OGH 8Ob536/87

OGH8Ob536/8726.3.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Margareta H***, geboren am 8. April 1937 in Bach, Gastwirtin, Plankenstein Nr. 9, vertreten durch Dr. Alfred Lukesch und Dr. Eduard Pranz, Rechtsanwälte in St. Pölten, wider die beklagte und widerklagende Partei Rudolf H***, geboren am 5. Dezember 1936 in Plankenstein, Kraftfahrer, Kirnberg, Wolfsbach 12, vertreten durch Dr. Hans-Jörg Schachner, Rechtsanwalt in Melk, wegen Ehescheidung infolge Revision der klagenden und widerbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 28. November 1986, GZ 12 R 35/86-14, womit infolge Berufung der beklagten und widerklagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes St. Pölten vom 8. November 1985, GZ 1 Cg 218/84-10, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit S 3.397,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Umsatzsteuer von S 308,85) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin und Widerbeklagte (im folgenden nur Klägerin genannt) und der Beklagte und Widerkläger (im folgenden nur als Beklagter bezeichnet) schlossen am 1. Februar 1958 vor dem Standesamt Kilb ihre beiderseits erste Ehe. Dieser Ehe entstammen 8 Kinder, von denen 2 bereits verstorben und 4 volljährig sind; an minderjährigen Kindern sind der am 11. Juli 1975 geborene Roman und die am 21. September 1976 geborene Erika vorhanden. Die Streitteile sind österreichische Staatsbürger, ihr letzter gemeinsamer Aufenthalt war in Plankenstein.

Die Klägerin begehrte die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten, weil er durch hemmungsloses Eingehen von Verbindlichkeiten einen Schuldenberg von ca. 1,8 Millionen Schilling anhäufte. Außerdem habe er ehebrecherische Beziehungen zu einer anderen Frau aufgenommen, zu der er im August 1983 zog. Der Beklagte begehrte seinerseits die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Klägerin und behauptete, daß die Klägerin ihrerseits ehewidrige Beziehungen zu anderen Männern unterhalte, weshalb er im November 1983 die Wohnung verließ.

Das Erstgericht sprach die Scheidung der Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten aus. Es traf nachstehende hier noch relevante Feststellungen:

Die Streitteile übernahmen zu Beginn ihrer Ehe von den Eltern des Beklagten die Liegenschaft Plankenstein Nr. 9 und damit auch beträchtliche Verbindlichkeiten in nicht mehr exakt bestimmbarer Höhe. Da die Eltern der Klägerin ihre Landwirtschaft verkauft hatten, konnte aus dem Erlös ein Teil der Schulden bezahlt werden. Die finanzielle Situation der Streitteile war von jahrelangen Rückzahlungen geprägt; dennoch schafften sie es nie, die Verbindlichkeiten völlig abzudecken, weil laufend neue Schulden eingegangen wurden.

Der Beklagte übernahm von seinem Vater einen LKW mit Plateau und betrieb damit ein Milchfuhrwerk. Gleichzeitig war er für die Agrargenossenschaft Scheibbs tätig, wofür er einen Kipper benötigte, der im Jahre 1959 angeschafft wurde.

Im Jahre 1960 verzichtete die Molkereigenossenschaft auf die Dienste des Beklagten, sodaß er das Milchfuhrwerk aufgeben mußte. Im Jahre 1962 kaufte der Beklagte einen LKW 586 Steyr, da das alte Fahrzeug inzwischen zu schwach geworden war. Für die Kosten des Autos mußten drei Personen die Haftung übernehmen; da die Streitteile in der Folge keine Zahlung leisten konnten, mußte ein Bürge die beiden anderen ausbezahlen. Daraufhin wurden die Streitteile von diesem Bürgen und dem LKW-Lieferanten in Anspruch genommen.

Wegen der äußerst tristen finanziellen Situation wandte sich die Klägerin an den damaligen nö. Landeshauptmann Leopold F***, worauf den Streitteilen ein Darlehen von S 100.000,-- und eine nicht rückzahlbare Notstandsunterstützung von S 50.000,-- gewährt wurden. Im Jahre 1966 kaufte der Beklagte einen LKW MAN, der 1972 zurückgegeben und an dessen Stelle ein LKW Fiat Tornado 230 angeschafft wurde. Mit diesen beiden Fahrzeugen betrieb der Beklagte ein Holzfuhrwerk.

