OGH 7Ob378/97g

OGH7Ob378/97g17.12.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Michael Bernd K*****, hier vertreten durch das Amt für Jugend und Familie beim Magistrat Linz als Unterhaltssachwalter, infolge dessen Revisionsrekurses gegen den Beschluß des Landesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 24.Juli 1997, GZ 13 R 353/97s-29, womit infolge Rekurses des Vaters Bernd B*****, unbekannten Aufenthaltes, vertreten durch die Zustellkuratorin Dr.Barbara K*****, Richterin beim Landesgericht Linz, der Beschluß des Bezirksgerichtes Linz vom 22.Mai 1997, GZ 3 P 2318/95x-21, abgeändert wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der Beschluß des Gerichtes zweiter Instanz wird dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Text

Begründung

Bernd B***** wurde mit Urteil des Erstgerichtes vom 19.10.1992 als Vater des am 16.4.1984 geborenen mj. Michael K***** festgestellt. Mit Urteil vom 9.12.1993, teilweise abgeändert durch das Urteil des Gerichtes zweiter Instanz vom 4.5.1994, wurde er für die Zeit vom 25.6.1984 bis 31.3.1990 zu monatlichen Unterhaltsbeiträgen von S 1.500,-- und ab 1.4.1990 zu solchen von S 2.000,-- monatlich verpflichtet. Aufgrund dieses Urteiles wurden dem Minderjährigen zuletzt mit Beschluß vom 30.9.1994 für die Zeit vom 1.10.1994 bis 30.9.1997 Unterhaltsvorschüsse nach §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von S 2.000,-- monatlich gewährt.

Am 13.5.1997 beantragte der Unterhaltssachwalter die Einstellung dieser Vorschüsse und die Gewährung von Richtsatzvorschüssen gemäß § 4 Z 2 UVG für die Zeit vom 1.5.1997 bis 30.4.2000. Seit der Unterhaltsfestsetzung seien drei Jahre vergangen. Der Vater sei seit Juni 1984 unbekannten Aufenthaltes. Aus dem beiliegenden Versicherungsdatenauszug sei ersichtlich, daß seit dieser Zeit auch kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis in Österreich bestanden habe. Eine Anfrage beim Ausländerzentralregister in Köln im März 1997 sei ebenfalls negativ gewesen. Die Mutter des Minderjährigen habe seit Juni 1984 keinen Kontakt zu Bernd B*****. Eine Unterhaltserhöhung sei daher aus Gründen auf seiten des Unterhaltsschuldners nicht möglich.

Das Erstgericht bewilligte diesen Antrag.

