OGH 7Ob700/87

OGH7Ob700/8729.10.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anna F***-A***, Hausfrau, Wien 12., Flurschützstraße 1 a, geboren am 11. Dezember 1948 in Graz, vertreten durch Dr. Günther Dallinger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Mehdi F***-A***, Student, Wien 20., Engerthstraße 133/37, geboren am 4. April 1956 in Torbatheidarieh (Iran), vertreten durch Dr. Andreas Waldhof, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 15. Juli 1987, GZ 11 R 92/87-58, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 20. Jänner 1987, GZ 26 Cg 111/85-49, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revision selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben im August 1982 in Spanien nach iranischem Recht die Ehe auf Zeit - auf ein Jahr - geschlossen. Am 10. November 1982 haben sie vor dem Standesamt des Bezirkes Hospicio in Madrid geheiratet. Schließlich haben sie am 16. August 1983 vor der Botschaft der Islamischen Republik Iran in Wien die ständige Ehe geschlossen. Der Ehe entstammt der am 19. Juni 1984 geborene mj. Marco. Der Beklagte ist iranischer Staatsbürger, die Klägerin besitzt nach dem Staatsbürgerschaftsnachweis des Magistrates der Stadt Wien vom 21. Dezember 1983, Beilage B, die österreichische Staatsbürgerschaft. Der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Streitteile war in Wien.

Das Erstgericht schied auf Begehren der Klägerin die am 10. November 1982 vor dem Standesamt des Bezirkes Hospicio in Madrid geschlossene Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes lernte die Klägerin den Beklagten in Spanien kennen. Der Beklagte war zu diesem Zeitpunkt ohne Einkommen und ohne Vermögen. Er hatte vorher in England studiert. Er erhielt auch an der Universität Madrid einen Studienplatz, konnte aber keine Prüfung ablegen, weil er der spanischen Sprache nicht mächtig war. Schon wenige Wochen nach der Eheschließung wurde die Klägerin, nachdem ihr der Beklagte ihr Geld und ihre Dokumente weggenommen hatte, von ihrem Schwager abgeholt. Die Klägerin kehrte zu ihrer Familie nach Österreich zurück. Der Beklagte, der ihr folgte, wurde jedoch von der Familie der Klägerin nicht aufgenommen und kam in Schubhaft. Nach Intervention der Klägerin wurde der Beklagte aus der Schubhaft entlassen und die Streitteile lebten zusammen. Der Beklagte hegte tiefes Mißtrauen gegen die Klägerin, die als Hortnerin und als Kindergärtnerin arbeitete. Er verleumdete die Klägerin an ihren Dienststellen, sodaß sie immer wieder ihren Arbeitsplatz wechseln mußte. Im Jänner 1984 wurde der Beklagte in den Iran abgeschoben, der Klägerin gelang es jedoch, ihn im April 1984 zurückzuholen. Der Beklagte arbeitete stundenweise in einem Vermessungsbüro, verlor jedoch knapp nach der Geburt des Sohnes Marco seine Arbeitsstelle. Aushilfsarbeiten, die ihm von der Caritas angeboten wurden, lehnte er mit dem Hinweis darauf ab, daß er Student sei. Die Familie lebte vom Karenzgeld der Klägerin. Es kam zu Auseinandersetzungen zwischen den Streitteilen, in deren Verlauf der Beklagte die Klägerin beschimpfte, sie stieß und ihr den Umgang mit fremden Männern vorwarf. Das kränkliche Kind wurde, wenn es schrie, vom Beklagten mit dem Kopf in das Kissen gedrückt, um es zum Schweigen zu bringen. Im April 1985 hielt es die Klägerin mit dem Beklagten nicht mehr aus und zog mit dem Kind in ein Frauenheim. Der Beklagte versuchte, sie zur Rückkehr zu bewegen. Er beschimpfte hiebei die Klägerin und auch dritte Personen. Er zeigte die Klägerin wegen Familiendiebstahls und wegen Verleumdung an, die Klägerin wurde aber freigesprochen. Der Beklagte versuchte, bei den Verwaltungsbehörden durchzusetzen, daß der Klägerin und dem Kind die österreichische Staatsbürgerschaft aberkannt wird. Er leistete der Klägerin keinen Unterhalt, brachte aber gegen sie eine Klage auf Unterhalt ein.

