Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Begründung
Mit Beschluss vom 26. 11. 2008 leitete das Erstgericht über Antrag des Schuldners das Abschöpfungsverfahren ein und bestellte einen bevorrechteten Gläubigerschutzverband zum Treuhänder. Dieser Beschluss erwuchs am 15. 12. 2008 in Rechtskraft.
In seinem dritten Bericht teilte der Treuhänder mit, dass per 31. 12. 2011 eine Verteilungsquote von 30,27 % an die Gläubiger ausgeschüttet werden konnte. In seinem vierten Bericht teilte der Treuhänder mit, dass per 31. 12. 2012 eine Quote von 45,021293 % an die Gläubiger ausgeschüttet werden konnte.
Am 17. 5. 2013 beantragte der Schuldner die Beendigung des Abschöpfungsverfahrens und Erteilung der Restschuldbefreiung gemäß § 213 Abs 1 Z 1 IO. Er verfüge über die nötigen Mittel, um die Kosten des Treuhänders abzudecken und den Gläubigern die fehlende Quote von knapp 5 % auszuzahlen.
In seinem Abschlussbericht teilte der Treuhänder mit, dass per 13. 6. 2013 eine Quote von insgesamt 53,029293 % an die Gläubiger ausgeschüttet werden konnte.
Das Erstgericht beendete das Abschöpfungsverfahren und erteilte dem Schuldner die Restschuldbefreiung gemäß § 213 Abs 1 Z 1 IO, weil die Gläubiger mindestens 50 % ihrer Forderungen erhalten hätten.
Das Rekursgericht hob diesen Beschluss über Rekurs der im Kopf genannten Gläubigerin ersatzlos auf. § 213 Abs 1 Z 1 IO verlange, dass die Gläubiger innerhalb von drei Jahren der Laufzeit der Abtretungserklärung 50 % ihrer Forderungen erhalten. Diese Voraussetzung sei hier nicht erfüllt. Es bestehe kein Spielraum für den Schuldner, eine vorzeitige Einstellung des Abschöpfungsverfahrens nach dieser Gesetzesbestimmung durch die Erfüllung der Quote innerhalb des Zeitraums von drei bis sieben Jahren zu erreichen.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur vorliegenden Rechtsfrage fehle. Eine Bewertung des Entscheidungsgegenstands nahm das Rekursgericht nicht vor.
Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der von der genannten Gläubigerin beantwortete Revisionsrekurs des Schuldners.
Rechtliche Beurteilung
1. Obwohl das Rekursgericht den erstinstanzlichen Beschluss ersatzlos aufgehoben hat, ist seine Entscheidung in Wahrheit eine abändernde, weil über die Richtigkeit der Entscheidung erster Instanz abschließend abgesprochen wurde (8 Ob 310/00x; RIS‑Justiz RS0044035, RS0044046).
2. Das
Abschöpfungsverfahren wurde vor dem 30. 6. 2010 eröffnet, sodass gemäß § 273 Abs 1
IO ‑ mit den in § 273 Abs 8
IO genannten Ausnahmen (verfahrensrechtliche Bestimmungen) ‑ die Bestimmungen der
KO anzuwenden sind. Die das Abschöpfungsverfahren regelnden Bestimmungen ‑ darunter die hier relevante des § 213 Abs 1 Z 1
KO ‑ wurden im Wesentlichen unverändert in die
IO übernommen.
