OGH 7Ob551/88

OGH7Ob551/8819.5.1988

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Angst und Dr. Niederreiter als Richter in der Rechtssache des Antragstellers Dr. Bernhard K***, ordentl.Univ.Prof. und Rechtsanwaltsanwärter, Innsbruck, Konradstraße 1, wegen Feststellung, infolge Rekurses des Antragstellers gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgerichtes vom 1. März 1988, GZ Jv 986-9C/87-7, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Aus Anlaß des Rekurses wird der angefochtene Beschluß als nichtig aufgehoben.

Text

Begründung

Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Oberlandesgericht Innsbruck durch seinen Präsidenten und zwei weitere seiner Richter Anträge des Dr. Bernhard K***, festzustellen, daß er im Falle der Erfüllung der Voraussetzungen für die Ablegung der Rechtsanwaltsprüfung nach den bisherigen Bestimmungen bis 1. Jänner 1989 von der schriftlichen und mündlichen Prüfung über eine Reihe von Gegenständen befreit sei, wegen entschiedener Streitsache zurückgewiesen.

Gegen die erwähnte Entscheidung richtet sich der Rekurs des Dr. Bernhard K***.

Rechtliche Beurteilung

Vorerst war die Zulässigkeit des Rekurses zu prüfen. Hiebei war zu klären, ob § 4 Abs. 3 RAO, aus dem sich eine Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofes zur Entscheidung über Rekurse gegen Entscheidungen betreffend die Rechtsanwaltsprüfung ergibt, nach wie vor gilt oder nicht. In der Entscheidung 1 Ob 665/86 hat der Oberste Gerichtshof eine Weitergeltung dieser Bestimmung bejaht (die ebenfalls den nunmehrigen Einschreiter betreffende Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 30. April 1987, 7 Ob 586/87, hat sich mit dieser Frage nicht beschäftigt). Nach einer neuerlichen Überprüfung der Rechtslage gelangt der erkennende Senat zu dem Ergebnis, daß die in der Entscheidung 1 Ob 665/86 vertretene Rechtsansicht nicht aufrechterhalten werden kann, und zwar aus folgenden Erwägungen:

Durch Art. VI Abs. 2 Z 3 im Zusammenhang mit Abs. 1 lit. a des R*** BGBl. 556/1985 wurde der § 4 Abs. 3 der RAO aufgehoben. Irgendeinen Hinweis darauf, daß diese Bestimmung nach dem Willen des Gesetzgebers für bestimmte Fälle über den genannten Zeitpunkt hinaus weitergelten solle, kann der Aufhebungsverfügung nicht entnommen werden. Diese ist vielmehr in absolutem Ton gehalten und kann nach ihrem Wortlaut nur dahin verstanden werden, daß nach dem Willen des Gesetzgebers über den 1. Juli 1986 hinaus die Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofes für die im § 4 RAO genannten Fälle schlechthin beseitigt werden sollte.

Die Entscheidung 1 Ob 665/86 begründet die von ihr angenommene Weitergeltung des § 4 Abs. 3 RAO damit, daß nach Art. VI Abs. 4 RAPG Rechtsanwaltsanwärter, die am 1. Juli 1987 die Voraussetzungen für die Ablegung der Rechtsanwaltsprüfung nach den bisherigen Bestimmungen erfüllt und sich zur Prüfung angemeldet haben, auf ihren Antrag die Prüfung nach den bisherigen Bestimmungen ablegen können. Dies bedeute nicht nur, daß die Prüfung selbst nach den Bestimmungen der Verordnung des Justizministers vom 11. Oktober 1954, RGBl. Nr. 264, abzulegen, sondern auch, daß die Zulassung zur Prüfung und das Rechtsmittel gegen den Beschluß auf Nichtzulassung sich dann nicht nach den §§ 6, 8 RAPG, sondern nach den bisher in Geltung gestandenen Vorschriften zu beurteilen sei. Diese Argumentation hält einer logischen Überprüfung nicht stand. Der Wortlaut des Art. VI Abs. 4 RAPG hat eindeutig nur den Inhalt und die Voraussetzungen für die Prüfung zum Gegenstand und betrifft auch nicht annähernd das Verfahren der Zulassung zu der Prüfung. Daß aber die Weitergeltung materiellrechtlicher Bestimmungen automatisch die Weitergeltung jener Verfahrensbestimmungen zur Folge hat, nach denen bisher der Bestand eines materiellen Anspruches geprüft worden ist, ist ein der Rechtsordnung fremder Gedanke. Grundsätzlich führt weder eine Übergangsbestimmung, die Verfahrensvorschriften aufrechterhält, automatisch zur Aufrechterhaltung materiellrechtlicher Bestimmungen noch ist dies umgekehrt der Fall. Vielmehr ist die Geltungsdauer verfahrensrechtlicher Bestimmungen einerseits und materiellrechtlicher Bestimmungen andererseits besonders zu beurteilen. Nur wenn der Wille des Gesetzgebers darauf gerichtet war, daß eine materiellrechtliche Übergangsbestimmung auch die Weitergeltung verfahrensrechtlicher Bestimmungen nach sich ziehen soll oder wenn die beiden Bestimmungen in einem derart engen Zusammenhang stehen, daß die Weitergeltung der einen ohne die Weitergeltung der anderen kaum denkbar ist, kann davon ausgegangen werden, daß ohne eine ausdrückliche Verlängerung der verfahrensrechtlichen Bestimmungen die Verlängerung der Geltungsdauer der materiellrechtlichen Bestimmungen dazu führt, daß Ansprüche nach diesen Bestimmungen nach den bisherigen Verfahrensbestimmungen weiterbehandelt werden müssen. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.

