Spruch:
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Der Schriftsatz des Vaters vom 15.7.1997 wird zurückgewiesen.
Text
Begründung
Die Ehe der Eltern des Minderjährigen ist seit 20.Oktober 1993 geschieden. Der Minderjährige befindet sich in Obsorge der Mutter. Der Vater ist für einen weiteren, am 18.2.1977 geborenen Sohn, der in Polen studiert, sorgepflichtig.
Aufgrund Beschlusses vom 23.3.1994 (ON 32) ist der Vater verpflichtet, für den hier unterhaltsfordernden Minderjährigen ab 1.11.1993 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von S 1.440 zu bezahlen. Dieser Unterhaltsbemessung lag ein monatliches Durchschnittseinkommen des Vaters von S 9.006 an Notstandshilfe zugrunde. Mit Antrag vom 12.2.1996 (ON 49) begehrte der besondere Sachwalter des Minderjährigen, den Vater ab 1.3.1996 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 3.000 zu verpflichten. Die bisherige Alimentation reiche nicht mehr aus, um die Bedürfnisse des Minderjährigen zu decken. Der Vater gehe keiner versicherungspflichtigen Beschäftigung nach und beziehe kein Arbeitslosengeld. Unter Einsatz seiner Kräfte wäre er imstande, ein monatliches durchschnittliches Nettoeinkommen von rund S 15.000 zu verdienen.
Nach Einholung eines berufskundlichen Sachverständigengutachtens (ON 69) bestimmte das Erstgericht mit Beschluß vom 16.1.1997 (ON 75) den vom Vater zu leistenden Unterhalt für die Zeit vom 1.3.1996 bis 30.6.1996 mit monatlich S 2.250 und ab 1.7.1996 bis auf weiteres mit monatlich S 2.540 und wies das Mehrbegehren des besonderen Sachwalters ab. Der Vater könnte ein fiktives monatliches Einkommen von durchschnittlich netto S 14.140 erzielen, woraus sich unter Berücksichtigung der weiteren Sorgepflicht gestaffelt nach dem Alter des Minderjährigen die spruchgemäß bestimmten Unterhaltsbeträge errechneten.
Dem dagegen erhobenen Rekurs des Vaters gab das Gericht zweiter Instanz mit dem angefochtenen Beschluß (ON 85) nicht Folge. Der Unterhaltsschuldner habe in der Zeit vom 6.11.1990 bis 25.3.1991 Arbeitslosengeld und in der Folge Notstandshilfe bezogen. Aus dem berufskundlichen Gutachten ergebe sich, daß der Vater jederzeit eine Beschäftigung in Berufssparten wie Hilfsarbeiter im Metallbereich, Lagerarbeiter, Magazinarbeiter oder Hausarbeiter finden könne. Als Hilfsarbeiter würde er ein monatliches durchschnittliches Nettoeinkommen von S 12.670 und als Lager- bzw Magazinarbeiter ein solches von S 14.140 verdienen. Aus dem Umstand, daß der Vater bereits seit 26.3.1991 Notstandshilfe beziehe, ergebe sich ohne Zweifel Grund zur Annahme, daß er zumindest grob fahrlässig keiner Arbeit nachgehe. Es sei nicht nachvollziehbar, daß der Unterhaltsschuldner innerhalb eines Zeitraumes von sieben Jahren keinerlei Beschäftigung gefunden habe. Die Voraussetzungen für die Anwendung des in § 140 ABGB verankerten sogenannten Anspannungsgrundsatzes lägen daher vor. Dem Vater sei eine Tätigkeit als Lager- bzw Magazin- oder Hausarbeiter zumutbar.
Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig und berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 140 Abs 1 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten nach ihren Kräften anteilig beizutragen. Den Unterhaltspflichtigen trifft demnach die Obliegenheit im Interesse seiner Kinder, alle persönlichen Fähigkeiten insbesondere seine Arbeitskraft so gut wie möglich einzusetzen. Tut er dies nicht, so wird er so behandelt, als bezöge er Einkünfte, die er bei zumutbarer Erwerbstätigkeit hätte erzielen können (SZ 63/74; 4 Ob 2236/96v ua). Einschränkend setzt die Rechtsprechung den sogenannten Anspannungsgrundsatz nur als eine Art Mißbrauchsvorbehalt dort ein, wo schuldhaft die zumutbare Erzielung deutlich höherer Einkünfte versäumt wird. Die Anspannung darf nicht zu einer bloßen Fiktion führen, sondern muß immer auf der hypothetischen Feststellung beruhen, welches reale Einkommen der Unterhaltspflichtige in den Zeiträumen, für die die Unterhaltsbemessung erfolgt, unter Berücksichtigung seiner konkreten Fähigkeiten und Möglichkeiten bei der gegebenen Arbeitsmarktlage zu erzielen in der Lage wäre. Das potentielle Einkommen aus der Anspannung wird nach einer den subjektiven Fähigkeiten und der objektiven Arbeitsmarktlage entsprechenden sowie zumutbaren Erwerbstätigkeit gemessen. Subjektive Fähigkeiten sowie Zumutbarkeit werden im wesentlichen durch Alter, berufliche Ausbildung, körperliche und geistige Verfassung sowie familiäre Belastung bestimmt. In diesem Rahmen sind die konkreten Erwerbschancen auf dem Arbeitsmarkt ausschlaggebend (8 Ob 503/96; 1 Ob 2330/96w; 4 Ob 2236/96v ua). Grundsätzlich ist mit der Anspannung daher dann nicht mehr vorzugehen, wenn der Unterhaltspflichtige bei Arbeitslosigkeit und Meldung als Arbeitssuchender auch bei Einsatz aller seiner persönlichen Fähigkeiten, also seiner Leistungskraft unter Berücksichtigung seiner Ausbildung und seines Könnens, nicht in der Lage wäre, einen Arbeitsplatz zu erlangen (ÖA 1992, 51; 4 Ob 2068/96p). Auch ein berufskundliches Gutachten hat diesem von der Rechtsprechung vorgegebenen Weg zu folgen und seine Aussage über die Vermittelbarkeit des Unterhaltspflichtigen nicht abstrakt, sondern konkret nach den besonderen Gegebenheiten des Einzelfalles zu machen (vgl hiezu 8 Ob 503/96; 1 Ob 2330/96w).
Im gegenständlichen Fall wurde der Vater zu seiner besonderen Situation vor Einholung des Gutachtens nicht detailliert vernommen und es wurde ihm auch keine Gelegenheit gegeben, zu den bloß allgemein gehaltenen Ausführungen des Sachverständigen Stellung zu nehmen. Erst in seinem Rekurs hatte der Vater die Möglichkeit, ausführlich darauf zu verweisen, daß er im Alter von 53 Jahren als Diplomingenieur für Maschinenbau, welcher akademische Grad in Österreich nostrifiziert sei, keine Chance auf Eingliederung ins Erwerbsleben habe, zumal Arbeitgeber einen Akademiker kaum als Hilfsarbeiter einstellen wollten. Dieses Vorbringen kann durch das vom Rekursgericht gebrauchte Argument, es sei anzunehmen, der Vater gehe zumindest grob fahrlässig keiner Arbeit nach, weil nicht glaubhaft sei, daß er durch sieben Jahre hindurch keine Beschäftigung gefunden habe, nicht ohneweiteres entkräftet werden. Es ist nämlich durchaus möglich, daß gerade Langzeitarbeitslosigkeit Dienstgeber davor zurückschrecken läßt, ältere Dienstnehmer einzustellen. Auch dem Vorbringen des Vaters, er habe rund 250 Unternehmen wegen verschiedenster Arten von Beschäftigung, auch solcher als Arbeiter, kontaktiert, jedoch lediglich abschlägige Antworten erhalten, kann nicht mit dem bloßen Hinweis auf die abstrakten Aussagen des Gutachtens die Relevanz abgesprochen werden.
Da somit die Vorinstanzen die tatsächlichen Voraussetzungen für die Annahme, der Unterhaltspflichtige gehe schuldhaft keinem Erwerb nach, nicht ausreichend geklärt haben, ist das Verfahren mangelhaft. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren dem Vater Gelegenheit zu geben haben, seinen Standpunkt darzustellen und allfällige Beweismittel vorzulegen. Dabei wird auch ein möglicher Widerspruch zwischen den Angaben des Vaters in ON 57, wonach er nicht mehr arbeitssuchend gemeldet sei und dem Ergebnis der Sozialversicherungsanfrage ON 60, welche ihn als Bezieher von Arbeitslosengeld ausweist, aufzuklären sein. Nach Vorliegen entsprechender Angaben des Vaters wird der berufskundliche Sachverständige sein Gutachten unter Bezugnahme auf die konkreten Umstände des Einzelfalles zu ergänzen und auch dazu Stellung zu nehmen haben, ob und unter welchen Voraussetzungen Vermittelbarkeit besteht.
Der als "Ergänzung zu den a.o. Revision Rekurs" bezeichnete Schriftsatz des Vaters vom 15.7.1997 war schon deshalb zurückzuweisen, weil er außerhalb der Rechtsmittelfrist erstattet wurde.
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