OGH 8Ob116/15i

OGH8Ob116/15i19.2.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann‑Prentner, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenn sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn und Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. K*****, vertreten durch Dr. Günther Egger, Dr. Karl Heiss, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei E*****, vertreten durch Mag. Martin Steinlechner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Räumung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 9. Juli 2015, GZ 4 R 162/15z-19, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 15. April 2015, GZ 17 C 61/13a‑15, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0080OB00116.15I.0219.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 544,13 EUR (darin 90,69 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 713,68 EUR (darin 62,28 EUR USt und 340 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist seit Juni 2012 Alleineigentümer einer Liegenschaft, auf der sich ein Haus mit zehn Wohneinheiten befindet. Im Keller dieses Hauses sind zwei große Räumlichkeiten, die in einem Plan als „Keller“ und als „Garage“ bezeichnet werden; oberirdisch liegt eine an das Wohnhaus angeschlossene Einzelgarage; das Haus hat außerdem einen unausgebauten Dachboden.

Im Jahr 2010 verkaufte die Ehefrau des Beklagten, die zuvor die Alleineigentümerin war, das Haus dem Rechtsvorgänger des Klägers. In diesem Kaufvertrag räumte sie sich selbst und dem Beklagten an den Einheiten Top 3 und 4 samt einem Kellerraum „wie bisher benutzt“ sowie an „einer Garage“ die ‑ später im Grundbuch einverleibte ‑ „Dienstbarkeit des höchstpersönlichen lebenslänglichen Wohnungs- und Fruchtnießungsrechtes“ ein. Zum Zeitpunkt dieser Vereinbarung nutzten die Eheleute neben den Räumlichkeiten der Top 3 und 4 auch die beiden großen Räume im Keller, insbesondere auch den als „Garage“ bezeichneten, als Lagerraum für Fahrnisse des Beklagten. Im Zuge der Vertragsgespräche war klar, dass vom Wohn- und Fruchtgenussrecht nur eine der beiden „Garagen“ umfasst sein sollte, und letztlich einigten sich die Beteiligten darauf, dass dies der im Keller gelegene, als „Garage“ bezeichnete Raum sein sollte. Andere Räumlichkeiten, insbesondere im Bereich des Dachbodens, wurden ausdrücklich nicht einbezogen. Später verwendete der Beklagte auch die oberirdische Garage sowie Dachbodenbereiche, indem er Sachen dort abstellte bzw lagerte. Der Rechtsvorgänger des Klägers forderte den Beklagten mehrfach auf, diese Bereiche auszuräumen, was der Beklagte jedoch nicht tat. Sämtliche im Dachboden des Hauses sowie in der oberirdischen Garage eingelagerten Gegenstände wurden vom Beklagten dort hingebracht und stehen in seinem Eigentum.

Im Kaufvertrag vom Mai 2012 übernahm der Kläger ausdrücklich das im Grundbuch eingetragene Wohn- und Fruchtgenussrecht. Sein Verkäufer wies ihn auch auf den Umfang dieses Rechts und die vom Beklagten vertragswidrig (zusätzlich) genutzten Räumlichkeiten sowie die erfolglosen Aufforderungen, diese Bereiche zu räumen, hin. Auch der Kläger forderte den Beklagten mehrfach ohne Ergebnis auf, die oberirdische Garage und den Dachboden zu räumen.

Der Kläger begehrte zunächst, den Beklagten und seine Ehefrau zur Räumung des Dachbodens sowie der oberirdischen Garage zu verpflichten. Das den Eheleuten im Jahr 2010 eingeräumte Wohn- und Fruchtgenussrecht beziehe sich nur auf die Einheiten Top 3 und 4 sowie die beiden Räume im Keller des Hauses. Den Dachboden und die oberirdische Garage nützten die beiden widerrechtlich.

Das ursprünglich auch gegen die Ehefrau des Beklagten gerichtete Räumungsbegehren zog der Kläger nach der Außerstreitstellung, dass sämtliche im Dachboden und der Garage befindlichen Gegenstände dem Beklagten allein gehören und nur von diesem dort eingelagert wurden, unter Anspruchsverzicht zurück.

Der Beklagte wendete zusammengefasst ein, auch die von ihm zusätzlich genutzten Räumlichkeiten seien vom Wohn- und Fruchtgenussrecht umfasst.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Im Kaufvertrag seien der Umfang des Wohnungs- und Fruchtgenussrechts klar geregelt. Der Rechtsvorgänger des Klägers habe der demgegenüber erweiterten Nutzung durch den Beklagten ausdrücklich widersprochen und den Beklagten auch zur Räumung aufgefordert. Damit habe der Kläger tatsächlich nur jenes Wohnungs- und Fruchtgenussrecht übernommen, welches auch verschriftlicht worden sei und das daher die gegenständlichen Räumlichkeiten nicht umfasse. Zu einer schlüssigen Ausweitung des Dienstbarkeitsrechts sei es nie gekommen. Der Beklagte benütze die Räumlichkeiten daher titellos.

Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung im klagsabweisenden Sinn ab. Das vom Beklagten eingewendete Recht sei ihm gemeinsam mit seiner Ehefrau eingeräumt worden; die beiden bildeten daher eine notwendige Streitgenossenschaft und könnten daher nur gemeinsam geklagt werden. Wegen der Klagsrückziehung gegen die ursprünglich zweitbeklagte Ehefrau sei die Klage daher abzuweisen.

Das Berufungsgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand mit mehr als 5.000 EUR (nicht aber mehr als 30.000 EUR) und ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass zur Rechtsfigur der notwendigen Streitgenossenschaft unterschiedliche Rechtsprechung vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen. Hilfsweise wird die Aufhebung der Berufungsentscheidung begehrt.