Aus dem RAPG in seiner Gesamtheit kann der eindeutige Wille des Gesetzgebers dahin geschlossen werden, das die Rechtsanwaltsprüfung betreffende Verfahren der Kontrolle der für die Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft geschaffenen Organe zu unterstellen. Dies entspricht aber dagegen, daß der Gesetzgeber ohne zwingende Notwendigkeit einen Zustand aufrechterhalten wolle, bei dem die Selbstverwaltungsorgane der Rechtsanwaltschaft weitgehend ausgeschlossen waren. Es ist daher anzunehmen, daß der Gesetzgeber tatsächlich die Absicht hatte, das neue Verfahren sofort mit dem Inkrafttreten des wesentlichen Abschnittes des RAPG in Kraft zu setzen. Demnach kann aus der Tendenz des Gesetzes nicht geschlossen werden, daß der Gesetzgeber für die unter die Übergangsbestimmung fallende Fälle, die jedenfalls zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes noch in ziemlich großer Anzahl zu erwarten waren, das Inkrafttreten der Verfahrensbestimmungen auf längere Zeit hinausschieben wollte. Insbesondere ist aber nicht anzunehmen, daß er diesen Zeitraum noch verlängert hätte, ohne ausdrücklich auf die verfahrensrechtlichen Wirkungen hinzuweisen. Tatsächlich wurde aber der in Art. VI Abs. 4 RAPG genannte Zeitpunkt 1. Juli 1987 mit Bundesgesetz vom 7. April 1987, BGBl. 163/87, auf den 1. Jänner 1989 hinausgeschoben, ohne daß Verfahrensvorschriften erwähnt worden wären. Gerade diese Verlängerung der materiellrechtlichen Übergangsbestimmung spricht gegen die Annahme, nach dem Willen des Gesetzgebers hätte auch die Weitergeltung der bisherigen verfahrensrechtlichen Vorschriften normiert werden sollen. Der Außerkraftsetzung des § 4 Abs. 3 RAO mag aber noch eine weitere Erwägung zugrundegelegen sein.

Nach § 3 der Verordnung des Justizministeriums vom 11. Oktober 1854, RGBl. Nr. 264, hatten in Ansehung der Rechtsanwaltsprüfung die Vorschriften des § 20 lit. a bis f der kaiserlichen Verordnung vom 10. Oktober 1854, RGBl. 262, zu gelten. Nach § 20 lit. a der letztgenannten Verordnung waren die Gesuche um Zulassung zur praktischen Richteramtsprüfung beim Oberlandesgerichte einzubringen, welches über dieselben unter Vorbehalt des Rekurses an das Justizministerium zu entscheiden hatte. Sowohl die Bezeichnung der angeführten Behörde als auch der dort vorgesehene Rechtszug sprechen dafür, daß es sich bei der Zulassung zu der Rechtsanwaltsprüfung nicht um eine Justiz-, sondern um eine Verwaltungssache gehandelt hat. Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung dieser Verordnung, zu dem eine klare Unterscheidung zwischen Justiz- und Verwaltungsangelegenheiten im heutigen Sinne nicht getroffen wurde, mag dies nicht selbstverständlich sein, doch bietet der Inhalt der Bestimmung wesentliche Anhaltspunkte für die Wahrscheinlichkeit der Zuordnung dieser Angelegenheiten zu der Verwaltung. Ist dies aber der Fall, so hat die Einführung der Bestimmung des § 4 Abs. 3 RAO die Errichtung einer Überprüfung der Entscheidung einer Verwaltungsbehörde durch den Obersten Gerichtshof bewirkt, ein Zustand, der dem in der Bundesverfassung festgesetzten Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung widerspricht. Die Regelung des § 4 Abs. 3 RAO war daher verfassungsmäßig äußerst bedenklich, weshalb ihre Änderung dringend geboten erschien. Auch dies spricht aber dagegen, daß diese verfassungsmäßig bedenkliche Regelung aufrechterhalten werden sollte.

