European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0080OB00019.20G.1023.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
I. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung insgesamt zu lauten hat:
„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der erstklagenden Partei binnen 14 Tagen 19.687,36 EUR samt 4 % Zinsen seit 10. 10. 2013 zu bezahlen.
2. Die beklagte Partei ist schuldig, der zweitklagenden Partei binnen 14 Tagen 7.874,95 EUR samt 4 % Zinsen seit 10. 10. 2013 zu bezahlen.
3. Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei den klagenden Parteien für alle Schäden zu 50 % ersatzpflichtig ist, die ihnen aus den am 16. 10. 2006 eingegangenen Beteiligungen an der 67. Sachwertrendite Fonds H***** GmbH & Co KG entstehen.
4. Die auf Zahlung weiterer 19.687,35 EUR samt Anhang an die erstklagende Partei, weiterer 7.874,94 EUR samt Anhang an die zweitklagende Partei sowie auf Feststellung der Haftung im Ausmaß von weiteren 50% gerichteten Mehrbegehren werden abgewiesen.
5. Die beklagte Partei ist schuldig, der erstklagenden Partei 1.106,44 EUR und der zweitklagenden Partei 577,06 EUR (jeweils Barauslagen) an Verfahrenskosten zu ersetzen.“
II. Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen 2.927,46 EUR an Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen, davon die erstklagende Partei 1.634 EUR (darin 113,36 EUR USt und 954 EUR Barauslagen) und die zweitklagende Partei 1.293,30 EUR (darin 56,55 EUR USt und 954 EUR Barauslagen).
Entscheidungsgründe:
Der während des Verfahrens verstorbene Erstkläger, für den seine Erbin als Gesamtrechtsnachfolgerin in das Verfahren eingetreten ist (in der Folge weiterhin: Erstkläger), und der Zweitkläger, beide auf Wirtschaftsrecht spezialisierte Rechtsanwälte, zeichneten im Jahre 2006 über Beratung der Beklagten Anteile an der „Siebenundsechzigste Sachwert Rendite-Fonds H***** GmbH & Co KG“ (kurz: „H***** Fonds 67“) im Nominale von 50.000 EUR (Erstkläger) bzw 20.000 EUR (Zweitkläger), jeweils zuzüglich Agio.
Bei der Beklagten handelte es sich um die „Hausbank“ der Kläger, mit der sie alle privaten Finanztransaktionen und Anlagen abwickelten. Das Finanzvermögen beider Kläger umfasste zu diesem Zeitpunkt neben Sparbüchern auch Wertpapierdepots bei der Beklagten, die inländische Fondsanteile, in‑ und ausländische Anleihen sowie ausländische Hybride enthielten.
Die Zeichnung der Anteile am „H***** Fonds 67“ kam auf Initiative der Beklagten zustande, deren Vertreter die Kläger anrief und ihnen als „ganz speziellen Kunden“ die Anlage als besonders empfehlenswert offerierte.
Den Klägern war bewusst, dass sie mit diesem Investment eine Kommanditbeteiligung eingegangen waren. In den von ihnen nach Rücksprache mit ihrem Steuerberater gezeichneten schriftlichen Unterlagen (Beitrittserklärung, Anlegerprofil mit „Risikohinweisen für mitunternehmerschaftliche Beteiligungen“) wurde auf die wirtschaftlichen Risiken eines Immobilieninvestments und die Möglichkeit eines Totalverlusts des Kapitals ebenso hingewiesen wie auf das Wiederaufleben der Kommanditistenhaftung im Fall eines durch Ausschüttungen negativ gewordenen Kapitalkontos. In der den Klägern schon nach dem Erstgespräch ausgefolgten Informationsbroschüre stand zu lesen, dass das Gesamtinvestitionsvolumen der KFG 37.500.000 EUR betrage, wovon 15.000.000 EUR mit Eigenkapital und 22.500.000 EUR mit Fremdkapital finanziert werden sollten.
Die Kläger haben diese Unterlagen und Hinweise vor der Unterschrift nicht gelesen.
