European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0080OB00512.840.0510.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Antrag der Beklagten, die Klägerin zum Ersatz der Kosten der Revisionsbeantwortung zu verhalten, wird abgewiesen.
Begründung:
Die Klägerin wurde am 13. 9. 1981 bei einem Sturz auf der Rolltreppe am Bahnhof Wien‑Praterstern verletzt. Sie begehrte von der Beklagten die Bezahlung von 200.000 S an Schmerzengeld, 1.900 S an Sachschaden und 1.760 S an Heilungsaufwand. Die Beklagte habe sich – vor ihr auf der Rolltreppe fahrend – umgedreht. Durch diese Körperdrehung habe die Klägerin das Gleichgewicht verloren und sei nach rückwärts gestürzt. Von einem Ohnmachtsanfall der Beklagten könne nicht die Rede sein.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie sei während der Fahrt ohnmächtig geworden und ohne ihr Verschulden zu Sturz gekommen. Die Klägerin treffe an der Verletzung jedenfalls ein erhebliches Mitverschulden, weil sie sich an der Rolltreppe nicht festgehalten habe.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren samt Anhang ab. Es traf nachstehende Feststellungen:
Am 13. 9. 1981 gegen die Mittagszeit benutzten beide Streitteile am Bahnhof Wien‑Praterstern die Rolltreppe von der Kassenhalle zum Bahnsteig. Die Beklagte hatte als erste die Rolltreppe betreten, hinter ihr folgte Anastasia S***** und hinter ihr die Klägerin. Während der Fahrt auf der Rolltreppe ersuchte die Beklagte, die mehrere Gepäckstücke trug, die hinter ihr stehende Anastasia S***** ihr kurzzeitig eine Tasche zu halten. Knapp vor der Ankunft der Rolltreppe im Obergeschoss überreichte Anastasia S***** die Tasche wieder der Beklagten. Diese erklärte ihr plötzlich, ihr werde schlecht. Unmittelbar darauf fiel sie – von einem Ohnmachtsanfall überrascht – auf die hinter ihr stehende Anastasia S*****. Auch diese fiel um und brachte damit die hinter ihr stehende Klägerin zum Sturz. Während die Klägerin durch den Sturz auf der Rolltreppe nach unten kollerte, lag Anastasia S***** unter der gestürzten Beklagten, bis die Rolltreppe abgestellt wurde. Anastasia S***** und die Klägerin erlitten durch den Sturz Verletzungen.
Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, dass es sich um einen nach § 1306 ABGB zu beurteilenden Schaden handle, den die Beklagte ohne ihr Verschulden verursacht habe und den sie zu ersetzen daher nicht schuldig sei. Bei den festgestellten Einkommensverhältnissen beider Parteien werde auch kein Anlass gesehen, der Klägerin einen Ersatz nach billigem Ermessen zuzusprechen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es sprach aus, dass die Revision zulässig sei. Auch das Berufungsgericht vertrat die Auffassung, dass der Ohnmachtsanfall der Beklagten einen Zufall darstellte, was zur Folge habe, dass die Beschädigte nicht Ersatz verlangen könne. Die bloße Benützung der Rolltreppe sei kein Grund für die Annahme, dass die Beklagte den Unfall durch irgendein Verschulden veranlasst hätte.
Gegen die Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragte in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht zulässig.
Der Oberste Gerichtshof hat auch bei der Entscheidung über eine ordentliche Revision – im Zulassungsbereich gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO – zunächst zu prüfen, ob die Revision nach dieser Bestimmung überhaupt zulässig ist. Das Revisionsgericht ist hiebei nicht an einen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 3 ZPO gebunden (§ 508 lit a Abs 1 ZPO).
Von entscheidender Bedeutung für den vorliegenden Rechtsstreit ist die Rechtsfrage, ob die Beklagte für die durch sie ausgelöste Verletzung der Klägerin aufgrund des Ohnmachtsanfalls, von dem sie überrascht wurde, haftet oder nicht. Das Berufungsgericht hat eine solche Haftung verneint, weil es sich um die Zufügung eines Schadens durch Zufall handelte. Es hat sich hiebei im Wesentlichen auf Lehre und Rechtsprechung bezogen, wonach § 1311 Satz 1 ABGB zu verstehen ist, dass jener, in dessen Person oder Vermögen der Schaden durch einen Zufall entstanden ist, diesen selbst zu tragen hat (vgl Koziol , Haftpflichtrecht II, 157, SZ 53/41 ua). Zufall ist, was nicht mehr Verschulden ist, was trotz gehöriger Sorgfalt nicht abgewendet werden kann (vgl Gschnitzer , Schuldrecht, Besonderer Teil und Schadenersatz, 150). In diesem Sinne hat die Rechtsprechung bei einem durch plötzliche Bewusstlosigkeit eines Kraftfahrzeuglenkers, somit durch einen in der Person des Lenkers gelegenen Zufall, herbeigeführten Unfall die Verschuldenshaftung des Lenkers gegenüber einem anderen Verkehrsteilnehmer verneint (vgl ZVR 1959/266; ZVR 1966/87; ZVR 1969/247; ZVR 1970/8). Nicht anders ist auch der vorliegende Fall zu beurteilen, in welchem der Unfall durch die plötzliche Bewusstlosigkeit der Beklagten auf der Rolltreppe verursacht wurde. Dies haben beide Vorinstanzen übereinstimmend richtig erkannt. Inwiefern diese Rechtsgrundsätze mit der Gesetzeslage nicht in Einklang stehen sollen, wurde in der Revision nicht ausgeführt. Es besteht für den erkennenden Senat auch kein Anlass, von diesen in Lehre und Rechtsprechung übereinstimmend behandelten Grundsätzen abzugehen.
Soweit die Revisionswerberin behauptet, sie hätte ihr Klagebegehren auch auf einen Verstoß der Beklagten gegen Schutznormen beim Benützen der Rolltreppe gestützt, geht sie einerseits daran vorbei, dass sie – wie dies das Berufungsgericht bereits erkannte – im Verfahren erster Instanz nicht entsprechend ausführte, worin ein solcher Vorwurf begründet sei; sie übersieht andererseits aber auch die für ihren Standpunkt gegenteiligen Feststellungen, wonach der Ohnmachtsanfall der Beklagten plötzlicher Art war und ihr Sturz sowie die anschließenden Stürze der hinter ihr die Rolltreppe benützenden Frauen auf diesen Ohnmachtsanfall und nicht etwa auf eine – im Übrigen auch nicht festgestellte – vorschriftswidrige Benützung der Rolltreppe zurückzuführen war.
Die vorliegende Revision war deshalb gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO nicht zuzulassen und sohin als unzulässig zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO; die Beklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung die Unzulässigkeit der Revision nicht geltend gemacht; die Rechtsmittelschrift war daher zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung nicht erforderlich, was nach den zitierten Bestimmungen einen Kostenersatzanspruch ausschließt.
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