Was nun die Frage eines notwendigen Zusammenhanges zwischen den materiellrechtlichen Bestimmungen einerseits und den verfahrensrechtlichen Bestimmungen andererseits anlangt, kann der erkennende Senat einen solchen nicht erblicken. Sinn der Übergangsbestimmung des Art. VI Abs. 4 RAPG ist es, jenen Rechtsanwaltsanwärtern, die im Vertrauen auf eine bestehende materiellrechtliche Regelung ihre Praxis begonnen haben, die Beendigung ihrer Berufsausbildung zu den alten materiellrechtlichen Bestimmungen zu ermöglichen. Das Zulassungsverfahren zu der Prüfung selber hat mit der Ausbildungserwartung überhaupt nichts zu tun. Es ist für den Kandidaten letzten Endes gleichgültig und wird von ihm bei Antritt der Praxis wohl kaum in Erwägung gezogen werden, wie die Behörde, die bei Vorliegen bestimmter materiellrechtlicher Voraussetzungen über die Zulassung der Prüfung zu entscheiden hat, zusammengesetzt ist und an wen sich allfällige Rechtsmittel richten. Hiezu kommt, daß in Einzelfällen strittig sein kann, ob die Voraussetzungen des Art. VI Abs. 4 RAPG erfüllt sind oder nicht. Es kann nun kaum dem Willen des Gesetzgebers oder dem Gebot der Zweckmäßigkeit entsprechen, hier zwei parallel laufende Behördenzüge aufrechtzuerhalten, weil dies sogar dazu führen könnte, daß in bestimmten konkreten Fällen einander widersprechende Entscheidungen gefällt werden, was wohl kaum im Interesse des Kandidaten liegen wird. Es zeigt sich also, daß auch unter Berücksichtigung ihrer Auswirkungen die teilweise Aufrechterhaltung der bisher geltenden materiellrechtlichen Bestimmungen durch Art. VI Abs. 4 RAPG nicht notwendig die Weitergeltung der bisherigen verfahrensrechtlichen Bestimmungen nach sich ziehen muß, vielmehr die möglichen Folgen der Aufrechterhaltung eines parallel laufenden Verfahrens vor zwei Behörden, von denen bei einer nicht einmal sicher ist, ob es sich hiebei um eine Verwaltungsbehörde oder um ein Gericht handelt, vom Gesetzgeber nicht gewünscht war und auch aus der Tendenz des Gesetzes abzulehnen ist.

Der Oberste Gerichtshof gelangt sohin zu dem Ergebnis, daß die seine Zuständigkeit zur Überprüfung von Entscheidungen in Angelegenheiten der Rechtsanwaltsprüfung begründende Bestimmung des § 4 Abs. 3 RAO auch für die in Art. VI Abs. 4 RAPG genannten Fälle nicht mehr gilt.

Im vorliegenden Fall hat jedoch das Oberlandesgericht Innsbruck als Gericht in einer im GOG festgesetzten Besetzung entschieden. Gegen Entscheidungen des Oberlandesgerichtes als Gericht ist der Rechtszug an den Obersten Gerichtshof auf jeden Fall zulässig. Es liegt also ein zulässiger Rekurs vor, der den Obersten Gerichtshof in die Lage versetzt, Nichtigkeiten der angefochtenen Entscheidungen von Amts wegen wahrzunehmen. Eine solche Nichtigkeit liegt hier vor. Wie bereits oben dargelegt wurde, hat die Übergangsbestimmung des Art. VI Abs. 4 RAPG nicht eine Weitergeltung der bisherigen Verfahrensvorschriften bewirkt. Vielmehr gelten gemäß Art. VI Abs. 1 lit. a RAPG ab 1. Juli 1986 die Bestimmungen des Art. I dieses Gesetzes. Nach dessen § 6 entscheidet über die Zulassung zu den Teilprüfungen der Rechtsanwaltsprüfung auf Antrag des Prüfungswerbers der Präses der Kommission im Einvernehmen mit der Rechtsanwaltskammer. Präses ist nach § 3 der Präsident des Oberlandesgerichtes. Gegen die Nichtzulassung zu den Teilprüfungen der Rechtsanwaltsprüfung steht gemäß § 8 des Gesetzes dem Prüfungswerber das Recht auf Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission zu, wobei § 5 a der RAO sinngemäß anzuwenden ist. Für die Zulassung zu einer Ergänzungsprüfung im Sinne des Berufsprüfungsanrechnungsgesetzes (B*** BGBl. 523/87) gelten sinngemäß die Bestimmungen über die Zulassung zu der betreffenden Berufsprüfung. Der Einschreiter strebt einen Ausspruch über die Befreiung von der Prüfung in verschiedenen Gegenständen aufgrund § 5 Abs. 1 B*** an. Daraus ergibt sich aber, daß zur Entscheidung über seinen Antrag nicht das Oberlandesgericht in einer Besetzung nach dem GOG, sondern der Präsident des Oberlandesgerichtes als Präses der Rechtsanwaltsprüfungskommission im Einvernehmen mit der Rechtsanwaltskammer zuständig war. Der Antrag des Einschreiters richtete sich auch an das "Oberlandesgericht Innsbruck Präses der Prüfungskommission für die Rechtsanwaltsprüfung". Demnach ist die Entscheidung durch das Oberlandesgericht Innsbruck in der erwähnten Besetzung nichtig, was aus Anlaß des zulässigen Rekurses vom Obersten Gerichtshof wahrgenommen werden mußte.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte