European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00056.23W.0628.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil zu lauten hat:
1. Das Klagebegehren, es werde mit Rechtswirkung zwischen den Streitteilen festgestellt, dass die beklagte Partei verpflichtet ist, der klagenden Partei für das gegen die K* GmbH und die A** Aktiengesellschaft im Zusammenhang mit einer von der klagenden Partei für den verstorbenen Dr. M* eingegangen Bürgschaft zu führende Zivilverfahren wegen Zahlung von 143.568,68 EUR sA durch Tragung der entstehenden Kosten, insbesondere angemessenen Anwaltskosten und Gerichtskosten, im Rahmen des zur Polizze Nr * bestehenden Versicherungsvertrags (bis zur Höhe der Deckungssumme von 58.600 EUR) Versicherungsdeckung zu gewähren, wird abgewiesen.
2. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 13.104,42 EUR (darin 1.726,57 EUR USt) bestimmten Kosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin ist bei der Beklagten aufrecht rechtsschutzversichert. Dem Versicherungsverhältnis liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung 2002 (ARB 2002) sowie die Ergänzenden Bedingungen für die Rechtsschutz‑Versicherung 2002 (ERB 2002) zugrunde.
[2] Die ARB 2002 lauten auszugsweise:
„Artikel 9
Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen? Was hat bei Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer über die Art der Vorgangsweise oder die Erfolgsaussichten zu geschehen? (Schiedsgutachterverfahren)
[...]
2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis,
2.1. dass hinreichende Aussicht besteht, in einem Verfahren im angestrebten Umfang zu obsiegen, hat er sich zur Übernahme aller Kosten nach Maßgabe des Artikels 6 (Versicherungsleistung) bereit zu erklären;
2.2. dass diese Aussicht auf Erfolg nicht hinreichend, d.h. ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen, ist er berechtigt, die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten abzulehnen;
2.3. dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen. [...]“
[3] Die Klägerin begehrt Deckung für eine von ihr angestrebte Klage gegen die K* GmbH und die A* Aktiengesellschaft. Das Klagebegehren begründet sie damit, dass die beiden Beklagten im beabsichtigten Haftpflichtprozess ihren früheren Ehemann, Dr. M*, zu dem sie ein freundschaftliches Verhältnis gepflogen hatte, ab 2012 dazu genötigt hätten, weiterhin Klientengelder zu veruntreuen und nicht – wie von ihm eigentlich beabsichtigt – im April 2012 seine Rechtsanwaltschaft zurückzulegen und ein Insolvenzverfahren einzuleiten. Die Klägerin habe Ende 2011 für einen Kredit des Dr. M* bei der Dornbirner Sparkasse gebürgt und habe nach seinem Tod im Jahr 2014 die Darlehensvaluta, abzüglich der ihr im Konkursverfahren der Verlassenschaft zugekommenen Quote, zurückzahlen müssen. Dieser restliche Darlehensbetrag von 143.568,68 EUR sei ihr als Schaden verblieben, für welchen die Beklagten im beabsichtigten Haftpflichtprozess zu haften hätten, weil sie diesen Schaden der Klägerin durch die Nötigung des Dr. M* zu weiteren Veruntreuungen kausal verursacht hätten. Sie hätten sowohl das absolut geschützte Recht der Klägerin auf Eigentum verletzt, als auch die als Schutzgesetze anzusehenden §§ 133, 146 StGB und die Klägerin als gutgläubige Kreditbürgin getäuscht.
[4] Die Beklagte wendete – soweit im Revisionsverfahren von Interesse – Unschlüssigkeit des Klagebegehrens des Haftpflichtprozesses ein.
[5] Die Vorinstanzen gaben der Deckungsklage statt. Die Klägerin habe weder Aufklärungsobliegenheiten noch eine Warteobliegenheit verletzt. Das Klagebegehren beurteilten die Vorinstanzen nicht als unschlüssig; hinsichtlich der zu erwartenden Erfolgsaussichten sei kein strenger Maßstab anzulegen.
[6] Dagegen wendet sich die außerordentliche Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag dahin, das Klagebegehren abzuweisen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[7] Die Klägerin begehrt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[8] Die Revision ist zulässig und berechtigt, weil den Vorinstanzen hinsichtlich der Schlüssigkeit des Klagebegehrens eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen ist.
[9] 1. Zu beurteilen ist hier, ob das beabsichtigte Klagebegehren im Sinne des Art 9.2. ARB 2002 ausreichende Aussicht auf Erfolg hat. Im Deckungsprozess ist grundsätzlich aufgrund der Klagserzählung und des Versicherungsvertrags zu klären, ob Versicherungsschutz zu gewähren ist (7 Ob 65/22t mwN).
[10] 1.1. In der Rechtsschutzversicherung ist bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen (RS0081929). Die vorzunehmende Beurteilung, ob „keine oder nicht hinreichende Aussicht auf Erfolg“ besteht, hat sich am Begriff „nicht als offenbar aussichtslos“ des die Bewilligung der Verfahrenshilfe regelnden § 63 ZPO zu orientieren. „Offenbar aussichtslos“ ist eine Prozessführung, die schon ohne nähere Prüfung der Angriffs- oder Verteidigungsmittel als erfolglos erkannt werden kann, insbesondere bei Unschlüssigkeit aber auch bei unbehebbarem Beweisnotstand (RS0116448; RS0117144). Ist der Sachverhaltsvortrag des Versicherungsnehmers von vornherein unschlüssig oder offensichtlich unrichtig, so kann der Versicherer den Versicherungsschutz ablehnen (RS0082253).
[11] 1.2. Für die Schlüssigkeit in der Klage genügt, wenn das Sachbegehren des Klägers materiell‑rechtlich aus den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden kann (RS0037516). Es müssen also die Behauptungen aufgestellt werden, die es zulassen, dass der vom Kläger begehrte Ausspruch als sich daraus herleitende Rechtsfolge gegebenenfalls auch im Wege eines Versäumungsurteils ergeben könnte (RS0037516, RS0001252 [insbesondere T4]).
[12] 2. Die Beklagte hat bereits im erstinstanzlichen Verfahren darauf hingewiesen, dass die Klägerin keinen Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten der beiden Beklagten des beabsichtigten Haftpflichtprozesses und ihrer eigenen Haftungsübernahme (tatsächlich handelte es sich um eine Pfandbestellung) für den Kredit ihres früheren Ehemannes und einem daraus resultierenden Schaden aufzeige.
[13] 2.1. Die Klägerin geht selbst von einer Nötigung ihres früheren Ehemannes durch die beiden Beklagten des Haftpflichtprozesses ab 2012 aus. Ihre „Bürgschaft“ erfolgte nach ihren eigenen Angaben Ende 2011; einen irgendwie gearteten Kontakt der beiden Beklagten mit ihr vor oder bei dieser Gelegenheit behauptet die Klägerin nicht. Es fehlt daher bereits an einem möglichen Kausalzusammenhang des Verhaltens der beiden Beklagten des beabsichtigten Haftpflichtprozesses im Jahr 2012 mit einer Haftungsübernahme der Klägerin Ende des Jahres 2011.
[14] 2.2. Nach dem Vorbringen der Klägerin haben die beiden Beklagten des beabsichtigten Haftpflichtprozesses Dr. M* daran gehindert, bereits im April 2012 ein Insolvenzverfahren einzuleiten. Tatsächlich wurde erst am 28. 11. 2014 über das Vermögen der Verlassenschaft des am 13. 10. 2014 verstorbenen Dr. M* ein Insolvenzverfahren eröffnet, das mit einer Quote von 19,853814 % und dem Ersatz der ansonsten von der Klägerin zurückbezahlten Darlehensvaluta in diesem Umfang endete. Dass die Quote in einem allfällig bereits 2012 von Dr. M* selbst eingeleiteten Insolvenzverfahren höher – und damit der von der Klägerin getragene Ausfall geringer – gewesen wäre, behauptet die Klägerin gar nicht.
[15] 3. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Klägerin selbst nicht zur Darstellung bringt, inwieweit die Beklagten des Haftpflichtprozesses – das ihnen von der Klägerin vorgeworfene Verhalten unterstellt – damit den Schaden der Klägerin verursacht hätten. Der Sachverhaltsvortrag der Klägerin für die beabsichtigte Rechtsverfolgung im Haftpflichtprozess ist damit unvollständig und unschlüssig geblieben. Die Beklagte kann daher aufgrund der fehlenden Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klagsführung die Rechtsschutzdeckung ablehnen.
[16] 4. Auf die von der Beklagten in ihrer Revision weiters aufgeworfene Frage der Warteobliegenheit kommt es nicht mehr an.
[17] 5. Der Revision war daher im Sinne ihres Abänderungsantrags Folge zu geben und das Klagebegehren abzuweisen.
[18] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 und § 50 ZPO. Die am 25. 3. 2022 und am 13. 4. 2022 eingebrachten Schriftsätze der Beklagten dienten nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung, hätte doch dieses Vorbringen bereits im vorbereitenden Schriftsatz vom 14. 3. 2022 erstattet werden können; allenfalls hätte es in der Tagsatzung vom 1. 4. 2022 (betreffend den Schriftsatz vom 25. 3. 2022) oder in der Tagsatzung vom 8. 6. 2022 (betreffend den Schriftsatz vom 13. 4. 2022) erstattet werden können.
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