Normen
AKHB Art6 Abs2 lita
AKIB Art6 Abs1 litb
VersVG §6 Abs1
AKHB Art6 Abs2 lita
AKIB Art6 Abs1 litb
VersVG §6 Abs1
Spruch:
Der Versicherungsnehmer muß beweisen, daß die Nichtüberprüfung der Lenkerberechtigung eines angestellten Fahrers nicht auf einem Organisations- oder Überwachungsverschulden beruht. Der Versicherer ist leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer diese Prüfung Angestellten jahrelang ohne Nachprüfung und Kontrolle überlassen hat
OGH 19. 4. 1984, 7 Ob 56/83 (OLG Wien 1 R 29/83; HG Wien 28 Cg 1/82)
Text
Die klagende GesmbH begehrt die Feststellung der Deckungspflicht des beklagten Kfz-Haftpflichtversicherers für den Unfall, den ihr Kfz-Mechaniker Richard F am 12. 1. 1979 bei einer Probefahrt mit einem LKW-Zug verursachte. Sein Verschulden ist strafgerichtlich festgestellt. Die beklagte Partei macht Leistungsfreiheit nach Art. 6 Abs. 2 lit. b AKHB aF geltend, weil der Kraftfahrer im Unfallszeitpunkt die erforderliche Lenkerberechtigung für die Gruppe E nicht besaß.
Der Erstrichter gab dem Klagebegehren statt. Nach seinen Feststellungen unterhält das klagende Transportunternehmen Werkstätten in mehreren Landeshauptstädten. Die Werkstättenleiter unterstehen direkt dem Geschäftsführer Ing. Gerhard R. Leiter der Werkstätte in S mit 6 bis 7 Beschäftigten war bis 1976 Norbert L, seither ist es Alois P. Die Werkstättenleiter waren bevollmächtigt, in Fragen des Einkaufes und der Personalführung alleinverantwortlich Geschäfte abzuschließen und Dienstnehmer aufzunehmen, hatten sich aber nach der Weisung des Geschäftsführers um die Führerscheine der Werkstätteangestellten zu kümmern. Obwohl Norbert L (sonst) zuverlässig war, überzeugte er sich bei der Aufnahme des Kraftfahrers Richard F im Jahre 1974 nicht von dessen Lenkerberechtigung für Zugfahrzeuge. Alois P hingegen nahm an, daß Richard F als Chefmechaniker einen Führerschein für alle Gruppen besitze, weil er als einziger bereits ständig Probefahrten mit allen Fahrzeugen durchführte. So überzeugte sich keiner der Geschäftsführer und keiner der Werkstättenleiter tatsächlich von der Lenkerberechtigung des Richard F, die dieser erst nach dem Unfall auch für die Gruppe E erwarb.
Nach der Rechtsansicht des Erstgerichtes sei zwar der klagenden Partei der Kausalitätsgegenbeweis nach § 6 Abs. 2 VersVG nicht gelungen, weil der Unfall auf einem Fahrfehler des Richard F beruhte. Die klagende Partei hafte aber im Rahmen ihrer Obliegenheiten weder nach § 1313 a ABGB noch für "Repräsentanten"; es falle ihr auch kein Organisationsverschulden zur Last.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es trat der rechtlichen Beurteilung des Erstrichters auf der Grundlage der unbekämpft gebliebenen Tatsachenfeststellung bei.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei Folge, hob die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Annahme der Revisionswerberin, der Zulassungsbesitzer dürfe seine Verpflichtung nach § 103 Abs. 2 KFG, bei der Überlassung seines Fahrzeuges die Fahrerlaubnis zu überprüfen, nicht delegieren, ist schon für das öffentliche Recht fraglich (vgl. die Rechtsprechung des VwGH, mitgeteilt in Dittrich-Veit-Veit, Kraftfahrrecht[2] II 3 f. und 6 zu § 103 KFG). Überdies geht es hier um die Erfüllung einer Obliegenheit im Versicherungsverhältnis, die nach privatrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen ist. Die Obliegenheit, das Kfz. keinem Lenker ohne Lenkerberechtigung zu überlassen, trifft in diesem Sinne zwar den Versicherungsnehmer, doch ist es ihm nicht untersagt, sich zur Erfüllung der Obliegenheit verläßlicher und entsprechend beaufsichtigter Personen zu bedienen. Dabei ist anerkannt und wird auch von der Revisionswerberin nicht bestritten, daß eine Haftung für Erfüllungsgehilfen nach § 1313 a ABGB bei der Erfüllung von Obliegenheiten mangels Vorliegens einer echten Vertragspflicht nicht in Betracht kommt. Ebensowenig gibt es nach österreichischer Rechtsauffassung eine Haftung des Versicherungsnehmers für sogenannte Repräsentanten iS der in der Bundesrepublik Deutschland entwickelten Repräsentantentheorie (SZ 52/92 uva.). Auch aus der Entscheidung SZ 53/100 ist für die Revisionswerberin nichts zu gewinnen, weil sie den Sonderfall der Bestellung eines Bevollmächtigten für das ganze Vertragsverhältnis betraf, während sich im vorliegenden Fall der Versicherungsnehmer einer angestellten Hilfsperson bediente.
