Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Die Minderjährige ist die außerehelich geborene Tochter des deutschen Staatsangehörigen Bernd B*****. Sie lebt im Inland im Haushalt der obsorgeberechtigten Mutter. Die Minderjährige und ihre Mutter sind österreichische Staatsbürgerinnen.
Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Wildon vom 27. 4. 2000 (ON 15) wurde der Vater beginnend ab 1. 3. 2000 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 2.000 (145,35 EUR) verpflichtet.
Mit Beschluss vom 27. 11. 2003 gewährte das nun für die Pflegschaftssache zuständige Bezirksgericht Leibnitz der Minderjährigen vom 1. 11. 2003 bis 31. 10. 2006 Unterhaltsvorschüsse in Titelhöhe.
Der Vater befindet sich seit 11. 12. 2003 bis voraussichtlich 19. 12. 2006 in der Bundesrepublik Deutschland in Haft.
Das Erstgericht fasste aus diesem Grund den Beschluss auf Einstellung der Unterhaltsvorschüsse.
Das Rekursgericht gab dem gegen diesen Beschluss erhobenen Rekurs der Minderjährigen nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs im Hinblick auf das vom Obersten Gerichtshof gestellte Vorabentscheidungsersuchen zu 6 Ob 132/02h zulässig sei.
Rechtlich vertrat das Rekursgericht zusammengefasst die Auffassung, dass § 4 Z 3 UVG keine unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit bewirke, weil diese Bestimmung an den Ort der Strafverbüßung und nicht an die Staatsangehörigkeit anknüpfe und daher österreichische Unterhaltsschuldner in gleicher Weise treffe wie Unterhaltsschuldner einer anderen Staatsangehörigkeit. Mangle es aber an einer inländischen Norm, die die Gewährung eines Haftvorschusses auch dann auftrage, wenn die Haft über den Unterhaltspflichtigen nicht im Inland verhängt und vollstreckt worden sei, scheitere ein entsprechender Antrag daran, dass keine entsprechende nationale Anspruchsgrundlage bestehe.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen. Die in § 4 Z 3 UVG angeführte Haftanstalt im Inland sei einer Haftanstalt im gesamten EU-Raum gleichzusetzen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.
Gemäß § 4 Z 3 UVG idF UVG-Novelle 1980, BGBl 1980/278, sind vom Bund (von der Republik Österreich) Vorschüsse auf den gesetzlichen Unterhalt minderjähriger Kinder auch dann zu gewähren, wenn „dem Unterhaltsschuldner aufgrund einer Anordnung in einem strafgerichtlichen Verfahren länger als einen Monat im Inland die Freiheit entzogen wird und er deshalb seine Unterhaltspflicht nicht erfüllen kann". Danach besteht kein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse nach dieser Gesetzesstelle, wenn die Haftstrafe nicht in Österreich, sondern in einem anderen Mitgliedsstaat der Gemeinschaft verbüßt wird. Nach den Gesetzesmaterialien zur UVG-Novelle 1980 sei die Einbeziehung der Kinder Strafgefangener in den Leistungskatalog des UVG nicht nur rechts- und sozialpolitisch geboten, sondern auch rechtssystematisch und rechtsdogmatisch vertretbar. Auch sie seien unschuldige Opfer der begangenen Straftaten, die Fürsorge und Beachtung verdienten. Den Staat treffe daher schon nach dem Gesichtspunkt der ihm obliegenden Pflichten der Unterhaltssicherung auch die Pflicht, entweder für eine entsprechende Entlohnung der im Strafvollzug arbeitenden Strafgefangenen oder dafür zu sorgen, dass sie auf andere Weise ihrer Unterhaltspflicht genügen könnten. Diese Überlegungen machten es notwendig, die Regelung auf die Kinder solcher Strafgefangener zu beschränken, die sich in einer Einrichtung des Strafvollzuges im Inland befinden. Ausgesprochener Wille des Gesetzgebers war es daher, den Haftvorschuss nach § 4 Z 3 UVG nur bei Freiheitsentzug im Inland zu gewähren.
Unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien gewährte der Oberste Gerichtshof Vorschüsse nach § 4 Z 3 UVG bisher nur bei Freiheitsentzug im Inland (SZ 67/100; 2 Ob 112/97b; 4 Ob 260/02t; zuletzt 3 Ob 50/03d). Einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot verneinte die Rechtsprechung aus der Überlegung, dem § 4 Z 3 UVG liege die Fiktion eines Verhältnisses von Leistung (dh Arbeit in Haft) und Gegenleistung (Unterhaltsvorschuss) zugrunde. Die Arbeit, die anlässlich einer Haft im Ausland geleistet werde, komme aber nicht dem österreichischen Staat zugute.
Angesichts der durch die Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften in den Vorabentscheidungsverfahren RS C-85/99 - Offermanns und RS C-255/99 - Anna Humer erweckten Zweifel an der Richtigkeit dieser Auffassung legte der 6. Senat am 11. Juli 2002 dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß § 234 EG zu 6 Ob 132/02h folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:
„Ist Art 12 EG iVm Art 3 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, so auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die Gemeinschaftsbürger bei Bezug eines Unterhaltsvorschusses benachteiligt, wenn der unterhaltspflichtige Vater eine Strafhaft in seinem Heimatstaat (und nicht in Österreich) verbüßt und wird daher das in Österreich lebende Kind eines deutschen Staatsangehörigen dadurch diskriminiert, dass ihm ein Unterhaltsvorschuss deshalb nicht gewährt wird, weil sein Vater eine in Österreich verhängte Freiheitsstrafe in seinem Heimatstaat (und nicht in Österreich) verbüßt?"
Aus den im Unterbrechungsbeschluss vom 16. Juli 2004 dargestellten Überlegungen erachtete der erkennende Senat die zu 6 Ob 132/02h gestellte Vorlagefrage auch für den hier zu beurteilenden Fall für maßgeblich. Das Verfahren wurde daher bis zu Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften über den vom Obersten Gerichtshof am 11. Juli 2002 zu 6 Ob 132/02h gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen, wobei ausgesprochen wurde, dass das Verfahren nach Einlangen der Vorabentscheidung von Amts wegen fortgesetzt werden wird.
In seinem Urteil vom 20. Jänner 2005, C-302/02 h hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die Vorlagefrage des 6. Senates dahin beantwortet, dass die Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der Fassung der Verordnung (EG) Nr 1386/2001 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 5. Juni 2001, insbesondere ihr Art 3 und Art 12 EG den Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates nicht entgegenstehen, die in einem solchen Fall die Gewährung von Familienleistungen der im österreichischen Bundesgesetz über die Gewährung von Vorschüssen auf den Unterhalt von Kindern (Unterhaltsvorschussgesetz) vorgesehenen Art an die Familienangehörigen eines solchen Gemeinschaftsbürgers davon abhängig machen, dass er im Gebiet dieses Mitgliedsstaats in Haft bleibt.
Die auf § 4 Z 3 UVG gegründete Verweigerung des Unterhaltsvorschusses für ein in Österreich lebendes Kind eines deutschen Staatsangehörigen, der eine Strafhaft im Staat seiner Herkunft verbüßt, steht somit mit den Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr 1408/71, insbesondere mit dessen Art 3 ebenso im Einklang wie mit Art 12 EG und verwirklicht keine (mittelbare) Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit. Vielmehr unterliegt die Gewährung von Familienleistungen auch hier - wie im Anlassfall des Vorabentscheidungsersuchens des 6. Senates - den deutschen Rechtsvorschriften (C-302/02 R z 48).
Die bisherige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu § 4 Z 3 UVG, wonach „Haft"vorschüsse nach § 4 Z 3 UVG nur bei Freiheitsentzug im Inland gewährt werden, wird daher aufrecht erhalten (s. auch 6 Ob 45/05v).
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