3.1. § 213 Abs 1 KO lautet in der seit der KO‑Nov 1993, BGBl 974, unveränderten Fassung (inhaltlich nunmehr § 213 Abs 1 IO) auszugsweise:
„(1) Das Gericht hat das Abschöpfungsverfahren für beendet zu erklären, wenn
1. drei Jahre der Laufzeit der Abtretungserklärung verstrichen sind und die Konkursgläubiger während des Konkurs‑ und Abschöpfungsverfahrens zumindest 50 % der Forderungen erhalten haben oder
2. […]
Es hat gleichzeitig auszusprechen, dass der Schuldner von den im Verfahren nicht erfüllten Verbindlichkeiten gegenüber den Konkursgläubigern befreit ist. […] Im Fall der Z 1 enden mit Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung die Wirksamkeit der Abtretungserklärung und das Amt des Treuhänders.“
3.2. Im Bericht des Justizausschusses heißt es zu dieser Bestimmung (AB 1330 BlgNR 18. GP 3):
„Grundsätzlich beträgt die Laufzeit des Abschöpfungsverfahrens sieben Jahre. Dem Schuldner wird durch Abs 1 Z 1 die Möglichkeit eingeräumt, bereits vorzeitig Restschuldbefreiung zu erlangen, und zwar, wenn die Kosten des Verfahrens bezahlt sind, die Konkursgläubiger nach Ablauf von drei Jahren bereits 50% ihrer Forderungen erhalten haben und der Schuldner keine Obliegenheitsverletzung begangen hat. Dem Schuldner soll die Aussicht, früher als nach sieben Jahren von seinen restlichen Verbindlichkeiten befreit zu sein und seine Einkünfte wieder zur freien Verfügung zu haben, zusätzlich motivieren, besondere Anstrengungen zu unternehmen, um seine Gläubiger rasch zu befriedigen.
Eine vorzeitige Beendigung des Abschöpfungsverfahrens ist jedenfalls erst nach einer Laufzeit von drei Jahren möglich, auch wenn die 50 %ige Quote bereits früher erreicht wurde, weil das Abschöpfungsverfahren nicht nur eine Entschuldungsmöglichkeit für den Schuldner bieten soll, sondern auch die Interessen der Gläubiger an einer möglichst vollständigen Hereinbringung ihrer Forderungen berücksichtigt.“
4. In der Lehre wird überwiegend die Meinung vertreten, dass auch dann, wenn die erforderliche Quote erst nach Verstreichen der Mindestfrist von drei Jahren der Laufzeit der Abtretungserklärung (aber noch innerhalb der siebenjährigen Gesamtlaufzeit) erbracht wird, das Abschöpfungsverfahren gemäß § 213 Abs 1 Z 1 KO vorzeitig unter Erteilung der Restschuldbefreiung zu beenden ist ( Schneider , Privatinsolvenz 218 [unter Hinweis auf Mohr , Privatkonkurs² 120]; Pahl , Die Wahrscheinlichkeit der Restschuldbefreiung im Abschöpfungsverfahren, ZIK 2001/129, 85 [86]; Holzhammer , Österreichisches Insolvenzrecht Konkurs und Ausgleich 5 232; Deixler‑Hübner , Privatkonkurs, Rz 182; inhaltlich auch Wurzinger , Die vorzeitige Restschuldbefreiung bei Erreichung der 50 %‑Quote, ZIK 2010/246, 177, der von einer Entschuldung mit 50 %‑Quote nach frühestens drei Jahren spricht, sowie Mohr in Konecny/Schubert , Insolvenzgesetze § 213 Rz 2, 3 ‑ „mindestens drei Jahre“ ‑ und Konecny , Restschuldbefreiung bei insolventen natürlichen Personen, ÖBA 1994, 911 [924] - „wenigstens drei Jahre“). Feuchtinger/Lesigang , Praxisleitfaden Insolvenzrecht 163, vertreten hingegen offenkundig die Meinung, dass es sich bei der dreijährigen Frist des § 213 Abs 1 Z 1 KO (IO) um eine „Maximalfrist“ handelt.
