OGH 7Ob184/06v

OGH7Ob184/06v30.8.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Erich S*****, vertreten durch Dr. Horst Brunner und andere Rechtsanwälte in Kitzbühel, gegen die beklagte Partei G***** AG, *****, vertreten durch Dr. Peter Kaltschmid, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen EUR 13.849,46 sA, über die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 19. April 2006, GZ 4 R 67/06v-38, womit das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 14. Dezember 2005, GZ 59 Cg 55/04w-34, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit EUR 1.128,90 (darin enthalten EUR 188,15 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit EUR 1.873,52 (darin enthalten EUR 135,42 USt und EUR 1.061,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war von 6. 9. 1993 bis 6. 9. 2003 bei der Beklagten mit einer Versicherungssumme für Dauerinvalidität von S 4 Mio (=EUR 291.567,48) unfallversichert. Dem Versicherungsvertrag wurden die Allgemeinen Bedingungen für den Unfallschutz (AUVB) zugrundegelegt, die unter anderem folgende Bestimmungen aufweisen:

„Artikel 7

Dauernde Invalidität

1. Ergibt sich innerhalb eines Jahres vom Unfalltag an gerechnet, dass als Folge des Unfalles eine dauernde Invalidität zurückbleibt, wird aus der hiefür vereinbarten Summe der den Grad der Invalidität entsprechende Betrag gezahlt.

2. Für die Bemessung des Invaliditätsgrades gilt folgende Bestimmung:

2.1. bei völligem Verlust oder völliger Funktionsfähigkeit eines Armes oder einer Hand 70 %

...

2.2. Bei teilweisem Verlust oder teilweiser Funktionsunfähigkeit der vorgenannten Körperteile oder Organe werden die Sätze des Pkt. 2.1. anteilig angewendet.

3. Lässt sich der Invaliditätsgrad nach Pkt. 2. nicht bestimmen, ist maßgebend, inwieweit die körperliche oder geistige Funktionsfähigkeit nach medizinischen Gesichtspunkten beeinträchtigt wurde.

4. Mehrere sich aus den Pkt. 2. und 3. ergebende Invaliditätsgrade werden zusammengerechnet, wobei jedoch aus einem Unfall nicht mehr als 100 % der Versicherungsleistung zugrundegelegt werden.

...

10. Die Höhe der Versicherungsleistung für einen nach Pkt. 1. - 4. bestimmten Grad der Dauerinvalidität richtet sich nach der in der Polizze angegebenen Leistungsstufe:

...

10.5. Progressive Invaliditätsleistung nach Progressionsstufe II Übersteigt der gemäß Pkt. 1. - 4. errechnete Invaliditätsgrad 25 %, so wird die Leistung für den 25 % übersteigenden Teil verdoppelt, ...

...

Artikel 16

Verfahren bei Meinungsverschiedenheiten

(Ärztekommission)

1. Im Falle von Meinungsverschiedenheiten über Art und Umfang der Unfallfolgen oder darüber, in welchem Umfang die eingetretene Beeinträchtigung auf den Versicherungsfall zurückzuführen ist, ferner über die Beeinflussung der Unfallfolgen durch Krankheit oder Gebrechen entscheidet die Ärztekommission.

...

4. Für die Ärztekommission bestimmen Versicherer und Versicherungsnehmer je einen in der österreichischen Ärzteliste eingetragenen Arzt. ...

Die beiden Ärzte bestellen einvernehmlich vor Beginn ihrer Tätigkeit einen weiteren Arzt als Obmann, der für den Fall, dass sie sich nicht oder nur zum Teil einigen sollten, im Rahmen der durch die Gutachten der beiden Ärzte gegebenen Grenzen entscheidet.

...

6. Die Ärztekommission hat über ihre Tätigkeit ein Protokoll zu führen; in diesem ist die Entscheidung schriftlich zu begründen. Bei Nichteinigung hat jeder Arzt seine Auffassung im Protokoll gesondert niederzulegen. Ist eine Entscheidung durch den Obmann erforderlich, legt auch er sie mit Begründung in einem Protokoll nieder. ...

...

Artikel 26

Form der Erklärungen

Alle Mitteilungen und Erklärungen sind nur in schriftlicher Form

verbindlich."

Die Streitteile hatten eine Dauerinvaliditätsleistung nach Progressionsstufe II vereinbart.

