Normen
Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung Art4
Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung Art4
Spruch:
Die Ansprüche von Hinterbliebenen der in Art. 4 lit. b AKHB genannten Personen sind vom Versicherungsschutz nicht ausgenommen
OGH 26. August 1976, 7 Ob 46/76 (OLG Wien 8 R 102/76; KG Krems a. d. D. 2 Cg 322/75)
Text
Unbestritten ist folgender Sachverhalt:
Herbert S war am 18. November 1972 Eigentümer und Halter der bei der Beklagten haftpflichtversicherten Zugmaschine (Traktor) Massey - Ferguson 135. Er wollte an diesem Tag mit Karl Sch. in W die gemeinsame Grenze vermarken und forderte diesen auf, mit ihm auf seinem Traktor mitzufahren. Karl Sch. lehnte dies mit der Begründung ab, daß auf dem Traktor kein Beifahrersitz vorhanden sei. Als Herbert S vorschlug, Karl Sch. solle den Traktor lenken und er werde mitfahren, war dieser damit einverstanden. Auf der Fahrt kam dem von Karl Sch. gelenkten Traktor in einer unübersichtlichen Kurve ein Fahrzeug entgegen. Beim Ausweichen geriet Karl Sch. über die Straßenböschung, wodurch Herbert S vom Traktor stürzte und tödliche Verletzungen erlitt. Wegen dieses Unfalles wurde Karl Sch, mit Urteil des Kreisgerichtes Krems an der Donau vom 22. April 1973 rechtskräftig wegen Vergehens gegen die Sicherheit des Lebens nach § 335 StG verurteilt, weil er die Zugmaschine, ohne hinreichend mit der Bedienung ihrer technischen Einrichtungen vertraut zu sein, in Betrieb nahm und Herbert S als Beifahrer am rechten Kotflügel Platz nehmen ließ sowie zweckmäßige Handlungen unterließ, um den Traktor nach dem Abkommen von der Straße alsbald zum Stehen zu bringen. Herbert S war bei der land- und forstwirtschaftlichen Sozialversicherungsanstalt (Rechtsvorgängerin der Klägerin) sozialversichert, die den Unfall vom 18. November 1972 als Arbeitsunfall anerkannte. Im Unfallszeitpunkt sorgte Herbert S für den Unterhalt seiner Gattin Leopoldine und seiner beiden ehelichen Kinder Margit, geboren am 31. März 1953, und Reinhart S, geboren am 25. Feber 1965. Die Klägerin bzw. deren Rechtsvorgängerin erbrachten bis 30. November 1975 an die Hinterbliebenen des Herbert S folgende Leistungen:
Witwenrente an Leopoldine S 13 417.90 S; Waisenrente: a) an Reinhard S 13 417.90 S; b) an Margit S 2016 S; zusammen 15 433.90 S;
Bestattungskostenbeitrag 1 233.10 S; insgesamt 30 084.90 S. Die für
den gegenständlichen Rechtsstreit wesentlichen Bestimmungen des
Art.4 der AKHB lauten wie folgt: Ausgeschlossen von der Versicherung
sind Ersatzansprüche. .........
b) des Eigentümers, des Versicherungsnehmers, des Halters und - bei
Vermietung des Fahrzeuges ohne Bestellung eines Lenkers - des
Mieters und der Personen, denen der Mieter das Fahrzeug überläßt,
gegen mitversicherte Personen;
c) die aus der Verletzung oder der Tötung von Angehörigen des
ersatzpflichtigen Versicherungsnehmers oder der ersatzpflichtigen
mitversicherten Personen entstehen, denen sie zur Zeit des
Schadensereignisses unterhaltspflichtig sind und Unterhalt gewähren;
diese Regelung gilt auch für Sachschäden, die diese Angehörigen
treffen;. .........
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten unter Anerkennung eines 50%igen Mitverschuldens des Herbert S die Bezahlung von 15 042.45 S samt Anhang und beantragt die Feststellung, daß ihr die Beklagte für sämtliche, von ihr in Zukunft noch zu erbringenden Pflichtaufwendungen zu haften habe. Die Beklagte beantragt Klagsabweisung und behauptet, daß sie nach Art. 4 lit. b und c AKHB leistungsfrei sei. Außerdem sei das Mitverschulden des Herbert S mit 75% zu veranschlagen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Es bejahte die von der Beklagten in Anspruch genommene Leistungsfreiheit nach Art. 4 lit. b und c AKHB und war außerdem der Ansicht, daß die Ansprüche der Hinterbliebenen im Hinblick auf das Wesen der Witwen- und Waisenpension und des Sterbegeldes nicht im Wege der Legalzession auf die Klägerin übergegangen seien.
Das Berufungsgericht hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurück. Es war der Ansicht, der Risikoausschluß des Art. 4 lit. b AKHB liege deshalb nicht vor, weil die Hinterbliebenen des Herbert S dem dort beschriebenen Personenkreis nicht angehören. Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Rekurswerberin bekämpft zunächst die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß Ansprüche der Hinterbliebenen nach § 1327 ABGB deshalb nicht unter den Risikosausschluß des Art. 4 lit. b AKHB fallen, weil es sich bei diesen um originäre Schadenersatzansprüche der Angehörigen handle. Das Berufungsgericht übersehe, daß die Hinterbliebenen des getöteten Versicherungsnehmers nicht mehr bekommen könnten, als dieser selbst hätte begehren können, wenn er am Leben geblieben wäre. Es seien daher auch die Ersatzansprüche der Hinterbliebenen in ihrer Entstehung vom Verhalten des unmittelbar Verletzten (Angehörigen) in gleicher Weise abhängig wie dessen eigene Ansprüche.
Diese Ausführungen vermögen nicht zu überzeugen. Nach der ständigen Rechtsprechung des OGH sind allgemeine Versicherungsbedingungen wie Gesetze nach den Regeln der §§ 6 und 7 ABGB auszulegen. Es ist daher maßgebend, welchen Willen des Normengebers der Leser dem Vertragstext entnehmen kann und nicht, was der Normengeber seinerzeit gewollt hat (SZ 43/54; JBl. 1970/575; 7 Ob 144/75; zuletzt 7 Ob 23/76). Nach dem Wortlaut des Art. 4 lit. b AKHB sind aber von der Haftpflichtversicherung nur Ersatzansprüche des Eigentümers, Versicherungsnehmers, Halters, Mieters .... gegen mitversicherte Personen ausgeschlossen. Die Angehörigen der vorgenannten Personen werden hingegen in der Ausschlußklausel nicht erwähnt. Dies kann nur dahin verstanden werden, daß die Ansprüche der Hinterbliebenen vom Versicherungsschutz nicht ausgenommen sind. Nicht das Berufungsgericht, sondern die Rekurswerberin versucht daher, die Ausschlußklausel des Art. 4 lit. b AKHB ausdehnend auszulegen. Eine solche extensive Interpretation ist aber im Hinblick auf den Ausnahmecharakter der vorgenannten Bestimmung der AKHB unzulässig; dies umso mehr, als es sich bei den Ansprüchen der (mittelbar geschädigten) Hinterbliebenen nach § 1327 ABGB, um originäre (von einem allfälligen Anspruch des getöteten Angehörigen unabhängige) Schadenersatzforderungen handelt (Koziol - Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechtes[3] 1, 309; vgl. auch Gschnitzer, Schuldrecht besonderer Teil und Schadenersatz,170; SZ 36/133). Dagegen spricht auch nicht der Umstand, daß die Ansprüche der Hinterbliebenen nach ABGB um die Mitverschuldensquote des getöteten Angehörigen zu kürzen sind. Der Grund liegt nämlich nicht darin, daß die Hinterbliebenen nur einen auf sie übergegangenen Anspruch des getöteten Angehörigen geltend machen, sondern daß dessen Mitverantwortung für seinen Tod in deren Risikosphäre fällt (Koziol - Welser[3] I, 309). Auch den weiteren Rekursausführungen, daß die Auslegung der Ausschlußklausel des Art. 4 lit. b AKHB durch das Berufungsgericht gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße, kann nicht gefolgt werden. Der Gleichheitsgrundsatz erfordert nämlich nicht, daß sämtliche Staatsbürger in allen Fällen gleich behandelt werden, sondern nur, daß Differenzierungen bei gleichbleibendem Sachverhalt nur aus sachlich gerechtfertigten Gründen erfolgen dürfen (VfGH-Slg. NF 4916, 5030 u. a). Eine solche Differenzierung ist aber hinsichtlich der (mittelbaren) Ersatzansprüche der Hinterbliebenen nach § 1327 ABGB deshalb berechtigt, weil diese im Hinblick auf den Tod ihrer unterhaltspflichtigen Angehörigen deren Lebensunterhalt sicherstellen sollen. Die Bevorzugung der Ansprüche der Hinterbliebenen nach § 1327 ABGB gegenüber den von der Ausschlußklausel erfaßten Schadenersatzansprüchen des Eigentümers bzw. Versicherten verstößt somit nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz.
