OGH 8Ob186/72

OGH8Ob186/7210.10.1972

SZ 45/107

Normen

ABGB §1425
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §16
ProkG §1 Abs2
ABGB §1425
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §16
ProkG §1 Abs2

 

Spruch:

Reicht die Haftungshöchstsumme (§ 16 EKHG) zur Befriedigung der Forderungen mehrerer Geschädigter nicht aus, dann ist der Haftpflichtige zum Gerichtserlag befugt, wenn die Höhe dieser Forderungen nicht feststeht

Der Erlag ist der Republik Österreich (Bundesstraßenverwaltung) ordnungsgemäß bekanntgemacht (§ 1425 ABGB), wenn der Beschluß des Erlagsgerichtes dem Amt der Landesregierung als Dienststelle der Bundesstraßenbehörde zugestellt wurde. Einer Zustellung an die Finanzprokuratur bedarf es hiezu nicht

OGH 10. 10. 1972, 8 Ob 186/72 (OLG Wien 8 R 20/72; LGZ Wien 40 d Cg 174/71)

Text

Am 25. 9. 1970 geriet ein von Josef R gelenkter Lastwagenzug auf der Fahrt von Salzburg nach Wien auf der Autobahn im Gemeindegebiet S vermutlich infolge eines Reifendefekts ins Schleudern, rammte die rechte Leitschiene und prallte dann gegen eine Brückenbegrenzung. Der LKW-Zug stürzte um und blieb quer liegen. Das Führerhaus wurde weggerissen und stürzte 25 bis 30 m tief ab. Ein von Dr W gelenkter nachfolgender PKW stieß gegen den auf der Fahrbahn liegenden LKW-Zug. Die Fahrzeuge gerieten in Brand, wobei sich ein Teil der brennenden Ladung des LKW-Zuges (Speiseöl und Tafelmargarine) über die Brücke auf das darunterliegende Führerhaus ergoß, das dadurch auch in Brand geriet. Der Lenker Josef R fand beim Unfall den Tod. Der Beifahrer Rudolf H, Dr W und dessen Mitfahrerin Helga H wurden verletzt. Der LKW-Zug und der PKW brannten vollkommen aus. An den baulichen Anlagen der Autobahn, insbesondere der Brücke, entstand beträchtlicher Sachschaden, ebenso an den dem Landwirt Simon P gehörigen Grundstücken.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten S 180.000.- samt Zinsen, in welchem Ausmaß die Beklagte nach § 15 Abs 3 (richtig § 16 Abs 1 Z 2) EKHG als Halterin des LKW-Zuges für den der Klägerin erwachsenen Sachschaden von insgesamt S 504.436.65 hafte.

Die Beklagte die außer Streit stellte, daß die Klägerin einen Schaden von mindestens S 180.000.- erlitten habe, und daß ihre Haftung bis zu diesem Betrag gegeben sei, wendete ein, es seien aus Anlaß dieses Unfalls an sie bzw ihren Haftpflichtversicherer nicht nur von der Klägerin, die damals durch das Amt der Oberösterreichischen Landesregierung vertreten gewesen sei, sondern auch von Dr W, Helga H, Rudolf H und Simon P Schadenersatzansprüche gestellt worden. Der Haftpflichtversicherer habe daher am 23. 3. 1971 beim Oberlandesgericht Linz als Verwahrungsabteilung den Betrag von S 180.000.- hinterlegt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte neben dem oben wiedergegebenen Unfallshergang fest, daß die Versicherungsanstalt X als Haftpflichtversicherer der Beklagten am 23. 3. 1971 beim Bezirksgericht Linz den Haftungshöchstbetrag für Sachschäden nach dem Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz von S 180.000.- gemäß § 1425 ABGB hinterlegt hat, wobei als Antragsgegner das Amt der Oberösterreichischen Landesregierung, Dr W, Helga H und Rudolf H angeführt sind. Der Erlag wurde damit begrundet, daß die Beklagte Halterin des verunglückten LKW-Zuges und Versicherungsnehmerin der hinterlegenden Versicherungsanstalt sei und der Gesamtanspruch aller Antragsgegner den Höchstbetrag für Sachschäden übersteige. Der Erlag wurde vom Bezirksgericht Linz mit Beschluß vom 31. 3. 1971 angenommen und die Antragsgegner wurden durch Zustellung von Beschlußausfertigungen verständigt. Der Beschluß ist rechtskräftig geworden.

