European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E127367
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei die mit 2.165,26 EUR (darin 360,88 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Kläger sind als Erben ihres 2007 verstorbenen Vaters jeweils zu einem Anteil von einem Drittel Miteigentümer des unbebauten Grundstücks Nr 130/2 (EZ * KG *). Der Beklagte ist Alleineigentümer des östlich angrenzenden Grundstücks Nr 130/3 (EZ * KG *).
Die Kläger begehren den Beklagten schuldig zu erkennen, in die Einverleibung eines Geh‑ und Fahrrechts auf einer Breite von 3 m laut dem der Klage angeschlossenen Plan zu Lasten seines Grundstücks einzuwilligen, hilfsweise die Feststellung, dass zugunsten von ihnen bzw ihres Grundstücks ein solches Geh‑ und Fahrrecht bestehe. Der Beklagte habe anlässlich der bevorstehenden Errichtung seines Hauses durch Einzeichnung in seine eigenen Baupläne im Jahre 1992 die Servitut anerkannt.
Der Beklagte wandte unter anderem Verjährung durch Nichtgebrauch der Servitut nach § 1488 ABGB ein. Er habe am behaupteten Servitutsweg bereits 1993 eine Mauer errichtet und seither dort laufend Fahrzeuge abgestellt, wodurch er sich der Ausübung der Servitut über mehr als drei aufeinanderfolgende Jahre widersetzt habe.
Das Erstgericht wies die Klage ab, wobei es im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt ausging:
Zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt wandte sich der Vater der Kläger, S* F*, an seinen Neffen, den Beklagten, und gab an, dass er die Errichtung eines Blockhauses auf seinem Grundstück plane. In diesem Zusammenhang sagte der Beklagte S* F* zu, zur Realisierung seines Bauvorhabens eine Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens in Form eines 3 m breiten Geh‑ und Fahrwegs im Süden des Grundstücks Nr 130/3 einzuräumen. Zu einer Verschriftlichung bzw Verbücherung dieses Geh‑ und Fahrrechts kam es nicht, da S* F* in weiterer Folge von seinem Bauvorhaben Abstand nahm.
Der Beklagte stellte im Juni 1991 ein Bauansuchen hinsichtlich des Baus eines Einfamilienhauses mit Garage auf dem Grundstück Nr 130/3. Im Zuge der mündlichen Bauverhandlung vom 19. 6. 1992 wurde festgehalten, dass das Baugrundstück mit dem Geh‑ und Fahrrecht für das Grundstück Nr 130/2 belastet ist, das in der Baubeschreibung und im Einreichplan an der südlichen Grundgrenze mit einer Breite von 3 m eingezeichnet war.
Der Bau des Hauses des Beklagten dauerte vier bis fünf Jahre. Im Zuge dieser Bauarbeiten errichtete der Beklagte eine Mauer im Süden seiner Liegenschaft, wobei diese ca 15 cm in die ursprünglich geplante Wegeservitut hineinragt. Da der Beklagte in weiterer Folge die südlich des Hauses gelegene Fläche als Parkplatz benützte, legte er den Bereich südlich des Hauses mit Platten aus. Damit die Platten nicht abrutschten, errichtete er eine untere [südlich der zuvor genannten Mauer gelegene zweite; Anm] Mauer, die mit ca 25 cm in die ursprünglich geplante Wegtrasse hineinragte. Auf der unteren Mauer errichtete der Beklagte am Ende der Bauphase an der südwestlichen Grundgrenze einen Holzzaun mit drei Querlatten, sodass eine ungehinderte Durchfahrt bzw ein ungehinderter Durchgang auf der ursprünglich vorgesehenen Dienstbarkeitsfläche nicht mehr gegeben war.
Im Zuge der Abhandlung der Verlassenschaft von S* F* zeigte sich, dass das Grundstück Nr 130/2 über keine verbücherte Zufahrt verfügte, weshalb der Erst- und der Zweitkläger, nicht aber die Drittklägerin, 2008 oder 2009 den Beklagten aufsuchten, um die Zufahrtsfrage zu klären. Der Beklagte teilte ihnen mit, dass er sie nicht durchfahren lasse. Die Kläger hätten damals die Mauer bzw den Zaun wahrnehmen können.