Sie unterfertigten auch eine „Erklärung zum Anlegerprofil“, in der sie festhielten, mit der Art der Veranlagung vertraut und ausreichend informiert zu sein, weshalb sie keine „WAG-Beratung“ bräuchten.
Als besonders kostenbewusste Anläger hätten die Kläger die Beteiligung nicht gezeichnet, wenn die Beklagte sie darüber aufgeklärt hätte, dass sie für ihre Vermittlung neben dem ausgehandelten Agio auch eine Innenprovision von 3,125 % bezog. Sie hätten die Investition aber auch nicht getätigt, wenn sie gewusst hätten, dass die Liegenschaften des Fondsvermögens zu 60 % fremdfinanziert werden sollten und dass es sich bei den prognostizierten, bis 2010 laufend gezahlten Ausschüttungen nicht um Bilanzgewinne, sondern um Kapitalrückzahlungen handelte. Diese Umstände wurden den Klägern erst Mitte 2013 im Gefolge einer kritischen Medienberichterstattung bekannt.
Die Kläger begehren die Rückzahlung der von ihnen investierten Beträge, abzüglich der erhaltenen Ausschüttungen und Zug um Zug gegen Übertragung der erworbenen Kommanditanteile, ferner die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftig aus der Beteiligung am Fonds noch entstehenden Schäden.
Das Erstgericht gab im zweiten Rechtsgang beiden Klagebegehren statt.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte nachträglich gemäß § 508 ZPO die ordentliche Revision mit der Begründung für zulässig, dass zur Frage des Mitverschuldens eines Anlegers bei unerwünschtem Erwerb einer Kommanditbeteiligung und zur Rolle eines bei früheren Veranlagungen abgegebenen Beratungsverzichts noch keine gesicherte höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.
Mit ihrer (wegen der unterschiedlichen Zulassungsvoraussetzungen in getrennten Schriftsätzen ausgeführten) von den Klägern beantworteten Revision bekämpft die Beklagte die Entscheidung des Berufungsgerichts insoweit, als den Klägern mehr als 1/4 ihres Zahlungs‑ und Feststellungsbegehrens zuerkannt wurde. Das Berufungsgericht sei bei der Beurteilung des Mitverschuldens der Kläger von der in vergleichbaren Fällen entwickelten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil die Entscheidungen der Vorinstanzen teilweise von Grundsätzen der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen sind.
Die Revision ist teilweise auch berechtigt.
1. Im Revisionsverfahren steht bindend fest, dass die Kläger die Kommanditbeteiligung nicht erworben hätten, wenn sie über die Innenprovision, über das prozentuelle Ausmaß der Fremdfinanzierung des Immobilienprojekts der KG, oder darüber, dass es sich bei den prognostizierten Ausschüttungen nicht um Gewinne, sondern Entnahmen aus dem Kapitalkonto handeln würde, aufgeklärt worden wären.
2. In ihrer Revision stellt die Beklagte ihre grundsätzliche Haftung aufgrund der unterbliebenen Aufklärung über die Innenprovision nicht mehr in Frage.
Sie vertritt aber den Standpunkt, die Kläger seien über die Bedingungen und Risiken der Beteiligung durch die vor der Zeichnung übergebenen schriftlichen Informationen und Risikohinweise ausreichend informiert worden und hätten in Anbetracht ihrer beruflichen Fachkenntnisse auf eine weitergehende Beratung ausdrücklich und wirksam verzichtet. Der Umstand, dass sie die Informationen und Warnhinweise trotzdem nicht gelesen hätten, sei ihnen nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung als grobes Mitverschulden anzurechnen. Eine Teilung im Verhältnis von 3 : 1 zu Lasten der Kläger erscheine angemessen.
3. Die Rechtsprechung hat bereits in zahlreichen Entscheidungen die Möglichkeit eines Mitverschuldens des fehlberatenen Investors wegen eigenen sorgfaltswidrigen Verhaltens beim Erwerb einer unerwünschten Anlageform bestätigt (RIS‑Justiz RS0102779; RS0078931).
Hat der Geschädigte selbst eine Ursache gesetzt, die gleichermaßen wie die vom Dritten gesetzte Ursache geeignet war, allein den Schaden herbeizuführen, haben beide gemeinsam für den Schaden einzustehen (vgl RS0027284).
