European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0080OB00026.23S.0524.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Begründung:
[1] 1. Über die im Spruch der Vorinstanzen genannten landwirtschaftlichen Grundstücke der Beklagten verlaufen seit mehr als 30 Jahren Wanderwege (Wege Nr 7, 7a, 7b), die von einem offenen Personenkreis benutzt wurden und werden. Der Weg Nr 7 wurde zumindest seit 1987 als solcher bezeichnet und ist ebenso lange auch in Wanderkarten eingetragen. Im Jahr 2012 wurden sie mit Einverständnis des Rechtsvorgängers der Beklagten neu beschildert.
[2] Ab Herbst 2017 schränkte die Beklagte die Möglichkeit zur Benützung des im vorliegenden Teilurteil betroffenen Wegs Nr 7 für Wanderer sukzessive durch Aufschütten eines Walls aus Aushubmaterial und an anderer Stelle durch Aufstellen eines Schrankens ein, der von Wanderern nur durch Überklettern überwunden werden könnte. Als Ersatz für den so versperrten Weg Nr 7 eröffnete die Beklagte in einem entfernter gelegenen Bereich ihrer Liegenschaft einen unbefestigten Wiesenweg, der wesentlich stärkere Anstiege aufweist, zum Teil an einer steil abfallenden Geländekante entlangführt und an der engsten Stelle nur 40 cm breit ist.
[3] In größerer Entfernung auf der dem ursprünglichen Weg gegenüberliegenden Seite eines Baches verläuft in gleicher Richtung ein als „alte Gemeindestraße“ bezeichneter Weg, der im Eigentum der klagenden Partei steht. Dieser Weg wurde ebenfalls „schon immer“ von Wanderern genutzt, vermehrt aber seit der Sperre des Wegs Nr 7 durch die Beklagte.
[4] Die klagende Gemeinde begehrt die Feststellung und Berechtigung zur bücherlichen Einverleibung der Dienstbarkeit des Gehens über die von den Wegen Nr 7, 7a und 7b in seinem ursprünglichen Verlauf durchquerten Grundstücke, die Entfernung der Aufschüttung und Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. Aufgrund der jahrzehntelangen unbestrittenen Nutzung sei Ersitzung des Wegerechts zu Gunsten der Allgemeinheit eingetreten.
[5] Die Beklagte wandte (soweit im Revisionsverfahren wesentlich) ein, selbst wenn eine Dienstbarkeit bestünde, wäre sie nur mit tunlichster Schonung der dienenden Liegenschaft auszuüben. Sie sei zur Verlegung des Wegs auf einen von ihrem Hof weiter entfernten Bereich berechtigt. Darüber hinaus stelle auch die alte Gemeindestraße als Alternative zum ursprünglichen Wegverlauf zur Verfügung, sodass der Servitutsweg nicht notwendig sei.
[6] Das Erstgericht gab mit Teilurteil dem Klagebehren hinsichtlich des Wegs Nr 7 statt. Es ging von einer vollendeten Ersitzung der strittigen Dienstbarkeit aus und verneinte die Zulässigkeit der von der Beklagten vorgenommenen Verlegung des Wegverlaufs mangels Gleichwertigkeit. Die alte Gemeindestraße verlaufe nicht auf dem Grund der Beklagten und sei schon deswegen keine Alternative, auf die sie sich berufen könne.
[7] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit der Maßgabe, dass es eine Fehlbezeichnung der belasteten Grundstücke durch Weglassen einer Grundstücksnummer berichtigte.
[8] Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass die von der Beklagten vorgenommene Verlegung des Servitutswegs für Wanderer erheblich beschwerlicher und weniger familienfreundlich wäre und die Dienstbarkeitsberechtigte sich diese Änderung nicht gefallen lassen müsse. Der Umstand, dass mit der alten Gemeindestraße ein zweiter Weg existiert, der an das gleiche Ziel führt, ändere an der Notwendigkeit des Servitutswegs nichts, zumal beide Wege gemeinsam von Wanderern auch als Rundweg genützt werden könnten. Außerdem komme eine Verlegung eines Servitutswegs nur auf eigenen Grundstücken des Belasteten in Frage.
[9] Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision nachträglich gemäß § 508 Abs 3 ZPO bei einem 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigenden Streitwert für zulässig, weil eindeutige höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob eine Alternative zu einem Servitutsweg jedenfalls auf Eigengrund errichtet oder vorhanden sein muss, oder ob diese auch auf fremdem Grund einer klagenden Gemeinde bestehen könne.
[10] Die von der Klägerin beantwortete Revision der Beklagten ist entgegen diesem Ausspruch, der den Obersten Gerichtshof nicht bindet, mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
[11] 1. Die behauptete Aktenwidrigkeit wurde geprüft, sie liegt nicht vor.
[12] Das Berufungsgericht war nach § 419 ZPO berechtigt, eine offenbare Unrichtigkeit im Spruch der erstinstanzlichen Entscheidung zu berichtigen. Durch die Berichtigung soll der wahre Entscheidungswille zum Ausdruck gebracht werden (RIS‑Justiz RS0041519), der schon vor der Berichtigung den materiellen Gehalt der Entscheidung bestimmt (RS0041489). Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist eine Frage des Einzelfalls. Abgesehen davon, dass die Beklagte durch die Herausnahme einer – dadurch unbelastet bleibenden – Grundstücksnummer aus dem Spruch schon grundsätzlich nicht in ihrer Rechtsposition beschwert ist, behauptet sie auch nicht, dass die Berichtigung materiell unrichtig oder die Einbeziehung des Grundstücks durch das Erstgericht nicht versehentlich erfolgt wäre.
