European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00040.15F.0409.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.012,58 EUR (darin enthalten 335,43 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war bei der Beklagten vom 1. 12. 2004 bis 30. 4. 2011 rechtsschutzversichert. Diesem Rechtsschutzversicherungsvertrag lagen die ARB 2003 zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:
„ Art 2
Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?
1. Bei der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gemäß Art 17.2.1, Art 18.2.1, Art 21.2.1 und Art 25.2.3 gilt als Versicherungsfall das dem Anspruch zugrundeliegende Schadenereignis. Als Zeitpunkt des Versicherungsfalles gilt der Eintritt des Schadenereignisses. ...
2. ...
3. In den übrigen Fällen gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften. Der Versicherungsfall gilt für den Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen.
Bei mehreren Verstößen ist der erste adäquat ursächliche Verstoß maßgeblich, wobei Verstöße, die länger als ein Jahr vor Versicherungsbeginn zurückliegen, für die Feststellung des Versicherungsfalles außer Betracht bleiben.
...
Art 21
Allgemeiner Schadenersatz‑Rechtsschutz
...
2. Was ist versichert?
Der Versicherungsschutz umfasst
2.1 Die Geltendmachung von Ansprüchen auf- grund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen eines erlittenen Schadens;
...“
Der Kläger erhob zu 5 Cg 182/09h des Landesgerichts Feldkirch eine Schadenersatzklage gegen zwei Krankenhausträger, weil er weder ordnungsgemäß aufgeklärt noch lege artis behandelt worden sei. Im Zuge dieses Rechtsstreits wurde der orthopädische Facharzt Univ. Doz. Dr. P***** P***** zum Sachverständigen bestellt. Am 26 . 4. 2010, eingegangen beim Landesgericht Feldkirch am 29. 4. 2010, erstattete der Sachverständige ein schriftliches Gutachten, in dem eine Fehlbehandlung in den Krankenhäusern der Beklagten verneint wurde. Diese gutachterliche Einschätzung hielt der Sachverständige sowohl in seinem schriftlichen Ergänzungsgutachten vom 29. 6. 2010 als auch im Rahmen der mündlichen Erörterungen in den Tagsatzungen vom 3. 2. 2011 und 28. 6. 2011 vollinhaltlich aufrecht.
Gestützt auf dieses Gutachten wies das Landesgericht Feldkirch das Klagebegehren mit Urteil vom 29. 8. 2011 ab. Am 27. 9. 2011 erhob der Kläger Berufung gegen die Abweisung des Klagebegehrens gegenüber der dort Erstbeklagten, hinsichtlich der Zweitbeklagten erwuchs das Urteil in Rechtskraft. Der Berufung wurde mit Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 2. 12. 2011 keine Folge gegeben.
Mit der nunmehrigen Klage begehrt der Kläger die Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten im Rahmen des bestehenden Rechtsschutzversicherungsvertrags zur Durchsetzung seiner Ansprüche gegenüber dem Sachverständigen, resultierend aus der falschen Gutachtenserstattung im Verfahren vor dem Landesgericht Feldkirch zu 5 Cg 182/09h. Der Kläger habe auf Grund des falschen Gutachtens den Rechtsstreit verloren. Er habe keinen Ersatz seiner Schäden erhalten und sei zum Kostenersatz verpflichtet worden. Der Versicherungsfall sei während der Laufzeit der Rechtsschutzversicherung eingetreten, zumal das Schadensereignis im unrichtigen Sachverständigengutachten vom 26. 4. 2010 liege.
Da dem Kläger auf Grund der unberechtigten Ablehnung der Rechtsschutzdeckung ein Schaden dadurch entstehen könnte, dass seine Ansprüche gegen den Sachverständigen verjähren, erhob er auch noch ein Begehren auf Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche zukünftige Folgen, Schäden und Nachteile, welche ihm auf Grund der falschen Gutachtenserstattung vom 26. 4. 2010 entstanden seien oder noch entstehen würden.