Am 13. 2. 2000 hatte der Kläger einen Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen. Zur Beurteilung von Art und Schwere der Verletzung und der verbleibenden Invalidität wurde eine Ärztekommission unter dem Vorsitz von Primarius Dr. Bernd K***** eingesetzt. Der Kläger bestellte Dr. Hartmut E*****, die Beklagte Dr. Reinhard S***** als weitere Mitglieder.

Am 11. 10. 2002 fand eine Sitzung der Ärztekommission statt. Alle drei Mitglieder stellten einhellig fest, dass beim Kläger eine unfallskausale Verletzung an der rechten Schulter vorliege und setzten die daraus resultierende Armwertminderung mit 17,5 % [von 70 % = 12, 25 %] fest. Hinsichtlich eines vom Kläger beim Unfall erlittenen Wirbelsäulenschadens hielten sie übereinstimmend fest, dass sowohl beim 12. Brustwirbelkörper als auch beim 1. Lendenwirbelkörper ein Kompressionsbruch vorliege. Im Gegensatz zu Dr. S***** hatte Dr. E***** auch eine Verletzung mit Kontusionsödem des 8. Brustwirbelkörpers diagnostiziert. Dr. E***** brachte deshalb zur Kommissionssitzung kopierte Röntgenaufnahmen des 8. Brustwirbelkörpers mit. Die drei Kommissionsmitglieder kamen insoweit zum einstimmigen Ergebnis, dass für den Fall, dass eine knöcherne Verletzung des 8. Brustwirbelkörpers gegeben sei, die Gesamtinvalidität hinsichtlich der Wirbelsäulenverletzung in Höhe von 15 % anzusetzen sei. Da sowohl Dr. S***** als auch Dr. K***** Bedenken hinsichtlich der von Dr. E***** vorgelegten Röntgenbilder hatten, übermittelten sie diese der Universitätsklinik für Radiodiagnostik Innsbruck zur weiteren Befundung. In der Stellungnahme der Universitätsklinik vom 11. 12. 2002 wurde festgehalten, dass die Alteration des 8. Brustwirbelkörpers in erster Linie im Zusammenhang mit einer Scheuermann`schen Erkrankung stehen dürfte; eine persistierende Veränderung auf Grund des Unfalles sei nicht wahrscheinlich. Zur exakten Begutachtung der Röntgenbilder wären die Originalausdrucke notwendig.

Am 4. 2. 2003 verfasste Dr. K***** ein schriftliches Protokoll über die Entscheidung der Ärztekommission, das von Dr. K***** und Dr. S*****, nicht aber von Dr. E***** unterfertigt wurde. Es lautet auszugsweise:

„In der Sitzung [am 11.10.2002] werden von Dr. E***** Röntgenkopien (Printbilder) vorgelegt, wobei befundmäßig von einem Kompressionsbruch des 8. Brustwirbelkörpers gesprochen wird. Im Rahmen der Sitzung wird dieser Befund in die Begutachtung aufgenommen und nach eingehender Diskussion wird vorerst eine auf Dauer verbleibende Invalidität von 15 % (unfallchirurgisch und neurologisch) angegeben.

Im Anschluss an die Kommissionssitzung bzw nach intensivem Studium der Röntgenbilder bezüglich der Brustwirbelsäule werden Bedenken im Bezug der Kompressionsfraktur des 8. Brustwirbelkörpers von Dr. S***** und Dr. K***** vorgebracht. Zur exakten Beurteilung werden die Bilder an die Universitätsklinik für Radiodiagnostik - Vorstand Universitätsprofessor Dr. J***** übergeben. Die Universitätsklinik für Radiodiagnostik kommt zur Auffassung, dass es sich um eine Impression der Vorderkanten von Brustwirbelkörper 12 und Lendenwirbelkörper 1 handelt. Im Bereich des 13. Brustwirbelkörpers bestehen keine knöchernen Verletzungszeichen, die Unregelmäßigkeiten an den Grund- und Deckplatten von Brustwirbelkörper 6 bis 8 sind Folgen eines Morbus Scheuermann und nicht Folgen des gegenständlichen Unfalles. Die Stellungnahme der Universitätsklinik wird Dr. E***** übermittelt. Er ist jedoch der Meinung, dass es sich hier um Unfallfolgen handelt. Auf Grund des zusätzlichen Röntgenbefundes kommt der Obmann der Kommissionssitzung Dr. K***** sowie Dr. S***** zur Auffassung, dass die primär beschlossene Invalidität bezüglich der Wirbelsäule von 15 % zu korrigieren ist. Sie kommen zur Auffassung, dass die auf Dauer verbleibende Invalidität nach AUVB nach Kompressionsbruch des 12. Brustwirbelkörpers und 1. Lendenwirbelkörpers mit 10 % (vom gesamten - unfallchirurgisch und neurologisch) anzunehmen ist. Dr. E***** ist mit einer korrigierten Einschätzung der Dauerfolgen bezüglich der Wirbelsäulenverletzung nicht einverstanden."

