European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0070OB00027.14T.0319.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung
Rechtliche Beurteilung
1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 dritter Satz ZPO).
2. Die Ersitzung einer Landfläche setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass auf einem bestimmt umgrenzten Teilstück neben weiteren Voraussetzungen Handlungen gesetzt werden, die den Eigentümer von der Ausübung seines Rechts ausschließen (RIS‑Justiz RS0034276). Typische Arten der Ausübung des Sachbesitzes an unbeweglichen Sachen sind gemäß § 312 ABGB das Betreten, Verrainen, Einzäunen, Bezeichnen oder Bearbeiten (RIS‑Justiz RS0010101; RS0034276 [T2]; vgl RS0009792 [T9]). Zum Erwerb des Besitzes eines Rechts an einer Liegenschaft (als Voraussetzung der Ersitzung) ist nicht nur der Wille des Besitzers, ein Recht auszuüben, sondern außerdem erforderlich, dass die Leistung oder Duldung durch den Grundeigentümer erkennbar wie die Erfüllung einer Schuldigkeit geschieht, als hätte derjenige, dem geleistet wird oder dessen Handlungen geduldet werden, ein Recht darauf (RIS‑Justiz RS0009762; vgl RS0010140).
Nach den erstgerichtlichen Feststellungen war die Teilfläche der nunmehrigen Liegenschaft der Klägerin bereits seit 1944 mit einem Zaun umgeben. Seit diesem Zeitpunkt befand sich dort auch schon ein Nebengebäude, das teilweise auf dieser Grundstücksfläche errichtet worden war und von den Rechtsvorgängern der Beklagten als Toilettenanlage benutzt wurde. Die Beklagten und ihre Rechtsvorgänger nutzten den eingezäunten Bereich auf dem Grundstück der Klägerin zumindest im Zeitraum 1951 bis Anfang März 1999 ohne Beanstandungen (durch die Rechtsvorgängerin der Klägerin). Sie legten einen Gemüsegarten an und pflanzten in den 50er‑Jahren drei Nadelbäume.
Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin ergibt sich aus der bis zur Löschung im April 1969 auf der angrenzenden Liegenschaft der Beklagten grundbücherlich einverleibten Verpflichtung zur (unentgeltlichen) Rückabtretung an die Rechtsvorgängerin der Klägerin nicht der fehlende Besitzwille der Rechtsvorgänger der Beklagten. Zutreffend argumentierten die Vorinstanzen, dass sich diese Verpflichtung nur auf die benachbarte Liegenschaft der Beklagten und nicht auf die strittige Teilfläche der Liegenschaft der Klägerin bezog. Schon deshalb wurde die Ersitzung dieser Grundstücksfläche nicht dadurch ausgeschlossen, dass „die Beendigung einer Rechtseinräumung von einem bloßen 'Verlangen' des Eigentümers [gemeint: der Rechtsvorgängerin der Klägerin] abhängig gemacht“ wurde.
3. Im Revisionsverfahren ist weiters strittig, ob den Beklagten und deren Rechtsvorgängern der für die Ersitzung erforderliche gute Glaube an der Rechtmäßigkeit ihres Besitzes zugebilligt werden kann. Der gute Glaube des Besitzers muss nicht nur beim Besitzerwerb, sondern während der ganzen Ersitzungszeit vorhanden sein (RIS‑Justiz RS0010175). Er fällt weg, wenn der Besitzer entweder positiv von der Unrechtmäßigkeit seines Besitzes Kenntnis erlangt oder zumindest solche Umstände erfährt, die an der Rechtmäßigkeit eines Besitzes zweifeln lassen (RIS‑Justiz RS0010184). Das kann nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalls beurteilt werden (vgl RIS‑Justiz RS0010185 [T7]). Eine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung liegt hier nicht vor. Die Auffassung des Berufungsgerichts, den Rechtsvorgängern der Beklagten könne guter Glaube an der Rechtmäßigkeit ihres Besitzes (bezogen auf den strittigen Grundstücksteil) zugebilligt werden, ist vertretbar.
Die Beklagten und ihre Rechtsvorgänger nutzten das eingezäunte Teilstück der Liegenschaft der Klägerin zumindest seit dem Erwerb der Nachbarliegenschaft mit Kaufvertrag vom 6. 12. 1951. Sie waren der Meinung, dass es sich dabei um ihr Eigentum handelt, und zweifelten nicht daran, dass der Verlauf des Zaunes die tatsächliche Grenze ihrer Liegenschaft bildet. Zwar nimmt der genannte Kaufvertrag im Zusammenhang mit der von den Rechtsvorgängern der Beklagten übernommenen Rückabtretungsverpflichtung auf einen früheren Grundabtretungsvertrag Bezug, nicht aber auf den dort angeschlossenen Lageplan vom 5. 4. 1941. Käuferin der nunmehrigen Liegenschaft der Beklagten im Dezember 1951 war eine Verlassenschaft, die durch die erbserklärten Erben vertreten war. Dass den Erben der Lageplan bekannt war, steht nicht fest. Allein der Umstand, dass der Lageplan dem zwischen der Rechtsvorgängerin der Klägerin und einer Siedlungsgenossenschaft im Jahr 1942 abgeschlossenen Grundabtretungsvertrag angeschlossen war, belegt nicht die Schlechtgläubigkeit der Rechtsvorgänger der Beklagten.
Für die Beurteilung der Schlechtgläubigkeit ist maßgebend, ob ein durchschnittlicher Verkehrsteilnehmer die in seiner Ausübungshandlung liegende Rechtsverletzung erkennen hätte können (RIS‑Justiz RS0034103 [T3]). Berücksichtigt man, dass die Rechtsvorgängerin der Klägerin (eine Stadt), die auch zuständige Baubehörde war, die Nutzung der Teilfläche erstmals nach Ablauf der 40‑jährigen Ersitzungszeit im März 1999 beanstandete und die Rechtsvorgänger der Beklagten keine Zweifel am Eigentum an der gesamten eingezäunten Liegenschaft hatten, ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichts vertretbar, dass die vormaligen Eigentümer und Bauwerber in den 1960er‑ und 1970er‑Jahren des vorigen Jahrhunderts, die die von ihnen teilweise unterfertigten Lagepläne nicht genau studierten und nicht mit der tatsächlich genutzten Gesamtfläche verglichen, noch keine Fahrlässigkeit trifft. Zwar ging aus den unterfertigten Lageplänen hervor, dass die Liegenschaft der Beklagten ein Rechteck war, während die tatsächlich genutzte Gesamtfläche eine (etwas) abweichende Form aufwies. Jedoch bezog sich kein Bauvorhaben auf die Bebauung der Teilfläche, deren Räumung die Klägerin begehrt; in den Bauverfahren waren die Lagepläne nur von untergeordneter Bedeutung, was sich schon aus der kleineren grafischen Darstellung zeigt, und die in der Natur ersichtliche Nutzung der Liegenschaft wurde in diesen Verfahren weder thematisiert noch behördlich beanstandet. Wenn die Vorinstanzen bei dieser Sachlage von der Redlichkeit der Beklagten und ihrer Rechtsvorgänger ausgingen, haben sie den ihnen eingeräumten Ermessensspielraum nicht überschritten.
4. Da die Klägerin keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen vermag, ist ihre außerordentliche Revision zurückzuweisen.
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