5.1. Der Oberste Gerichtshof schließt sich aus folgenden Gründen der von der weit überwiegenden Lehre vertretenen Auffassung an:
Schon die bloße Wortinterpretation spricht dafür, dass es sich bei der in § 213 Abs 1 Z 1 KO genannten dreijährigen Frist um eine Mindestfrist handelt. Aus dem Gesetzestext ergibt sich, dass drei Jahre der Laufzeit der Abtretungserklärung verstrichen sein müssen; für die Annahme, dass kein größerer Zeitraum der Laufzeit der Abtretungserklärung verstrichen sein darf, fehlt es hingegen im Gesetzeswortlaut an jeglichem Hinweis, obzwar ein solcher Hinweis des Gesetzgebers - hätte er eine Maximalfrist statuieren wollen - jedenfalls zu erwarten wäre. Mohr (Privatkonkurs² 121) hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf verwiesen, dass das Gesetz für die Zahlung der Quote nicht auf die Laufzeit der Abtretungserklärung abstellt, sondern auf das Konkurs‑ und Abschöpfungsverfahren. Damit die Voraussetzungen für die zwingende Restschuldbefreiung nach § 213 Abs 1 Z 1 KO erfüllt sind, müssen daher beide im Gesetz genannten (Mindest‑)Erfordernisse erfüllt sein: Zum einen müssen (mindestens) drei Jahre der Laufzeit der Abtretungserklärung verstrichen sein, zum anderen müssen die Gläubiger während des Insolvenz- und Abschöpfungsverfahrens zumindest 50 % der Konkursforderungen erhalten.
5.2. Gegen diese Auslegung spricht auch nicht die in der Revisionsrekursbeantwortung hervorgehobene Formulierung des Ausschussberichts, wonach die vorzeitige Restschuldbefreiung nur erlangt werden kann, wenn die Gläubiger „nach Ablauf von drei Jahren bereits 50 % ihrer Forderungen erhalten haben“. Diese Formulierung sagt über die Frage, ob die drei Jahre eine Mindest‑ oder eine Maximalfrist sein sollen, überhaupt nichts aus. Im Übrigen wird auch im Ausschussbericht ausgeführt, dass eine vorzeitige Restschuldbefreiung „früher als nach sieben Jahren“ möglich sein soll; auch hier fehlt jeglicher Hinweis darauf, dass eine vorzeitige Beendigung des Verfahrens nach Ablauf der dreijährigen Frist auch bei Erreichung der erforderlichen Mindestquote nicht mehr möglich sein sollte.
5.3. Gerade der Ausschussbericht macht zudem den Zweck deutlich, den der Gesetzgeber mit der Bestimmung des § 213 Abs 1 Z 1 KO verfolgt: „ Dem Schuldner soll die Aussicht, früher als nach sieben Jahren von seinen restlichen Verbindlichkeiten befreit zu sein und seine Einkünfte wieder zur freien Verfügung zu haben, zusätzlich motivieren, besondere Anstrengungen zu unternehmen, um seine Gläubiger rasch zu befriedigen.“ Es ist in keiner Weise einzusehen, dass dem Schuldner diese Motivation nur exakt nach drei Jahren der Laufzeit der Abtretungserklärung geboten werden soll, kurze Zeit später und während der gesamten Dauer des Insolvenzverfahrens hingegen nicht mehr.
6. Eine rechtspolitische Bewertung des § 213 Abs 1 Z 1 KO (zu den Vor‑ und Nachteilen dieser Bestimmung vgl bereits Konecny aaO 924; zur Entschärfung der rechtspolitischen Brisanz der Bestimmung vgl G. Kodek aaO Rz 661, ebenso Schneider , aaO 218; sehr krit nach Praxiserfahrungen aber Wurzinger aaO 179), ist hier nicht vorzunehmen.
7. Im konkreten Fall waren im Zeitpunkt der Beschlussfassung des Erstgerichts bereits mehr als drei Jahre der Laufzeit der Abtretungserklärung verstrichen und haben die Gläubiger nach dem Abschlussbericht des Treuhänders mehr als 50 % ihrer Forderungen erhalten, sodass das Erstgericht zutreffend vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 213 Abs 1 Z 1 KO ausgegangen ist. Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben und der Beschluss des Erstgerichts wieder herzustellen.
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