Auf Grund dieses Protokolls zahlte die Beklagte dem Kläger bereits vor Klagseinbringung EUR 64.873,77 an Versicherungssumme aus. Am 6. 9. 2005 leistete sie eine weitere Zahlung von EUR 7.808,10, wovon sie EUR 518,92 als Kostenanteil des Klägers für das Kommissionsverfahren widmete.

Im Gegensatz zur Ansicht der Kommissionsmitglieder Dr. S***** und Dr. K***** lag beim Kläger tatsächlich eine traumatische Läsion des 8. Brustwirbelkörpers als Folge des Unfalles vom 13. 2. 2000 vor, die jedenfalls eine Dauerinvalidität von 12,5 % rechtfertigt. Die morphologischen Veränderungen des 8. Brustwirbels sind allerdings nicht von vornherein leicht als unfallskausal erkennbar, da sie sehr diskret und nur in Spezialverfahren entsprechend darstellbar sind. Für die Festsetzung der Invalidität besteht bei derartigen Verletzungen ein gewisser Ermessensspielraum. Auch eine Bewertung der Invalidität mit 15 % ist aus medizinischer Sicht vertretbar. Der Kläger begehrte von der Beklagten zuletzt (nach Klagseinschränkung) EUR 13.849,46 sA mit der Begründung, weil er auch einen Kompressionsbruch des 8. Brustwirbelkörpers erlitten habe, entspreche die am 11. 10. 2002 einstimmig getroffene Entscheidung der Ärztekommission der Sachlage und sei für die Beklagte verbindlich. Demnach sei dafür eine verbliebene Invalidität von 15 % anzunehmen und betrage seine Gesamtinvalidität 27,25 %. Da die Leistung für den 25 % übersteigenden Teil vertragsgemäß zu verdoppeln sei, erhöhe sich die Gesamtinvalidität auf 29,5 %. Die ihm zustehende Versicherungssumme betrage daher EUR 86.012,41. Bringe man davon die bisher geleisteten Teilzahlungen der Beklagten in Abzug, errechne sich der Klagsbetrag.

Die Beklagte beantragte Klagsabweisung. Zu einer einvernehmlichen Festlegung einer 15 %igen Invalidität auf Grund der Wirbelsäulenverletzung sei es bei der Sitzung vom 11. 10. 2002 nur unter der Annahme gekommen, dass beim Brustwirbel ein Kompressionsbruch vorliege. Da die Kommission in der Folge mehrheitlich zur Ansicht gelangt sei, dass die Unregelmäßigkeiten an der Wirbelsäule nicht unfallskausal, sondern Folgen eines Morbus Scheuermann seien, sei eine Neueinschätzung der Invalidität vorgenommen worden, der sich das Kommissionsmitglied Dr. E***** nicht angeschlossen habe. Das Ergebnis der Sitzung der Ärztekommission vom 11. 10. 2002 sei nach außen nie bekannt gegeben worden und daher auch nicht bindend. Nachträgliche Veränderungen des Sachverhaltes vor Bekanntgabe des Sitzungsergebnisses könnten selbstverständlich zu einer Neubewertung führen. Diese sei mehrheitlich vorgenommen worden und daher bindend.

Das Erstgericht gab dem eingeschränkten Klagebegehren zur Gänze statt. Das Ergebnis eines Schiedsgutachterverfahrens sei nicht verbindlich, wenn es offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweiche. Dies treffe hinsichtlich der von der Ärztekommission letztlich mehrheitlich festgestellten mangelnden Unfallskausalität der Verletzung des 8. Brustwirbelkörpers des Klägers zu. Die betreffende Feststellung über die fehlende Unfallskausalität beim 8. Brustwirbelkörper sei daher nicht verbindlich und die gerichtliche gegenteilige Entscheidung zulässig.