Die Beklagte bestreitet. Tatsächlich hätten sich erst mit Eintritt der Rechtskraft des letztinstanzlichen Urteils im Vorprozess die Ausführungen des Sachverständigen als (Mit‑)Grundlage für das Urteil und somit allenfalls als schadensverursachend gezeigt, das heiße, ein Schadenseintritt vor dem Zeitpunkt, zu dem das Gutachten Wirkung entfaltet habe, sei undenkbar. Zum Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft des Berufungsurteils im Vorverfahren sei der Kläger bei der Beklagten allerdings nicht mehr rechtsschutzversichert gewesen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Werde ein Sachverständiger wegen seines in einem gerichtlichen Verfahren erstatteten Gutachtens in Anspruch genommen, gehe es nicht um die behauptete Schädigung durch das Gutachten an sich und damit auch nicht um die Kenntnis der Parteien von diesem Gutachten, sondern um dessen Einfluss auf die gerichtliche Entscheidung. Somit liege das schädigende Ereignis nicht in der Abgabe eines Gutachtens an sich, sondern in der darauffolgenden gerichtlichen Entscheidung und dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens. Damit sei der Versicherungsfall außerhalb der Laufzeit des Rechtsschutzversicherungsvertrags eingetreten, weshalb die Beklagte deckungsfrei sei.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Der zur Anwendung gelangende Art.1.2 ARB 2003 setze den Versicherungsfall mit dem Eintritt des Schadensereignisses an. Hier sei der Kläger zum Zeitpunkt des (behaupteten) ersten Verstoßes des Sachverständigen, den er wegen eines angeblichen falschen Gutachtens aus dem Titel des Schadenersatzes klageweise in Anspruch nehmen wolle, rechtsschutzversichert gewesen, nicht mehr jedoch zum Zeitpunkt des dem behaupteten Anspruch zugrunde liegenden Schadensereignisses, das in jener letztinstanzlichen gerichtlichen Entscheidung zu sehen sei, die auf dem angeblich fehlerhaften Gutachten des Sachverständigen aufgebaut und daher zum Prozessverlust des Klägers geführt habe.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision im Hinblick auf die höchstgerichtlich noch nicht endgültig beurteilte Frage, ob der vom Kläger zu verfolgen beabsichtigte Schadenersatzanspruch unter Z 1 oder Z 3 des Art 2 ARB 2003 falle, zuzulassen sei.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte begehrt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
1. Ein gerichtlich bestellter Sachverständiger ist kein Organ im Sinn des § 1 AHG (RIS‑Justiz RS0026337, RS0026353), er übt im gerichtlichen Verfahren seine Tätigkeit auf Grund eines öffentlich‑rechtlichen Auftrags aus (RIS‑Justiz RS0040706 [T1]). Der Auftrag an den Sachverständigen, ein Gutachten zu erstatten, schafft zwischen ihm und den Parteien keine unmittelbaren Rechtsbeziehungen privatrechtlicher Natur ( Schmidt/Kramer 3 § 38 SDG Anm 1). Ein gerichtlich bestellter Sachverständiger, der in einem Zivilprozess schuldhaft ein unrichtiges Gutachten abgibt, haftet den Prozessparteien gegenüber für die Folgen dieses Versehens (RIS‑Justiz RS0026360, RS0026319, RS0026316). Er kann auf Grund eigener deliktischer Haftung direkt beklagt werden (RIS‑Justiz RS0026353 [T3] RS0026337 [T4, T5]). Ob einer Prozesspartei durch ein solches schuldhaftes Fehlverhalten ein Schaden entstanden ist, ist danach zu beurteilen, ob die Entscheidung im Vorprozess für sie günstiger ausgefallen wäre, wenn der Sachverständige dort in allen von ihm begutachteten Fragen ein richtiges Gutachten abgegeben hätte. Im Regelfall kommt es daher darauf an, ob die Unrichtigkeit des beanstandeten Gutachtens ausschlaggebend für die die Partei beschwerende gerichtliche Entscheidung war (RIS‑Justiz RS0026360, insbesondere auch [T6, T8]).
2.1 Entgegen der Ansicht des Klägers liegt nach der ständigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung demnach keine vertragliche Haftung des gerichtlich bestellten Sachverständigen vor. Vielmehr beurteilten die Vorinstanzen zutreffend den vom Kläger verfolgten Anspruch als Schadenersatzanspruch aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmung privatrechtlichen Inhalts, der Art 21.2.1 ARB 2003 zu unterstellen ist.
3. Daher ist für den Eintritt des Versicherungsfalls Art 2.1 ARB 2003 maßgeblich. Nach dieser Bestimmung gilt als Zeitpunkt des Versicherungsfalls in der Rechtsschutzdeckung der Eintritt des dem Anspruch zugrundeliegenden Schadensereignisses.
3.1 Schadensursache und Schadenseintritt fallen häufig auseinander. In diesen Fällen ist fraglich, ob es für den Eintritt des Schadensereignisses auf den Zeitpunkt ankommt, in dem der Schädiger den Haftgrund setzt (so die Kausalereignistheorie) oder auf den Zeitpunkt, in dem das geschützte Rechtsgut ‑ zB Gesundheit, Eigentum, Vermögen ‑ beeinträchtigt wird (so die Folgeereignistheorie, Obarowski , Münchner Kommentar zum VVG 1 , § 125 Rn 20f).
3.2 Die herrschende Meinung in Deutschland hat zur vergleichbaren Bedingung des § 14 dARB 75 der Folge- ereignistheorie den Vorrang gegeben ( Obarowski in Beckmann/Matusche/Beckmann , Versicherungsrechts-Handbuch 2 637 Rn 320; derselbe in Münchener Kommentar zum VVG 1 § 125 Rn 209). Maier in Harbauer , Rechtsschutzversicherung, ARB‑Kommentar 7 ARB 75, § 14 Rn 11 f, derselbe in Neue Bedingungen in der Rechtsschutzversicherung (ARB 1994) r + s 1995, 361; Armbrüster in Prölss/Martin VVG 28 , ARB 2008 II § 4 Rn 146).
