OGH 7Ob35/24h

OGH7Ob35/24h6.3.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F* K*, vertreten durch GPK Pegger Kofler & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Z* Aktiengesellschaft, *, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen 122.726,24 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 17. Jänner 2024, GZ 4 R 190/23g‑49, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00035.24H.0306.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger hat bei der Beklagten einen Unfallversicherungsvertrag abgeschlossen, in welchem die am 10. 11. 2021 verstorbene Ehefrau des Klägers (in Hinkunft: Versicherte) mitversichert war. Dem Unfallversicherungsvertrag liegen die Allgemeinen * Bedingungen für die Unfall-Versicherung (AUVB 2008) zu Grunde, welche lauten:

Artikel 2

Versicherungsfall

Versicherungsfall ist der Eintritt eines Unfalls (siehe Art 6, Begriff des Unfalls).

[...]

Artikel 6

Begriff des Unfalls

1. Ein Unfall liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet.

[...]

Rechtliche Beurteilung

[2] 1. Die geltend gemachten Mangelhaftigkeiten des Verfahrens wurden geprüft, sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[3] 2.1 Für das Vorliegen eines Versicherungsfalls trifft nach der allgemeinen Risikobeschreibung den Versicherungsnehmer die Beweislast (RS0043438). Der Versicherungsnehmer, der eine Versicherungsleistung beansprucht, muss die anspruchsbegründende Voraussetzung des Eintritts des Versicherungsfalls (hier Unfall) beweisen (RS0080003).

[4] 2.2 Nach ständiger Rechtsprechung reicht es zum Nachweis des Versicherungsfalls schon aus, wenn der Versicherungsnehmer Umstände dartut, die die Möglichkeit eines Unfalls naheliegend erscheinen lassen. Sache des Versicherers ist es, Umstände zu behaupten und zu beweisen, die dafür sprechen, dass kein deckungspflichtiger Unfall vorliegt, etwa weil das die körperliche Schädigung herbeiführende Ereignis nicht unabhängig vom Willen des Versicherten gewesen ist. Ist dies gelungen, so muss der Versicherungsnehmer beweisen, dass er dessen ungeachtet unfreiwillig einen Unfall erlitten hat (RS0080921; 7 Ob 172/12p).

[5] 2.3 Der Oberste Gerichtshof hat auch schon dahin Stellung genommen, dass es nicht entscheidend ist, ob der Unfalltod mit Sicherheit festgestellt werden kann, sondern nur, ob dafür ein so hoher, der Gewissheit gleichkommender Grad der Wahrscheinlichkeit spricht, dass kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch daran zweifeln kann. Obwohl die österreichische Rechtsordnung den Ausdruck „strikte Beweisführung“ nicht kennt und letztlich allein die Überzeugung des Richters dafür maßgeblich ist, welche Umstände als erwiesen angenommen werden, muss bei Fällen, bei denen gewichtige Argumente für die Leistungsfreiheit des Versicherers sprechen, an den Nachweis des Versicherungsfalls für den Anspruchswerber die Anforderung gestellt werden, dass er eine Beweislage schafft, aus der sich nachvollziehen lässt, dass den für einen Selbstmord des Versicherten sprechenden Argumente andere gewichtige Argumente, aus denen sich das Gegenteil ableiten lässt, gegenüberstehen (RS0080921 [T4] = 7 Ob 38/00i).

[6] 2.4 Nach diesen Ausführungen wird – entgegen der Argumentation des Klägers – für das Vorliegen eines Unfalltods keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit gefordert.

[7] 2.5 Die Frage, ob im Einzelfall solche Umstände, die für einen Freitod des Versicherten sprechen, vom Versicherer dargelegt werden konnten, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und stellt regelmäßig keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO dar (7 Ob 38/00i).

[8] 2.6 Die Vorinstanzen wandten diese Grundsätze an und kamen zu dem Ergebnis, dass es der Beklagten gelungen sei, gewichtige Umstände, die für einen Selbstmord der Versicherten sprechen, darzulegen, denen keine anderen gewichtigen Argumente, aus denen sich das Gegenteil ableiten ließe, gegenüberstünden. Die Versicherte habe sich in gebückter oder zusammengekauerter Haltung am 10. 11. 2021 gegen 17:37 Uhr und damit bei Dämmerung/Dunkelheit genau in der Mitte der Bahngleise aufgehalten. Sie habe bei Herannahen des Zuges keinerlei Anstalten gemacht, den Gefahrenbereich zu verlassen. Es gebe an dieser Stelle keinen Bahnübergang oder (Spazier‑)Weg, der über die Gleise führe und es befinde sich auch in der Nähe kein solcher Übergang, wohl aber eine Unterführung. Die Stelle könne vom nördlich gelegenen Parkplatz aus, wo die Versicherte ihr Fahrzeug abgestellt hatte, relativ leicht erreicht werden, wobei auch kein Spazierweg unmittelbar an dieser Stelle vorbeiführe, sodass die Wahrscheinlichkeit, auf den Gleisen überrascht zu werden, gering sei. Es sei zwar prinzipiell möglich, auch vom Süden her auf die Gleise zu gelangen, jedoch würde dies kein vernünftiger Mensch als Abkürzung zum Parkplatz wählen, da in wenigen hundert Metern Entfernung eine Unterführung vorhanden sei und demgegenüber der Weg zu den Gleisen durch Dickicht führe, beschwerlich und unwegsam sei. Es möge nicht völlig ausgeschlossen sein, dass jemand dennoch diese „Abkürzung“ nehme, es sei aber äußerst unwahrscheinlich. Selbst vor dem Hintergrund, dass die psychische Verfassung der Versicherten nicht habe festgestellt werden können und sie keinen Abschiedsbrief hinterlassen habe, gebe es klare Beweisergebnisse, die für einen Suizid sprechen würden, wohingegen die Annahme eines Unfalls deutlich unwahrscheinlicher sei.

[9] 3. Gegen diese nicht korrekturbedürftige Beurteilung bringt der Kläger keine beachtenswerten Argumente:

[10] Soweit der Kläger nämlich argumentiert, dass nach § 181 VersVG der seine Leistungsfreiheit grundsätzlich in Anspruch nehmende Versicherer den Ausschlussgrund zu beweisen habe, übersieht er, dass Art 6 AUVB keinen Ausschluss, sondern eine primäre Risikoumschreibung enthält.

[11] 3.1 Die vom Kläger zusätzlich gewünschten Feststellungen waren mangels rechtlicher Relevanz nicht zu treffen. Zum einen handelt es sich teilweise um bloße Mutmaßungen zum Ereignis selbst, zum anderen, soweit der Kläger Feststellungen von Hilfstatsachen – zu den Lebensumständen und den Spazierrouten der Versicherten vor dem Vorfall – vermisst, wären diese nicht geeignet, die von der Beklagten insbesondere aus dem konkreten Geschehensablauf abgeleiteten Umstände, die massiv für einen Selbstmord sprechen, zu entkräften.

[12] 4. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

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