Das Erstgericht legte seiner rechtlichen Beurteilung österreichisches Sachrecht zugrunde und war der Auffassung, daß die Beschimpfungen und Mißhandlungen der Klägerin durch den Beklagten, die grundlosen Beschuldigungen der Klägerin durch den Beklagten und die Vernachlässigung der Unterhaltspflicht durch den Beklagten schwere Eheverfehlungen nach § 49 EheG darstellten, durch die die Ehe schuldhaft und unheilbar zerrüttet worden sei. Das Verlassen der ehelichen Gemeinschaft durch die Klägerin sei eine gerechtfertigte Reaktion auf die Eheverfehlungen des Beklagten gewesen. Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil.

Das Berufungsgericht hat im Rahmen der Pflicht zur amtswegigen Ermittlung des kollisionsrechtlich relevanten Sachverhaltes auch die Staatbürgerschaft der Klägerin geprüft. Es stellte fest, daß am 28. April 1984 vor der Botschaft der Islamischen Republik Iran in Wien die Registrierung der zwischen den Streitteilen am 10. November 1982 nicht vor den iranischen Behörden geschlossenen Ehe stattfand. Bei der Registrierung war die Anwesenheit beider Ehegatten und deren Unterschriftsleistung im Heiratsregister erforderlich. Der Klägerin wurde hiebei ein iranischer Idenditätsausweis ausgestellt, in dem die Eheschließung eingetragen ist. Die Übernahme dieser Urkunde bestätigte die Klägerin durch ihre Unterschrift. Das Berufungsgericht folgerte daraus, daß die Klägerin zwar gemäß § 976 Z 6 des Iranischen Zivilgesetzbuches die iranische Staatsbürgerschaft erworben, die österreichische Staatsbürgerschaft aber nicht verloren habe. Gemäß § 27 Abs 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes verliere die Staatsbürgerschaft, wer aufgrund einer der dort genannten Willensäußerungen eine fremde Staatsbürgerschaft erwerbe. Die Klägerin habe die iranische Staatsbürgerschaft ex lege und nicht aufgrund einer der im § 27 Abs 1 StbG genannten Willensäußerungen erworben. Sei die Klägerin in dem maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz aber österreichische Staatsbürgerin gewesen, sei gemäß § 9 Abs 1 zweiter Satz IPRG ihr Personalstatut das österreichische Recht. Ohne Belang sei es, daß beide Ehegatten auch die iranische Staatsbürgerschaft besäßen. Mangels eines gemeinsamen Personalstatutes der Ehegatten im Sinne des § 18 Abs 1 IPRG seien daher die Voraussetzungen der Ehescheidung nach den §§ 20 Abs 1 und 18 Abs 1 Z 2 IPRG nach österreichischem Recht zu beurteilen, da beide Streitteile ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hätten.

Gegen die Entscheidung der zweiten Instanz richtet sich die Revision des Beklagten aus den Anfechtungsgründen der Nichtigkeit, der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise stellt der Beklagte einen Aufhebungsantrag. Die Klägerin hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Beklagten ist nicht berechtigt.

Die behauptete Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Unter dem Anfechtungsgrund der Nichtigkeit macht der Beklagte nur angebliche Nichtigkeiten des erstgerichtlichen Verfahrens geltend. Die Geltendmachung solcher Nichtigkeiten in der Revision ist jedoch unzulässig (Arb. 9834; RZ 1968, 108; EvBl 1957/145; 7 Ob 638/87 ua). Im übrigen könnte der Umstand, daß die Ablehnung des Erstrichters durch den Beklagten nach seiner Meinung zu Unrecht als nicht berechtigt erkannt wurde, keine Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 1 ZPO begründen. Dem Verlust des Tonbandes über die Streitverhandlung vom 10. März 1986 kommt schon deshalb keine Bedeutung zu, weil diese Streitverhandlung wiederholt wurde. Die Behauptung, daß dem Beklagten die Möglichkeit entzogen wurde, vor Gericht zu verhandeln, ist unzutreffend, weil der Beklagte, soweit er nicht auch selbst anwesend war, bei allen Tagsatzungen durch einen Verfahrenshelfer vertreten war und somit ausreichend Gelegenheit zum Sachvorbringen hatte.

