Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.821,24 EUR (darin enthalten 303,54 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Zwischen den Parteien besteht ein die Sparte Sozialversicherungsrechtsschutz einschließender Rechtsschutzversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung 2003 (ARB 2003) zugrunde liegen. Art 6.6.1. ARB 2003 lautet auszugsweise:
„Der Versicherer zahlt die angemessenen Kosten des für den Versicherungsnehmer tätigen Rechtsanwalts bis zur Höhe des Rechtsanwaltstarifgesetzes oder, soferne dort die Entlohnung für anwaltliche Leistungen nicht geregelt ist, bis zur Höhe der Autonomen Honorarrichtlinien.“
Der Kläger brachte - vertreten durch den Klagevertreter - im Mai 2010 die Klage gegen die Pensionsversicherungsanstalt auf Gewährung einer Invaliditätspension ein. Für diese Klage machte der Klagevertreter dem Kläger gegenüber einen Honoraranspruch auf Basis einer Bemessungsgrundlage des 3-Fachen der eingeklagten Jahresinvaliditätspension von insgesamt 78.640,80 EUR geltend und verlangte dessen Bezahlung.
Die Beklagte erteilte dem Kläger für dieses Verfahren Rechtsschutzdeckung unter Berufung darauf, dass gemäß § 77 Abs 2 ASGG für die Berechnung des tarifmäßigen Honorars des Klagevertreters die Bemessungsgrundlage von 3.600 EUR maßgeblich sei.
Der Kläger begehrte von der Beklagten Zahlung von 1.384,92 EUR sA an nach § 9 Abs 1 RATG tarifmäßigen, bereits aufgelaufenen Kosten seiner eingebrachten Klage gegen die Pensionsversicherungsanstalt und die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihn im Rahmen der gewährten Deckungszusage von den tarifmäßig nach Maßgabe des § 9 RATG berechneten Honoraransprüchen seines im gerichtlichen Verfahren einschreitenden Rechtsfreunds freizuhalten sowie diesen Rechtsfreund auf Basis einer Bemessungsgrundlage von 78.640,80 EUR für dessen im sozialgerichtlichen Verfahren erbrachte Leistungen zu entlohnen. Hilfsweise begehrte er die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihn im Rahmen der gewährten Deckungszusage bis zur Höhe der Versicherungssumme von 40.000 EUR von den tarifmäßig nach Maßgabe des § 9 RATG auf Basis einer Bemessungsgrundlage von 78.640,80 EUR berechneten Honoraransprüchen seines im gerichtlichen Verfahren einschreitenden Rechtsfreunds freizuhalten. Die Honoraransprüche des Klagevertreters im sozialgerichtlichen Verfahren würden sich gemäß § 9 Abs 1 RATG nach der dreifachen, in Geld bestehenden Jahresleistung errechnen. Ausgehend von der von der Pensionsversicherungsanstalt fiktiv berechneten Invaliditätspension von monatlich brutto 1.872,40 EUR (14 x jährlich) betrage die Bemessungsgrundlage 78.640,80 EUR. Der nur das Verhältnis des Versicherten zum Versicherungsträger regelnde § 77 Abs 2 ASGG sei für die im Verhältnis zum eigenen Rechtsvertreter heranzuziehende Bemessungsgrundlage nicht maßgeblich.
Die Beklagte wendete - soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz - ein, dass sie nach den Versicherungsbedingungen nur die angemessenen Kosten des für den Kläger tätigen Rechtsanwalt zu bezahlen habe. Der Hinweis auf das Rechtsanwaltstarifgesetz (RATG) und die Allgemeinen Honorar-Kriterien (vormals Autonome Honorarrichtlinien) in den Versicherungsbedingungen stelle nur die Höchstgrenze eines angemessenen Honorars dar. Da § 77 Abs 2 ASGG die Bemessungsgrundlage für Kostenersatzansprüche im Verfahren zur Geltendmachung von Ansprüchen auf eine Invaliditätspension mit 3.600 EUR festsetze, sei die Angemessenheit des Honoraranspruchs des Rechtsanwalts eines Versicherten gegenüber dem Pensionsversicherungsträger auf dieser Basis zu errechnen. Der Versicherte habe seinem Rechtsfreund Honorare lediglich auf dieser Bemessungsgrundlage zu ersetzen; dies gelte auch im Verhältnis zur beklagten Rechtsschutzversicherung. Allfällige von § 77 Abs 2 ASGG abweichende Vereinbarungen zwischen dem Kläger und seinem Rechtsfreund stellten einen Verstoß gegen die Obliegenheit dar, alles zu unterlassen, was zu einer Kostenerhöhung führe.
Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren im Umfang von 250,22 EUR sA unbekämpft statt und wies das Leistungsmehrbegehren von 1.134,70 EUR sA sowie die Feststellungsbegehren ab. § 77 Abs 2 ASGG betreffe zwar nur das Außenverhältnis zum Versicherungsträger, sei aber der Lehre folgend analog auf das Innenverhältnis zwischen dem Versicherten und seinem eigenen Rechtsanwalt anzuwenden. Der Kläger sei zu einer Entlohnung seines Rechtsfreunds für dessen Einschreiten im sozialgerichtlichen Verfahren nur auf Basis des gesetzlichen Streitwerts nach § 77 Abs 2 ASGG von 3.600 EUR verpflichtet. Ausgehend von dieser Bemessungsgrundlage sei das auf Kosten der bereits eingebrachten Klage abzielende Leistungsbegehren des Klägers in der Höhe von 250,22 EUR berechtigt, das darüber hinausgehende Leistungsbegehren und die Feststellungsbegehren seien jedoch abzuweisen.
Das Berufungsgericht gab der vom Kläger erhobenen Berufung nicht Folge, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 30.000 EUR übersteige und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Rechtlich führte es aus, § 77 ASGG trage die Überschrift „Kostenersatzansprüche“. § 77 Abs 2 ASGG betreffe nach seinem Wortlaut nur das Verhältnis zwischen Versichertem und (Sozial-)Versicherungsträger, nicht aber das Innenverhältnis zwischen Versichertem und seinem Rechtsfreund, von welchem der Anspruch des Klägers gegen den beklagten Rechtsschutzversicherer abhänge. Die unmittelbare Anwendung dieser Bestimmung komme nicht in Betracht, weil der äußerst mögliche Wortsinn die Grenze jeglicher Auslegung abstecke. Die Streitwertregel des § 77 Abs 2 ASGG sei jedoch auch im Verhältnis des Klägers zu seinem Rechtsfreund analog anzuwenden. Auch Ausnahmeregelungen seien der analogen Rechtsanwendung zugänglich. Soweit dem Ausnahmesatz ein gegenüber dem allgemeinen Grundsatz „engeres Prinzip“ zugrundeliege, sei innerhalb „dieses Prinzips“ eine erweiternde Auslegung und auch Analogie gestattet (RIS-Justiz RS0008937). Das Ziel der Kostenersatzregel des § 77 ASGG sei die Verringerung des Kostenrisikos und der Kostenbelastung für den Sozialversicherten. Insofern liege im Verhältnis zur allgemeinen Regel des § 9 RATG ein „engeres Prinzip“ zugrunde, welches - gemessen am Gesetzeszweck des Abbaus der Kostenbarriere offensichtlich planwidrig - vom Wortlaut her nicht auch eine Streitwertbegrenzung für das Innenverhältnis umfasse. Diese Lücke könne mit der Lehre (Klicka, Bemerkungen zum Kostenersatzrecht des ASGG in Sozialrechtssachen, ZAS 1987, 81; Neumayr in ZellKomm § 77 ASGG Rz 16; Kuderna, ASGG2 § 77 Anm 8) im Analogieweg geschlossen werden. Auf die Wirtschaftskraft von Rechtsschutzversicherern komme es nicht an.
Die ordentliche Revision sei zulässig, weil höchstrichterliche Rechtsprechung zur Auslegung des § 77 Abs 2 ASGG fehle.