Das Gericht zweiter Instanz gab dem dagegen erhobenen Rekurs des für Bernd B***** bestellten Zustellkurators Folge und änderte den Beschluß im Sinne einer Abweisung des Antrages auf Gewährung von Richtsatzvorschüssen ab. Es sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Bei der Unterhaltsfestsetzung sei davon ausgegangen worden, daß der Vater in seinem neu erlernten und auch von September 1983 bis 4.3.1984 ausgeübten Beruf als Tischler ein Einkommen von durchschnittlich S 11.200,-- erzielen und nach der Anspannungstheorie den zuerkannten Unterhaltsbeitrag leisten hätte können. Eine Vorschußgewährung nach § 4 Z 2 UVG setze zwar nicht zwingend einen Versuch des Unterhaltsfestsetzungs(-erhöhungs-)verfahrens voraus, doch stehe eine mögliche Unterhaltsfestsetzung bzw Unterhaltserhöhung durch Anwendung der Anspannungstheorie einer solchen Bevorschussung entgegen. Seien die faktischen Anspannungsvoraussetzungen entweder bei der Erstbemessung einmal festgestellt worden oder für die Zeit des letzten bekannten Aufenthaltes des Unterhaltsschuldners noch feststellbar, so könne für eine spätere Unterhaltsbemessung während unbekannten Aufenthaltes des Unterhaltspflichtigen von dessen gleichbleibender Leistungsfähigkeit im Sinn des Anspannungsgrundsatzes ausgegangen werden, sofern entlastende Veränderungen von ihm nicht bewiesen werden könnten. Für den vorliegenden Fall bedeute dies, daß ein Unterhaltserhöhungsverfahren nicht von vorneherein aussichtslos erscheine, weil unter Zugrundelegung der höheren Bedürfnisse des Minderjährigen (Aufsteigen in die nächste Altersgruppe) und den durchschnittlichen Nominallohnsteigerungen auf der Basis der Feststellungen der letzten Unterhaltsbemessung eine Erhöhung des Unterhaltes nach den Grundsätzen der Anspannungstheorie nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich sei. Gehe man von den bei der Unterhaltsfestsetzung zugrundegelegten Tatsachen, nämlich einer Umschulung und anschließenden Tätigkeit des Vaters als Tischler mit entsprechendem Einkommen aus, würde der in einem Unterhaltserhöhungsverfahren neu zu bemessende Unterhalt jedenfalls dem gesetzlichen Unterhalt nach § 140 ABGB entsprechen, sodaß grundsätzlich nicht einzusehen sei, daß dem Minderjährigen die unter Umständen höheren Richtsatzvorschüsse zu gewähren seien. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil keine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zur Problematik vorliege, wie sich eine mögliche, sich aber nur an den höheren Bedürfnissen und der durchschnittlichen Lohnerhöhung zu orientierende Anspannung bei einem derart lange abwesenden Unterhaltspflichtigen für das Verfahren nach § 4 Z 2 UVG auswirke, zumal nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich Richtsatzvorschüsse gewährt werden sollen, wenn der Unterhaltsschuldner unbekannten Aufenthaltes sei oder Ungewißheit über seine Lebensverhältnisse herrsche.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Unterhaltssachwalters ist zulässig und berechtigt.

Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist die ergebnislose Durchführung eines Unterhaltsverfahrens nicht unbedingt Voraussetzung für die Unterhaltsvorschußgewährung. Richtig ist zwar, daß das Kind auch im Ausnahmefall des § 4 Z 2 UVG alles Zumutbare zur Unterhaltsfestsetzung oder Unterhaltserhöhung unternehmen muß. Nur praktisch aussichtslose Versuche können nicht gefordert werden. Das Unterbleiben solcher Bemühungen steht der Vorschußgewährung nach § 4 Z 2 UVG dann nicht entgegen, wenn eine Unterhaltsfestsetzung oder Unterhaltserhöhung von vorneherein bloß deshalb unterbleibt, weil ein solches Verfahren schon nach der Aktenlage aussichtslos erscheint (SZ 63/89; SZ 63/95; 6 Ob 21/97z).

Nach Ansicht des erkennenden Senates erscheint im vorliegenden Fall eine auch nur einigermaßen realistische Einschätzung der aktuellen Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen nicht möglich. Nach den Feststellungen des Vaterschaftsurteiles und der Urteile betreffend die Unterhaltsfestsetzung verließ der Vater, der seit April 1983 mit der Mutter in Lebensgemeinschaft lebte, im Juli 1984 die Wohnung unter dem Vorwand, einkaufen zu gehen. Seither kehrte er nicht mehr zurück. Er nahm keinerlei Kontakt mit der Mutter auf und ist unbekannten Aufenthaltes. Er hatte eine Lehre als Elektromechaniker absolviert, die Lehrabschlußprüfung jedoch nicht abgelegt. In der Zeit von Februar 1980 bis Oktober 1982 arbeitete er als Hilfsarbeiter, als Monteur und als Maschinenarbeiter. In der Zeit vom 25.1.1983 bis 25.7.1983 absolvierte er beim Wirtschaftsförderungsinstitut einen Umschulungskurs zum Tischler und legte auch eine Abschlußprüfung ab. Von September 1983 bis 4.März 1984 war er dann bei zwei verschiedenen Unternehmen als Tischler tätig.