Nach der Angehörigenklausel des Art. 4 lit. c AKHB sind hingegen vom Versicherungsschutz nur Ersatzansprüche ausgeschlossen, die aus der Verletzung oder der Tötung von Angehörigen des ersatzpflichtigen Versicherungsnehmers oder der ersatzpflichtigen mitversicherten Personen entstehen, denen sie zur Zeit des Schadensereignisses kraft Gesetzes unterhaltspflichtig sind und Unterhalt gewähren. .... Im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut der vorgenannten Bestimmung der AKHB fallen daher unter den Ausschuß vom Versicherungsschutz nur Anspruche, bei welchen das die Haftung auslösende Moment in der Person des Angehörigen eingetreten ist (JBl. 1975/155 ff.). Die originären Schadenersatzansprüche der Hinterbliebenen nach § 1327 ABGB sind demnach ebenfalls nicht diesem Ausschlußtatbestand zu unterstellen.
Richtig ist allerdings, daß die bis zum Inkrafttreten der AKHB am 1. Jänner 1968 in Österreich geltende Ausschlußklausel nach § 11 Z. 3 AKB (Ausgeschlossen von der Versicherung sind Haftpflichtansprüche aus Schadensfällen von Angehörigen des Versicherungsnehmers, sofern er auf Grund gesetzlicher Verpflichtung zur Zeit des Versicherungsfalles Unterhalt gewährt") auch auf Ansprüche von Hinterbliebenen des Versicherten nach § 1327 ABGB angewendet wurde (SZ 35/114 = ZVR 1963/213). Diese Auslegung war im Hinblick auf die Formulierung der vorgenannten Bestimmung des AKB "aus Schadensfälle erscheint jedoch im Hinblick auf die nunmehr ausdrücklich erfolgte Beschränkung dieser Ausschlußklausel (Art. 4 lit. c AKHB) auf Ersatzansprüche aus der Verletzung oder Tötung nicht mehr vertretbar. Die von der Rekurswerberin zur Stützung ihrer Rechtsansicht zitierte Entscheidung JBl. 1970/575, betraf einen Anspruch aus der Verletzung eines Angehörigen des ersatzpflichtigen Versicherungsnehmers und ist daher im Hinblick auf die vorangehenden Darlegungen hier nicht anwendbar. Die das Vorliegen eines unzulässigen Familienregresses verneinenden Rechtsausführungen des Berufungsgerichtes werden von der Rekurswerberin nicht mehr bekämpft. Es wird daher, um Wiederholungen zu vermeiden, auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes verwiesen.
Im Hinblick auf seine nicht zu billigende Rechtsansicht hat das Erstgericht keinerlei Feststellungen über das Ausmaß des Mitverschuldens des getöteten Herbert S und über das Vorhandensein eines sachlich und zeitlich kongruenten Deckungsfonds getroffen. Die Rechtssache ist somit nicht spruchreif. Die Aufhebung des Ersturteiles durch das Berufungsgericht erfolgte somit zu Recht.
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