[13] 2. Die Beweiswürdigung und die Feststellungen der Tatsacheninstanzen sind in dritter Instanz nicht anfechtbar. Soweit sich die Revision mit ihren Ausführungen zur Unsicherheit über den genauen Verlauf des Wegs Nr 7 im Laufe der Ersitzungszeit sowie über die Erkennbarkeit der Benützung des Wanderwegs inhaltlich gegen die Feststellungen der Tatsacheninstanzen wendet, macht sie keinen gesetzlichen Revisionsgrund geltend.
[14] 3. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Belastete einer Wegeservitut unter Umständen berechtigt, den über sein Grundstück führenden Weg auch ohne Zustimmung des Berechtigten auf eine andere Stelle zu verlegen, wenn der neue Weg dem Zweck der Dienstbarkeit vollkommen entspricht (RS0011695).
[15] Das Recht zur Verlegung resultiert aus der Pflicht zur tunlichsten Schonung der dienenden Sache (§ 484 ABGB). Der Berechtigte muss sich Maßnahmen des Belasteten gefallen lassen, die die Ausübung der Dienstbarkeit nicht ernstlich erschweren oder gefährden.
[16] Durch die Verlegung eines Servitutswegs tritt kein Erlöschen der Dienstbarkeit ein (1 Ob 60/67 = RS0011695 [T1]). Eine in mäßigen und zumutbaren Grenzen gehaltene Veränderung des Verlaufs eines Servitutswegs auf einer Liegenschaft berührt die Identität des Rechtsobjekts nicht (RS0011751).
[17] Dem auf gerichtliche Feststellung und bücherliche Eintragung des Servitutsrechts gerichteten Klagebegehren könnte der Einwand, der ersessene Weg dürfe von der Eigentümerin des dienenden Grundstücks verlegt werden, schon aus diesem Grund in dieser allgemeinen Form nicht mit Erfolg entgegengesetzt werden.
[18] 4. Die Revision strebt mit dem Wunsch, den Weg Nr 7 auf einen außerhalb der Liegenschaft der Beklagten vorhandenen anderen Weg zu „verlegen“, in Wahrheit ohnehin keine Änderung seines Verlaufs an, sondern sie zielt auf das Erlöschen der Servitut infolge weggefallener Nützlichkeit ab.
[19] Diesem Einwand sind die Vorinstanzen im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung entgegengetreten.
[20] Eine Grunddienstbarkeit erlischt nicht schon durch die Möglichkeit, die mit der Dienstbarkeit verbundenen Vorteile auch auf anderem Weg erreichen zu können (RS0011574; RS0011688 [T3]; vgl RS0011582 [T3]). Nur völlige Zwecklosigkeit oder gänzliche Unwirtschaftlichkeit für den Berechtigten können ein Erlöschen ex lege bewirken (RS0011574 [T3]). Diese sind bei einer Wegeservitut nur dann anzunehmen, wenn eine nun zur Verfügung stehende Straße nach Lage und Beschaffenheit dem Berechtigten einen vollen Ersatz für den benützten Servitutsweg bietet. Ob ein solcher gleichwertiger Ersatz in Form einer öffentlichen Straße vorliegt oder nicht, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und wirft regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf (1 Ob 107/17t; 2 Ob 190/12y ua).
[21] Der Beurteilung der Vorinstanzen, dass die alte Gemeindestraße, die „immer schon“ bestanden hat und in einiger Entfernung auf der anderen Seite des Baches verläuft, die Benützung des Wegs Nr 7 keineswegs zwecklos und unwirtschaftlich macht, zumal sie auch keinen Zugang zu den vom Weg Nr 7 abzweigenden Wegen Nr 7a und 7b bietet, setzt die Revision keine stichhaltigen Argumente entgegen.
[22] Weshalb die Frage der Nützlichkeit eines Servitutswegs grundsätzlich anders zu beurteilen wäre, wenn der Servitutsberechtigte selbst der Eigentümer des behaupteten Alternativwegs ist, oder wenn es sich beim Eigentümer des Alternativwegs um eine Gemeinde handelt, wird nicht nachvollziehbar dargelegt.
[23] 5. Soweit die Revision moniert, dass die Ersitzung eines Servitutswegs durch einen Wald nach der Rechtsprechung mehr als ein Betreten zu Erholungszwecken, sondern eine beständige und sichtbare Trasse voraussetze, und dazu sekundäre Feststellungsmängel rügt, verstößt sie gegen das Neuerungsverbot. Ein Vorbringen, dass der im Waldbereich verlaufende Teil des Wegs Nr 7 in der Naturnicht als Weg erkennbar wäre, wurde in erster Instanz nicht erstattet.
[24] 6. Soweit sich die Revision auf Freiheitsersitzung beruft, weil die Beklagte „Hindernisse“ in Form einer Einzäunung der Sommerweide ihrer Kühe errichtet habe, weicht sie von der bindenden Feststellung ab, dass sie erst 2017, im Jahr vor Einbringung der Klage, damit begonnen hat, die Benützung des Wegs Nr 7 in seinem bisherigen Verlauf zu verunmöglichen.
[25] 7. Mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision zurückzuweisen. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 4 ZPO.
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