Gegen das Urteil zweiter Instanz richtet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
1. Voranzustellen ist, dass sich der Oberste Gerichtshof bereits mit inhaltsgleichen Klauseln wie dem hier zu beurteilenden Art 6.6.1. ARB 2003 befasste. In der Entscheidung 7 Ob 198/98p (= VersE 1804 [Art 6.6.1. ARB 1994]; dazu Gerlach, Noch einmal: Zur „Bewertung arbeitsrechtlicher Feststellungsbegehren“, ecolex 1999, 489) wurde ausgesprochen, verzeichne der Rechtsanwalt für eine Klage und für sein weiteres Einschreiten im Verfahren, soweit dieses unbedingt notwendig sei, seine Kosten auf Basis eines dem RATG entsprechenden Betrags, dann seien diese Kosten gemäß Art 6.6.1. ARB 1994 als „angemessene“ Kosten vom Versicherer zu ersetzen. Da das Anwaltshonorar unmittelbar vom Streitwert und bei freier Bewertungsmöglichkeit von der gewählten Bewertung abhänge, sei im letzteren Fall die Frage nach den „angemessenen Kosten“ untrennbar mit der Frage der „angemessenen Bewertung“ verbunden. Im Beschluss 7 Ob 41/04m (= SZ 2004/103 [Art 6.6.1. ARB/EA 95]) führte der Oberste Gerichtshof aus, dass die Ansätze der (damaligen) Autonomen Honorarrichtlinien das oberste Limit der angemessenen Kosten bilden, wenn es keine Regelung im Rechtsanwaltstarifgesetz gebe.
2. § 77 ASGG („Kostenersatzansprüche“) betrifft unmittelbar nur das „Außenverhältnis“ in einer Sozialrechtssache zwischen einem Versicherten und einem Versicherungsträger. Hat die Rechtsstreitigkeit eine Feststellung oder einen Anspruch des Versicherten auf eine wiederkehrende Leistung - wie hier die Klage des Klägers auf Invaliditätspension - zum Gegenstand, so ist gemäß § 77 Abs 2 ASGG - auch wenn der Versicherte nur teilweise obsiegt - bei der Festsetzung seines Kostenersatzes von einem Betrag von 3.600 EUR auszugehen. Nach den Gesetzesmaterialien zur Stammfassung (EBRV 7 BlgNr XVI. GP 56) wirke diese Bestimmung „grundsätzlich kostenreduzierend“ und werde zum einen als „sachgerechte Modifikation des § 58 Abs 1 JN und zum anderen aus Gründen der Vollziehbarkeit vorgeschlagen“. Durch § 77 Abs 2 ASGG soll die Kostenlast insbesondere bei Pensions- und Rentenstreitigkeiten in Grenzen gehalten werden (Fasching/Klicka in Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechts 738).
Klicka (Bemerkungen zum Kostenersatzrecht des ASGG in Sozialrechtssachen, ZAS 1987, 81 [82 ff]) vertritt die Ansicht, dass sich bei wiederkehrenden Sozialleistungen aus § 77 Abs 2 ASGG nicht nur der Kostenersatzanspruch des Versicherten ergebe, sondern dass sich aus Rechtsschutzerwägungen auch der gesetzliche Tarifanspruch seines Rechtsanwalts nach dem dort genannten Betrag richte. Wenn der Versicherte eine wiederkehrende Geldleistung beziffert einklage und (voll oder teilweise) obsiege, habe er einen Ersatzanspruch, der auf der Basis von (nunmehr) 3.600 EUR zu berechnen sei. Im Ergebnis bedeute dies aber nichts anderes, als dass der Versicherte regelmäßig den Großteil seiner Kosten selbst zu tragen habe, obwohl ihm keine Überklagung vorzuwerfen sei. Denn nach dem sonst für sein Innenverhältnis zum Rechtsanwalt maßgeblichen RATG (§§ 1, 3, 4, 9) wäre die Bemessungsgrundlage des gesetzlichen Entlohnungsanspruchs des Anwalts (zumindest) das Dreifache der Jahresleistung des begehrten Betrags. Dass der Versicherte für den Restbetrag gegenüber seinem Rechtsanwalt selbst aufkommen müsse, sei ein nicht leicht einsichtiges Ergebnis, zumal der Gesetzgeber als ein Ziel des ASGG auch den Abbau der „Kostenbarriere soweit als möglich“ nenne. Dieses Ziel wäre bei dieser Sicht nicht erreicht; die Kostenbarriere wäre größer als in jedem anderen Prozess. Wolle man der Zielsetzung des Gesetzes zum Durchbruch verhelfen, müsse man den Inhalt des § 77 Abs 2 ASGG auf das Innenverhältnis des Versicherten zu seinem Rechtsanwalt übertragen. Dies führe zu einer Reduktion der Berechnungsregeln des RATG (§§ 3, 4, 9) dahingehend, dass für Klagen auf wiederkehrende Leistungen in Sozialrechtssachen der in § 77 Abs 2 ASGG genannte Betrag die Bemessungsgrundlage bilde. Der Rechtsanwalt bekäme in allen Prozessen über wiederkehrende Sozialleistungen gesetzliches Honorar auf Basis von (nunmehr) 3.600 EUR.