Verbindlich sei allerdings die von der Ärztekommission bei der Sitzung am 11. 10. 2002 erfolgte Festsetzung der aus der Wirbelsäulenverletzung resultierenden Gesamtinvalidität in Höhe von 15 %. Diese Entscheidung sei damals unter der Annahme getroffen worden, dass eine unfallskausale Verletzung des 8. Brustwirbelkörpers vorliege. Die auf dieser Grundlage erfolgte Bewertung sei im Nachhinein von den Kommissionsmitgliedern Dr. S***** und K***** auch nicht abgeändert worden. Diese hätten die Gesamtinvalidität nur deshalb auf 10 % reduziert, weil sie fälschlich davon ausgegangen seien, dass nur die Verletzungen am 12. Brustwirbelkörper und am 1. Lendenwirbelkörper zu berücksichtigen seien. Die Bewertung der Gesamtinvalidität mit 15 % weiche auch nicht offenbar und erheblich von der Sachlage ab, weil die Verletzungen jedenfalls eine Gesamtinvalidität in Höhe von 12,5 % rechtfertigten, sich aber auch eine solche von 15 % noch innerhalb der Bandbreite des fachlichen Ermessensspielraumes befinde.

Insgesamt sei die Gesamtinvalidität des Klägers daher mit 27,25 % und zufolge der vereinbarten Progression mit 29,5 % zu bewerten. Der Kläger habe demnach einen Versicherungsanspruch von EUR 86.012,41. Nach Abzug der geleisteten Teilzahlungen ergebe sich der begehrte restliche Anspruch von EUR 13.849,46.

Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung des Erstgerichtes (mit Ausnahme des Zuspruches eines Zinsenbegehrens hinsichtlich des nachträglich geleisteten Betrages von EUR 7.289,18) dahin ab, dass es das Klagebegehren abwies. Die Mitglieder der Ärztekommission hätten am 11. 10. 2002 eine Gesamtinvalidität hinsichtlich der Wirbelsäulenverletzungen in Höhe von 15 % nur für den Fall festgestellt, dass eine knöcherne Verletzung des 8. Brustwirbelkörpers gegeben sei. Die wesentliche Tatfrage, ob es unfallskausal zu einer knöchernen Verletzung des 8. Brustwirbelkörpers gekommen sei, sei bewusst einer weiteren Klärung vorbehalten worden. Die Schiedsgutachter hätten auf diese Weise nur ein bedingt gültiges Zwischenergebnis erzielt, das - unabhängig von der Frage der Protokollierung und der Bekanntgabe nach außen - noch nicht als verbindliche Feststellung im Sinne des § 64 VersVG gewertet werden könne. Allein maßgeblich sei vielmehr das Endergebnis. Entscheidend seien daher die abschließenden Feststellungen nach Vorliegen aller von den Sachverständigen für erforderlich gehaltenen Befundaufnahmen. Ob die Feststellungen der Sachverständigen verbindlich seien, könne daher nur anhand des Endergebnisses beurteilt werden. Das Endergebnis, wonach keine unfallskausale Verletzung des 8. Brustwirbelkörpers gegeben und die Gesamtinvalidität auf Grund der Wirbelsäulenverletzungen mit 10 % zu bemessen sei, sei im Sinne des § 184 Abs 1 VersVG nicht verbindlich, weil es von der wirklichen Sachlage offenbar erheblich abweiche. Die beiden für dieses Ergebnis votierenden Sachverständigen hätten nämlich in einer für Sachkundige offen zu Tage tretenden Deutlichkeit übersehen, dass die Frage des Vorliegens eines Bruches des 8. Brustwirbelkörpers nur durch eingehende Untersuchung von Originalröntgenbildern möglich gewesen sei. Die Beklagte könne sich daher nicht auf eine Feststellung der Ärztekommission dahingehend berufen, dass keine unfallskausale Verletzung des 8. Brustwirbelkörpers vorliege und die Gesamtinvalidität auf Grund der Wirbelsäulenverletzung deswegen nur mit 10 % zu bemessen sei. Entgegen der Ansicht des Erstgerichtes scheide damit aber jedenfalls hinsichtlich des betroffenen Teilbereiches das Schiedsgutachterverfahren zur Gänze aus der Entscheidungsfindung aus. Es könne also nicht auf das bedingte Zwischenergebnis zurückgegriffen und nur die fehlende Bedingung (Vorliegen einer unfallskausalen Verletzung des 8. Brustwirbelkörpers) durch das Gericht nachgeschoben werden; dies insbesondere dann nicht, wenn das bedingte Zwischenergebnis nicht formell als „Feststellungen" im Sinne des § 64 VersVG in schriftlicher Form bekannt gegeben worden sei. Welche Gesamtinvalidität sich unter Annahme der nunmehr unstrittigen unfallskausalen Verletzung des 8. Brustwirbelkörpers im Hinblick auf die Wirbelsäulenverletzung ergebe, müsse daher das Gericht beurteilen. Das Erstgericht habe zu dieser Frage auch Beweis durch einen Sachverständigen aufgenommen und einen Rahmen der möglichen Gesamtinvalidität von 12,5 bis 15 % festgestellt. Da der Kläger für das Ausmaß der Gesamtinvalidität beweispflichtig sei, sei zu seinen Ungunsten vom niedrigeren Wert, somit von 12,5 % auszugehen. Unter Einbeziehung des unstrittigen Ausmaßes der gesamten Invalidität auf Grund der Armwertminderung (70 % von 17,5 % = 12,25 %) ergebe sich eine Gesamtinvalidität von 24,75 %, die zu keiner Progression führe. Auf der Grundlage dieser Gesamtinvalidität habe die Beklagte die vereinbarte Versicherungsleistung (EUR 72.162,95) bezahlt, sodass das Klagebegehren - mit Ausnahme des auf die geleistete Zahlung von EUR 7.289,18 entfallenden Zinsenbegehrens - abzuweisen sei. Das Berufungsgericht sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Auf Antrag des Klägers gemäß § 508 Abs 1 ZPO änderte es diesen Ausspruch dahin ab, dass es die Revision doch für zulässig erklärte, weil zur Rechtsfrage, unter welchen Umständen und inwieweit eine verbindliche Entscheidung der Ärztekommission vorliege, keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliege. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers, der unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache geltend macht und beantragt, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren vollinhaltlich stattgegeben (also das Ersturteil wiederhergestellt) werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt. Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die in den AUVB zu Gunsten beider Parteien zum Zweck der Herbeiführung einer raschen und kostengünstigen Entscheidung über die Höhe des Invaliditätsgrades (vgl 7 Ob 56/02i, RIS-Justiz RS0116382) vorgesehene Einrichtung einer Ärztekommission stellt einen Schiedsgutachtervertrag im Sinne des § 184 Abs 1 VersVG (vgl auch § 64 Abs 1 VersVG) dar, dem zwar keine prozesshindernde Wirkung zukommt, der aber bewirkt, dass der Anspruch des Versicherungsnehmers in materiell rechtlicher Hinsicht grundsätzlich nicht fällig ist, solange das Ärztekommissionsverfahren nicht durchgeführt wurde (SZ 62/167; VR 1993/317; VersR 2000, 82 ua; RIS-Justiz RS0081371 und RS0082250). § 184 Abs 1 VersVG bestimmt, dass eine von der Ärztekommission getroffene Feststellung nicht verbindlich ist, wenn sie offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweicht. In diesem Fall erfolgt die Feststellung durch gerichtliches Urteil. Im vorliegenden Fall hatte die ärztliche Schiedskommission einerseits Art und Schwere der unfallskausalen Verletzungen des Klägers und andererseits die daraus verbleibende Invalidität zu beurteilen. Dass die der Beurteilung der Invalidität zufolge der Wirbelsäulenverletzungen (mit Stimmenmehrheit) zugrundegelegte Feststellung, die Beeinträchtigung des 8. Brustwirbelkörpers sei nicht unfallskausal erfolgt, im Sinne des § 184 Abs 1 VersVG unrichtig und daher unverbindlich ist, stellt keinen Streitpunkt dar. Einigkeit besteht auch darüber, dass die Feststellung der unfallskausalen Schulterverletzung und die betreffende Invaliditätsbeurteilung der Schiedskommission davon unberührt blieb. Strittig ist allein, ob die offenbar unrichtige Feststellung der mangelnden Unfallskausalität der Brustwirbelverletzung auch die Unverbindlichkeit der für den gegenteiligen Fall von der Schiedskommission in der Sitzung am 11. 10. 2002 einstimmig getroffenen Festlegung der Gesamtinvalidität der Wirbelsäulenverletzungen bewirkt.