In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, daß die Hinterlegung des Haftungshöchstbetrages wegen der Mehrzahl der einen Sachschaden geltend machenden Forderungsprätendenten gerechtfertigt gewesen sei und die Hinterlegung auch für die Beklagte als Gesamtschuldnerin schuldbefreiend wirke.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil. Es legte dar, nach ständiger Rechtsprechung berechtige das Vorhandensein mehrerer Forderungsprätendenten zur Hinterlegung der geschuldeten Sache mit schuldbefreiender Wirkung. Bei Vorhandensein mehrerer Geschädigter aus einem Kraftfahrzeugunfall, deren Ansprüche insgesamt die im Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz vorgesehene Haftungshöchstsumme übersteigen, sei der lediglich nach diesen Bestimmungen haftende Halter zur Hinterlegung des Haftungshöchstbetrages berechtigt. Der Einwand, die in diesem Fall vorgenommene Hinterlegung wirke nicht schuldbefreiend, weil sie der Haftpflichtversicherer vorgenommen habe, sei unrichtig. Da nämlich gemäß § 63 KFG 1967 Versicherer und Versicherter als Gesamtschuldner haften, habe die Hinterlegung ebenso wie die Zahlung durch einen der Schuldner auch für die übrigen Gesamtschuldner Schuldbefreiung zur Folge. Die weitere Voraussetzung der schuldbefreienden Wirkung, nämlich die Bekanntmachung der Hinterlegung an den Gläubiger, sei im vorliegenden Fall gleichfalls gegeben. Der Annahmebeschluß des Bezirksgerichtes Linz vom 31. 3. 1971 sei dem Amt der Oberösterreichischen Landesregierung am 16. 4. 1971 zugestellt worden. Der Ansicht der Klägerin, dieser Beschluß hätte wirksam nur an die Finanzprokuratur zugestellt werden können, sei unzutreffend. Die Finanzprokuratur sei zwar ausschließlich zur Vertretung der Republik Österreich berufen. Bei der Verständigung von der Hinterlegung nach § 1425 ABGB handle es sich aber nicht um eine Angelegenheit, die eine solche Vertretung erforderlich machen würde. Dem Erlagsgegner komme ein Rechtsmittel gegen den Annahmebeschluß nicht zu. Eine Vertretung in diesem Belange durch die Finanzprokuratur komme daher nicht in Betracht. Der im § 1425 ABGB geforderten Bekanntmachung der Hinterlegung an den Gläubiger sei durch Zustellung des Annahmebeschlusses an das Amt der Oberösterreichischen Landesregierung als Dienststelle des hinsichtlich der Bundesstraßenverwaltung in Ausübung der mittelbaren Bundesverwaltung tätigen Landeshauptmannes Genüge getan.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin Folge, hob die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Ansicht der Klägerin, der Annahmebeschluß des Erlagsgerichtes hätte ihr wirksam nur zu Handen der Finanzprokuratur zugestellt werden können, sind die Vorinstanzen mit Recht nicht beigetreten. Das Amt der Oberösterreichischen Landesregierung, das als Dienststelle des Landeshauptmannes Bundesstraßenbehörde ist, erhielt durch Zustellung des Beschlusses des Erlagsgerichtes Kenntnis vom Erlag. Damit wurde die Hinterlegung der Republik Österreich (Bundesstraßenverwaltung) als Rechtsträgerin des gegenständlichen Ersatzanspruches bekanntgemacht. Mehr fordert die Bestimmung des § 1425 ABGB nicht. Das Gesetz spricht nur von der Bekanntmachung der Hinterlegung und nicht etwa von der Zustellung der diese Hinterlegung betreffenden gerichtlichen Verfügung (vgl hiezu Klang[2] VI, 413 bei Anm 42 - 44), gegen die im übrigen dem Erlagsgegner, dem im Erlagsverfahren keine Parteistellung zukommt, auch kein Rechtsmittel zusteht (vgl SZ 27/213, SZ 40/8). Entscheidend ist hier also, ob der Hinterlegung schuldbefreiende Wirkung zukommt.