Rechtlich begründete das Erstgericht seine Entscheidung damit, dass ein Widersetzen im Sinne des § 1488 ABGB sich auch daraus ergeben könne, dass der Verpflichtete ein erhebliches Hindernis (wie etwa eine Mauer oder einen festen Zaun) errichtet, das die Ausübung der Dienstbarkeit durch die Berechtigten wahrnehmbar unmöglich mache oder beeinträchtige. Das Hindernis müsse nicht unüberwindlich sein; bei Wegerechten genüge, dass durch das Hindernis die ungehinderte Nutzung des Weges auf die gewöhnliche und allgemeine Art unmöglich werde. Es genüge, dass der Dienstbarkeitsberechtigte das Hindernis bei gewöhnlicher Sorgfalt hätte wahrnehmen können. Es komme nicht auf die tatsächliche Kenntnis des Berechtigten, sondern auf seine objektiv gesehen vorhandene Möglichkeit der Kenntnisnahme der Widersetzlichkeit durch den Belasteten bei gewöhnlicher Sorgfalt/Aufmerksamkeit an.
Das Berufungsgericht bestätigte im Ergebnis diese Entscheidung. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts könne aber die Abweisung des Klagebegehrens nicht auf § 1488 ABGB gestützt werden, weil „ausdrückliche Feststellungen des Erstgerichts zum möglichen Kenntnisstand der Drittklägerin fehlten“, die Kläger im vorliegenden Servitutsstreit aber eine einheitliche Streitpartei bildeten. Ausgehend von der Annahme, im Jahr 1979 sei in Übergabsverträgen die Verpflichtung der Einräumung von Geh- und Fahrrechten festgeschrieben worden, kam das Berufungsgericht zum Ergebnis, dass die Kläger die Dienstbarkeit über 30 Jahre nicht genutzt hätten, sodass Verjährung nach § 1479 ABGB eingetreten sei.
Das Berufungsgericht ließ die Revision nachträglich gemäß § 508 ZPO im Wesentlichen mit der Begründung zu, es habe den Feststellungen des Erstgerichts, dass der Beklagte am Ende der Bauphase an der südwestlichen Grundgrenze einen Holzzaun mit drei Querlatten errichtete, sodass eine ungehinderte Zufahrt bzw ein ungehinderter Durchgang auf der ursprünglich vorgesehenen Dienstbarkeitsfläche nicht mehr gegeben war, nicht hinreichend Bedeutung zuerkannt. Eine derartige wahrnehmbare und manifeste Widersetzungshandlung hätte allenfalls auch gegenüber der Drittklägerin die dreijährige Verjährungsfrist gemäß § 1488 ABGB in Gang setzen können, weshalb die Bestätigung der Klagsabweisung durch das Erstgericht auch auf diese Gesetzesstelle hätte gestützt werden können. Nach der neueren Rechtsprechung sei zwar (nicht mehr) erforderlich, dass sich der Verpflichtete der tatsächlichen Ausübung der Dienstbarkeit widersetzt. Vom Höchstgericht noch nicht geklärt sei aber, ob dies auch für den hier gegenständlichen Fall gelte, dass die Verpflichtung zur Einräumung einer Dienstbarkeit (Titel) zwar übernommen, dieser aber noch nicht entsprochen worden sei (Modus). Sollte dies verneint werden, wäre zu prüfen, ob ein hinreichendes (erstinstanzliches) Sachvorbringen der Kläger betreffend eine Unterbrechung der (langen) Verjährungsfrist (durch 30‑jährige Nichtgeltendmachung des Rechts auf Einräumung der Dienstbarkeit) infolge eines (zumindest deklaratorischen) Anerkenntnisses vorliege.
In ihrer Revision beanstanden die Kläger die Subsumtion unter § 1479 ABGB. Die ihr zugrunde liegende Annahme des Berufungsgerichts sei durch die Feststellungen nicht gedeckt und aktenwidrig. Zudem wäre eine 1979 begonnene Verjährung durch das Geschehen in den Jahren 1991 und 1992, welches als Anerkenntnis der Servitut durch den Beklagten zu werten sei, unterbrochen worden.
In seiner Revisionsbeantwortung beharrt der Beklagte unter anderem auf der Richtigkeit der erstgerichtlichen Beurteilung, die Klage sei bereits wegen Freiheitsersitzung nach § 1488 ABGB abzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.
1.1. Das dingliche Recht der Dienstbarkeit gemäß § 481 Abs 1 ABGB wird grundsätzlich nur durch Eintragung im Grundbuch erworben. Vertragliche, aber nicht verbücherte, inhaltlich einer Servitut entsprechende Rechte wirken aber immerhin zwischen den Vertragsparteien (5 Ob 77/71 = SZ 44/41; 7 Ob 6/99d; 10 Ob 33/04g [Pkt 2b]; 6 Ob 95/11f; RIS‑Justiz RS0011659 [T1]; Hofmann in Rummel, ABGB3 § 481 Rz 2; Bittner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 481 ABGB Rz 7; Risak in Schwimann/Neumayr, ABGB‑TaKom4 § 481 Rz 4 ua). Dem entspricht es, wenn davon ausgegangen wird, dass das Eintragungsprinzip unter anderem auch dann durchbrochen ist, wenn und soweit der Belastete die unverbücherte Dienstbarkeit gekannt hat (10 Ob 33/04g [Pkt 2b]; 7 Ob 44/09k; 5 Ob 30/14v [Pkt III.1.2.] ua).
1.2. Im vorliegenden Fall war es der Beklagte selbst, der zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt S* F*, dem damaligen Eigentümer der Nachbarliegenschaft und Rechtsvorgänger der Kläger, zusagte, zur Realisierung von dessen Bauvorhaben eine Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens in Form eines 3 m breiten Geh‑ und Fahrwegs im Süden des Grundstücks Nr 130/3 einzuräumen. Zumal der Beklagte in den Jahren 1991 und 1992 die Servitut in offiziellen Unterlagen seines eigenen Bauvorhabens vermerkte, ist an seinem Rechtsbindungswillen nicht zu zweifeln. Es lag damit ungeachtet der unterbliebenen grundbücherlichen Durchführung bis auf Weiteres eine solche Servitut vor.
2.1. Nach § 1488 ABGB verjährt das Recht der Dienstbarkeit durch den Nichtgebrauch, wenn sich der verpflichtete Teil der Ausübung der Servitut widersetzt und der Berechtigte durch drei aufeinander folgende Jahre sein Recht nicht geltend macht. Bei dieser sogenannten Freiheitsersitzung (usucapio libertatis) handelt es sich um einen Fall der Verjährung einer bestehenden Dienstbarkeit (1 Ob 20/85; RS0034333 [T1]; RS0037141 [T10]; M. Bydlinski in Rummel, ABGB3 § 1488 Rz 1). Da es sich um einen Verjährungstatbestand handelt, ist auf der Seite des sich Widersetzenden weder Redlichkeit noch Rechtmäßigkeit erforderlich (Gschnitzer/Faistenberger/Barta/Call/Eccher, Sachenrecht2, 176; vgl auch Mader/Janisch in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1488 Rz 3 mwH). Die kurze Verjährung des § 1488 ABGB hat vor allem den Zweck, die rasche Klärung einer strittigen Rechtslage herbeizuführen. Ob ein vom Verpflichteten nicht (mehr) geduldetes Servitutsrecht besteht oder nicht, soll im Interesse der Beteiligten, aber auch der Verkehrssicherheit möglichst schnell gerichtlich geklärt werden (Vollmaier in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1488 Rz 3 mwH).
2.2. Die Freiheitsersitzung nach § 1488 ABGB ist auch dann möglich, wenn der Berechtigte die Dienstbarkeit bisher nicht ausgeübt hat, aber die Ausübung nach dem Lauf der Dinge möglich gewesen wäre (RS0105602; Welser/Kletečka, Bürgerliches Recht I15 Rz 1376). Sie wurde in 1 Ob 25/13b auch bereits in einem Fall einer vertraglich eingeräumten, aber nicht im Grundbuch eingetragenen Dienstbarkeit bejaht. Dies widerspricht zwar dem Gedanken, dass § 1488 ABGB grundsätzlich nur dingliche Servituten vor Augen hat (1 Ob 13/82 = RS0034372; Vollmaier in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang 3 § 1488 Rz 4, 17; R. Madl in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.06 § 1488 Rz 4), vermeidet aber den Wertungswiderspruch, dass ansonsten eine nicht intabulierte und damit bloß obligatorisch wirkende Servitut eine höhere Bestandskraft hätte als eine im Grundbuch eingetragene und daher sogar dinglich wirkende. Auf vertragliche, jedoch noch unverbücherte Servituten ist § 1488 ABGB somit im Wege der Analogie anwendbar.
