OGH 7Ob204/10s

OGH7Ob204/10s27.4.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Roch und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** Gesellschaft mbH, ***** , vertreten durch Dr. Heinz-Peter Wachter, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei R***** registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung, ***** , vertreten durch Wetzl & Partner Rechtsanwälte GmbH in Steyr, wegen Feststellung, Abgabe von Willenserklärungen und Herausgabe von Urkunden, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 23. Juli 2010, GZ 5 R 42/08w-56, mit dem der Antrag der klagenden Partei auf Berichtigung des Berufungsurteils abgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichts wird dahin abgeändert, dass er lautet:

Das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 23. Mai 2008, GZ 5 R 42/08w-43, wird dahin berichtigt, dass Punkt I. 2.2. lautet:

„2.) Die Beklagte ist schuldig, in die Übertragung ihres Höchstbetragspfandrechts von 120.000 EUR, haftend ob der Liegenschaft EZ 501 der KG ***** R***** als Nebeneinlage und ob 55/4347-stel Anteilen an der Liegenschaft EZ 616 der KG ***** G***** als Haupteinlage, in Ansehung eines Teilbetrags von 25.200 EUR auf die Klägerin einzuwilligen.“

Die klagende Partei hat die Rekurskosten selbst zu tragen.

Text

Begründung

Im Verfahren 1 Cg 152/06s des Landesgerichts St. Pölten stellte die Klägerin unter anderem das Urteilsbegehren auf Verpflichtung der Beklagten, in die Übertragung ihres Höchstbetragspfandrechts von 120.000 EUR, haftend ob der Liegenschaft „EZ 401" der KG ***** R***** als „Haupteinlage“ und ob den 55/4347-stel Anteilen an der Liegenschaft EZ 616 der KG ***** G***** als „Nebeneinlage“, wegen teilweiser Einlösung in Ansehung eines Teilbetrags von 25.200 EUR auf die Klägerin einzuwilligen. In der Klagserzählung wurde auf einen gerichtlichen Vergleich vom 8. 5. 2006 im Verfahren 4 C 1003/05k des Bezirksgerichts S***** Bezug genommen und ausgeführt, dass zur Sicherstellung der verglichenen Verbindlichkeiten des dortigen Klägers bei Kreditgewährung unter anderem ein Höchstbetragspfandrecht von 120.000 EUR „ob der Liegenschaft EZ 401 der KG R***** und ob 55/4347-stel Anteilen an der Liegenschaft EZ 616 der KG G*****“ bestellt worden sei.

Während des Verfahrens begehrte die Klägerin auch die Erlassung einer einstweiligen Verfügung. Im Vorbringen dazu ist mehrfach (richtig) von der EZ 501 der KG ***** R***** die Rede, ohne dass ausgeführt wird, ob es sich um die Haupt- oder um die Nebeneinlage handelt. Im Antragstext selbst wird jedoch der unter anderem zu sichernde Anspruch wie im Urteilsbegehren bezeichnet. In ihrer Äußerung zur beantragten Einstweiligen Verfügung machte die Beklagte ausdrücklich darauf aufmerksam, dass „bei der gegenständlichen Hypothek die EZ 5 01 BG [richtig: GB] ***** R***** als Neben einlage und die EZ 616, GB ***** G***** als Haupt einlage haftet“.

Das Erstgericht wies - nach Aufnahme nur des Urkundenbeweises und nach Aktenverlesung, und zwar von Kopien aus einem Strafakt und Kopien aus dem Akt 4 C 1003/05k des Bezirksgerichts S***** - sowohl das Sicherungsbegehren als auch alle Klagebegehren ab. Während der Spruch zweimal die „EZ 401“ und einmal die „EZ 501“ als Haupteinlage ausweist, wird in den Feststellungen immer die „EZ 501“ genannt. Unter anderem findet sich folgende Feststellung:

„Nach Gewährung des obigen Kredits wurden im Jahr 2004 auf den 55/4347stel Anteilen des [Kreditnehmers] an der Liegenschaft EZ 616, Grundbuch G*****, und auf seiner Liegenschaft EZ 501, Grundbuch *****, R***** (Beilagen ./A und ./B [das sind die beiden Grundbuchsauszüge]) Simultanpfandrechte eingetragen und zwar betreffend die Eigentumswohnung des [Kreditnehmers] in G***** und der [richtig: unter] C-LNR ein Höchstbetragspfandrecht von EURO 120.000,-- als Haupteinlage und auf der Liegenschaft in R***** unter C-LNR ein Höchstbetragspfandrecht von EURO 120.000,-- als Nebeneinlage.“ Auch der Text des vor dem Bezirksgericht S***** geschlossenen gerichtlichen Vergleichs vom 8. 5. 2006 wurde wörtlich wiedergegeben.

Die Klägerin erhob dagegen Berufung, die keine Beweisrüge enthielt und weder die Spruchfassung noch eine Unterlassung der Erörterung der näheren Bezeichnung der Pfandobjekte rügte. Das Berufungsgericht änderte das klagsabweisende Urteil weitgehend in eine Klagsstattgebung ab und verpflichtet die Beklagte unter wörtlicher Übernahme des von der Klägerin gestellten Urteilsbegehrens (also unter Nennung der EZ 401 als Haupteinlage und der EZ 616 als Nebeneinlage) auch zur oben beschriebenen Einwilligung zur teilweisen Übertragung des Höchstbetragspfandrechts. Eingangs der Entscheidungsgründe wurde der Sachverhalt auszugsweise wiedergegeben, darunter der Vergleichstext mit den Bezeichnungen der Liegenschaften als EZ 501 und EZ 616.

Eine außerordentliche Revision der Beklagten wurde vom Obersten Gerichtshof mit Beschluss vom 27. 11. 2008, 7 Ob 175/08y, begründungslos zurückgewiesen.

Am 5. 7. 2010 beantragte die Klägerin die Berichtigung des Berufungsurteils betreffend die Verpflichtung der Beklagten zur Einwilligung (Punkt I. 2.2. des Spruchs) dahin, das Höchstbetragspfandrecht hafte ob den 55/4347-stel Anteilen an der Liegenschaft EZ 616 der KG ***** G***** als Haupt einlage“ und ob der Liegenschaft „EZ 5 01“ der KG ***** R***** als Neben einlage“. Das Berufungsurteil weise einen Widerspruch zwischen seinem Spruch (dort werde die EZ 401 genannt) und seiner Begründung auf (die die EZ 501 enthalte). Diese Unrichtigkeiten wären bei sorgfältiger Prüfung der Prozessakten sowohl für die Parteienvertreter als auch für die Prozessrichter erkennbar gewesen und deshalb einer Berichtigung nach § 419 ZPO zugänglich.

Das Berufungsgericht wies diesen Antrag ab. Seine Rechtsmittelentscheidung habe dem Urteilsbegehren entsprochen; ein Irrtum der Klägerin bei dessen Formulierung sei keineswegs offensichtlich gewesen. Es fehle an den Voraussetzungen für eine Berichtigung nach § 419 ZPO, weil sich dem Berufungsurteil nicht entnehmen lasse, ob dessen Spruch oder die Wiedergabe des Vergleichs fehlerhaft gewesen sei. Dass der Spruch der Entscheidung offensichtlich falsch gewesen sei und nicht dem Willen des Gerichts entsprochen habe, ergebe sich daher aus dem Berufungsurteil nicht.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich der - zulässige (7 Ob 234/09a = ecolex 2010/357 S 962) - Rekurs der Klägerin mit dem auf Abänderung im Sinn der begehrten Berichtigung.

Nach § 521a ZPO idF der ZVN 2009 ist das Rekursverfahren im Zivilprozess zweiseitig, wenn kein bloß verfahrensleitender Beschluss vorliegt. Der hier zu beurteilende, nach Eintritt der Rechtskraft des verfahrensbeendenden Urteils ergangene Beschluss des Berufungsgerichts über einen Berichtigungsantrag stellt keinen verfahrensleitenden Beschluss dar. Das wird auch durch die Rechtsprechung zu Art 6 EMRK bestätigt: Danach ist rechtliches Gehör auch vor einer Urteilsberichtigung zu gewähren (EGMR Nr 36.942/05, European University Press gegen Österreich). Daher stand der Beklagten eine Rekursbeantwortung frei (vgl 4 Ob 143/10y = RIS-Justiz RS0079920 [T34] = RS0043937 [T11] = RS0002338 [T8]), welche Möglichkeit sie allerdings trotz Zustellung des Rekurses am 9. 9. 2010 ungenützt ließ.