Zu erwägen wäre allerdings, ob die neuere Rechtsprechung, mit der eine Haftung von juristischen Personen für ihre Machthaber iS des § 337 ABGB in einem weiteren Umfang als bisher bejaht wurde (SZ 44/45; SZ 49/144; SZ 51/80 ua.), nicht auch auf die Haftung juristischer Personen für Obliegenheitsverletzungen solcher Machthaber zu übertragen wäre. Als Organ einer juristischen Person werden danach jene Machthaber angesehen, die eine leitende Stellung mit selbständigem Wirkungskreis innehaben, der eine besondere Gefährdungsmöglichkeit zukommt. Die daraus entstehenden Nachteile soll iS der Gleichstellung der juristischen Personen mit natürlichen Personen im § 26 ABGB jene Vermögensmasse tragen, die auch den Vorteil des Handelns ihrer Machthaber genießt (Koziol, Haftpflichtrecht[2] II 377 f. mwN).
Im vorliegenden Fall bleibt es fraglich, ob die Leiter der Werkstätte der klagenden Partei in S in diesem Sinn als Machthaber der juristischen Person anzusehen sind. Sie waren zwar in der Aufnahme von Dienstnehmern frei und allein verantwortlich, hatten aber die Aufsicht nur über 6 bis 7 Beschäftigte. Aber auch bei Verneinung einer solchen Haftung der klagenden Partei für das Fehlverhalten ihrer beiden Werkstättenleiter ist für die Revisionsgegnerin nichts gewonnen. Sie hätte nämlich nach dem allgemeinen Grundsatz, daß der Versicherer nur den objektiven Tatbestand der Obliegenheitsverletzung beweisen muß, dem Versicherungsnehmer aber der Beweis fehlenden Verschuldens nach § 6 Abs. 1 VersVG und Art. 8 Abs. 2 lit. a AKHB aF oder fehlender Kausalität nach § 6 Abs. 2 VersVG obliegt, den Nachweis erbringen müssen, daß das Fehlen der Lenkerberechtigung ihres Mechanikers Richard F ohne eigenes Organisations- oder Überwachungsverschulden unbemerkt blieb (ZVR 1982/394 mwN uva.). Die klagende Partei muß in diesem Sinn jeden Zweifel daran, ob die jahrelange Überlassung auch von LKW mit Anhängern zu Probefahrten bei fehlerloser Organisation, angemessener Überwachung und Anwendung gehöriger Sorgfalt unvermeidbar war, vertreten. Dabei ist nach der zutreffenden Ansicht der Revisionswerberin zu berücksichtigen, daß die Überlassung von Kraftfahrzeugen an Lenker ohne entsprechende Lenkerberechtigung nicht nur einer wichtigen, im Versicherungsvertrag übernommenen Obliegenheit widersprach, sondern auch den Vorschriften des Kraftfahrgesetzes, und daß damit eine ständige hohe Gefährdung der übrigen Verkehrsteilnehmer verbunden war. Die verläßliche Kontrolle der Fahrer war deshalb eine Angelegenheit von besonderer Wichtigkeit, die entweder so durchorganisiert sein mußte, daß Fehler nach menschlichem Ermessen nicht mehr vorkommen konnten, oder aber so überwacht, daß Mängel bald auffallen mußten. In diesem Sinn hätte die klagende Partei, wenn sie schon die Prüfung der Lenkerberechtigungen einem Werkstättenleiter überließ, zB für eine Meldung der Daten der Führerscheine und der entsprechenden Verwendung der Fahrer an die Zentrale sorgen müssen. Die Tatsachen allein, daß mehrere Jahre hindurch mangels jeder Kontrolle durch die Geschäftsführer nacheinander zwei Werkstättenleiter die Lenkerberechtigung des hier schuldtragenden Mechanikers überhaupt nicht prüften, spricht für eine ungenügende Organisation oder das Fehlen einer nötigen Überwachung. Die Revisionswerberin hat demnach den ihr obliegenden Beweis, daß sie alles Nötige vorgekehrt hat, um das Lenken von Kraftfahrzeugen durch ihre Bediensteten ohne entsprechende Lenkerberechtigung zu verhindern, nicht erbracht. Ihr ist mangels eines solchen Beweises eigene Fahrlässigkeit bei der Verletzung der Obliegenheit vorzuwerfen. Es handelt sich um einen jener Fälle, in denen der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall zwar nicht selbst schuldhaft herbeigeführt hat, eine verschuldete Pflichtverletzung aber bei der Führung des Betriebes darin liegt, daß Mängel der Organisation den Eintritt des Versicherungsfalles erheblich begünstigten (Jabornegg, Die Verantwortlichkeit des Versicherungsnehmers für Dritte, VRdSch. 1975, 100, 128; vgl. auch Ostheim zur E JBl. 1980, 482, 485).