Rechtliche Beurteilung

Der Beklagte beantragt, der Revision keine Folge zu geben.

Die Revision des Klägers ist zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts einer Korrektur bedarf.

1. Das Wesen der notwendigen Streitgenossenschaft besteht darin, dass der Klageanspruch nach der Natur des Rechtsverhältnisses oder nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift nur von allen an einem Rechtsverhältnis Beteiligten oder gegen sie erhoben werden kann; eine notwendige Streitgenossenschaft liegt im Zweifel nur vor, wenn bei Nichterfassung aller Teilnehmer die Gefahr unlösbarer Verwicklungen durch von einander abweichende Entscheidungen entsteht (RIS‑Justiz RS0035479). Das ist nicht der Fall, wenn trotz Gemeinsamkeit des rechtserzeugenden Sachverhalts keine rechtliche Notwendigkeit für eine in jedem Fall einheitliche Entscheidung besteht (4 Ob 196/11v; 5 Ob 47/73 = SZ 46/35; RIS‑Justiz RS0035473 [insb T1], vgl auch RS0035496; Schubert in Fasching/Konecny² § 14 ZPO Rz 2 mwN). Maßgebend für die Beurteilung dieser Frage ist das materielle Recht (RIS‑Justiz RS0035468).

Auf dieser Grundlage sind mehrere Mitmieter im Kündigungsprozess notwendige Streitgenossen (RIS‑Justiz RS0013160). Grund dafür ist die Einheitlichkeit des Rechtsverhältnisses zwischen dem Vermieter auf der einen und den Mietern auf der anderen Seite; dieses Rechtsverhältnis kann aus materiell-rechtlichen Gründen nur mit Wirkung für und gegen alle Mieter beendet werden.

2. Anders verhält es sich bei einer von Anfang an titellosen Benutzung durch mehrere Personen. Hier besteht ‑ mangels einheitlichen Rechtsverhältnisses ‑ ein selbständiger Räumungsanspruch gegen jeden einzelnen Benutzer, es schadet daher nicht, wenn nicht alle geklagt werden (4 Ob 196/11v; 6 Ob 616/90; RIS-Justiz RS0035616; Schubert in Fasching/Konecny² § 14 ZPO Rz 12 mwN).

Bei mehreren titellosen Benutzern besteht kein einheitliches Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger auf der einen und den Benutzern auf der anderen Seite. Rechtsgrund für die Klage ist das Eigentum oder ein anderes dingliches Recht; es liegt allein am Kläger, ob er dieses Recht gegen alle oder nur gegen einzelne (ihm allenfalls lästige) Benutzer durchsetzen will (4 Ob 196/11v).

3. Hier ist aber überdies zu beachten, dass ‑ unbestritten ‑ nicht mehrere, sondern nur ein (titelloser) Benutzer vorhanden ist, zumal die Ehefrau des Beklagten die gegenständlichen Räume nicht benützt. Sie mit Erfolg auf Räumung dieser Räumlichkeiten zu klagen, kommt daher von vornherein nicht in Betracht. Dass der geltend gemachte Räumungsanspruch gegen den Beklagten von der Vorfrage abhängt, welchen Umfang das auch der Ehefrau zustehende Fruchtgenussrecht hat, kann nicht dazu zwingen, sie dessen ungeachtet gemeinsam mit dem Beklagten auf Räumung klagen zu müssen.

4. In der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 7 Ob 20/96a (= EF-Z 2006/56 [Höllwerth]) wurde ‑ in teilweiser Abweichung von der oben dargestellten Rechtsprechung ‑ eine notwendige Streitgenossenschaft angenommen, wenn einer von zwei Ehegatten einen dem Räumungsbegehren entgegenstehenden Titel behaupte und der andere von ihm Benützungsrechte familienrechtlicher Art ableite; in diesem Fall müssten beide geklagt werden. Denn sollte der andere Ehegatte die Wohnung nicht freiwillig räumen, müsste der Kläger auch gegen ihn einen Räumungsprozess einleiten, in dem mangels Parteienidentität keine Bindung an die im Vorprozess getroffenen Sachverhaltsfeststellungen bestünde. Abweichende Entscheidungen wären daher denkbar.

In seiner Entscheidung 4 Ob 196/11v ist der vierte Senat des Obersten Gerichtshofs dieser Entscheidung mit ausführlicher Begründung entgegengetreten. Nähere Ausführungen dazu sind aber entbehrlich, weil der zu 7 Ob 20/96a entschiedene Fall mit der hier zu beurteilenden Konstellation von vornherein nicht vergleichbar ist, weil hier die Ehefrau des Beklagten ‑ anders als im Fall der Entscheidung 7 Ob 20/96a ‑ die zu räumenden Räumlichkeiten gar nicht benützte.

Eine notwendige Streitgenossenschaft liegt daher hier nicht vor.

5. Darauf, dass die übrigen vom Beklagten in der Rechtsrüge vorgetragenen Argumente nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgehen und die Rechtsrüge daher insoweit nicht gesetzmäßig ausgeführt ist, hat bereits das Berufungsgericht hingewiesen.

In Stattgebung der Revision war daher das Ersturteil wiederherzustellen.

6. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- sowie des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Zur Höhe der zuerkannten Kosten ist anzumerken, dass der Kläger sein Begehren im erstinstanzlichen Verfahren mit 2.000 EUR bewertet hat; der Bewertungsausspruch des Berufungsgerichts ist für die Bemessungsgrundlage des RAT nicht maßgeblich. Der Einheitssatz für die Revision beträgt gemäß § 23 Abs 3 RATG 60 %.

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