen. Die beiderseitigen Tätlichkeiten und Beschimpfungen der Streitteile hielten sich annähernd die Waage, ohne daß insoweit erkennbar sei, welche Verfehlung die erste Ursache für weitere Verfehlungen gewesen sei. Der von der Klägerin selbst einbekannte, erst nach Anhängigmachung dieser Scheidungsklage vollzogene Ehebruch spiele schließlich bei der Verschuldensabwägung keine entscheidende Rolle mehr, weil er nach unheilbarer Zerrüttung der Ehe begangen worden sei.

Gegen die berufungsgerichtliche Entscheidung erheben beide Streitteile Revision jeweils mit dem Antrage auf Abänderung in dem Sinne, daß das überwiegende Verschulden der Gegenseite an der Scheidung der Ehe ausgesprochen werde. Als Anfechtungsgründe machen sie unrichtige rechtliche Beurteilung, der Beklagte überdies Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geltend.

Die Klägerin vertritt die Ansicht, ihre Versuche, durch Entwöhnungskuren vom Alkohol loszukommen, ließen die Verwerflichkeit und Schwere ihrer Eheverfehlung in milderem Lichte erscheinen. Der Beklagte habe bei diesen Versuchen entgegen seiner Pflicht keinen Beistand geleistet, sondern sich einer anderen Frau zugewendet und daher besonders verwerflich gehandelt. Unter solchen Umständen seien ihre "Entzugsversuche" von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Entscheidender Beitrag zur Zerrüttung der Ehe sei nicht der Rückfall der Klägerin, sondern die mehrjährige ehewidrige Beziehung des Beklagten zu einer anderen Frau gewesen.

Demgegenüber bringt der Beklagte vor, der schwere Alkoholmißbrauch der Klägerin sei allein der eigenverantwortlichen Sphäre der Klägerin zuzuordnen und die Ehe der Streitteile sei solcherart zum Zeitpunkt der Aufnahme seiner ehewidrigen Beziehungen zu einer anderen Frau bereits unheilbar zerrüttet gewesen. Bei der Verschuldenszumessung dürfe auch nicht übersehen werden, daß die Klägerin Ehebruch begangen habe. In seiner Mängelrüge erhebt der Beklagte den Vorwurf, das Berufungsgericht habe seiner Entscheidung abweichend von den erstgerichtlichen Tatsachenfeststellungen und somit mangels Beweiswiederholung unzulässigerweise zugrundegelegt, daß die Klägerin zahlreiche ernsthafte Versuche, vom Alkoholmißbrauch abzukommen, unternommen und anschließend "offensichtlich" die Beistandspflicht des Beklagten vermißt habe und "augenscheinlich" durch die jahrelangen ehewidrigen Beziehungen des Beklagten besonders gekränkt gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Weder den Revisionsausführungen der Klägerin noch jenen des Beklagten kommt im Ergebnis Berechtigung zu.

Auf der Grundlage der von den Tatsacheninstanzen getroffenen Feststellungen stellte die Alkoholsucht der Klägerin zweifellos die einleitende Ursache für die Zerrüttung der Ehe der Streitteile dar. Eine unheilbare Zerrüttung war jedoch hiedurch nicht eingetreten. Auch wenn in einer Ehe aufgrund von Verfehlungen eines Ehegatten schon ein gewisser Zerrüttungszustand eingetreten ist, bestehen die aus dem Ehevertrag entspringenden Pflichten (§ 90 ABGB) weiter und die Partner müssen einander insbesondere auch weiterhin anständig begegnen und die eheliche Treue bewahren (3 Ob 507, 508/83, 8 Ob 536/87 u.a.). Von ausschlaggebender Bedeutung bei der Abwägung der von beiden Seiten gesetzten Eheverfehlungen im Rahmen der Verschuldenszumessung erscheint, wodurch die Zerrüttung der Ehe sodann unheilbar geworden ist (EvBl. 1961/428; 2 Ob 630/85, 1 Ob 678/87, 8 Ob 599/88 u.v.a.) und inwieweit hiezu jeder der Ehegatten beigetragen hat.

Vorliegendenfalls hat der Beklagte auf die von der Klägerin durch ihren Alkoholismus gesetzte schwere Eheverfehlung (vgl. JBl. 1976, 212, EFSlg. 31.650; 3 Ob 550/88 u.a.) nicht, wie es bei rechter ehelicher Gesinnung von Ehepartnern im Sinne des § 90 ABGB zu fordern ist, durch entsprechende Hilfestellung, sondern durch Tätlichkeiten und Beschimpfungen reagiert und sodann eine ehewidrige Beziehung zu einer anderen Frau aufgenommen. Er gibt selbst zu (AS 75), daß es wegen dieser anhaltenden ehewidrigen Beziehungen in der Folge zu Auseinandersetzungen zwischen den Streitteilen gekommen ist. Der Beklagte zahlte der Klägerin auch nicht den ihr gerichtlich zuerkannten Unterhalt. Wenngleich die Klägerin durch ihre die Zerrüttung der Ehe einleitende jahrelange Trunksucht, sowie die auch ihrerseits gesetzten Tätlichkeiten und Beschimpfungen und die zeitweise Vernachlässigung des Haushaltes im Sinne der zutreffenden Ausführungen der Vorinstanzen die Zerrüttung der Ehe wesentlich verursachte, so leistete der Beklagte durch seine mehrfachen und ebenfalls durch lange Zeit gesetzten Eheverfehlungen zweifellos einen entscheidenden Beitrag zur Ehezerrüttung. Da der Ehebruch der Klägerin - ein solcher des Beklagten war nach der Ansicht der Tatsacheninstanzen nicht mit Sicherheit erweislich - nach Eintritt der unheilbaren Zerrüttung und nach Einbringung der vorliegenden Scheidungsklage begangen wurde, kam diesem keine Zerrüttungswirkung mehr zu, sodaß er für die Verschuldensabwägung ohne Bedeutung bleibt. Bei Gegenüberstellung der angeführten beiderseitigen schweren Eheverfehlungen der Streitteile kann keinesfalls gesagt werden, daß jene des Beklagten im Verhältnis zu den von der Klägerin gesetzten ganz in den Hintergrund träten und somit im Sinne der Rechtsprechung (EFSlg. 20.503; RZ 1978/43; 1 Ob 193, 194/75; 2 Ob 550/88 u.a.) der Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens der Klägerin an der Scheidung der Ehe der Streitteile gerechtfertigt wäre. Auf die Frage der vom Beklagten in seiner Mängelrüge bekämpften berufungsgerichtlichen tatsächlichen Schlußfolgerungen im Zusammenhang mit dem Alkoholismus der Klägerin braucht mangels rechtlicher Erheblichkeit dieser Schlußfolgerungen nicht eingegangen zu werden. Davon, daß, wie die Klägerin in ihrer Revision meint, dem Beklagten wegen eines besonders verwerflichen Verhaltens das überwiegende Verschulden an der Scheidung anzulasten sei, kann beim gegebenen Sachverhalt im Sinne der vorstehenden Ausführungen von vornherein nicht die Rede sein.

Demgemäß war keiner der Revisionen ein Erfolg zuzuerkennen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 43 Abs. 1 und 50 ZPO.

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