Der Beklagte hält auch in der Revision an seiner Ansicht fest, daß die Klägerin die österreichische Staatsbürgerschaft verloren habe, daher iranisches Scheidungsrecht anzuwenden, nach iranischem Recht aber ein Scheidungsgrund nicht gegeben sei. Soweit die Rechtsrüge davon ausgeht, daß die Klägerin anläßlich der Registrierung der Ehe am 28. April 1984 die ausdrückliche Erklärung abgegeben habe, die iranische Staatsbürgerschaft erwerben zu wollen, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt, weil das Berufungsgericht eine solche Willenserklärung nicht als erwiesen annahm. Das Berufungsgericht hat richtig erkannt, daß die für die Anknüpfung an eine bestimmte Rechtsordnung maßgebenden Tatsachen und rechtlichen Voraussetzungen vom Amts wegen festzustellen sind, und in dieser Richtung auch Erhebungen geführt. In diese amtswegige Prüfungspflicht fallen nicht nur Tatsachenermittlungen, sondern auch einschlägige Rechtsfragen, von denen die Erfüllung der Anknüpfungspunkte abhängt, somit auch Staatsbürgerschaftsfragen. Letztere sind nach dem Recht des Staates zu beurteilen, um dessen Staatsbürgerschaft es geht (Schwimann in Rummel ABGB Rz 3 zu § 2 IPRG). Nach Schwimann (aaO) sind hiebei nur konstitutive Staatsangehörigkeitsentscheidungen des zuständigen Staates (Einbürgerungs- oder Ausbürgerungsbescheide) bindend, deklarative Bescheinigungen oder Beurkundungen (z.B. Staatsangehörigkeitsbestätigungen) sind dagegen nicht bindend und deshalb auch nicht geeignet, die inländischen Behörden von ihrer Prüfungspflicht zu entbinden. Beizupflichten ist dem Berufungsgericht darin, daß die Klägerin nicht schon aufgrund der Eheschließung mit dem Beklagten oder wegen des Erwerbes der iranischen Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes die österreichische Staatsbürgerschaft verloren hat. Ein Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft der Klägerin könnte nur unter den Voraussetzungen des § 27 StbG 1965 eingetreten sein. Danach verliert die Staatsbürgerschaft, wer aufgrund seines Antrages, seiner Erklärung oder seiner ausdrücklichen Zustimmung eine fremde Staatsangehörigkeit erwirbt, sofern ihm nicht vorher die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft bewilligt worden ist. Der Verlust der Staatsbürgerschaft wird also nur eintreten, wenn der Staatsbürger aufgrund einer positiven Willenserklärung eine fremde Staatsangehörigkeit erwirbt (Goldemund-Ringhofer-Theuer, Das österreichische Staatsbürgerschaftsrecht 129). Eine solche positive Willenserklärung der Klägerin hat das Berufungsgericht nicht als erwiesen angenommen. Die Zustimmung der Klägerin zur Registrierung ihrer mit dem Beklagten in Spanien geschlossenen Ehe konnte nicht den Verlust der österreichischen Staatsangehörigkeit bewirken, auch wenn die Registrierung zwangsläufig rückwirkend den Erwerb der iranischen Staatsbürgerschaft zur Folge hatte, weil diese Erklärung der Klägerin primär auf ein anderes Ziel gerichtet war (vgl. Goldemund-Ringhofer-Theuer aaO 131). Hat die Klägerin aber die österreichische Staatsbürgerschaft nicht verloren, kommt auch Art. 10 Abs 3 des Freundschafts- und Niederlassungsvertrages vom 9. September 1959 BGBl. 1966/45 zwischen der Republik Österreich und dem Kaiserreich Iran, wonach in Angelegenheiten der Ehescheidung die Angehörigen einer vertragschließenden Partei auf dem Gebiet der anderen Partei den Bestimmungen des in ihrem Heimatstaat geltenden Rechtes unterworfen bleiben, nicht zur Anwendung. Dieser Vertragsbestimmung unterliegen nur rein iranische Familienrechtsverhältnisse (Duchek-Schwind IPR 177 f). Die maßgebliche Frage des anzuwendenden Rechtes ist nach dem österreichischen IPR-Gesetz zu lösen. Hiebei kann die Frage auf sich beruhen, ob schon die Tatsache, daß die Klägerin und somit nur einer der Ehegatten auch die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, wegen der nach § 9 Abs 1 zweiter Satz IPRG für das Personalstatut bei Mehrstaatern bestimmten Maßgeblichkeit der österreichischen Staatsbürgerschaft zur Anwendung österreichischen Scheidungsrechtes führt. Wäre auch nach iranischem Recht aufgrund der geltend gemachten Tatsachen die Scheidung gerechtfertigt und würden somit die beiden hier in Betracht kommenden Rechtsordnungen im Sachergebnis übereinstimmen, käme der Rechtsanwendungsfrage keine Bedeutung zu (vgl. Schwimann aaO Rz 6 zu § 2 IPRG mwN). Nach der Rechtsansicht des Beklagten liegt aber eine Nichtübereinstimmung im Sachergebnis vor. Für den Beklagten ist aber selbst dann nichts gewonnen, wenn man, seinem Standpunkt folgend, davon ausgeht, daß wegen des gemeinsamen Personalstatutes der Ehegatten nach den §§ 20 Abs 1 und 18 Abs 1 Z 1 IPRG das iranische Scheidungsrecht anzuwenden ist und nach diesem Recht ein Scheidungsgrund nicht vorliegt. Nach § 20 Abs 2 IPRG ist nämlich die Scheidung nach dem Personalstatut des klagenden Ehegatten im Zeitpunkt der Ehescheidung zu beurteilen, wenn nach dem nach Abs 1 maßgeblichen Recht aufgrund der geltend gemachten Tatsachen die Ehe nicht geschieden werden kann. Diese Bestimmung stellt eine die Scheidung begünstigende Ausnahmeregelung dar. Versagt das nach § 20 Abs 1 IPRG primär berufene Recht die Scheidung, so soll nach Schwimann (aaO Rz 3 zu § 20 IPRG) entgegen dem Gesetzeswortlaut nicht unmittelbar auf das Klägerstatut zurückgegriffen werden, sondern es sollen nach dem Prinzip der stärksten Beziehung wie aus Gründen der Scheidungsbegünstigung zuvor alle weiteren Subsidiaranknüpfungen des § 18 zu berücksichtigen sein. Die danach in Betracht kommende Subsidiaranknüpfung ist der gewöhnliche Aufenthalt bzw. der letzte gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten. Da im vorliegenden Fall die Streitteile ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich haben, jedenfalls aber ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich gehabt haben, wäre somit wegen der Scheidungsbegünstigungsbestimmung des § 20 Abs 2 IPRG sowohl bei Anknüpfung an das Personalstatut der Klägerin als auch bei Subisdiaranknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt österreichisches Recht auch dann anzuwenden, wenn das iranische Recht aufgrund der geltend gemachten Tatsachen eine Scheidung der Ehe versagte. Der § 20 Abs 2 IPRG führt somit auch bei fehlender Übereinstimmung der beiden Rechtsordnungen im Sachergebnis zur Anwendung österreichischen Scheidungsrechtes. Daß danach aber die Entscheidung der Vorinstanzen gerechtfertigt ist, wird vom Revisionswerber nicht in Zweifel gezogen.

Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte