Spruch:
Publizitätsprinzip. Wer ein grundbücherlich lastenfreies Haus erwirbt und hiebei weiß, daß daran Dritten Rechte auf Einräumung dinglicher Rechte zustehen, hat diese Rechte anzuerkennen
Entscheidung vom 14. September 1966, 7 Ob 152/66
I. Instanz: Bezirksgericht Döbling; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien
Text
Die klagende Partei begehrt Räumung der von den Beklagten im Hause Wien, H.-Straße 417, benützten Wohnung, weil diese ohne Rechtstitel benützt wurde. Die Beklagten wendeten ein ihnen vom Voreigentümer des Hauses eingeräumtes Wohnungsrecht ein, von dem die klagende Partei bei Erwerb des Hauses Kenntnis gehabt und das sie anerkannt habe.
Das Erstgericht gab dem Räumungsbegehren statt. Es führte aus, das dingliche Recht der Dienstbarkeit könne nur durch Eintragung im Grundbuch erworben werden. Eine vertragliche nichtverbücherte Dienstbarkeit wirke nur dann gegen den Erwerber der dienenden Liegenschaft, wenn sie offenkundig sei oder wenn sie der Erwerber gekannt habe. Offenkundig könne aber nur eine Grunddienstbarkeit sein, nicht aber eine persönliche wie das Wohnungsrecht, weil von außen her das Bestehen einer solchen Dienstbarkeit gar nicht wahrgenommen werden könne. Die klagende Partei habe auch keine Kenntnis von einer solchen Dienstbarkeit gehabt, denn ihre Rechtsvorgänger hätten das Wohnungsrecht der Beklagten nicht anerkannt und der klagenden Partei gegenüber anläßlich des Verkaufes der Liegenschaft ein solches Recht auch nicht erwähnt, sondern sich zur Räumung der Liegenschaft verpflichtet. Ungewisse und unbestimmte Rechtsverhältnisse im Zeitpunkt des Eigentumserwerbes müsse der Erwerber aber nicht gegen sich gelten lassen. Eine Anerkennung des Wohnungsrechtes der Beklagten seitens der klagenden Partei liege nicht vor.
Das Berufungsgericht hob dieses Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es führte aus, vor allem sei die Frage zu entscheiden, wie eine bloß vertraglich eingeräumte, aber nicht verbücherte Dienstbarkeit gegen den Nachmann des Dienstbarkeitsbestellers wirke. Nach Lehre und Rechtsprechung habe jener bücherliche Nachmann die Dienstbarkeit gegen sich gelten zu lassen, der die Bestellung und den erlangten faktischen Besitz des Berechtigten gekannt habe oder habe kennen müssen. Da die Beklagten die Einräumung einer persönlichen Dienstbarkeit durch den Rechtsvorgänger der klagenden Partei, Josef P., und die Kenntnis der klagenden Partei von dieser Einräumung behaupten und der klagenden Partei der Besitz der Wohnung seitens der Beklagten bekannt gewesen sei, müßten die Beweise der Beklagten über die Dienstbarkeitsvereinbarung und die Kenntnis der klagenden Partei hievon zugelassen werden. Da das Erstgericht diese Beweise nicht aufgenommen habe, sei sein Verfahren mangelhaft geblieben. Dem Erstgericht sei aber beizustimmen, daß das bisherige Beweisverfahren keine Anhaltspunkte für ein Anerkenntnis des Wohnungsrechtes der Beklagten durch die klagende Partei erbracht habe.
Die klagende Partei bekämpft den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes, weil die Sache im Sinne einer Bestätigung des Ersturteiles spruchreif sei. Die Bindung des Erwerbers einer Liegenschaft könne nur auf der Dinglichkeit des sie belastenden Rechtes beruhen. Die Dinglichkeit könne aber nur durch Einverleibung im Grundbuch herbeigeführt werden. Wenn die Absicht der Parteien nicht auf die Verdinglichung des Rechtes gerichtet war, könne von einer nicht einverleibten Dienstbarkeit überhaupt nicht gesprochen werden, sondern nur von einem obligatorischen Recht, an das der neue Erwerber nicht gebunden sei. Es könne aber auch nicht von einer Kenntnis der klagenden Partei von einer nicht einverleibten Dienstbarkeit gesprochen werden, weil schon von den Voreigentümern das Recht der Beklagten bestritten worden sei und eine Schlechtgläubigkeit der klagenden Partei nur bei sicherer Kenntnis der in diesem Rechtsstreit (5 C.../62 des Bezirksgerichtes Döbling) zukünftig ergehenden Entscheidung angenommen werden könnte.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der klagenden Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, handelt es sich im vorliegenden Fall nicht um die Frage, ob die Dienstbarkeit des Wohnungsrechtes offenkundig sein kann, auf eine Offenkundigkeit haben sich die Beklagten auch nicht berufen, sondern darum, ob die klagende Partei von einer solchen Dienstbarkeit Kenntnis hatte. Es ist entgegen der Meinung der Rekurswerberin auch nicht von Bedeutung, ob die Dienstbarkeit nach dem Willen der Parteien durch Eintragung im Grundbuch dingliche Wirkung erlangen sollte, sondern ob die klagende Partei als Rechtsnachfolgerin nach dem angeblichen Besteller der Dienstbarkeit Josef P. die Dienstbarkeit gegen sich gelten lassen muß. Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. außer den schon vom Berufungsgericht zitierten Entscheidungen GlU. 9650, GlUNF. 6384, JBl. 1954 S. 68, RiZ. 1966 S. 88, 8 Ob 100/64 u. v. a.) wirkt eine nicht verbücherte Dienstbarkeit dann gegen den Erwerber der Liegenschaft, wenn sie der Erwerber kannte. Eine solche Kenntnis haben die Beklagten behauptet, das Erstgericht hat hierüber aber von seiner Rechtsansicht ausgehend keine Beweise aufgenommen. Die Beklagten behaupten, P. habe ihnen, der Erstbeklagten für Lebensdauer, dem Zweitbeklagten für die Dauer der Ehe mit der Erstbeklagten, das Recht eingeräumt, eine bestimmte Wohnung in seinem Haus zu benützen und ihnen die Wohnung auch tatsächlich übergeben. Sie behaupten also eine Dienstbarkeit der Wohnung im Sinn des § 521 erster Satz ABGB. und nicht einen bloßen Titel zur Begründung einer Dienstbarkeit. Es kann der klagenden Partei auch nicht beigestimmt werden, daß wegen der strittigen Rechtslage von einer Kenntnis der Dienstbarkeit nicht gesprochen werden könne. Wenn der klagenden Partei der Vorprozeß (5 C.../62), in dem vom Erstgericht übrigens das Wohnungsrecht der Beklagten bejaht worden war, bekannt war, sie also wußte, daß die Rechtslage strittig ist, kann zwar eine allenfalls irrige Rechtsansicht der klagenden Partei deren schlechten Glauben ausschließen, dieser Rechtsirrtum kommt ihr aber nicht zugute. Sie hat in Kenntnis einer nicht völlig geklärten Rechtslage gekauft, hat also das Risiko auf sich genommen und kann sich auf die publica fides nicht mehr berufen. Damit hat sie aber nicht mehr Rechte erworben, als der Verkäufer hatte, und genießt das Eigentumsrecht an der Liegenschaft nur mit dem Wohnungsrecht der Beklagten belastet, falls ein solches besteht (SZ. VII 222).
Dem Berufungsgericht ist auch beizustimmen, daß keine Anhaltspunkte für eine Anerkennung des Wohnungsrechtes durch die klagende Partei vorliegen. Es wurde von den Beklagten nie eine ausdrückliche, sondern nur eine konkludente Anerkennung behauptet. Das von den Untergerichten festgestellte Verhalten der klagenden Partei (Gespräche über einen Geldbetrag für eine neue Wohnung, unentgeltliche Benützung der Wohnung durch die Beklagten) läßt aber nicht auf eine Anerkennung des Wohnungsrechtes im Sinn des § 863 ABGB. schließen.
Da die Aufhebung des Ersturteiles wie oben ausgeführt wurde, zu Recht erfolgte, war dem Rekurs nicht Folge zu geben.
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