Das Mitverschulden des Geschädigten an der Herbeiführung seines eigenen Schadens im Sinn des § 1304 ABGB setzt die Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern voraus (RS0032045). Bei fehlerhafter Anlageberatung kann ein Mitverschulden nach den Umständen des Einzelfalls in Betracht kommen, wenn dem Kunden die Unrichtigkeit der Beratung hätte auffallen müssen, sei es aufgrund eigener Fachkenntnisse oder weil er deutliche Risikohinweise nicht beachtet und Informationsmaterial nicht gelesen hat (RS0102779 [T6, T7]; 2 Ob 99/16x).
4. In der jüngeren Rechtsprechung wird geschädigten Anlegern, deren Erwerb vergleichbar konstruierter und vertriebener Kommanditbeteiligungen sowohl auf eine unterbliebene Information über Innenprovisionen, als auch auf ihre eigene Sorglosigkeit in Bezug auf bestimmte Eigenschaften der Beteiligungen, insbesondere auf das damit verbundene Risiko, zurückzuführen war, und die die Anlage also sowohl bei Kenntnis der wahren wirtschaftlichen Eigenschaften des Finanzprodukts als auch bei Kenntnis von der Innenprovision nicht erworben hätten, in ständiger Rechtsprechung ein Mitverschulden angelastet (2 Ob 99/16x; 1 Ob 78/19f; 1 Ob 159/19t).
An dieser Judikatur hielt der Oberste Gerichtshof auch unter Auseinandersetzung mit den in der Literatur teilweise geäußerten Bedenken fest (zust Brandstätter , ecolex 2019, 932; so zuletzt etwa 1 Ob 159/19t zu krit Kronthaler/Schwangler , Über „Innenprovisionen“ und verbotene „Kick-back-Zahlungen“ – Zugleich eine Besprechung von OGH 2 Ob 99/16x, VbR 2017/79, 121; Dullinger JBl 2017, 585 [Glosse]; dies , Rechtsfolgen unterlassener Aufklärung über Kick-Back-Provisionen bei der Vermögensanlage, in Leupold [Hrsg], Forum Verbraucherrecht 2017, 33 ff; Kepplinger , ÖJZ 2018, 533; ders , EvBl 2020/17).
5. Die Revision ist im Recht, wenn sie aufzeigt, dass auch die Kläger sich nach den Feststellungen den Vorwurf der Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten gefallen lassen müssen, haben sie doch ungeachtet ihres teilweisen Verzichts auf eine über das absolvierte Verkaufsgespräch hinausgehende Beratung die Unterlagen und Risikohinweise zu ihrer Beteiligung nicht gelesen. Hätten sie dies getan, wäre ihnen aus den offen gelegten Zahlen über das Investitionsvolumen (22,5 Mio EUR Fremdkapital bei 37,5 Mio EUR Gesamtvolumen) bekannt geworden, dass eine 60%ige Fremdfinanzierung vorgesehen war. Sie wären auch auf die Möglichkeit der Ausgleichspflicht des Kommanditisten für ein negativ gewordenes Kapitalkonto hingewiesen worden, sodass es nicht mehr darauf ankommt, ob dieses Wissen nicht ohnehin schon aufgrund ihrer beruflichen Spezialisierung als selbstverständlich vorauszusetzen war.
Hingegen war es den Klägern, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, weder möglich, aus den Unterlagen von der Innenprovision Kenntnis zu erlangen, noch lässt sich aus dem Informationsmaterial klar entnehmen, dass die prognostizierten regelmäßigen Ausschüttungen zu Lasten des Kapitalkontos der Kommanditisten erfolgen können.
Mit der zur Irreführung geeigneten Bezeichnung der Zahlungen als „Ausschüttungen“ und den in der Informationsbroschüre enthaltenen Hinweisen auf Prognoserechnungen und durchschnittliche Erwartungen wird im Gegenteil der Eindruck erweckt, dass es sich um Gewinnausschüttungen handeln werde, deren letztendliche Höhe vom Erfolg der Geschäftstätigkeit abhängt.