Ungeachtet des Umstandes, daß der Vater im Wege der Anspannungstheorie rechtskräftig zu monatlichen Unterhaltsbeiträgen von zuletzt S 2.000,-- verpflichtet wurde, war schon damals unbekannt, welches Einkommen der Vater bei seinen diversen, offensichtlich immer nur kurzfristigen Tätigkeiten erzielte und aufgrund welcher Umstände das letzte bekannte Arbeitsverhältnis beendet wurde. Es wäre zwar auch heutzutage kein Problem, den Kollektivvertragslohn eines Tischlers (Facharbeiters ohne Lehrabschlußprüfung) zu ermitteln und den Unterhaltsbeitrag in der Relation zum seinerzeit zugrundegelegten fiktiven Kollektivvertragslohn von S 11.200,-- netto im Monatsschnitt und entsprechend dem fortschreitenden Kindesalter zu erhöhen. Diese Methode führte aber zu einem bloß theoretischen und jeder realen Grundlage entbehrenden Ergebnis. Für eben diesen Fall hat der Gesetzgeber im Bereich der Unterhaltsbevorschussung dadurch Vorsorge getroffen, daß bestimmte Richtsätze vorgegeben wurden, die derartig spekulative Erwägungen überflüssig machen. Nach den Ausführungen in der Regierungsvorlage 276 BlgNR 15. GP 9, auf die das Gericht zweiter Instanz ohnehin Bezug genommen hat, sollen nämlich derartige Vorschüsse gewährt werden, "wenn der Unterhaltsschuldner unbekannten Aufenthaltes ist oder Ungewißheit über seine Lebensverhältnisse herrscht". Dementsprechend hat der erkennende Senat auch bereits Richtsatzvorschüsse nach § 4 Z 2 UVG zuerkannt, wenn der Unterhaltspflichtige schon viele Jahre abwesend war und deshalb die Anwendung der Anspannungstheorie trotz vorliegender Erstbemessung nicht zielführend erschien (SZ 63/95).

Andernfalls wäre die Bestimmung des § 4 Z 2 UVG über die Gewährung von Richtsatzvorschüssen, falls die Erhöhung des Unterhaltsbeitrages aus Gründen auf Seite des Unterhaltsschuldners nicht gelingt, gerade auf jene Fälle, die der Gesetzgeber offensichtlich im Auge hatte, weitgehend gar nicht anwendbar. Das unterhaltsberechtigte Kind müßte in vergleichbaren Fällen dann immer auf ein Erhöhungsverfahren verwiesen werden, dessen Ergebnisse aber von Zufälligkeiten abhingen und zu unterschiedlichen, jedoch nicht weniger realitätsbezogenen Ergebnissen führten als die schematische Richtsatzbemessung. Die Zufälligkeit des Ergebnisses eines Unterhaltsverfahrens zeigt sich gerade im vorliegenden Fall, in dem der Kollektivvertrag für einen Facharbeiter als Tischler zugrundegelegt werden soll, obgleich der Vater nur kurz in dieser Sparte tätig war und auch diesen Beruf vor seinem "Untertauchen" wieder aufgegeben hatte. Es wäre durchaus denkbar, daß er in einer Branche, in der er ebenfalls gearbeitet hat, wesentlich besser verdienen könnte. Die völlige Ungewißheit über die Lebensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen innerhalb der letzten dreizehn Jahre rechtfertigen daher gerade im vorliegenden Fall das Begehren auf Bevorschussung in Höhe der Richtsätze.

Daß der Vater nach seinen Kräften offenbar zu einer Unterhaltsleistung bzw zu einer höheren Unterhaltsleistung nicht imstande sei, wurde nicht einmal behauptet. Seine diesbezügliche Leistungsunfähigkeit müßte sich aufgrund der eingeschränkten Beweislage des § 11 Abs 2 UVG durch einen positiven Beweis ergeben. Ein Beweisdefizit sowie Zweifel über die Leistungsfähigkeit machen die Unfähigkeit nicht offenbar und stehen der Vorschußgewährung nicht entgegen (6 Ob 21/97z). Hiefür gibt es auch keinerlei Anhaltspunkte, sodaß eine Versagung der Richtsatzvorschüsse nicht in Betracht kommt.

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