1973 kaufte der Beklagte dann einen weiteren LKW der Marke Fiat, da er sehr viel Arbeit hatte. Ein Fahrzeug wurde für die Agrargenossenschaft, das andere für die Straßenmeisterei eingesetzt. 1975 kaufte er bei der Firma ÖAF einen Allradlastwagen um 1 Mill. S. Die Finanzierung dieses Fahrzeuges erfolgte mit Hilfe der AVA-Bank. Allerdings waren dazu Freilassungserklärungen der Eltern der Klägerin nötig, um der AVA-Bank einen besseren grundbücherlichen Rang einzuräumen. Deshalb kam es öfters zu Streitigkeiten zwischen der Klägerin und dem Beklagten, weil ihre Eltern von ihr dazu veranlaßt bzw. umgestimmt werden sollten, diese Freilassungserklärungen abzugeben. Etwa um die gleiche Zeit schaffte sich der Beklagte für die Jagd ein Gewehr an. Da ihm eine Barzahlung nicht möglich war, wurde ihm eine Ratenzahlung von monatlich S 5.000,-- gewährt, die der Beklagte jedoch nicht einhalten konnte. Dreimal borgte ihm die Tochter Margareta das Geld für die Raten; eine Rückzahlung der geborgten Beträge an seine Tochter unterließ der Beklagte aber.

1975 kaufte er auch einen neuen PKW Mercedes um S 174.000,--. In der Folge gab es zwischen ihm und der Klägerin wegen der angespannten finanziellen Situation, die durch die laufenden Fahrzeugkäufe keine Besserung erfahren konnte, dauernd Zerwürfnisse und Streitigkeiten; die Klägerin machte ihm deshalb immer wieder Vorwürfe, weil wegen der Fahrzeugkäufe neue Schulden eingegangen wurden. Sie selbst betrieb ein Gasthaus, konnte damit aber nur gerade so viel Geld verdienen, daß die Familie davon leben konnte, während durch die ständige Anschaffung von Fahrzeugen durch den Beklagten die Verbindlichkeiten immer mehr anwuchsen. 1977 oder 1978 - der genaue Zeitpunkt ist nicht mehr genau feststellbar - hatten die Schulden der Streitteile schließlich einen Höchststand von rund 1,8 Mill. S erreicht. Die Klägerin versuchte nun, bei der Gemeinde eine Umwidmung von landwirtschaftlichen Flächen in Bauland zu erwirken, um durch Verkauf von Liegenschaften die Schulden abdecken zu können. Ende 1979 oder im Jahre 1980 waren die Streitteile von einer Versteigerung bedroht.

Etwa um diese Zeit war die Tochter Margareta mit Alois H***, einem vermögenden Landwirt, befreundet. Diesen ersuchte der Beklagte für 1,6 Mill. S eine Bürgenhaftung zu übernehmen. Da H*** aber Sicherstellungen verlangte und ihm solche nicht geboten werden konnten, wurde daraus nichts. Daraufhin verwies ihn der Beklagte des Hauses.

1980 gelang es den Streitteilen, durch Abverkäufe von Grundstücken über rund 10.000 m 2 einen Betrag von 1,4 Mill. S zu erhalten. Damit wurde ein Großteil der Verbindlichkeiten gegenüber der AVA-Bank und der R*** T*** getilgt; es blieb aber immer noch ein offener Betrag von rund S 500.000,-- bis S 600.000,--. Im gleichen Jahr hatte der Beklagte für eine Autoreparatur S 42.000,-- zu bezahlen. Weil er dazu aber nicht in der Lage war, obwohl er inzwischen bei der D*** in Greifenstein beschäftigt war und gut verdiente, halfen ihm die Eltern der Klägerin aus, die aber ohnehin nur einen Hilflosenzuschuß bezogen und geringe Einkünfte aus Milchgeld hatten.

1981 kaufte der Beklagte einen gebrauchten PKW VW Golf um S 45.000,--, um damit zur Arbeit nach Greifenstein fahren zu können. Ein halbes oder ein 3/4 Jahr später erstand er einen neuen PKW Golf um S 100.000,--.