6. Da die Kläger nach den Feststellungen ihre Anteile nicht gezeichnet hätten, wenn sie über die Höhe der Fremdfinanzierung der Liegenschaften Bescheid gewusst hätten, war die ihrer Sorglosigkeit zuzurechnende Unkenntnis der offen gelegten Zahlen über die Finanzierung des Investitionsvolumens ebenso kausal für ihren Anlageentschluss wie etwa das von der Beklagten zu vertretende Verschweigen der Innenprovision. Nach den Grundsätzen der ständigen Rechtsprechung rechtfertigt diese Lage die Annahme eines gleichteiligen Mitverschuldens.
Einen Grund für die darüber hinaus angestrebte Verschuldensteilung von 1 : 3 zu Lasten der Kläger vermag die Revision nicht überzeugend darzulegen.
Den Klägern musste zwar die prinzipielle Möglichkeit des Totalverlusts einer Kommanditanlage bewusst sein, darauf allein kommt es aber hier nicht an. Sie hätten nach den Feststellungen die Beteiligung nicht gezeichnet, wenn sie gewusst hätten, dass es sich bei den sogenannten Ausschüttungen in Wahrheit um Entnahmen zu Lasten ihrer Kapitalkonten handeln könnte. Die vermeintlichen Einkünfte standen ihnen nicht völlig frei zur Verfügung, weil sie zu einem negativen Kapitalkonto führten und es deshalb auch noch nach Jahren zu einer Rückzahlungspflicht kommen konnte. Dies stellte einen zusätzlichen Nachteil der Anlage dar, auch wenn sich das der Kommanditbeteiligung immanente Verlustrisiko dadurch in der Summe nicht vermehrte.
Umgekehrt erfordert diese weitere für den Anlageentschluss kausale Fehlvorstellung der Kläger aber auch keine Verschuldensteilung zu Lasten der Beklagten.
Die Kläger als im Wirtschaftsrecht erfahrene Rechtsanwälte (– dies hat sich die Rechtsnachfolgerin zuzurechnen –) haben teilweise auf eine über die tatsächlich erteilten Informationen hinausgehende Beratung ausdrücklich verzichtet. Aufgrund ihrer eigenen Kenntnisse mussten sie grundsätzlich mit der Möglichkeit rechnen, dass die unterjährig vorgesehenen Ausschüttungen einmal nicht zur Gänze von Gewinnen gedeckt sein würden und es dadurch auch – nur in geringerem Umfang – zu einem negativen Kapitalkonto kommen könnte.
7. Der Revision der Beklagten war daher teilweise Folge zu geben und die Entscheidungen der Vorinstanzen spruchgemäß abzuändern.
Dieses Ergebnis erfordert auch eine Neufassung der Kostenentscheidungen.
Bis zum Berufungsverfahren im zweiten Rechtsgang ist von einem gleichteiligen Obsiegen der Streitteile auszugehen, sodass die Verfahrenskosten aufzuheben sind.
Die Kläger haben jedoch (nach ihren Anteilen am Gesamtstreitwert zu 71 % bzw 29 %) Anspruch auf den Ersatz der Hälfte der von ihnen entrichteten Pauschalgebühr erster Instanz sowie der Hälfte ihrer jeweiligen Pauschalgebühren des Revisionsverfahrens im ersten Rechtsgang. Andererseits haben sie der Beklagten die halbe Pauschalgebühr für das Berufungsverfahren des ersten Rechtsgangs (zu 71 % bzw 29 %) zu ersetzen. Im zweiten Rechtsgang hatte die Beklagte für ihre Berufung keine weitere Pauschalgebühr zu entrichten (§ 3 Abs 5 GGG).
Im Revisionsverfahren ist die Beklagte zu 2/3 ihres Rechtsmittelinteresses durchgedrungen, sodass ihr die Kläger jeweils 1/3 der Kosten sowie 2/3 der Pauschalgebühr zu ersetzen haben.
Ein Kostenersatzanspruch der auf Seiten der Beklagten beigetretenen Nebenintervenientin, die sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt hat, besteht nicht.
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