Zur Frage, ob eine unrichtige Feststellung der Sachverständigenkommission deren gesamtes Gutachten unverbindlich mache, wurde im Schrifttum und in Entscheidungen des deutschen Bundesgerichtshofs betont, dass es in bestimmten Fällen, insbesondere wenn (nur) die Schadenshöhe festzustellen sei, grundsätzlich auf das Gesamtergebnis ankomme, weshalb etwa eine zu niedrige Bewertung eines Einzelpostens durch die zu hohe eines anderen ausgeglichen werden könne, sodass das Gesamtergebnis auch „zufällig richtig" sein könne. Sei aber wegen der Unrichtigkeit eines Einzelpostens zugleich das Gesamtergebnis in erheblicher Weise falsch, dann sei das Gutachten insgesamt zu verwerfen, und alle Einzelposten seien neu zu bewerten (Voith/Knappmann in Prölss/Martin VVG27 § 64 Rn 37 unter Hinweis auch auf die Entscheidung des OGH VR 74, 405). Es wird aber auch betont, dass die Unverbindlichkeit nicht notwendigerweise das gesamte Gutachten erfassen müsse. Wenn die von Verfahrensfehlern hafteten Teilbereiche abgrenzbar seien, binde das Gutachten die Parteien nur in beschränktem Umfang, das heißt die fehlerfreien Teile seien verbindlich (Römer in Römer/Langheid, VVG2 § 64 Rn 10; Beckmann in BK § 64 VVG Rn 43, jeweils mit Hinweis auf Judikatur des BGH). Der erkennende Senat erachtet diese Auffassung insbesondere im Hinblick auf das Ziel des Sachverständigenverfahrens, einen langwierigen und kostspieligen Streit vor den staatlichen Gerichten zu vermeiden, für zutreffend. Wenn sich dieses Ziel der Herbeiführung einer raschen Entscheidung ohne Mitwirkung eines Gerichtes im Falle einer unrichtigen Feststellung durch die Sachverständigenkommission schon nicht ganz verwirklichen lässt, so erscheint es doch im Sinne der anzustrebenden Kosten- und Zeitersparnis günstig und erstrebenswert, das Gerichtsverfahren auf den tatsächlich notwendigen Umfang zu beschränken. Unter diesem Gesichtspunkt war es im vorliegenden Fall nur erforderlich, die unrichtige Feststellung der mangelnden Unfallskausalität der Brustwirbelverletzung durch das Gericht zu korrigieren. Für die vom Erstgericht dennoch auch vorgenommene Überprüfung der von der Ärztekommission für den Fall der Unfallskausalität der Brustwirbelverletzung beigelegte Gesamtinvalidität der Wirbelsäulenverletzungen bestand mangels offenbarer Unrichtigkeit im Sinne des § 184 Abs 1 VersVG kein Anlass. Zu Recht wendet sich der Revisionswerber nämlich gegen die Auffassung des Berufungsgerichtes, das am 11. 10. 2002 einstimmig erzielte „Zwischenergebnis" sei nicht weiter beachtlich, weil es nicht formell als Feststellung im Sinne des § 64 VersVG in schriftlicher Form bekannt gegeben worden sei. Dies ist unrichtig, weil der Kommissionsvorsitzende im Protokoll vom 4. 2. 2003 den betreffenden Vorgang schriftlich niedergelegt hat. Die Diktion, „die primär beschlossene Invalidität bezüglich der Wirbelsäule von 15 %" sei zu korrigieren, lässt keinen Zweifel daran, dass die Kommission eine Beurteilung der Gesamtinvalidität der Wirbelsäulenverletzungen für den Fall der Unfallskausalität der Brustwirbelverletzung tatsächlich bewusst vorgenommen hat. Diese Entscheidung wäre nur dann obsolet gewesen, wenn die in der Folge mehrheitlich getroffene Feststellung der Kommission betreffend die mangelnde Unfallskausalität der Brustwirbelverletzung nicht von der wirklichen Sachlage erheblich abgewichen wäre. So aber besteht kein Anlass, die einstimmige Feststellung des Gesamtinvalditätsgrades der Wirbelsäulenverletzungen als unverbindlich zu betrachten, zumal diese Feststellung der Kommission innerhalb des gegebenen Ermessensspielraumes liegt und daher keine Rede davon sein kann, dass sie im Sinne des § 184 Abs 1 VersVG erheblich unrichtig wäre.

Die Ansicht des Erstgerichtes, die Höhe der Gesamtinvalidität zufolge der Wirbelsäulenverletzungen sei nicht vom Gericht neu zu bestimmen, weil die betreffende Festlegung der Ärztekommission verbindlich sei, ist daher zutreffend. Gegen die daraus resultierende Berechnung des Anspruches des Klägers wurde von der Beklagten kein Einwand erhoben. In Stattgebung der Revision ist die erstinstanzliche Entscheidung daher wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 41 Abs 1 und 50 Abs 1 ZPO.

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