OGH 8Ob115/16v

OGH8Ob115/16v22.2.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner, den Hofrat Dr. Brenn sowie die Hofrätinnen Mag. Korn und Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei A***** S*****, vertreten durch Dr. Günther Millner, Dr. Marisa Schamesberger, Rechtsanwälte in Graz, gegen den Beklagten und Gegner der gefährdeten Partei M***** S*****, vertreten durch Mag. Volker Flick, Mag. Eva Flick, Rechtsanwälte GesbR in Graz, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 5. Oktober 2016, GZ 1 R 253/16g‑15, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Graz-West vom 16. August 2016, GZ 112 C 9/16g‑8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0080OB00115.16V.0222.000

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Der Gegner der gefährdeten Partei hat die Kosten seines Revisionsrekurses endgültig selbst zu tragen.

Die gefährdete Partei hat die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung vorläufig selbst zu tragen.

 

Begründung:

Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ist das Begehren der Klägerin und gefährdeten Partei (in der Folge: Klägerin) auf Bestimmung eines einstweiligen Unterhalts gemäß § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO in der Höhe von 600 EUR monatlich.

Die Streitteile wohnen (Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung) in einem Einfamilienhaus, das im Alleineigentum der Klägerin steht. Diese verfügt über ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von 1.389 EUR, der Antragsgegner (in der Folge: Beklagte) über ein solches von 3.112 EUR. Die beiden ehelichen Kinder leben im gemeinsamen Haushalt. Die Klägerin bezahlt für das Haus monatlich Sanierungskreditraten und Betriebskosten in Höhe von insgesamt 828 EUR.

Das Erstgericht sprach der Klägerin einstweiligen Unterhalt in Höhe von 207 EUR monatlich unter Abweisung des Mehrbegehrens zu. Sie habe nach der Prozentmethode Anspruch auf 32 % (40 % abzüglich 2 x 4 % für die weiteren Sorgepflichten) des Familieneinkommens. Davon sei ihr eigenes Einkommen abzuziehen, vermindert um die Hälfte der monatlichen Wohnkosten, die auch dem Beklagten anteilig zugute kämen.

Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel der Klägerin Folge und gab dem Provisorialantrag zur Gänze statt.

Die Berechnungsmethode des Erstgerichts führe zu einem unbilligen Ergebnis. Dem rechtlichen Prinzip, dass Ehegatten nach ihren Kräften gemeinsam zur angemessenen Bedürfnisdeckung beizutragen haben, werde besser entsprochen, wenn die von der Klägerin allein getragenen, aber allen Familienmitgliedern zugute kommenden Wohnkosten „neutralisiert“ und zur Gänze vom Einkommen der Klägerin vor der Ermittlung des Prozentunterhalts abgezogen würden. Damit werde eine Kostenaufteilung erreicht, wie sie in intakten Familienverhältnissen zumindest plausibel sei.

Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Anrechnung der Wohnungskosten „in der hier gegebenen Konstellation“ vorliege.

Der von der Klägerin beantwortete Revisionsrekurs des Beklagten strebt die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses an. Im anhängigen Scheidungsverfahren sei hervorgekommen, dass auch der Beklagte Kosten des gemeinsamen Haushalts getragen habe. Diese würden vom Rekursgericht nicht berücksichtigt. Der einstweilige Unterhalt könne nur für einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch bewilligt werden; ein solcher werde durch die Zahlung von Wohnkosten nicht begründet. Auch aus dem in erster Instanz hilfsweise herangezogenen Titel des Benützungsentgelts könne einstweiliger Unterhalt nicht begehrt werden. Neben dem Prozentunterhalt bestehe kein weiterer Anspruch.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§§ 402, 78 EO, § 526 Abs 2 ZPO) – Ausspruch des Rekursgerichts ist der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig.

I.  Gegenstand einer Provisorialmaßnahme nach § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO ist der einstweilige angemessene Unterhalt (8 Ob 1647/91; 1 Ob 179/00f; 9 Ob 113/01k; 6 Ob 22/02g; 5 Ob 29/04g; 6 Ob 105/16h uva; vgl auch 8 Ob 49/16p).

II.  Vorweg ist darauf zu verweisen, dass sich der Beklagte – ungeachtet von Unschärfen in den Feststellungen hinsichtlich einzelner Positionen – in seinem Rechtsmittel nicht dagegen wendet, dass das Rekursgericht seiner rechtlichen Beurteilung Wohnungskosten der Klägerin in der Höhe von 828 EUR zugrundelegt. Darauf ist daher nicht mehr weiter einzugehen.