Der Rekurs ist aus folgenden Gründen berechtigt:

1. Die Urteilsberichtigung nach § 419 ZPO ist zulässig, wenn das, was ausgesprochen wurde, offensichtlich nicht dem Willen des Gerichts zur Zeit der Fällung der Entscheidung entsprochen hat und sich dies aus dem ganzen Zusammenhang und insbesondere aus den Entscheidungsgründen ergibt. Der Antrag nach § 419 ZPO ist nicht an eine Frist gebunden (RIS-Justiz RS0041418; RS0041362). Da Inhalt einer gerichtlichen Entscheidung sowohl der Sachverhalt als auch dessen rechtliche Beurteilung sind, umfasst der Entscheidungswille des Gerichts beide Bereiche und ihre Einzelelemente mit (M. Bydlinski in Fasching/Konecny 2 § 419 Rz 6).

2. § 498 ZPO legt die Grundlagen der Berufungsentscheidung fest. Entsprechend dem kontrollierenden Charakter der beschränkten Berufung geht diese Norm davon aus, dass als Stoff der Berufungsentscheidung die vom Erstgericht festgestellten und durch die Berufungsgründe nicht berührten Ergebnisse der Verhandlung und Beweisführung erster Instanz zu nehmen sind, soweit sie nicht durch die Berufungsverhandlung eine Berichtigung erfahren haben. Unter den „Ergebnissen“ im Sinn des § 498 ZPO sind primär die Tatsachenfeststellungen des Ersturteils zu verstehen (Pimmer in Fasching/Konecny 2 § 498 Rz 2 ff). Die weder ausdrücklich noch mittelbar bekämpften erstgerichtlichen Feststellungen sind daher für das Berufungsgericht und das Revisionsgericht bindend (RIS-Justiz RS0042163).

Grundlage der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts war demnach nicht nur der im Berufungsurteil wiederholte Inhalt des Vergleichs, der die EZ 501 KG R***** nennt, sondern auch die weiteren relevanten Feststellungen des Erstgerichts, an die das Berufungsgericht gebunden war. Dazu zählte auch die oben wörtlich wiedergegebene Annahme zur Pfandbestellung durch den Kreditnehmer. Danach kam es zur Einverleibung eines Simultanpfandrechts zum einen an der Liegenschaft EZ 616 Grundbuch G***** als Haupteinlage und zum anderen an Liegenschaft EZ 501 Grundbuch R***** als Nebeneinlage.

Der Entscheidungswille des Berufungsgerichts musste daher auf die Verpflichtung der Beklagten zur Einwilligung in die teilweise Übertragung dieses Simultanpfandrechts gerichtet sein. Hätte es bewusst von den nach den Feststellungen und den zur Verfügung stehenden Urkunden einzig richtigen Bezeichnungen der Liegenschaften im Spruch abweichen wollen, hätte es dies zu begründen gehabt. Da eine solche Begründung nicht gegeben wurde, liegt klar auf der Hand, dass das Berufungsgericht in seinem Spruch nur irrtümlich - wenn auch in Anlehnung an das Urteilsbegehren - die eine Liegenschaft mit „EZ 401“ statt mit „EZ 501“ bezeichnet und die Haupteinlage mit der Nebeneinlage verwechselt hat. Daher ist von einer „offenbaren Unrichtigkeit“ des Spruchs des Berufungsurteils auszugehen, die eine Berichtigung - gemäß § 419 Abs 3 ZPO auch in höherer Instanz - erfordert.

3. Die Klägerin hat durch ihre sorglose Verfassung der Klage das Berichtigungsverfahren ausgelöst. Nach dem Grundsatz des § 48 Abs 1 ZPO gebührt ihr deshalb kein Kostenersatz (6 Ob 655/94).

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