OGH 7Ob133/23v

OGH7Ob133/23v30.8.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei A* SE *, vertreten durch Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 4. April 2023, GZ 60 R 108/22w‑14, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 30. September 2022, GZ 16 C 191/22p‑9, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00133.23V.0830.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Diebeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 751,92 EUR (darin enthalten  125,32 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Dem Rechtsschutzversicherungsvertrag zwischen dem Kläger als Versicherungsnehmer und der Beklagten liegen deren Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2018) zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:

Artikel 8

Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten? (Allgemeine Obliegenheiten)

1. Wird die Wahrnehmung rechtlicher Interessen nach Eintritt eines Versicherungsfalles notwendig, dann ist der Versicherungsnehmer verpflichtet,

1.1. [den Versicherer] unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären;

[…]

Artikel 9

Wann und wie hat [der Versicherer] zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen? [...]

2. Davon unabhängig hat [der Versicherer] das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt [der Versicherer] nach Prüfung des Sachverhalts unter Berücksichtigung der Rechts‑ und Beweislage zum Ergebnis:

2.1. dass hinreichende Aussicht besteht, in einem Verfahren im angestrebten Umfang zu obsiegen, hat [der Versicherer] sich zur Übernahme aller Kosten nach Maßgabe des Artikels 6 (Versicherungsleistungen) bereit zu erklären;

2.2. dass diese Aussicht auf Erfolg nicht hinreichend, d. h. ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen, ist [der Versicherer] berechtigt, die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten abzulehnen;

2.3. dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat [der Versicherer] das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen.

[...]“

Rechtliche Beurteilung

[2] Da die Beklagte in ihrer Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, ist die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

[3] 1. Die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage, ob Art 21 ARB 2018 einen Risikoausschluss und keinen Deckungsabgrenzungsausschluss regle, liegt zum dafür relevanten Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof (RS0112769 [T9, T11]) nicht mehr vor (vgl 7 Ob 45/23b zum gleichlautenden Art 21 ARB 2015). Der Revisionswerber kommt im Übrigen auch nicht mehr auf sie zurück (RS0102059).

[4] 2.1. Hier hat der Versicherungsnehmer während des versicherten Zeitraums einen gebrauchten Diesel‑PKW erworben und begehrt Rechtsschutzdeckung für die Geltendmachung eines auf § 1295 ABGB sowie § 874 ABGB gestützten Anspruchs auf Ersatz des Minderwerts (30 % des Kaufpreises) mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeliefert worden sei.  Dass der Kläger den Versicherungsfall damit grundsätzlich schlüssig dargelegt hat, entspricht der Rechtsprechung des Fachsenats (vgl etwa 7 Ob 91/22s; 7 Ob 61/22d; 7 Ob 130/22a; 7 Ob 45/23b; 7 Ob 89/23y).

[5] 2.2. Die von der Beklagten erstmals in ihrer Revision getätigten Ausführungen, die Klage sei deshalb unschlüssig, weil die V‑AG nicht Herstellerin des gegenständlichen Kraftfahrzeugs Audi A5 gewesen sei, verstoßen gegen das Neuerungsverbot und sind damit unbeachtlich.

[6] 3. In der Rechtsschutzversicherung ist bei Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen (RS0081929). Eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs genügt (RS0117144).

[7] 3.1. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass ausgehend vom anspruchsbegründenden Vorbringen des Klägers eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs bestehe und dass die von der Beklagten erhobenen Einwände als Tatfragen im Haftpflichtprozess zu beurteilen und für die Deckungspflicht unbeachtlich seien, ist nicht korrekturbedürftig (vgl 7 Ob 61/22d; 7 Ob 129/22d; 7 Ob 130/22a). Die von der Beklagten erhobenen Einwände (dem Erwerber eines gebrauchten Fahrzeugs stünden keine Schadenersatzansprüche gegenüber der Herstellerin zu; der Kläger sei nicht getäuscht worden; Wegfall der Arglist im Nachhinein durch die Spontanmeldung der V‑AG im Jahr 2015; Eintritt der Verjährung; allfällige Höhe einer Vorteilsanrechnung) sind als Tat- und – von österreichischen Gerichten bisher nicht gelöste – Rechtsfragen im Haftpflichtprozess zu beurteilen und daher für die Deckungspflicht unbeachtlich (vgl 7 Ob 82/23v mwN).

[8] 3.2. Dem Kläger ist daher auch bereits deshalb in diesem Zusammenhang keine Obliegenheitsverletzung gemäß Art 8.1.1. ARB 2018 zur Last zu legen.

[9] 4. Damit war die Revision zurückzuweisen, ohne dass dies einer weiteren Begründung bedürfte (§ 510 Abs 3 ZPO).

[10] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0112296).

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