Bei dieser Rechtslage ist im folgenden auf die weiteren Einwendungen der klagenden Partei gegen die von der beklagten Partei behauptete Leistungsfreiheit einzugehen. Diese Einwendungen sind überwiegend nicht berechtigt. Der Kausalitätsgegenbeweis kann beim Fehlen der erforderlichen Lenkerberechtigung nach ständiger Rechtsprechung nicht durch den Nachweis entsprechender Fahrpraxis erbracht werden, wenn ein Fahrfehler des führerscheinlosen Lenkers vorliegt. Ein solcher Fahrfehler spricht unwiderlegbar für das Fehlen jener Verkehrstüchtigkeit, die in einem formellen Verfahren vor der Behörde nachzuweisen und nicht im nachhinein rekonstruierbar ist. Aus dem gleichen Grund ist der Umstand unerheblich, daß Richard F etwa zwei Monate nach dem Unfall die entsprechende Lenkerberechtigung (übrigens erst nach Verkehrsunterricht und Fahrstunden) erworben hat. Ein Verzicht der beklagten Partei auf die Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung liegt entgegen der Ansicht der Revisionsgegnerin keineswegs in der Befriedigung der Ansprüche der geschädigten Dritten. Dazu war der Haftpflichtversicherer im Außenverhältnis gemäß §§ 158 c Abs. 1 VersVG und § 63 Abs. 1 VersVG verpflichtet. Die Vorschrift des § 6 Abs. 1 dritter Satz VersVG, wonach sich der Versicherer auf die vereinbarte Leistungsfreiheit nicht berufen kann, wenn er innerhalb eines Monates nach Kenntnis von der Verletzung einer Obliegenheit nicht kundigt, ist nach österreichischer Rechtsansicht anzuwenden, wenn der Versicherer erst aus Anlaß des Versicherungsfalles von der Obliegenheitsverletzung erfährt; in diesem Fall kommt der Zweck der Bestimmung nicht zum Tragen, daß der Versicherer nicht bloß die Vorteile eines aufrechterhaltenen Vertrages in Anspruch nehmen soll (ZVR 1979/26 uva.). Schließlich kann der Revisionsgegnerin auch nicht dahin gefolgt werden, daß die Leistungsfreiheit des Versicherers infolge der Neuregelung des Art. 6 Abs. 3 AKHB mit 100 000 S begrenzt sei. Der vorliegende Versicherungsfall ereignete sich am 12. 1. 1979, also vor dem Inkrafttreten der erst durch die Nov. BGBl. 1980/605 eingeführten Neuregelung. Mangels einer Rückwirkungsklausel ist die Bestimmung auf frühere Versicherungsfälle nicht anzuwenden, zumal es sich entgegen der Ansicht der klagenden Partei nicht um einen zusammengesetzten und erst mit dem Strafurteil vervollständigten Tatbestand handelt.
Rechtserhebliche Bedeutung kommt nur der letzten Replik der klagenden Partei zu, daß der beklagte Haftpflichtversicherer trotz der in Anspruch genommenen Leistungsfreiheit den geschädigten Dritten ohne Einverständnis der klagenden Partei befriedigt habe. Da die Bevollmächtigung des Versicherers zur Befriedigung der Entschädigungsansprüche des geschädigten Dritten nach Art. 9 Abs. 1 AKHB im Falle der Freiheit von der Verpflichtung zur Leistung nicht besteht, hat er nachzuweisen, daß die von ihm erbrachten Leistungen der gesetzlichen Verpflichtung der klagenden Partei zum Schadenersatz entsprachen. Nur in diesem Umfang besteht - anders als wegen der abweichenden gesetzlichen Bestimmungen in der Bundesrepublik Deutschland - die Leistungsfreiheit zu Recht (SZ 52/196, SZ 54/7 ua.). Nur in dieser Richtung ist demnach das Verfahren ergänzungsbedürftig.
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