Zur Abdeckung der oben genannten verbliebenen restlichen Verbindlichkeiten über rund S 500.000,-- bis S 600.000,-- wollte der Beklagte einen neuen Kredit bei der O*** V*** aufnehmen, die ihm rund S 800.000,-- zugesichert hatte. Er wollte diesen Kredit auf der Liegenschaft bzw. dem Wohnhaus der Streitteile grundbücherlich sicherstellen lassen und dafür eine Freilassungserklärung der Klägerin erwirken. Weil sie sich aber nach rechtlicher Beratung dazu nicht bereit erklärte, zog der Beklagte dann im August 1983 aus dem ehelichen Schlafzimmer aus. Um diese Zeit lernte er bei einem Feuerwehrheurigen die Witwe Josefa B*** kennen und unterhielt dann regelmäßigen Kontakt zu ihr. Bis November 1983 schlief er noch zu Hause, dann zog er aus dem ehelichen Haushalt aus, lebt seither mit Josefa B*** zusammen und unterhält auch geschlechtliche Beziehungen zu ihr.

In den letzten Jahren vor der Trennung gab es zwischen der Klägerin und dem Beklagten immer wieder Streitigkeiten, wobei es vorwiegend um die durch Fahrzeugkäufe verursachte finanzielle Misere der Streitteile ging. Wegen Beziehungen der Klägerin zu einem anderen Mann oder des Beklagten zu einer anderen Frau gab es keine Auseinandersetzungen. Wenn der Beklagte heimkam, suchte er laufend irgend einen Grund für einen Streit, wenn ihm dann dies oder jenes nicht paßte, begann er mit der Klägerin zu streiten. Seit etwa Anfang Jänner 1983 besuchte der fallweise auch für Plankenstein zuständige Briefträger Alois G*** etwa ein- bis zweimal monatlich das von der Klägerin geführte Gasthaus auch privat, um hier etwas zu trinken oder Karten zu spielen. Die Klägerin kennt ihn schon rund 30 Jahre und bestand zwischen den beiden immer ein gewisses Maß an Sympathie. Im November oder Dezember 1983 kam es dann so weit, daß Alois G*** zweimal oder dreimal im Haus der Klägerin in deren Privaträumen übernachtete. Ob es dabei auch zu geschlechtlichen Beziehungen mit der Klägerin kam, läßt sich nicht feststellen.

In den Abendstunden des 3. Mai 1984 kam Alois G*** wieder einmal in das Gasthaus der Klägerin, um dort Karten zu spielen. Im Gasthaus fand eine Sitzung des Jagdausschusses statt. Nach einiger Zeit wollte G*** wieder wegfahren. Die Klägerin forderte ihn aber auf, zu bleiben und sich inzwischen in ein Zimmer ihrer Privaträume im ersten Stock zu begeben, da die Sitzung ohnehin nicht zu lange dauern werde. Sie ging mit ihm in das Zimmer hinauf, wo sich G*** in ihrer Anwesenheit bis auf das Unterleibchen entkleidete. Dann küßten die beiden einander und tauschten Zärtlichkeiten aus. Die Klägerin mußte wieder zurück zu ihren Gästen, verließ das Zimmer und sperrte es von außen ab. G*** legte sich auf das Bett und wartete. Der Beklagte kam an diesem Abend gleichfalls ins Gasthaus und sah im ersten Stock Licht. Nachdem die Klägerin in die Gaststube zurückgekehrt war, ging der Beklagte in den ersten Stock hinauf, sperrte jenes Zimmer, in dem G*** lag, auf und traf ihn dort mehr oder weniger nackt an. Der Beklagte beschimpfte ihn und stellte anschließend die Klägerin zur Rede. G*** entfernte sich in der Zwischenzeit.

Der Beklagte fuhr dann zu seinen Eltern nach Texing, rief von dort die Gattin des Alois G*** an und erzählte ihr von dem Vorfall. Sie hatte aufgrund des Verhaltens ihres Mannes schon bemerkt, daß mit ihm irgend etwas los sein mußte; außerdem hatten ihr verschiedene Personen zugetragen, daß ihr Ehemann seit etwa November 1983 mit der Klägerin Beziehungen unterhalten soll. Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß sich der Beklagte durch das hemmungslose Eingehen von Schulden, das boshafte Verlassen der Klägerin und die Aufnahme ehebrecherischer Beziehungen zu einer anderen Frau mehrere schwere Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG habe zu Schulden kommen lassen. Die Ehe sei unheilbar zerrüttet, das Alleinverschulden daran treffe den Beklagten. Zwischen den Eheverfehlungen der Klägerin und der bereits vorher eingetretenen Zerrüttung der Ehe fehle es am Kausalzusammenhang. Die Eheverfehlungen der Klägerin hätten daher außer Betracht zu bleiben. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten teilweise Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es bloß das überwiegende und nicht das Alleinverschulden des Beklagten an der Zerrüttung der Ehe aussprach. Das Verhalten der Ehegatten sei auch zwischen der Zerrüttung der Ehe und der Scheidung noch nicht ganz bedeutungslos, weshalb nach der Zerrüttung der Ehe begangene Eheverfehlungen für den Ausspruch des (Mit-)Verschuldens ebenfalls maßgeblich seien. Nach dem Eintreten der Zerrüttung gesetzte Eheverfehlungen seien nicht schlechthin unbeachtlich, weil auch eine schon bestehende Zerrüttung noch vertieft werden könne. Der Klägerin sei unter diesen Gesichtspunkten vorzuwerfen, daß sie immerhin Alois G***, den sie schon seit rund 30 Jahren kannte, im November oder Dezember 1983 zwei- oder dreimal in ihrem Haus privat übernachten ließ. Am 3. Mai 1984 sei es dann zwischen den beiden zu intensiveren sexuellen Kontakten gekommen. Wenn auch die Ehe der Streitteile mit dem endgültigen Auszug des Klägers aus dem bis dahin von den beiden gemeinsam bewohnten Haus im November 1983 endgültig zerrüttet war, könne dennoch nicht gesagt werden, daß nicht die Klägerin durch ihr Verhalten die bereits bestehende Zerrüttung nicht noch vertiefte, zumal sie die Verpflichtung zu einer weiterhin anständigen Begegnung und zum Einhalten der ehelichen Treue grob verletzte. Das Verschulden des Beklagten wiege aber jedenfalls schwerer, sodaß dies spruchgemäß zum Ausdruck zu bringen gewesen sei.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Klägerin stellt sich in ihrem Rechtsmittel auf den Standpunkt, daß die Ehe mit dem Beklagten zum Zeitpunkt ihrer eigenen Eheverfehlungen bereits so tiefgreifend zerrüttet war, daß diese für das anhängige Scheidungsverfahren keine Rolle mehr spielten. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden:

Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte, sind Eheverfehlungen selbst dann, wenn eine Ehe zunächst durch das Verschulden des anderen Teiles zerrüttet wurde, durchaus noch von Belang, wenn eine Vertiefung der Zerrüttung der Ehe nicht ausgeschlossen werden kann (EvBl 1964/384; 7 Ob 610/84 ua.). Auch wenn eine Ehe schon einen gewissen Zerrüttungszustand erreicht hat, müssen die Partner einander weiterhin anständig begegnen und die eheliche Treue einhalten (3 Ob 507, 508/83 ua.). Diesen Grundsätzen hat die Klägerin in gravierender Weise zuwidergehandelt:

Im November 1983 zog der Beklagte aus der Ehewohnung aus; ungefähr zur gleichen Zeit ließ die Klägerin Alois G***, mit dem sie später nachweislich sexuellen Kontakt hatte, in ihren privaten Räumen übernachten. Sie ließ sich in der Folge mit diesem in ein intimes Verhältnis ein, das zu den oben näher dargestellten Vorfällen führte. Bei dieser Sachlage kann nicht gesagt werden, daß das Verhalten der Klägerin auf die Zerrüttung der Ehe gänzlich ohne Einfluß gewesen sei; im Gegenteil, auch ihre Verfehlungen gegen das Wesen der Ehe fallen durchaus ins Gewicht und sind bei der Beurteilung der beiderseitigen Eheverfehlungen jedenfalls dahin zu werten, daß sie die Annahme eines alleinigen Verschuldens des Beklagten nicht mehr rechtfertigten.

Der Revision der Klägerin war aus den dargestellten Gründen der Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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