Dieser Rechtsansicht schlossen sich Kuderna (ASGG2 § 77 Anm 8), Neumayr (in ZellKomm § 77 ASGG Rz 16) und die veröffentlichte zweitinstanzliche Rechtsprechung (OLG Wien SVSlg 50.398; SVSlg 47.669; 8 Rs 222/96t) an.
Der erkennende Senat erachtet die Rechtsansicht Klickas für überzeugend und schließt sich ihr an. Zutreffend argumentiert das Berufungsgericht, dass auch Ausnahmeregelungen - hier die Bemessung des Kostenersatzes gemäß § 77 Abs 2 ASGG - im Rahmen ihrer engeren ratio legis der ausdehnenden Auslegung und auch der Analogie fähig sind (RIS-Justiz RS0008937 [T1]). Im Hinblick auf das Ziel der Kostenersatzbestimmung des § 77 ASGG und insbesondere des Abs 2 - Abbau der Kostenbarriere für den Sozialversicherten und grundsätzliche Reduktion der Kosten (EBRV 7 BlgNr XVI. GP 56) - würde dieser Gesetzeszweck durch einen Honoraranspruch des den Versicherten vertretenden Rechtsanwalts auf der höheren Bemessungsgrundlage gemäß § 9 Abs 1 RATG oder - wie vom Kläger ebenfalls argumentiert - nach § 14 lit a RATG konterkariert. Diese offensichtlich planwidrige Lücke kann aber für Klagen des Versicherten auf wiederkehrende Leistungen in Sozialrechtssachen durch analoge Heranziehung des in § 77 Abs 2 ASGG genannten Betrags von 3.600 EUR als gesetzlicher Tarifanspruch des eigenen Rechtsanwalts geschlossen werden. Aus Rechtsschutzerwägungen und entsprechend dem Normzweck des § 77 Abs 2 ASGG sind insofern die Berechnungsregeln des RATG telelogisch zu reduzieren.
3. Gemäß Art 6.6.1. ARB 2003 zahlt der Versicherer die angemessenen Kosten des für den Versicherungsnehmer tätigen Rechtsanwalts bis zur Höhe des RATG. Die „angemessenen Kosten“ (nach [§ 1004,] § 1152 ABGB) bilden die absolute Obergrenze der durch die Rechtsschutzversicherung zu bezahlenden Kosten. Ist die Entlohnung des Rechtsanwalts im RATG geregelt, ergibt sich daraus die Obergrenze. Die Ansätze insbesondere nach RATG dürfen das angemessene Honorar nach § 1152 ABGB nicht überschreiten (Mittermayr in Kronsteiner/Lafenthaler, Erläuterungen zu den Musterbedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung 67 [zur wortgleichen Klausel des Art 6.6.1. ARB 1994]).
Weil - wie zu Punkt 2. dargelegt - bei einem Klagebegehren auf Gewährung einer Invaliditätspension für den Honoraranspruch des Klagevertreters gegenüber dem Kläger die Bewertung gemäß § 9 Abs 1 RATG nicht zur Anwendung kommt, sondern die niedrigere Bemessungsgrundlage gemäß § 77 Abs 2 ASGG maßgeblich ist, handelt es sich dabei um die „angemessenen Kosten“ im Sinn des Art 6.6.1. ARB 2003. Die vom beklagten Rechtsschutzversicherer gemäß Art 6.6.1. ARB 2003 zu zahlenden angemessenen Kosten des für den Kläger in der Sozialrechtssache auf wiederkehrende Leistungen tätigen Rechtsanwalts sind auf der gesetzlichen Bemessungsgrundlage gemäß § 77 Abs 2 ASGG zu berechnen. Das auf die Bemessungsgrundlage gemäß § 9 Abs 1 RATG abstellende, im Revisionsverfahren strittige Klagebegehren ist daher - wie die Vorinstanzen zutreffend erkannten - nicht berechtigt.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
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