III.  Der Beklagte macht im Wesentlichen geltend, dass das Rekursgericht den der Klägerin zu leistenden Unterhaltsbeitrag strikt nach der Prozentmethode ermitteln hätte müssen. Stattdessen habe das Rekursgericht ihn zusätzlich zur errechneten Unterhaltsleistung mit den Wohnkosten der Klägerin belastet, wofür es an einer Rechtsgrundlage fehle.

Dass das Rekursgericht den Beklagten zusätzlich zu seiner Unterhaltsleistung zur Zahlung von Wohnungskosten verpflichtet hat, ist schlicht unrichtig. Richtig ist allerdings, dass das Rekursgericht den festgesetzten Unterhaltsbetrag höher ausgemessen hat, als es der strikten Anwendung der Prozentmethode entsprechen würde.

IV.  Die Ermittlung des Unterhaltsanspruchs mit einem bestimmten Prozentsatz der Bemessungsgrundlage (RIS-Justiz RS0012492) gewährleistet – jedenfalls für durchschnittliche Verhältnisse – dass der Unterhaltsberechtigte an den Lebensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen angemessen teilhaben kann (1 Ob 2266/96h; 1 Ob 2082/96z). Die Prozentmethode hat jedoch nur den Charakter einer die Gleichbehandlung gleichartiger Fälle sichernden Orientierungshilfe (1 Ob 2266/96h). Unterhalt ist nicht starr mathematisch zu berechnen, sondern zu bemessen. Letztlich sind daher auch die besonderen Umstände des Einzelfalls für die Beurteilung, ob eine Unterhaltsfestsetzung angemessen ist, von Bedeutung (RIS‑Justiz RS0057284 [T11] = 8 Ob 106/13s).

V.  Die Auffassung des Rekursgerichts, dass die vorliegende Konstellation sehr deutlich von den durchschnittlichen Verhältnissen abweicht, die üblicherweise unter strikter und uneingeschränkter Anwendung der Prozentmethode entschieden werde, ist nicht zu beanstanden.

Der zu beurteilende Fall ist nämlich von der Besonderheit gekennzeichnet, dass die Wohnungskosten der Eheleute nicht vom Unterhaltspflichtigen getragen werden (was zu einer Berücksichtigung dieser Kosten als Naturalunterhaltsleistung führen würde – RIS-Justiz RS0047254), sondern dass hier die unterhaltsberechtigte Klägerin die Kosten des Wohnens zu tragen hat und damit einen nicht unbeträchtlichen Teil der Lebenshaltung des Unterhaltsverpflichteten allein finanziert, während Naturalunterhaltsleistungen des Beklagten nicht bescheinigt sind. Die uneingeschränkte Anwendung der Prozentmethode auf den hier zu beurteilenden Einzelfall würde daher zu der von der zweiten Instanz zu Recht aufgezeigten Benachteiligung der Klägerin gegenüber dem Beklagten führen, dem – obwohl auf Kosten der Klägerin voll wohnversorgt – der weitaus größte Teil seines Einkommens verbliebe.

Dem Rekursgericht ist daher beizupflichten, dass eine starre Berechnung des Unterhaltsanspruchs der Klägerin nach der Prozentmethode dem vorliegenden Einzelfall nicht gerecht wird und stattdessen eine der Besonderheit des Falls Rechnung tragende Modifizierung dieser Methode stattfinden muss.

VI.  Wie weit bei Vorliegen außergewöhnlicher Konstellationen von der Prozentmethode abgewichen werden kann und muss, ist eine Frage des Einzelfalls, die – von Fällen krasser Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz abgesehen – die Zulässigkeit des Revisionsrekurses nicht rechtfertigen kann.

Das hier vom Rekursgericht gefundene Ergebnis wird dieser Notwendigkeit in im Ergebnis noch vertretbarer Weise gerecht:

Der vom Rekursgericht errechnete Unterhaltsbetrag läuft darauf hinaus, dass der Anteil am Familieneinkommen, der der Klägerin nach der für den durchschnittlichen Fall entwickelten Prozentmethode verbleiben soll, im Hinblick auf die volle Wohnversorgung des Beklagten durch die Klägerin spürbar – nämlich um etwas mehr als 10 % – erhöht wird. Obzwar dies ein nicht unbeträchtliches Abweichen von der strikten Anwendung der Prozentmethode bedeutet, hat damit das Rekursgericht unter den gegebenen Umständen den ihm offenstehenden Ermessensspielraum noch nicht überschritten.

VII.  Soweit sich der Revisionsrekurs auf – für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum auch gar nicht näher konkretisierte – Haushaltsausgaben des Beklagten bezieht und begehrt, diese analog zu den Wohnkosten zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, verstößt er mangels eines entsprechenden erstinstanzlichen Vorbringens gegen das Neuerungsverbot im Rechtsmittelverfahren.

VIII.  Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 1 EO, hinsichtlich des Beklagten auf § 78 EO, §§ 41 und 50 ZPO.

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