Für die Haftung eines Steuerberaters vertritt etwa Cornelius-Winkler in Harbauer Rechtsschutzversicherung, ARB Kommentar 7 ARB 75 § 14 Rn 9, dass nicht etwa der Zeitpunkt der Fehlberatung, sondern der Zeitpunkt einer höheren Steuervorschreibung maßgeblich sei. Bei Haftungsfällen eines Anwalts gibt den Ausschlag, wann der Vermögensverlust in Erscheinung getreten ist, nicht wann der Anwalt falsch beraten hat (etwa Obarowski in Beckmann/Matusche/Beckmann , Versicherungshandbuch 2 § 37 Rn 324).
3.3 Der Oberste Gerichtshof hat bereits bei Entscheidungen zu ARB auf AVB zurückgegriffen, in denen ebenfalls als Versicherungsfall nicht der Verstoß, sondern das Schadensereignis definiert werden. Der Unterschied zwischen den Begriffen besteht darin, dass der Verstoß das Kausalereignis, also das haftungsrelevante Verhalten des Versicherungsnehmers, das den Schaden verursacht hat, ist, Schadensereignis dagegen, der „äußere Vorgang“ der die Schädigung des Dritten und somit die Haftpflicht des Versicherungsnehmers unmittelbar herbeiführt. Schadensereignis ist also das Folgeereignis, das mit dem Eintritt des realen Verletzungszustandes gleichgesetzt wird (RIS‑Justiz RS0081307; insb 7 Ob 132/08z zum wortgleichen Art 2.1 ARB 1988). In der letztgenannten Entscheidung wurde die Rechtsansicht der Vorinstanzen gebilligt, wonach sich der Versicherungsfall durch das dem Anspruch zugrundeliegende Schadensereignis (Eröffnung des Konkursverfahrens) und nicht bereits durch allfällige Verstöße der Organe der Finanzmarktaufsicht bestimme.
3.4 Zutreffend beurteilten die Vorinstanzen daher das allfällig unrichtige Gutachten des Sachverständigen als dessen haftungsrelevantes Verhalten und nicht als Schadensereignis. Da das Gericht das Gutachten nicht berücksichtigen musste, liegt das Schadensereignis erst in der Zustellung der Entscheidung, die das allenfalls fehlerhafte Gutachten zugrunde legte und zum Prozessverlust ‑ und damit zur Änderung in den Vermögensverhältnissen ‑ des Klägers führte.
Ob das Schadensereignis hier in der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils oder erst in der Zustellung des letztinstanzlichen Urteils lag, kann dahingestellt bleiben, da der Kläger zu keinem der beiden Zeitpunkte bei der Beklagten rechtsschutzversichert war.
3.5 Richtig ist, dass Cornelius‑Winkler (in Harbauer , Rechtsschutzversicherung ARB‑Komm 8 , ARB 75 § 14 Rn 10), ausführt, dass eine Grundsatzentscheidung des BGH relevant sei, wonach als Schadensereignis nur Pflichtverstöße des in Anspruch genommenen Schädigers in Betracht kommen, nicht aber solche des Versicherungsnehmers oder außerhalb des Haftpflichtverhältnisses stehender Personen. Er bezieht sich hier offenkundig auf die Entscheidung BGH IV ZR 248/01, der die dARB 94 zugrunde lagen. Abgesehen davon, dass die dARB 94 ‑ anders als die ARB 1988 und 2003 sowie die dARB 75 ‑ auf der Kausalereignistheorie gründen, sprach der BGH damit lediglich aus, dass als für den Beginn des Versicherungsschutzes maßgebliche erste Ereignisse nur solche Ursachen verstanden werden können, die der Schadenersatzpflichtige, gegen den Ansprüche erhoben werden sollen, zurechenbar gesetzt hat. Er begründete dies damit, dass der Versicherungsnehmer die in den Bedingungen vorgesehene Einschränkung auf Ursachen, die nach Beginn und vor Beendigung des Versicherungsschutzes eingetreten seien, nicht auf Ursachen beziehe, die etwa von ihm selbst oder von außerhalb des Haftpflichtverhältnisses stehenden Dritten stammten. Der Versicherungsnehmer werde unter einer ersten Ursache im Sinne dieser Regelung nicht schon jeden Umstand verstehen, der den Eintritt eines Schadens vorbereiten könnte, möge er auch eine dafür notwendige Bedingung darstellen.
Der Entscheidung lässt sich damit nur entnehmen, dass das „erste Ereignis“ vom Schädiger gesetzt werden muss. Daraus kann aber ‑ entgegen der Ansicht des Klägers ‑ nicht der Schluss gezogen werden, nach dem ‑ auf der Folgeereignistheorie ‑ beruhenden Art 2.1 ARB 2003, müsse nicht nur das haftungsrelevante Verhalten, sondern auch der äußere ‑ zeitlich später eintretende ‑ Verletzungszustand ausschließlich durch den Schädiger gesetzt werden.
3. Der Revision war daher keine Folge zu geben. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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