2.3. Während in der älteren Rechtsprechung (vgl 6 Ob 147/64 = SZ 37/107 = RZ 1964, 219; RS0034271; RS0034394) die tatsächliche Servitutsausübung durch den Berechtigten als Voraussetzung für die Freiheitsersitzung gefordert wurde, kommt es für den Beginn der Verjährung nach § 1488 ABGB nach nunmehr herrschender Ansicht nur noch auf die (objektive) Möglichkeit der Rechtsausübung an. Es genügt, dass der Dienstbarkeitsberechtigte das Hindernis, das die Ausübung seiner Dienstbarkeit unmöglich macht oder doch beeinträchtigt, bei gewöhnlicher Sorgfalt (im Sinne von gewöhnlicher Aufmerksamkeit) hätte wahrnehmen können (4 Ob 84/05i mwN; 1 Ob 25/13b; 1 Ob 95/19f [Pkt 2.1.]; RS0034394 [T4, T5]; RS0037141 [T7]; RS0034271 [T10, T11]; Perner/Brunner in Schwimann/Neumayr, ABGB-TaKom4 § 1488 Rz 2, 4; Dehn in KBB5 § 1488 Rz 1 ua).
2.4. Im vorliegenden Fall war die Möglichkeit der Ausübung der Servitut seit der verbindlichen Zusage des Beklagten auf ihre Einräumung gegeben. Wie auch bereits ihr Vater hatten alle drei Kläger zudem seit Errichtung der beiden Mauern und des Zaunes objektiv betrachtet feststellen können, dass aufgrund dieser Maßnahmen die Dienstbarkeit nicht mehr ausgeübt werden kann. Die Möglichkeit der Wahrnehmung ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil ein Servitutsberechtigter die Örtlichkeit niemals aufgesucht hat. Zumindest die freiwillige Abwesenheit des Berechtigten hindert nach herrschender Auffassung nicht den Rechtsverlust nach § 1488 ABGB (5 Ob 565/84 = SZ 58/98; 4 Ob 84/05i; Perner/Brunner in Schwimann/Neumayr, ABGB‑TaKom4 § 1488 Rz 4; Mader/Janisch in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1488 Rz 1). Es ist zwar grundsätzlich am Servitutsbelasteten gelegen, die Voraussetzungen der Freiheitsersitzung zu behaupten und zu beweisen (8 Ob 104/14y [Pkt 2.2.]). Er hat somit einen Sachverhalt zu behaupten und zu beweisen, aus dem der rechtliche Schluss zu ziehen ist, dass die Verjährungsfrist des § 1488 ABGB zum Zeitpunkt der Geltendmachung des behaupteten Anspruchs durch Klage bereits abgelaufen war (RS0034333 [T4]). Dem kam hier der Beklagte nach. Ein rein subjektives, etwa krankheitsbedingtes Unvermögen der Kenntnisnahme des der Servitutsausübung entgegenstehenden Hindernisses ist hingegen vom Servitutsberechtigten zu behaupten, da ansonsten dem Servitutsbelasteten ein Negativbeweis zur Last fiele. Dass es dem Vater der Kläger und/oder der Drittklägerin aus einem anderen Grund als einer freiwilligen Ortsabwesenheit nicht möglich war, die der Ausübung der Dienstbarkeit entgegenstehenden Hindernisse wahrzunehmen, wurde von den Klägern nicht behauptet.
3. Damit ist – wie bereits vom Erstgericht erkannt und zutreffend begründet und auch in der Revisionsbeantwortung ausgeführt – jedenfalls Verjährung nach § 1488 ABGB eingetreten. Ob die gegen die Annahme der 30-jährigen Verjährung vorgebrachten Revisionsgründe der Kläger zutreffen, kann daher auf sich beruhen. Das Berufungsurteil erweist sich jedenfalls im Ergebnis als richtig.
4. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Bei einem Streitwert über 10.170 EUR beträgt der Einheitssatz nicht wie in der Revisionsbeantwortung verzeichnet 60, sondern 50 % (§ 23 Abs 3 RATG).
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