Im Verhältnis zwischen dem auf Grund der Bestimmungen des Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetzes nur mit einem bestimmten Höchstbetrag Haftenden und mehreren Geschädigten, deren Ansprüche zusammen die Haftungshöchstsumme übersteigen, ist die Berechtigung des Haftpflichtigen, die Haftungshöchstsumme mit schuldbefreiender Wirkung bei Gericht zu erlegen, nach der Bestimmung des § 1425 ABGB zu beurteilen. Ist der Grund des Erlages nur darin gelegen, daß die Haftungshöchstsumme nicht ausreicht, wird ein wichtiger Grund iS der genannten Gesetzesstelle vorliegen müssen. Dabei ist bei Sachschäden - und nur solche kommen hier hinsichtlich der Haftungshöchstsumme von S 180.000.- in Betracht - auf die Bestimmungen des § 16 Abs 2 und 3 EKHG, des § 156 Abs 2, 3 VersVG und des § 63 Abs 1 KFG Bedacht zu nehmen. Aus § 16 Abs 2 EKHG ergibt sich zunächst, daß sich die einzelnen Ersätze, soweit es sich nicht um Schäden an Liegenschaften (§ 16 Abs 3 EKHG) handelt, in dem Verhältnis verringern, in dem ihr Gesamtbetrag zum Höchstbetrag steht. Aus § 156 Abs 3 VersVG folgt die Verpflichtung des mit dem Haftpflichtigen gemäß § 63 Abs 1 KFG solidarisch haftenden Versicherers, in einem solchen Fall die Forderungen nach Maßgabe des Abs 2 nach dem Verhältnis ihrer Beträge zu berichtigen; ist hiebei die Versicherungssumme erschöpft, so kann sich ein Dritter, der bei der Verteilung nicht berücksichtigt worden ist, nachträglich auf die Vorschrift des Abs 1 des § 156 VersVG, wonach Verfügungen über die Entschädigungsforderung aus dem Versicherungsverhältnis dem Dritten gegenüber unwirksam sind, nicht berufen, wenn der Versicherer mit der Geltendmachung dieser Ansprüche entschuldbarerweise nicht gerechnet hat. Aus dem Zusammenhalt dieser Bestimmungen, die so angewendet werden müssen, daß sich kein Widerspruch ergibt, folgt, daß dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - auf Grund desselben Ereignisses an mehrere Geschädigte Sachschadenersätze zu leisten sind, die insgesamt die Haftungshöchstsumme übersteigen können, dem Haftpflichtigen zugebilligt werden muß, die Haftungshöchstsumme bei Gericht zu erlegen. Denn dem Haftpflichtigen wird es dann, wenn sich die forderungsberechtigten Geschädigten über die Höhe des jedem von ihnen unter Berücksichtigung der oben angeführten gesetzlichen Bestimmungen zustehenden Ersatzbetrages nicht einigen können, wenn überhaupt, nur sehr schwer möglich sein, diese Ersatzbeträge mit der erforderlichen Verläßlichkeit festzustellen. Daran wird entgegen der Meinung der Klägerin auch durch das im § 156 Abs 3 VersVG dem Versicherer aufgetragenen Verteilungsverfahren nichts geändert. Denn die in dieser Gesetzesstelle dem Versicherer aufgetragene Verpflichtung hat ja, wie die Bezugnahme auf den zweiten Absatz zeigt, das Vorliegen feststehender Forderungen zur Voraussetzung (vgl Ehrenzweig, Vertragsversicherungsrecht, 378 f). Die auf die Haftungshöchstsumme verwiesenen Ersatzberechtigten hätten in einem untereinander geführten Prozeß klarstellen zu lassen, welcher anteilsmäßige Betrag einem jeden von ihnen vom Erlagsgericht auszufolgen ist (vgl SZ 42/96). Die früher gelegentlich vertretene Ansicht, das Nichtausreichen der Haftungshöchstsumme zur Befriedigung der Forderungen mehrerer Geschädigter bilde auch dann keinen Erlagsgrund, wenn die einzelnen Forderungen nicht feststehen, muß jedenfalls im Hinblick auf die Bestimmung des § 16 Abs 2 EKHG als überholt angesehen werden, durch welche Bestimmung auch im Verhältnis zwischen dem Haftpflichtigen und den mehreren Geschädigten die verhältnismäßige Verringerung der einzelnen Ersatzforderungen ausdrücklich vorgesehen wurde. Besteht zwischen den einzelnen Forderungsberechtigten Uneinigkeit über die jedem von ihnen zustehende, auf die betreffende Haftungshöchstsumme verwiesene Forderung und kann dem Haftpflichtigen eine Klärung nicht zugemutet werden, dann muß dies als wichtiger Grund zum Erlag iS des § 1425 ABGB angesehen werden.

Da aber im vorliegenden Fall noch nicht beurteilt werden kann, ob tatsächlich die den Geschädigten zu leistenden Ersätze für Sachschäden, soweit es sich nicht um Schäden an Liegenschaften handelt, die im § 16 Abs 1 Z 2 EKHG festgesetzte Haftungshöchstsumme übersteigen, ist die Sache noch nicht spruchreif. Insbesondere wird zu klären sein, ob und welche Ersatzforderungen für Sachschäden, die von den mehreren Gläubigern geltend gemacht werden, unter die im § 16 Abs 1 Z 2 EKHG vorgesehene Haftungshöchstsumme von S 180.000.- fallen und welche nach § 16 Abs 3 EKHG davon ausgenommen sind.

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